Jetzt sind wir hier

Illegalisierte Campesinos stellen die Landfrage in Los Angeles

Seit dem 12. Januar wird vor dem Berufungsgericht von Los Angeles der Fall der 'South Central Farmer' verhandelt. 347 überwiegend illegalisierte Familien aus Lateinamerika klagen gegen die Stadt L.A. Denn diese hat einfach das Brachgelände mit ihren Gärten verkauft - welche wiederum offiziell gar nicht existieren dürften. Die Campesinos organisieren nun eine beispiellose Kampagne gegen die Privatisierung.

10 Autominuten südlich des Financial Districts von L.A. kann man die Skyline der Innenstadt noch gut erkennen. Geradezu höhnisch glänzen die Glasfassaden der Wolkenkratzer durch die Baulücken zwischen den verfallenen Wohnhäuser von South Central. Der vor allem von Schwarzen und Lateinamerikanern bewohnte Stadtteil gilt als extrem sozial benachteiligt. (Davis 1999: 423ff, 461ff) Arbeitslosigkeit, Drogenprobleme und Bandenkriminalität sind die Stereotypen, die die meisten Bewohner von L.A. mit diesem Viertel verbinden. Hier liegen auch die Gärten der South Central Farmer. Mitten in einem Industriegürtel, der South Central vom Stadtteil Vernon mit seinen unzähligen Sweatshops, Lagerhäusern und Niedriglohnfabriken trennt. Auf einem riesigen Brachgelände an der 41. Straße haben die über 1000 Migranten liebevoll ihre Obst- und Gemüsegärten angelegt. Eine grüne Oase inmitten einer Betonwüste.

"Ziemlich genau zwölf Jahre ist es jetzt her, dass wir mit den Gärten angefangen haben. Damals lag hier noch alles voller Schutt", erzählt Pedro Barrera. Der gebürtige Mexikaner war von Anfang an dabei. Heute zeigt er stolz auf die reifen Bananenstauden in seinem Garten. Das milde Klima in L.A. erlaubt bis zu vier Ernten im Jahr und so können die Campesinos über die Bewirtschaftung der Industriebrache ohne Probleme ein Drittel ihres Lebensmittelbedarfs abdecken. An den Wochenenden kommen Nachbarn, Freunde und Bekannte, um durch die grünen Gärten zu schlendern. Gemüse, Obst und Kräuter werden verkauft, getauscht und verschenkt. In Stadtteilen wie Vernon und South Central, in denen das durchschnittliche Familieneinkommen bei etwa 1500 Dollar pro Monat liegt, macht eine solche Form 'solidarischer Ökonomie' (Altvater/Mahnkopf 2003: 28f) einen Unterschied ums Ganze.

Notorisch aufständisch

Dass es die Gärten an der 41. Straße überhaupt gibt, ist vor allem einer Verkettung merkwürdiger Umstände geschuldet. Bis Mitte der 1980er Jahre war das Gelände mit Lagerhallen bebaut. Gegen eine Entschädigung von 4,7 Millionen Dollar hatte die Stadt den damaligen Besitzer Ralph Horowitz enteignet und die Hallen dann abgerissen, um auf dem Grundstück eine Müllverbrennungsanlage zu bauen. "Aber daraus ist nichts geworden", sagt Pedro Barrera. Zu heftig waren die Proteste der Anwohner und zu groß war die Befürchtung, man könne im Elendsviertel South Central in ein Wespennest stechen.

Denn South Central gilt nicht nur als sozial benachteiligt, sondern auch als notorisch aufständisch. 1965 waren hier die Watts-Riots ausgebrochen. Die Verhaftung eines betrunkenen Autofahrers hatte damals bürgerkriegsähnliche Zustände ausgelöst. Polizei und National Guard brauchten sechs Tage, um den Aufstand niederzuschlagen. 34 Menschen wurden getötet, fast alle waren Schwarze. Als 1992 der Bau der Mülldeponie anstand, kam es erneut zu schweren Unruhen. Ein kalifornisches Gericht hatte am 29. April 1992 mehrere Polizisten freigesprochen, die den Schwarzen Rodney King bei einer Verhaftung zusammengeprügelt hatten, während dieser wehrlos am Boden lag. Das Amateurvideo von dem Polizeiübergriff wurde von allen TV-Sendern ausgestrahlt. Nach der Urteilsverkündung begannen in South Central die Ausschreitungen, die schnell auf andere Stadtteile übergriffen. In den Auseinandersetzungen kamen 50 Menschen um, 4000 wurden verletzt, der Sachschaden belief sich auf mehr als eine Milliarde Dollar. 12.000 Personen wurden verhaftet. Angesichts des aufgeheizten Klimas verzichtete die Stadt auf den Bau der Mülldeponie.

