Wir müssen selber für den Druck sorgen!

Inititiven für solidarische Reformpolitik

Interessante Frage: Haben die Wählerinnen und Wähler wieder Kontakt zur SPD aufgenommen? Oder ist es anders: Hat die SPD tatsächlich konsequent den Anschluss an ihre Wählerinnen und Wählern gesuc

Im letzten Jahr hätte es niemanden gewundert, wenn man beim Durchblättern der Zeitungen in der Rubrik "Bekanntschaftsanzeigen" ein kleines Kästchen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gefunden hätte: " Verzweifelte, etwas verwirrte, aber liebenswürdige alte Dame sucht AnschlussÂ…". Zu Beginn des in den Umfragen für die SPD positiv daherkommenden Jahres 2005 gibt es noch keine klaren Antworten: Aber eine interessante Frage: Haben die Wählerinnen und Wähler wieder Kontakt zur SPD aufgenommen? Oder ist es anders: Hat die SPD tatsächlich konsequent den Anschluss an ihre Wählerinnen und Wählern gesucht? Gewiss: Die Frage nach Sender und Empfänger ist so alt wie das Ei und die Henne. Aber hier lohnt es sich einmal genauer hinzuschauen. Haben sich die Wählerinnen und Wähler - wie es der Bundeskanzler und andere Regierungsmitglieder betonen - letztlich dem Durchhaltewillen der politischen Führung unseres Landes gebeugt? Hat die Mehrheit der Bevölkerung den tieferen Sinn der Reformen als notwendige Pflicht an unserem Land anerkannt und wird die Agenda 2010 so im Nachhinein zur erfolgreichen Strategie veredelt? Oder ist es so - wie die Partei vielerorts hervorhebt - das die Ergänzungen der ursprünglich im März 2003 verkündeten Agenda 2010 durch Themen wie die Bürgerversicherung, gerechte Steuern (Erbschaftssteuer) und Bildungsthemen wie Ganztagsschule und Kinderbetreuung das Profil der SPD soweit wieder hergestellt haben, dass die Enttäuschungen über die unsozialen Schlagseiten von Hartz IV und Krankengeld ausbalanciert werden konnten? Eine eindeutige Klärung dieser Frage ist absehbar nicht möglich. Leider. Denn offensichtlich lassen sich zwei sehr unterschiedliche Handlungsstrategien aus den unterschiedlichen Grundpositionen ableiten. Die eine heißt: Agenda-Logik in den letzten Umsetzungsschritten von Hartz IV fortführen, die Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW mit großer Anstrengung knapp gewinnen, weiter auf den Aufschwung warten und ansonsten die Ernte all dessen einfahren. Fertig. Die andere kommt ein wenig verzagter daher, weil sie davon ausgeht, dass noch viel aufholende Vertrauensarbeit geleistet werden muss, um die Wahlen ( vor allem in NRW und dann 2006) gewinnen zu können. Das heißt: Mehr Reformen von der Sorte Bürgerversicherung, Mindestlohn, mehr Akzente bei der Weiterbildungund vor allem eine konjunkturbelebende, investionsfreundliche Steuer- und Finanzpolitik. Und das alles garniert mit dem Mut die Regierungszeit bis 2006 auszuschöpfen. Auf der Klausurtagung hat die Parteilinke daher ein Papier vorgelegt, dass das Jahr 2005 zum "Jahr der Solidarität und Erneuerung" erklärt. Diskutiert wurde es nicht. Überhaupt findet Zukunft nur sparsam statt. Im Arbeitsprogramm, ja. Die Überschriften und Themennennung sind richtig. Aber steht eigentlich von Seiten der Regierung für welches Thema wirklich ein? Schaun wir mal? Forum DL 21 hat sich vorgenommen eigene Akzente zu setzen ( vgl. Schuster). Für den Druck nach vorne müssen wir wohl mal wieder selber sorgen.

