Die SPD zwischen den Kategoriesystemen
Bevor sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Parteien in Europa ein Verhältnis zueinander entwickeln können, sollte jede von ihnen die Frage: Was ist Sozialismus? beantworten. ..
... Nur so kann eine Basis geschaffen werden, auf der sich gemeinsame Politik gestalten lässt. Ist Sozialismus nun eine Idee, ein Projekt, ein Experiment? Oder eine Diktatur, in der sich der Einzelne nicht frei entfalten darf? Oder aber artikuliert sich hinter dem Schild des Sozialismus gar eine Kampffront jener ewig Gestrigen, die den Fortschritt des Kapitalismus nicht anerkennen wollen?
Jede dieser genannten Antworten führt auf philosophisches Glatteis. Dieses Glatteis zeichnet sich dadurch aus, dass es die Entstehung der Dinge nicht in ihrer historischen Entwicklung zu verstehen versucht, sondern aus ihren subjektiven Erfahrungen heraus versucht, Antworten zu finden. Gregor Gysi hat auf diese Frage einmal geantwortet: "Die Idee vom Sozialismus ist viel zu stark, als dass sie durch ein 70 jähriges Fehlbeispiel untergehen könnte."
Mit der Fehlentwicklung und dem Untergang der DDR scheint für viele Menschen in Ost und West der Kapitalismus die einzige Gesellschaftsform zu sein, in der moderne, auf Freiheit setzende, Menschen überhaupt noch leben können. Doch eine Gesellschaftsform entsteht nicht als Idee in den Köpfen, um sich dann in Materie zu verwandeln, sondern sie gedeiht im Sein selber. Um eine Gesellschaft in ihrer historischen Entwicklung verstehen zu wollen, darf man nicht nur die Ideen vom besseren Leben zur Kenntnis nehmen, sondern diese Ideen müssen in ihrer Beziehung zu der Geschichte der Gesellschaft gesehen werden. Bei Marx sind diese Beobachtungen, die wir über das Seiende anstellen, die Kategorien, im Prozess der objektiven Wirklichkeit entstanden. Jedes Ding ist bei Marx primär ein mit einer Qualität, einer Dinglichkeit und einem kategorialen Sein, also einer Substanz, einer Quantität, einem Wesen, ausgestattetes Etwas. Die Geschichte ist dementsprechend die Geschichte der Veränderung der Kategorien. Diese Veränderung geschieht nach Marx aber nicht innerhalb des Kategoriensystems, sondern die Geschichte bewirkt die Veränderung des Kategoriensystems. Wenn wir also heute vom Individuum sprechen, dessen Entfaltung und freiheitliche Entwicklung wir überall auf der Welt gewährleisten möchten, so war dazu eine geschichtliche Entwicklung des gesellschaftlichen Seins erforderlich. Das Individuum entstand erst mit der bürgerlichen Gesellschaft, in der Renaissance. Während die idealistische Philosophie die Kategorien als Produkte unserer Köpfe über die Beschaffenheit des Seins stellt, sind die Kategorien bei Marx Daseinsformen oder Existenzbestimmungen. Der Irrtum der idealistischen Philosophie, entsteht dadurch, dass wir in unseren Köpfen zwischen Allgemeinheit und Einzelnem oft trennen müssen, um überhaupt etwas analysieren zu können. So trennen wir das Individuum von der Gattung, um aus der einzelnen Betrachtung allgemeine Schlussfolgerungen ziehen zu können und umgekehrt. Dem Bewusstsein "erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt"1. Wir glauben daher, die Allgemeinheit sei lediglich eine Abstraktion unseres Denkvermögens. Doch die Allgemeinheit ist eine Seinsbestimmung der Gattungsmäßigkeit. Marx nennt deshalb den einzelnen Menschen das "Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse." Goethe hat die ständige Gleichzeitigkeit von Mensch und