Copyright & Copyriot

Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus

Rezension zu Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Westfälisches Dampfboot, Münster: 2006 (269 S., 19,90 EUR)

Die informationstechnologische Revolution der vergangenen 20 Jahre hat zahlreiche neue Verwertungsmöglichkeiten für Kapital eröffnet und zugleich Widersprüche aufgeworfen, die Warenform als Voraussetzung von Verwertung digitaler Güter aufrecht zu erhalten. Das zentrale Merkmal der neuen Technologien - die Möglichkeit, Information ohne Qualitätsverlust beliebig oft zu kopieren - führt dabei zu völlig gegensätzlichen Einschätzungen: Während 'digitale Informationsartefakte' für die einen möglichst 'frei' bleiben sollen (schwaches Copyright-Regime) oder gar Potential haben sollen, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden, sind sie für andere wiederum Ausdruck einer neuen kapitalistischen Epoche (Informationsgesellschaft), die es mit Urheberrecht bzw. intellektuellen Eigentumsrechten streng zu schützen gilt (starkes Copyright-Regime). Eines haben diese Positionen jedoch alle gemeinsam: Sie fragen, ob die digitalen Technologien das bürgerliche Eigentumsparadigma auf den Kopf stellen werden.

Im Kontext dieser Debatten untersucht Sabine Nuss den Eigentumscharakter digitaler Güter auf der Grundlage der Marx'schen Kritik der Politischen Ökonomie und diskutiert diesen 'im Hinblick darauf, inwieweit den Praxen, die das geistige Eigentum in Frage stellen, tatsächlich ein subversiver Charakter zukommt, der über normale Anomien (wie sie z.B. auch beim Diebstahl von Sacheigentum vorliegen) hinausgeht.' (15)

Auf einer beschreibenden Ebene stellt Sabine Nuss dabei zunächst die 'Aneignungskonflikte im Zeitalter des Internet' dar (20ff). Nach Bestimmung grundlegender Begriffe wie 'digitale Güter' oder 'immaterielle Güter' werden der bestehende und sich stets wandelnde rechtliche Rahmen zum Schutz intellektuellen Eigentums sowie die historische Entwicklung des Internet und die technischen Möglichkeiten zur Vervielfältigung von Daten erläutert. Daran anschließend leistet die Autorin eine empirische Beschreibung des File-Sharing (51ff) und der Entwicklung Freier Software (74ff). Entlang dieser Fallbeispiele werden dann die Debatten näher ausgeführt, die sich gegenwärtig an der Frage intellektueller Eigentumsrechte entzünden.

Die Auseinandersetzung mit diesen Debatten zeigt, dass weder Befürworter noch Gegner restriktiver intellektueller Eigentumsrechte über eine konsistente Theorie des digitalen Eigentums verfügen. Sabine Nuss beschäftigt sich daher ausführlich mit der historischen Spezifik des bürgerlichen Eigentumsbegriffs. Unter Rückgriff auf die Arbeiten von Foucault (126ff), Gadamer (130ff) und Marx (155ff) untersucht sie das Phänomen der Rückprojektion spezifisch kapitalistischer Eigentumsverhältnisse auf vor-kapitalistische Produktionsweisen und die Naturalisierung des bürgerlichen Eigentumsbegriffs. Denn seit John Locke stellen diese die epistemologischen Prämissen der bürgerlichen Eigentumstheorie dar. Mit einem Rekurs auf vorkapitalistische Eigentumsverhältnisse - angefangen bei archaischen Gesellschaftsformen über die Antike, das alte Rom bis hin zum Mittelalter (134 ff.) - zeigt die Autorin demgegenüber, dass die modernen Eigentumsverhältnisse historisch-spezifisch sind und sich nicht umstandslos auf vorvergangene Epochen übertragen lassen, wie dies in den Debatten zu digitalem Eigentum häufig stillschweigend getan wird.

Entsprechend der historisch-epistemologisch geleiteten Analyse ist das bürgerliche Eigentumsverhältnis gekennzeichnet von der Trennung der unmittelbaren Produzenten von ihren Produktionsmitteln. Sabine Nuss betont dabei mit Marx, dass nicht die historische und im Kapitalismus stets reproduzierte Trennung erklärungsbedürftig ist, sondern die Art und Weise, wie unter den Bedingungen dieser Trennung gesellschaftliche Produktion stattfindet. Mit der Verbindung der unmittelbaren Produzenten und der Produktionsmittel im Eigentum des Kapitalisten ist auch der Zweck der Verbindung der Elemente des Stoffwechsels ein anderer im Vergleich zu vorkapitalistischen Produktionsverhältnissen. Er liegt in der Verwertung des Werts bzw. in der Akkumulation von Kapital (G-W-GÂ’).