Dokumentation:

Die Agenda für 2005: Reformen für Arbeit, Wachstum und Gerechtigkeit.

Papier der Parteilinken zu Klausur des SPD-Parteivorstands am 9./10. Januar 2005 in Weimar Das Jahr 2005 beginnt mit einer großen Herausforderung: Die Arbeitsmarktreformen müssen sich in der Praxis bewähren. Wir befinden uns inmitten des Umsetzungsprozesses der Agenda 2010. Dieser Prozess muss von der SPD kritisch begleitet werden, indem kontinuierlich die Erfahrungen ausgewertet, und mögliche Fehlentwicklungen schnell behoben werden. Das Monitoring von Hartz IV bietet dazu die richtige Grundlage. Deutschland leidet weiterhin an einer anhaltenden Wachstumsschwäche. Die Reformen der sozialen Sicherungssysteme haben an diesem Umstand nichts geändert - sie haben hingegen in vielen Bereichen prozyklisch gewirkt. Die schwache Binnennachfrage bleibt die Achillesferse der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik. Mangelndes Vertrauen der Konsumenten, eine hohe Sparquote sowie Lohnzurückhaltung und eine anhaltend niedrige Investitionsquote der öffentlichen Haushalte bilden einen Teufelskreis. Die SPD muss daher auch im Jahr 2005 mit mutigen Reformschritten die politische Agenda in Deutschland bestimmen. Dafür brauchen wir eine Politik für Arbeit, Wachstum und Gerechtigkeit. Die SPD hat in einem Perspektivantrag zur Agenda 2010 wichtige Weiterentwicklungen sozialdemokratischer Reformpolitik beschlossen. Dazu gehören neben der Bürgerversicherung, der Innovations- und Bildungspolitik, der Ausbildungsproblematik auch die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Diese Reformen stehen jetzt auf der Tagesordnung. Von einer "Reformpause" kann aufgrund des Problemdrucks keine Rede sein. Die Notwendigkeit sozialdemokratischer Reformpolitik unterstreicht auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Die Gegensätze in unserer Gesellschaft verstärken sich und verschärfen die ökonomische Krise. Ein Zustand mit dem sich die SPD nicht abfinden wird. Wir wollen, dass das Jahr 2005 zum "Jahr der Solidarität und Erneuerung" wird. Der zweite Teil der Agenda 2010 muss von mehr Gerechtigkeit und Bildungschancen gekennzeichnet sein. Im Folgenden sind einige Ansatzpunkte für einen solchen Reformkurs skizziert:

Eine mittelfristige Finanz- und steuerpolitische Strategie

Unser Ziel muss es sein, die Finanzierung des Sozialstaates und die Wiederherstellung öffentlicher Handlungsfähigkeit auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. Dafür muss die SPD eine mittelfristige Strategie der Finanz- und Steuerpolitik entwickeln. Fehlende staatliche Investitionen untergraben andernfalls die öffentliche Handlungsfähigkeit in den zentralen Bereichen Bildung und Infrastruktur. Sozialdemokratische Haushaltspolitik darf dabei nicht nur kurzfristig agieren - sie muss nachhaltig ausgestaltet sein. Die SPD muss daher im Jahr 2005 die Debatte um die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte bzw. eine sozial gerechte Steuerpolitik vorantreiben. Bei den Steuersenkungen ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Eine solide Finanzierung des Sozialstaates ist für die Glaubwürdigkeit der sozialen Sicherung in Deutschland unerlässlich. Die durch die Arbeitsmarktreformen beschleunigten Umwandlungen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in "Mini-Jobs", aber auch die "Ich-AGen", belasten zunehmend die Einnahmeseite der Sozialversicherung. Es besteht die Gefahr, dass die Beschäftigung im Niedriglohnbereich den tradierten beitragsfinanzierten Sicherungssystemen die Finanzierungsgrundlage entzieht. Dies muss verhindert werden. Verstärkend wirken dazu noch die Wachstumsschwäche und - zukünftig in Abstrichen - auch die demografische Entwicklung. Klar ist aber: Eine demografieresistente Politik kann es deshalb nicht geben. Wir können lediglich versuchen, die Sozialsysteme demografiefester zu gestalten. Die Prinzipien der solidarischen Bürgerversicherung sind dabei die Basis einer mittelfristigen sozialdemokratischen Finanzstrategie.