Menschheit einmal in die Worte gefasst: "Nichts ist drinnen, nichts ist draußen. Denn was Innen, das ist außen". Die Kategorien reproduzieren die Seinsbestimmungen. Diese Reproduktionen sind entweder richtig oder falsch, was die Praxis beweisen muß. Die Antwort auf die Frage: Was ist Sozialismus? ist also abhängig von der Einschätzung dessen, ob die Antwortenden die Kategorien als Reproduktionen des Seins verstehen oder nicht. Wie sich diese Einschätzung innerhalb einer Partei verändern kann, möchte ich gleich an der SPD skizzieren. Wenn Marx die geschichtliche Veränderung als Veränderung des Kategoriensystems begriff, zeigt sich auch, wie er Reformen in einer sozialistischen Politik einschätzte, nämlich als dynamische Unterstützung zur Stärkung eines neuen Kategoriensystems. Bei Betrachtung der verschiedensten Seinsebenen wird deutlich, wie sich aus dem anorganischen Sein der Welt, das organische Sein, und schließlich das gesellschaftlich menschliche Sein entwickelt haben. Nimmt unser Kategoriensystem diese drei Seinsebenen nicht in ihrer Dialektik zur Kenntnis, kann die spezifische Qualität des gesellschaftlichen Seins, nicht begriffen werden. Dieses unterscheidet sich von den anderen Seinsebenen dadurch, dass es durch eine Teleologie und nicht bloß durch eine Kausalität bestimmt wird. Gleichzeitig kann das gesellschaftliche Sein dem Natursein nie entfliehen. Mit zunehmender Bewusstheit des teleologischen Prinzip wächst der subjektive oder menschliche Faktor des gesellschaftlichen Seins. Die Arbeit oder die Praxis ist die Kategorie der Entäußerung dieser Teleologie. Der Mensch entsteht erst durch und mit der Arbeit. Arbeitend drückt der Mensch dem Natursein, mit immer zunehmender Intensität, seinen teleologischen Stempel auf. Doch mit wachsender Loslösung aus dem Natursein prägt die Arbeit gleichzeitig die Qualität des gesellschaftlichen Kategoriensystem. Durch Wissenschaft und Technik gelingt es dem Menschen immer besser, die Kausalketten der Natur zu seinem Vorteil und Nutzen zu gestalten. Doch die Arbeit prägt nicht nur die Mensch-Natur-Beziehung, sie prägt auch die Mensch zu Mensch Beziehung. Durch Arbeitsteilung entsteht nicht nur eine andere Geschlechterbeziehung als in der Natur, es werden auch die Grundlagen für klassenmäßige Beziehungen der Menschen gelegt. Diese Grundlagen finden wir bei unserer Geburt vor. Sie uns bewusst zu machen, ist mühsam. Die Teleologie der Menschen, die sich mit dem Arbeitseinsatz entäußert, wird von diesen klassenmäßigen Beziehungen und Bestimmungen geprägt und nicht vom menschlichen Wollen an sich. Klasse meint dabei nichts anderes als "classis", und das bedeutet soviel wie "Herbeirufung". Die heutige Scheu den Begriff Klasse zu gebrauchen entspricht einer Verschleierung der gesellschaftlichen Teleologie, die jene herbeirufen wollen, denen das Kommando über die Arbeit unterliegt. Die Naturbeziehung der Arbeit scheint in dieser Teleologie immer mehr in den Hintergrund zu treten, obgleich sie immer die Basis der Arbeit bleibt. Im Kapitalismus führt die Teleologie der Arbeit, Marx hat dies ausführlich bewiesen, letztendlich zu einer internationalen Jagd nach Extraprofiten, durch den der tendenzielle Fall der Profitrate, die ja mit der zeitlichen Reduzierung menschlicher Arbeitskraft im technisierten Arbeitsprozess zu tun hat, aufgehalten werden soll. In dieser Jagd erschlägt ein Kapital viele andere. Kapital ist ja nichts anderes als aufgehäufte Arbeit, die eine egoistische