Statt dessen wurde das Gelände an der 41. Straße zwischen verschiedenen Behörden hin- und hergeschoben und schließlich wurde es sich selbst überlassen. "Und jetzt sind wir hier", sagt Barrera. Nach und nach sind die Familien auf die Brachfläche gekommen. Sie haben den Bauschutt abgeräumt, Parzellen eingeteilt und angefangen den Boden zu bestellen. Die Los Angeles Food Bank, die das Gelände seit den 90er Jahren verwaltet, duldete die Gruppe inoffiziell. Einen offiziellen Anspruch auf die Nutzung der Fläche hat man den Campesinos jedoch nie zugestanden. Und das wurde ihnen nach zehn Jahren zum Verhängnis.

Denn 2002 machte der ursprüngliche Besitzer Ralph Horowitz eine Rückkaufklausel geltend, die er sich bei der Enteignung vorbehalten hatte. Wieder im Besitz des Geländes, wollte der Unternehmer hier neue Lagerhallen errichten. Die Stadt ließ es auf ein Gerichtsverfahren ankommen und zunächst schien es tatsächlich, als würde Horowitz sich für seine Baupläne ein anderes Grundstück suchen müssen. Dann jedoch einigte man sich außergerichtlich. Für 5,05 Millionen Dollar, weit unter dem aktuellen Marktpreis, ging das Brachgelände überraschend zurück an die Libaw-Horowitz Investment Company.

Die Campesinos, die das Gelände zu diesem Zeitpunkt bereits seit über zehn Jahren bewirtschafteten, bekamen von all dem freilich nichts mit. Wie überhaupt der Verkauf der riesigen Industriebrache merkwürdig schnell und ohne großes Aufsehen über die Bühne ging. Statt dessen wurden die Migranten im Herbst 2003 schriftlich informiert, dass das Gelände binnen weniger Wochen zu verlassen sei. Für Februar 2004 wurde die Räumung der Gärten angekündigt, wobei wohl weder die Stadtverwaltung noch der alte und neue Besitzer mit ernsthaftem Widerstand rechneten. Nie hatte es vertragliche Zusagen an die Campesinos gegeben, viele von ihnen hielten sich illegal in den USA auf, und die meisten sprachen nicht einmal Englisch.

Raus aus dem Schattendasein

Aber die Stadt hatte die Rechnung ohne die Campesinos gemacht. Tatsächlich zeigten sich die Campesinos alles andere als eingeschüchtert. Anstatt das Gelände aufzugeben, überlegten sie sich, wie sie sich gegen die Privatisierungspolitik am besten zur Wehr setzen könnten. Die Lösung: Raus aus dem Schattendasein als illegalisierte Migranten und rein in die Bündnispolitik. Und zwar so schnell wie möglich. Die South Central Farmer trafen sich mit Vertretern von Obdachloseninitiativen, ehemaligen Black Panther Mitgliedern, Kirchengruppen und Umweltaktivisten. Innerhalb weniger Wochen stampften die Campesinos eine beispiellose Kampagne aus dem Boden. Sie demonstrierten vor dem City Council von Los Angeles, sammelten Unterschriften für den Erhalt ihrer Gärten, richteten eine eigene Website mit Informationen zu den laufenden Protesten ein (http://www.saveourgarden.com) und ließen sich von prominenten Persönlichkeiten wie dem Schauspieler James Cromwell Solidaritätsgrüße schicken. So viel Öffentlichkeit wie möglich erzeugen und die politischen Kosten für eine Räumung in die Höhe treiben, das war die Devise.

Anfang Februar 2004 konnten die South Central Farmers das renommierte Anwaltsbüro Hadsell&Stormer für ihren Fall gewinnen. Bei der Durchsicht der Akten fiel den Anwälten auf, dass die Stadt beim Verkauf des Grundstückes gleich mehrere Ausschüsse und Verfahren umgangen hatte. Offensichtlich hatte man es mit der Privatisierung der öffentlichen Industriebrache mehr als eilig gehabt. Drei Tage vor dem Räumungstermin am 27. Februar 2004 kündigte Hadsell&Stormer eine Klage der Campesinos gegen die Stadt L.A. an. Buchstäblich in letzter Minute setzte der zuständige Richter die Räumung der Gärten für die Dauer des Verfahrens aus. Der erste Verhandlungstag wurde auf den 12. Januar 2005 gelegt - auf Schlag hatten die South Central Farmer sich fast eine komplette Jahresfrist erkämpft.

Doch die Situation der Familien bleibt prekär. "Bei diesem Gerichtsverfahren geht es vor allem darum Zeit zu gewinnen", sagt Patrick Dunlevy, der den Fall bei Hadsell&Stormer betreut. "Natürlich hoffen wir den Prozess zu gewinnen. Aber selbst dann könnte die Stadt das Grundstück einfach noch einmal korrekt verkaufen, und die Farmer müssten ihre Gärten trotzdem verlassen." Die Anwälte von Hadsell&Stormer sind auf 'politische Verfahren' spezialisiert. Für sie hat der Prozess gegen die Stadt vor allem strategischen Charakter. "Auf juristischem Weg können wir die Stadt nicht dazu zwingen, den South Central Farmern das Grundstück zu überlassen. Das ist eine politische Entscheidung. Und genau an dieser Stelle brauchen wir die Kampagne der Campesinos."

