Grün lackierte Betonpolitik

in (28.08.2005)

Die Ausgangslage war günstig: Die Regierungen unter Helmut Kohl standen für Betonpolitik und Industriehörigkeit. Sie wurden "ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung der ...

... Industriegesellschaft, bei der Umwelt- und Naturschutz die entscheidende Rolle spielen, nicht gerecht". So lautete 1996 das Urteil der SPD, die zwei Jahre später den Kanzler stellte. Der kleinere Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen galt besonders in Umwelt- und Verkehrsfragen als kompetent. Und in der Bevölkerung verlangt auch weiterhin, trotz der drückenden sozialen Probleme, eine knappe Dreiviertel-Mehrheit, daß "mehr für den Umweltschutz getan" werden muß. Nur ein Viertel ist nach dieser aktuellen repräsentativen Umfrage hinsichtlich der Umweltpolitik der Meinung, es sei "richtig, wie es ist".

Doch (auch) die umwelt- und verkehrspolitische Bilanz von Rot-Grün ist lausig. Dabei macht es offensichtlich kaum einen Unterschied, daß das Umweltressort von Ende 1998 bis zum absehbaren Ende der Schröder-Regierung durchgängig von einem Minister, Jürgen Trittin, verantwortet wurde, während im Verkehrsressort mit dem flotten Vierer Müntefering-Klimmt-Bodewig-Stolpe im Durchschnitt alle 1,75 Jahre ein neuer Minister kam und ein alter ging. Etwas schematisiert läßt sich diese Bilanz auf drei Ebenen darstellen: Es gab erstens Teilerfolge und Halbheiten, zweitens herrschte überwiegend das "Weiter so" vor, drittens verschärfte Rot-Grün in einigen Bereichen den Kurs gegen Umwelt und Menschen, vor allem dort, wo dem Goldenen Kalb Markt gehuldigt wird.

""Teilerfolge und Halbheiten""

Einen Erfolg hat Rot-Grün mit der Förderung alternativer Energien vorzuweisen: Der Anteil der erneuerbaren Energien (Wind, Wasser, Sonne) an der Stromerzeugung stieg von 6,7 Prozent im Jahr 2000 auf 9,3 Prozent 2004. Einzelne besonders umweltschädigende Verkehrsprojekte wurden aufgegeben (Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin; Elbe- und Donau-Kanalisierung) oder zeitweilig ausgebremst (ICE-Strecke München-Erfurt-Berlin). Zwei Atomkraftwerke (Stade und Obrigheim) wurden stillgelegt. Mit der Ökosteuer begann die erforderliche Verteuerung der Energiekosten. Radfahren wurde als relevante Verkehrsart entdeckt. Statt der Kilometerpauschale gibt es jetzt eine Entfernungspauschale, so daß Pendler auch die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel und den nichtmotorisierten Verkehr steuerlich absetzen können.

Doch fast alle diese Erfolge sind mit Halbheiten verbunden. Die Transrapid-Technik wurde weiter durch Subventionen und Projekte unterstützt (Metrorapid, Magnetbahn München). Die absurde ICE-Strecke über Erfurt wird - verlangsamt - weitergebaut. Den Atomausstieg zögerte Rot-Grün so weit hinaus, daß ein Wiedereinstieg absehbar war und blieb. Der Radverkehrsplan der Bundesregierung hat keine praktischen Folgen und ist finanziell nicht untersetzt. Die Ökosteuer ist sozial unausgewogen und belastet mit dem halben Satz auch öffentliche Verkehrsmittel. Es bleibt: Seit Januar 2004 müssen Kartons mit Eiern aus Legebatterien beschriftet sein mit: "Aus Käfighaltung".

""Weiter, schneller, mehr""

Die der kapitalistischen Produktion innewohnende Logik, "die Technik des gesellschaftlichen Produktionsprozesses (zu) entwickeln, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter" (Karl Marx), hat vielfach auch die rot-grüne Umwelt- und Verkehrspolitik geprägt. Die Entfernungspauschale fördert besonders weite Entfernungen (36 Cent für die ersten zehn Kilometer und 40 Cent für jeden weiteren) und begünstigt den Zersiedelungsprozeß. Auch die Eigenheimzulage beschleunigt die Zersiedelung der Landschaft, zumal Ausgaben für Neubauten auch noch doppelt so hoch subventioniert werden wie die Altbausanierung.