Teleologie verfolgen muss, wenn sie im bürgerlichen Kategoriensystem bestehen bleiben will. Mit Transformation in den Sozialismus, wie Kautsky in seiner Theorie vom Ultraimperialismus einmal behauptete, hat dieser gesellschaftliche Seinsprozess aber nichts zu tun. Die Menschen, die das bürgerliche Kategoriensystem aufrecht erhalten, sind keine Bösewichte, sondern sie folgen nur einer bürgerlichen Kausalität, deren Personifikationen sie werden, wenn sie sich die Unterwerfung unter die sachlichen Zwänge dieses Kategoriensystems nicht bewusst machen. Die Transformationsmöglichkeit in eine sozialistische Gesellschaft zeigt sich lediglich in einer immer höheren Vergesellschaftung des hochtechnisierten Produktionsprozesses, nicht aber in ihrer bürgerlichen Nutzung. Die Kriege des 19. 20. und 21 Jahrhunderts haben im wesentlichen in der bürgerlichen Kausalität ihre Ursache. Wenn man es also ontologisch betrachtet, führt die Quelle dieser Kriege auf die Kategorie Arbeit zurück, zu der ja Kapital und Lohnarbeit gleichermaßen als widersprüchliche Einheit gehören. Gerhard Schröder sagte am 14. März: "Wir haben die Arbeitsmärkte für neue Formen der Beschäftigung und der Selbständigkeit geöffnet. Wir haben das Programm "Kapital für Arbeit" aufgelegt." Er schildert die Herrschaft der vergegenständlichten und vergangenen Arbeit, das meint ja Kapital, über die lebendige Arbeit ganz richtig. Doch er beschreibt damit lediglich die Arbeit im bürgerlichen Kategoriensystem. Dieses führte bislang immer zur Vernichtung von vergegenständlichter Arbeit und von lebendigen Menschen.
Mit der Arbeit trat der Mensch zunächst aus einer stummen Gattungsmäßigkeit in eine arbeitende und sprechende Gattungsmäßigkeit der einen Menschheit ein. Wie die Kategorie Arbeit das menschliche Sein seit den Gentilgemeinschaften geprägt hat, soll nur an den verschiedenen Formen, die die Arbeit in der Sklavenhaltergesellschaft, im Feudalismus und schließlich im Kapitalismus eingenommen hat, verdeutlicht werden. Die Arbeit ist erst Gemeinschaftsarbeit in der Natur, dann Sklavenarbeit, dann Leibeigenenarbeit, schließlich Lohnarbeit. Stets war zur Veränderung der Kategoriesysteme Bewusstheit jener Menschen und Klassen erforderlich, die durch ihre Arbeit ein neues, mehr humanisiertes Sein schaffen wollten, aber auch konnten, weil die entsprechenden Daseinsformen und Existenzbedingungen ein neues Kategoriensystem auch objektiv ermöglichten. Die SPD entstand als erste Arbeiterpartei mit dem gesellschaftlichen Formwechsel der Kategorie Arbeit. Mit der Lohnarbeit entstand die SPD. Eine Partei ist ja immer konzentrierter Reproduktionspunkt der gesellschaftlichen Kategorien. Partei, das meint ja der Begriff, bezieht sich als Teil eines gesellschaftlichen Ganzen immer auf ein ganzes gesellschaftliches Kategoriensystem mit all seinen Kategorien. Parteien sind deshalb keine Projekte die aus den Köpfen von Menschen in die Wirklichkeit springen. Je nach dem, aus welcher Perspektive Parteien die Kategorie Arbeit betrachten, verhalten sie sich in ihrem Programm ablehnend oder befürwortend zum bürgerlichen Kategoriensystem. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" und "Einigkeit macht stark" so steht es auf einer roten Fahne, die im Parteiarchiv der SPD gehütet wird. In ihrer Mitte das Bild eines Handschlags in einem Kranz aus Eichenlaub, unter dem zu lesen ist: "23.Mai 1863, Ferdinand Lassalle." Dies ist die Geburtsstunde der deutschen sozialdemokratischen Bewegung.