Einen Fahrplan für die solidarische Bürgerversicherung

Die SPD hat ein zentrales Reformkonzept der Erneuerung in Solidarität entwickelt. Mit der Bürgerversicherung kann das Gesundheitssystem erfolgreich weiterentwickelt werden. Das Konzept der SPD trifft in und außerhalb der sozialdemokratischen Partei auf breite Unterstützung. Zahlreiche Veranstaltungen greifen das Thema im Land auf. Reformen mit sozialdemokratischer Handschrift wirken mobilisierend. Die politische Konkurrenz im konservativen Lager hat sich dagegen heillos zerstritten. Ihr Vorschlag einer Kopfpauschale ist unsozial und nicht durchgerechnet. Frau Merkel kann ihre eigenen Anhänger nicht hinter diesem Vorschlag versammeln. Es geht in 2005 für die SPD also darum in der Offensive zu bleiben. Deshalb beauftragt die SPD die Projektgruppe Bürgerversicherung mit der weiteren Konkretisierung des Konzeptes. Die SPD sollte einen Fahrplan entwickeln, der Konzeptions- und Umsetzungsschritte einer solidarischen Bürgerversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung festhält. Entscheidende Wegmarke für die Präzisierung der Bürgerversicherung ist der Bundesparteitag 2005.

Wachstum in einer Gesellschaft des längeren Lebens

Die SPD muss die Fragen einer Gesellschaft des längeren Lebens solidarisch beantworten. Dazu sind weitreichendere Antworten und Reformanstrengungen notwendig als lediglich eine Reform der Pflegeversicherung. Insbesondere sollte sich die SPD davor bewahren, verkürzte ökonomische Zusammenhänge zur Grundlage von Politikentwürfen zu nehmen. So ist und bleibt stets richtig: Alle Sozialtransfers sind stets an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes gebunden. Eine nachhaltige Politik für eine Gesellschaft des längeren Lebens muss deshalb die Grundlagen des Wachstums in einer alternden Gesellschaft sichern und fördern. Eine Politik des Sozialabbaus, die lediglich den demografischen Wandel zur Begründung von Reformen heranzieht, ohne seine realen ökonomischen Auswirkungen zu gestalten, ist zum Scheitern verurteilt.