Ein Albtraum für die Eliten

Hinter der Auseinandersetzung um die Gärten an der 41. Straße steht einer der schärfsten gesellschaftlichen Konflikte, die sich in den neunziger Jahren in Kalifornien entwickelt haben: Der Kampf der lateinamerikanischen Migranten um soziale und politische Rechte. Die Latinos stellen nicht nur die jüngste Einwanderungsgruppe dar, sondern in Kalifornien mit einem Bevölkerungsanteil von 35 Prozent mittlerweile auch die größte. Gleichzeitig sind sie die am stärksten marginalisierte Gruppe. Über ein Fünftel der Latinos lebt unterhalb der Armutsgrenze. Allein in Südkalifornien stehen etwa 15.000 bis 20.000 Latinos Tag für Tag an den Straßenecken und kämpfen als illegale Tagelöhner ums Überleben. (Valenzuela Jr. 2000) Als billige Küchenhilfen, Bauarbeiter, Obstpflücker und Putzkräfte sind sie das Schmiermittel der kalifornischen Niedriglohnökonomie. Ausgebeutet und ohne Zugang zu öffentlichen Ressourcen.

Doch in vielen Städten beginnen sich illegalisierte Migranten und prekär Beschäftigte zu organisieren. In sogenannten Worker's Center setzen sie sich für Arbeits- und Aufenthaltsrechte ein und versuchen eine Brücke in die Gewerkschaftslinke zu schlagen. (Weyde 2004) In Los Angeles hat das 'National Day Labor Organizing Network' nach langen Verhandlungen endlich die Unterstützung der regionalen Gewerkschaften für einen Gesetzesvorschlag gewonnen, der den kalifornischen Tagelöhnern mehr Arbeitsrechte garantieren soll. Im Gegensatz zu anderen migrantischen Gruppen, etwa aus Asien oder Osteuropa, haben die Einwanderer aus Lateinamerika einen besonderen Vorteil: sie sind nicht nur zahlenmäßig die größte Minderheit, sondern sprechen auch eine gemeinsame Sprache. Ihre Organisation könnte daher eine ungeahnte politische Sprengkraft entfalten.

Im Kampf um die Gärten an der 41. Straße haben die Campesinos freilich weit über die Grenzen der Latino-Community hinaus Unterstützung gefunden. Schon jetzt sind auch andere Projekte, die von der städtischen Privatisierungspolitik betroffen sind, auf den erfolgreichen Protest der Latinos aufmerksam geworden. So haben etwa die Graffity-Sprayer des Belmont-Art Parks in Downtown L.A. Kontakt mit den South Central Farmern aufgenommen. Ihr Gelände wurde im Herbst 2004 von der Stadt geschlossen und soll nun bebaut werden. Und auch eine Reihe von Schwarzen Bürgerrechtsaktivisten aus Watts ist regelmäßig bei den Treffen der South Central Farmer zu Gast. Sollte es im Konflikt um die Gärten gelingen, die ethnische Grenze zwischen Schwarzen und Latinos in South Central zu überwinden und soziale Kämpfe aus verschiedenen Stadtteilen zusammenzuführen, wäre dies ein kaum zu unterschätzender Erfolg - und ein Albtraum für die politischen und wirtschaftlichen Eliten in L.A.

Wie auch immer der laufende Gerichtsprozess um die Gärten ausgehen mag - der Konflikt hat gerade erst begonnen. Verlieren die Campesinos, so steht ihnen eine neue Räumung ins Haus. Die jedoch wird nur zu einem hohen politischen Preis durchzusetzen sein. Gewinnen die Campesinos das Verfahren, wird der Verkauf des Grundstücks annulliert und die Karten werden neu gemischt. Sowohl der Stadtregierung als auch Ralph Horowitz dürfte mittlerweile klar geworden sein: In beiden Fällen müssen sie sich wohl noch auf einige Überraschungen gefasst machen.

Der Aufsatz erschien in einer leicht gekürzten Fassung in: iz3w, Nr. 284, April/Mai 2005, S. 8-9.

Literatur

Altvater, Elmar/ Mahnkopf, Birgit (2003): Die Informalisierung des urbanen Raums, in: NGBK (Hg.), Learning from. Städte von Welt, Phantasmen der Zivilgesellschaft, informelle Organisation., Berlin, S. 17-30.

Davis, Mike (1999): City of Quartz: Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles und neuere Aufsätze, Berlin.

Valenzuela Jr., Abel (2000): Working on the Margins: Immigrant Day Labor Characteristics and Prospects for Employment. Working Paper, University of California Los Angeles.

Weyde, Britt (2004): Bessere Löhne und Papiere! Interview mit Mónica Santana vom Latinos Workers Center, in: ILA, H.277, S. 18-19.