Die Revolution von 1848 war gescheitert, die Parlamente liquidiert, und die Rebellionen der entschiedenen Demokraten mit Waffengewalt niedergeschlagen. Die Delegierten aus elf Städten, gründeten den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein". Was 1848 nicht vollendet wurde, sollte in Deutschland endlich Gestalt annehmen. Die bürgerliche Demokratie sollte hergestellt werden. Doch dessen nicht genug, setzte man sich eine neue Gesellschaft zum Ziel, den Sozialismus. In dieser Ambivalenz zwischen zwei Kategoriensysteme, bürgerliche Demokratie und Kapitalismus hier und Sozialismus dort, war es für die Arbeiterpartei SPD sehr schwierig einen festen Kurs zu halten. Denn während das kapitalistische Kategoriensystem in Deutschland noch nicht richtig funktionierte, schlummerte das sozialistische erst als winzige Möglichkeit hinter der immer mehr sich vergesellschafteten Arbeit hervor. Lassalle wollte die Bildung von Produktivgenossenschaften forcieren, zu denen der Staat Bismarcks Zuschüsse leisten sollte. Lassalle glaubte, dass das geheime und direkte Wahlrecht die Abgeordneten der Arbeiter eines Tages zu deren Mehrheit im Reichstag führen würde. So könne ein Sozialstaat errichtet werden, der dann für Gerechtigkeit sorge tragen müsse. Lassalle blieb im Kategoriensystems der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet. Marx forderte dagegen, die Arbeiter müssten sich im Bewusstsein und in der Tatkraft für den alltäglichen Arbeitskampf durch starke Gewerkschaften stärken, und dürften keine zu großen Illusionen in die bürgerliche Demokratie setzen, deren Verwirklichung er allerdings während seines ganzen Lebens forderte. 1875, in seiner Kritik an der Forderung des "Gothaer Parteiprogramm", in dem "nach gerechter Verteilung des Arbeitsertrags" verlangt wurde, schreibt Marx "Was ist `Arbeitsertrag`? Das Produkt der Arbeit oder sein Wert? Und im letzteren Fall, der Gesamtwert des Produkts oder nur der Wertteil, den die Arbeit dem Wert der aufgezehrten Produktionsmittel neu zugesetzt hat? `Arbeitsertrag` ist eine lose Vorstellung, die Lassalle an die Stelle bestimmter ökonomischer Begriffe gesetzt hat. Was ist `gerechte" Verteilung?`.... Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst; letztere Verteilung aber ist ein Charakter der Produktionsweise selbst. Die kapitalistische Produktionsweise z.B. beruht darauf, daß die sachlichen Produktionsbedingungen Nichtarbeitern zugeteilt sind unter der Form von Kapitaleigentum und Grundeigentum, während die Masse nur Eigentümer der persönlichen Produktionsbedingung, der Arbeitskraft, ist. Sind die Elemente der Produktion derart verteilt, so ergibt sich von selbst die heutige Verteilung der Konsumtionsmittel." Damals schrieben die Anhänger Lassalles: "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur". Dem werden sicher viele sozialistisch denkende Menschen des 21.Jahrhunderts bedenkenlos zustimmen. Doch 1875 wurde um die Richtigkeit dieser Aussage noch hart diskutiert. So schreibt Marx an die deutschen Sozialdemokraten:
"Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebenso sehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. Jene Phrase findet sich in allen Kinderfibeln und ist insofern richtig, als unterstellt wird, daß die Arbeit mit den dazugehörigen Gegenständen und Mitteln vorgeht. Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben."2