Bildungschancen in einer Gesellschaft des längeren Lebens

Eine Gesellschaft des längeren Lebens gründet auf wachsenden Bildungschancen. Das Qualifikationsniveau der Menschen muss dafür insgesamt steigen. Wir müssen es den Menschen ermöglichen, den gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandel zu gestalten. Wir wollen mehr Sicherheit im Wandel. Unsere Antwort ist die Förderung sozialer Innovationen. Mit der zunehmenden Clusterbildung und wachsenden Verwissenschaftlichung von Produktion und Dienstleistungen verliert das kapitalorientierte Management, das in den letzten zwei Jahrzehnten im Zusammenspiel mit dem Postliberalismus den Wirtschaftsprozess dominiert hat, an Bedeutung. Die knappe Ressource der Zukunft wird nicht mehr das Finanzkapital sein, sondern die sogenannten Humanressourcen. Im Zentrum stehen hierbei Wissen, Bildung und Innovationen. Dadurch bekommen die Faktoren Mensch und Arbeit neue und steigende Bedeutung. Es zeigt sich, das alle Volkswirtschaften, die höhere Ausgaben in diesen Bereichen tätigen, auch wirtschaftlich leistungsfähiger sind. Deshalb fordern wir eine Erhöhung der Ausgaben in diesem Bereich auf 3 % des BIP bis spätestens 2008. Die Arbeitsproduktivität einer alternden Erwerbsgesellschaft ist zwingend mit der Qualifizierungsstruktur der Beschäftigten verbunden. Zur Stimulierung von Produktivitätssteigerungen über die individuelle Ebene hinweg ist eine neue Weiterbildungsarchitektur notwendig. Dazu gehören Rechtsansprüche auf lebensbegleitendes Lernen ebenso wie flankierende tarifliche und gesetzliche Maßnahmen, wie z.B. "Weiterbildungsfonds" unter finanzieller Beteiligung der Unternehmen. Erst recht, wenn der Weiterbildungsbericht der Bundesregierung feststellt: "Teilnahme und Teilhabe an den Prozessen des Lebenslangen Lernens sind nach wie vor in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ergeben sich daraus unausgeschöpfte Wachstumspotenziale." Unser Ziel ist mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem. PISA II zeigt erneut die massiven Mängel des deutschen Bildungssystems auf. Neben der mangelnden Chancengleichheit und der zu frühen Selektion, ist insbesondere die Durchlässigkeit der Bildungssysteme ein Hemmschuh für die Verwirklichung sozialer Innovationen. Wir befürworten eine Initiative, die es allen abgeschlossenen Auszubildenden ermöglicht, Fachhochschulen und Universitäten zu besuchen und dort einen höherwertigen Abschluss zu absolvieren. Dies würde Bildungschancen massiv erhöhen und die Durchlässigkeit fördern. Ziel ist es, die Öffnung der Hochschullandschaft für das Lebensbegleitende Lernen zu betreiben. Auch das deutsche Schulsystem ist im internationalen Vergleich nur mittelmäßig. Wir wollen uns bei der Bildungsreform vor allem an den erfolgreicheren skandinavischen Ländern orientieren. Kinder müssen die Möglichkeit haben, länger gemeinsam zu Lernen. Dafür muss die Schulstruktur nochmals auf den Prüfstand. Integrative Schulsysteme sind ein Beitrag für mehr Bildungschancen und einem hohen Qualifikationsniveau. Der Arbeitsmarkt sollte auf die demografische Herausforderung vorbereitet werden. Das heißt vor allem, dass der Arbeitsmarkt, zu dem Zeitpunkt, wenn ein Großteil der sogenannten "Baby-Boomer-Generation" in Rente geht (ca. 2015 und Folgende), qualifiziertes Personal zur Verfügung halten muss. Am sinnvollsten ist es, vorbereitet zu sein, und durch eine optimierte Vermittlung das "Matching-Problem" (Passgenauigkeit zwischen Arbeitsmarktangebot und -nachfrage) so gering wie möglich zu halten. Mit der Modernisierung der Arbeitsvermittlung ist dazu ein erster Schritt getan. Allerdings muss der Förder- und Qualifizierungsaspekt der Arbeitsmarktreformen viel stärker als bisher zur Geltung kommen. Wir brauchen den Ausbau der Förderinstrumente nicht deren Austrocknung. Ein Förderkonzept für den Arbeitsmarkt, wie vor Wochen bereits eingefordert, steht immer noch aus.

Ausbildungskrise nachhaltig bekämpfen

Der Ausbildungspakt kann lediglich als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnet werden. Er löst die Ausbildungskrise - wenn überhaupt - kurzfristig aber nicht nachhaltig. Das Berufsausbildungssystem muss wieder zu einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovationsmotor werden.