Eine der zentralen Kritiken der Autorin am bürgerlichen Eigentumsverständnis, am Alltagsverständnis und daher auch an den Debatten zu digitalem Eigentum ist, dass bürgerliche Eigentumsverhältnisse nicht als Produktionsverhältnisse gefasst werden, sondern immer nur als Frage einer mehr oder weniger gerechten Verteilung bereits produzierter Produkte oder Dienstleistungen. In den Debatten um digitale Güter äußert sich das u.a. darin, dass maßgeblich auf 'geistiges Eigentum' Bezug genommen wird. Die zugrunde liegende Eigentumsordnung, also Produktionsweise, wird dagegen als gegeben vorausgesetzt. Wenn aber in den Eigentumsdebatten nur die Perspektive der Warenzirkulation, bzw. die Verteilungsebene, betrachtet wird, erhalten die Analysen einen tautologischen Charakter: 'Auf Basis der bürgerlichen Eigentumstheorie bleibt man in dem Zirkelschluss gefangen, die Konflikte um das digitale Eigentum mit der mangelnden Sicherung der Eigentumsrechte zu 'erklären' - also letztlich die Ungesichertheit des Eigentums mit seiner mangelnden Sicherheit. Tatsächlich aber liegt die Ursache der Konflikte darin, dass die für das bürgerliche Eigentumsverhältnis kennzeichnende Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln mit der massenhaften Verbreitung von Reproduktions- oder Vervielfältigungstechnologien für digitale Güter partiell aufgehoben worden ist.' (219) Dies erschwert den Ausschluss der NutzerInnen von ihren Arbeitsprodukten und gefährdet die Verwertung digitaler Güter.

Die Rekonstruktion des bürgerlichen Eingentumsbegriffs erlaubt es der Autorin, die staatliche Durchsetzung eines digitalen Eigentumsregimes als Voraussetzung für die warenförmige Verwertung immaterieller Güter zu entschlüsseln. Außerdem wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass geistiges Eigentum eine 'doppelte Spezifik' besitzt und als solche analysiert werden muss: zum einen als Bestandteil bürgerlicher Privateigentumsordnung und zum anderen (innerhalb dieser Ordnung) als immaterielles Objekt der Eigentumsbeziehungen. Daraus resultiert seine institutionelle Gestalt als geistiges Eigentum. Bezogen auf digitale Güter schließt Sabine Nuss: 'Geistiges Eigentum ist damit ganz ebenso Privateigentum wie Sacheigentum auch. Als kapitalistische Institution ist es Voraussetzung dafür, dass die nicht-greifbare, flüchtige, geistig-kreative Schöpfung ebenso der Verwertung des Werts dienen kann, wie jedes andere materielle Gut auch. Auf Grund seiner stofflichen Beschaffenheit braucht es allerdings andere Formen zur Sicherung privater Verfügungsgewalt und Verwertung, nämlich das Instrument der staatlich gewährten und lizenzrechtlich geregelten Nutzungsrechte. Ebenso auf Grund der stofflichen Spezifik braucht es staatlich verfügte Schranken für die private Verfügungsgewalt, um die gesellschaftliche Weiterentwicklung dieser Güter nicht zu gefährden.' (199)

Im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit den Gegnern eines starken Eigentumsregimes sind vor allem die Überlegungen unter der Überschrift 'Dogma von der Nicht-Knappheit digitaler Güter' (205ff), und die 'brutale Interessiertheit für den Stoff' (208ff.) von Wert. Entlang der Marx'schen Formanalyse argumentiert die Autorin, dass sich Arbeit und Waren im digitalen Zeitalter 'organisatorisch und stofflich-inhaltlich' verändern, 'nicht aber auf der Ebene der sozialen Formbestimmung, hier bleibt es Arbeit des 'doppelt freien Arbeiters', der eigentumslos an den Produktionsmitteln gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen.' (209). Was sich verändert, ist das Preisgefüge der 'digitalen Informationsartefakte' (größere Ausdifferenzierung in verschiedene Preissegmente), es entstehen neue Vertriebs- und Vermarktungswege und vor allem auch neue Formen der Arbeitsorganisation, insbesondere in der Softwareproduktion. Damit kommt Sabine Nuss auf die eingangs vorgestellten Fallstudien zurück: 'Die Produktionsmodelle der Freien Software/Open Source machen vor, wie flexibel und entsichert projektgebundene Arbeit sein kann. Hier wird von vorneherein auf lose Ad-hoc-Beziehungen aufgebaut, kostspielige ökonomische Sicherheiten für die Arbeitskräfte existieren kaum oder gar nicht. Zugleich wird die bei Freier Software/Open Source intensive Kooperation als kostenlose Produktivkraftentwicklung genutzt, indem projektbezogene, über transnationale Grenzen gehende, arbeitsintensive, vertragslose und freiwillige Arbeit teilweise sogar unbezahlt auf sich gezogen wird.' (237) So sind Praxen wie File-Sharing und Freie Software nicht schon per se antikapitalistisch, sondern erhalten allenfalls subversiven Charakter, wenn die jeweiligen eigentumsrechtlich anomalen Praxen entsprechend gezielt und bewußt eingesetzt werden - wobei auch das nur die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung darstellt.

Zusammenfassend: Auf dem theoretischen Fundament der Marx'schen Kritik der politischen Ökonomie und der Bestimmung der epistemologischen Rahmenbedigungen leistet Sabine Nuss eine historische Einordnung digitaler Güter als warenförmige Verkehrsform im informationellem Kapitalismus. Sie liefert eine Kritik der Debatten um intellektuelles Eigentum. Und sie benennt die Möglichkeiten und Grenzen subversiver Praxen im Internet. Damit hat Sabine Nuss eine großartige Arbeit vorgelegt.