Die SPD-Grünen-Regierung ist verantwortlich dafür, daß der besonders klimaschädliche Flugverkehr das höchste Wachstum aller Verkehrsarten aufweist: Die direkte Subventionierung des Luftverkehrs wurde erhöht (auf über eine Milliarde Euro pro Jahr), der Airbus-Jumbo A380 wird gesondert mit mehr als einer Milliarde Euro subventioniert, das im Jahre 2000 vorgestellte "Konzept für die Flughafenpolitik des Bundes" geht von einer weiteren Verdopplung des Luftverkehrs bis 2015 aus. Vor allem aber wurde der alte Bundesverkehrswegeplan bis 2002 weitergeführt und mit einem "Anti-Stau-Programm" und einem "Investitionsprogramm 1999-2002" konkretisiert. Der 2003 neu vorgelegte Verkehrswegeplan setzt das naturzerstörerische Beton-Wachstum fort. Real werden hierzulande seit Jahrzehnten pro Jahr 1000 Kilometer Straße neu gebaut und 500 Kilometer Schiene abgebaut.

""Der Markt wird´s richtenÂ…""

Rot-Grün hat einen weltweiten Prozeß beschleunigt, in dem der Markt und nicht die Politik die bestimmende Größe ist - wobei die Politik gegebenenfalls dem Markt so auf die Sprünge hilft, wie es die Großinteressenlage vorschreibt.

Beispiel Schwerlastverkehr auf Straßen: Die Lkw-Maut suggeriert, die Kosten des Lkw-Verkehrs würden diesem angelastet, Transporte würden vermieden oder verlagert. Tatsächlich ist die Maut so niedrig, daß sie kaum wehtut. Vor allem aber zielt sie auf die flächendeckende Ausweitung des schweren Lkw-Verkehrs (Ausweichrouten auf Bundesstraßen). Indem sie nur auf Lastkraftwagen mit mehr als zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht erhoben wird, fördert sie Transporte in kleineren Fahrzeugen. Die Maut-Einnahmen fließen in den neuen Straßenbau oder verbleiben beim Betreiber-Konsortium (dem der weltgrößte Lkw-Hersteller DaimlerChrysler angehört). Politik statt Markt würde heißen: Nachtfahrverbote; Dieselpreise, die die realen Kosten abdecken; gezielte Förderung des Güterverkehrs auf der Schiene.

Beispiel Klimawandel: Mit dem Emissionszertifikate-Handel wird die Verantwortung für die Klimaschädigung an den Götzen Markt abgegeben. Dieser Handel wurde so ausgerichtet, daß die Industrie die Emissionen nicht mindern muß (und deren vorausgegangene "freiwillige Selbstverpflichtung" zur Schadstoffminderung nicht eingeklagt wird). Das frühere Klimaschutzziel der Regierung Kohl aus dem Jahr 1990 (Minderung der Treibhausgase um mindestens 25 Prozent bis 2005) wurde stillschweigend aufgegeben.

Beispiel Schiene: Alle drei Ziele der Bahnreform wurden mit dem elfjährigen Privatisierungsprozeß (1994-2005) verfehlt: Die Deutsche Bahn AG hat erneut 20,5 Milliarden Euro Schulden - ebenso viel wie die Bundesbahn 1993. Das "Unternehmen Zukunft" ist zumindest so kundenfeindlich wie die "alte Behördenbahn" (siehe neues Bahnpreissystem PEP). Die Schiene verlor weiter Anteile im Verkehrsmarkt (Ausnahme: Nahverkehr). Dennoch befördert Rot-Grün, daß sich die Politik aus der Verantwortung stiehlt. 2006 oder 2007 soll die Bahn an die Börse. Ob mit oder ohne Infrastruktur (Trassen), ist in unserem Kontext zweitrangig. Die Bahn wird in jedem Fall einem Markt übergeben, der vom Auto und dem Flugzeug dominiert wird. Sie wird damit nach den Gesetzen des Marktes, das heißt denen des Dschungels, weiter in eine Nische gedrängt. Dieser langfristigen Verdrängung half die Bundesregierung noch nach. Im März 2004 beschloß sie eine massive Kürzung der Mittel für Investitionen in den Schienenverkehr, wodurch unter anderem der erforderliche Ausbau der Schienenwege im Rheintal und der Anschluß an die Neue Eisenbahn-Traversale durch die Schweiz gestoppt wurden. Das Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) schrieb Rot-Grün ins Stammbuch: "Somit wird die großräumige Verlagerung von Güterverkehr im Nord-Süd-Transit von der Straße auf die Schiene scheitern."

Oft sind es auch im Umwelt- und Verkehrsbereich ganz einfache Dinge, die Zeugnis für den Grundcharakter einer Politik ablegen. SPD und Grüne haben in sieben Jahren nicht einen Anlauf unternommen, das zu realisieren, was in ihren programmatischen Texten von vor 1998 steht und was in allen Ländern mit hoher Kraftfahrzeugdichte seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit ist: ein Tempolimit auf Autobahnen.

in Ossietzky 17/05