Notwendig sind folgende Maßnahmen:

Reform und Klärung der Ausbildungsstatistik Die Ausbildungsstatistik ist seit Jahren Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die Akteure üben sich in nicht zuverlässigen Zahlenspielereinen: Während die Statistik der Bundesagentur für Arbeit nur die offiziell Ausbildungsplatzsuchenden (nicht aber die Differenz zwischen BewerberInnen und offenen Stellen) erfasst, sind die Zahlen der Wirtschaft und der IHKen kaum zu überprüfen. Diese Situation ist unbefriedigend und sollte geklärt werden. Wir schlagen daher eine Reform der Ausbildungsstatistik sowie eine "Ex-Ante-Evaluierung" des Ausbildungspakts vor. Als erster Schritt dazu sind alle Jugendlichen, welche durch Maßnahmen des Ausbildungspaktes, durch BA-Maßnahmen oder wegen fehlender Rückmeldungen aus der Statistik gestrichen werden, zu erfassen und zu quantifizieren. Anschließend sollte eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) dieses Potenzial untersuchen und "Licht" in die Lebenssituation der Betroffenen bringen. Ziel ist es, Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten des Betroffenenkreises zu ermitteln. Integration von jungen Menschen, welche sich z.T. seit Jahren in sogenannten "Warteschleifen" in Hinblick auf eine Ausbildung befinden Nach dem Auslaufen des Programms gegen Jugendarbeitslosigkeit (JUMP Plus) sollten weitere Maßnahmen, auch unter Einbezug der Eingliederungsleistungen von Hartz IV, ergriffen werden. Wir schlagen die Fortführung von Jump Plus als zielgruppenspezifisches Arbeitsmarktprogramm für besonders benachteiligte Jugendliche vor. Ein Schwerpunkt soll auf die Ausbildung von "warteschleifenerprobten" Jugendlichen als auch auf die nachhaltige Beschäftigung im öffentlichen Sektor gelegt werden. Nötig sind "Stellvertreter-Arbeitsplätze" im (halb-) öffentlichen Sektors, welche flexible Qualifizierungs- und öffentlich finanzierte Beschäftigungszeiten sinnvoll miteinander kombiniert. Erfahrungen in dieser Hinsicht aus Frankreich und Dänemark sollten dabei einfließen. Darüber hinaus fordern wir alle arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahren auf, bei der Bundesagentur für Arbeit ihr Recht auf eine Fördermaßnahme einzufordern. Lösung des Ausbildungsproblems Ost in Verbindung mit der Verhinderung weiterer Abwanderungen Im Osten ist das Duale Berufsbildungssystem gekennzeichnet durch eine quasi öffentliche Ausbildung unter partieller Beteiligung von Betrieben. Mehr als 80% der Ausbildungsplätze im Osten sind öffentlich finanziert oder bezuschusst. Dieser Wahrheit sollte politisch Rechnung getragen werden. Im Rahmen einer Initiative "Ausbildungsmodellregion Ost" könnten dort, wo duale Ausbildungsstrukturen erodiert sind, regionale, innovative und öffentliche Ausbildungszentren entstehen. Diese könnte an bestehende Berufsschulstrukturen "angedockt" werden, wie dies zum Teil mit der Novelle des BBIG bereits vorgesehen ist. Die Betriebe sollten an der Organisation, Finanzierung und Gestaltung der Ausbildungsgänge beteiligt werden. Die regionale Steuerung solcher Ausbildungsmodellregionen muss unter Beteiligung der Sozialpartner erfolgen. Vorbild für eine solche Ausbildungsmodellregion ist Dänemark, das mittlerweile eines der modernsten Ausbildungssysteme der Welt hat. Dieses ist öffentlich organisiert und wird von den Unternehmen co-finanziert. Wir sind uns bewusst, dass diese Maßnahme ein gehöriges Maß an Investitionen erfordern würde. Allerdings wäre die Perspektive des Status Quo - quasi-duales System unter öffentlicher Ägide mit massiven Qualitätsmängeln - aus unserer Sicht die schlechtere. Eine nachhaltige Lösung des Ausbildungsproblems Ost muss der Realität Rechnung tragen, dass eine Betriebsstruktur, wie sie für das Funktionieren des dualen Systems notwendig wäre, vermutlich auf mittlere Sicht nicht herstellbar ist. Funktionierende duale Strukturen im Osten könnten Bestandsschutz genießen. Wir fordern die Bundesregierung auf, im Rahmen eines "Bündnisses für Ausbildungsmodelle Ost" die Sozialpartner zu entsprechenden Gesprächen einzuladen.

Solidarische und nachhaltige Antworten auf eine Gesellschaft des längeren Lebens

Eine Gesellschaft des längeren Lebens sozialdemokratisch zu gestalten, bedeutet die Fragen von Produktivität, Wachstum und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu muss die SPD einen solidarischen Begriff von "Generationengerechtigkeit" entwickeln. Das Verständnis von Generationengerechtigkeit alter Prägung postuliert vor allem Sozialabbau und ausgeglichene Haushalte (ohne Beachtung der Konjunktur) als nachhaltig für zukünftige Generationen. Ein modernes Verständnis von Generationengerechtigkeit sollte jedoch heute lebenden jungen Menschen alle Chancen eröffnen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf höchstem Niveau zu erwerben. Eine solche Politik muss heute in Infrastruktur und vor allem in die Bildungslandschaft investieren. Ein ausgeglichener Haushalt ist keinesfalls generationengerechter als moderne und gut ausgestattete Schulen und Universitäten. Die Arbeitsproduktivität als Grundlage des ökonomischen Wachstums in einer alternden Erwerbsgesellschaft ist auch an die Höhe der Arbeitszeit gebunden. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte daher nicht weiter steigen, sondern mittelfristig mit flexiblen Arbeitszeitarrangements verkürzt werden. Man könnte auch in diesem Bereich einen gesetzlichen demografischen Faktor einführen, der die Höhe der gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit an die demografische Entwicklung der Bevölkerungsstruktur koppelt. Je weiter sich die Alterspyramide "nach oben" verschiebt, desto geringer sollte die Arbeitszeit sein. Arbeitszeitverkürzungen sind auch weiterhin Bestandteil einer nachhaltigen Wachstums- und Beschäftigungsstrategie. Die SPD braucht auch ein ökonomisch-ökologisches Projekt ("Bündnis für Arbeit und Umwelt), das weit über das Jahr 2006 hinaus reicht und die Perspektive eines neuen Fortschritts eröffnet. Zentral stehen hierfür zwei Tendenzen: zum einen die Wissensökonomie, die sich vor uns aufbaut und zum anderen die wachsende Bedeutung einer Effizienzrevolution und des Umstiegs in die Solarwirtschaft. Die ökologische Modernisierung ist ein zentrales Feld für wirtschaftliche Erneuerung und dauerhafte Stärkung. Die SPD will die Produktivität beim Energie- und Ressourceneinsatz auf ein Wachstum von mindestens 3 % pro Jahr steigern. Das ist unser Bündnis für Arbeit und Umwelt, denn Energie und Ressourcen werden durch Kapital, Arbeit und Technologie ersetzt. Heute entfallen rund 71 % in der produzierenden Wirtschaft auf den Materialdurchlauf. Auf den Faktor Arbeit entfallen nur knapp 22 %. Diesen historischen Fehler wollen wir umkehren. Dazu gehören eine Vielzahl von Instrumenten von der ökologischen Finanzreform bis eben zu den gezielten Investitionshilfen. Außerdem plädieren wir für eine Fortentwicklung der Nutzung von erneuerbaren Energien auf allen Feldern. Effizienzrevolution und Solarwirtschaft gehören zusammen. Einem Sinken des Erwerbspersonenpotenzials (20-64 Jahre) kann mit einer flexiblen und branchenspezifischen Erhöhung der Lebensarbeitszeit mittelfristig begegnet werden. Dies stellt allerdings Anforderungen an eine gesunde Gestaltung der Erwerbsarbeit. Ein Reformprogramm "Gutes und Gesundes Arbeiten" als Ansatz eines neuen Präventionsgesetzes des Bundes ist notwendig. Unsere Ökonomie muss sich einer innovativen Arbeitsgestaltung öffnen.