Mit der Ware Arbeitskraft, tritt gleichzeitig eine Verallgemeinerung der Arbeit in der Gesellschaft ein. Alle scheinen gleich zu sein, denn alle arbeiten. Der Manager arbeitet häufig länger als mancher Arbeiter. Für alle scheint es nur noch ein gemeinsames Kategoriensystem zu geben, das bürgerliche, gern auch pluralistische genannt. Diese Verallgemeinerung von Arbeit unterscheidet sich stark von der feudalistischen Gesellschaft, wo es für die herrschende Aristokratie eine Schande war zu arbeiten. Daraus entsteht, wie Marx schreibt, "die Religion des Alltagslebens, diese Personifizierung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse"3. Diese Versachlichung und Verallgemeinerung der menschlichen Beziehungen verdunkeln das Klassenverhältnis, das mit dem Auftreten der Ware Arbeitskraft im Kapitalismus immer verbunden ist. Dementsprechend universell wirkend ist das bürgerliche Kategoriensystem, was der allgemeine Ruf nach Arbeit, dem mittlerweile alle Parteien im Bundestag verfallen sind, beweist. Dieser Ruf sitzt einem Warenfetischismus auf, der die wirklichen Beziehungen der Menschen, wie sie im wesentlichen durch den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit geprägt werden, verdunkelt. Im Jahr 1933 hatte Adolf Hitler auf einem Plakat mit "Arbeit, Arbeit, Arbeit" für seine Partei geworben. 1994 forderte die SPD in ihrem Europawahlkampf auf einem Plakat: "Arbeit, Arbeit, Arbeit". Die Kategorie Arbeit wurde und wird als prägende des Kategoriensystems zwar erkannt, aber eben innerhalb des bürgerlichen Kategoriensystems. Engels wollte diesem bürgerlichen Kategoriensystem ein sozialistisches entgegen setzen, das kein utopisches mehr sein sollte. Er faszinierte, nach dem Gothaer Parteitag, seine Leser mit einer materialistischen Übertragung der Hegelschen Konstruktion einer angeblichen Negation der Negation in der Natur und Gesellschaft. Ebenso mit der These des Umschlagens von Quantitäten in Qualitäten. Im Ergebnis führte diese Theorie mit dazu, dass viele Sozialdemokraten an eine mechanische Notwendigkeit des Sozialismus glaubten. Man glaubte, es komme nur darauf an, die Produktivkräfte sich entfalten zu lassen, um letztlich deren monopolistische Konzentration durch einen entfalteten Parlamentarismus zentral steuern zu können, schon sei der Sozialismus verwirklicht. Die bewusst zu erkämpfende menschliche Zielsetzung in der Arbeit schätzte diese Mechanisierung des gesellschaftlichen Seinsprozeßes falsch ein.
1888 erlebte Deutschland den ersten gesamtdeutschen Streik von 150 000 Steinkohlenbergarbeiten und im Mai 1889 kämpften 100 000 Bergarbeiter des Ruhrgebiets für mehr Lohn, um den Achtstundentag, um die Beseitigung der Überstundenschichten und für die Zulassung von Arbeiterausschüssen. 1890 erhielten die Sozialdemokraten 1,5 Millionen Stimmen. Die Partei war damit die stärkste in Deutschland. Fünf Monate vor seinem Tod verursacht Engels innerhalb der SPD noch eine Irritation, die künftig die Partei nicht mehr verlassen sollte. Er schreibt am 6. März 1895 aus London: "Wir, die ´Revolutionäre´, die ´Umstürzler´, wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz."4
Engels bestätigt hiermit Lassalle. Nicht mehr die Kategorie Arbeit wurde als prägende des gesellschaftlichen Seins erkannt, deren bürgerlichen Charakter es zu ändern gilt, sondern man begann innerhalb des bürgerlichen Kategoriensystems auf staatliche Veränderung zu hoffen. Ein Irrtum mit verheerenden Folgen.
1894 erklärte Kaiser Wilhelm II: "Deutsche Güter, deutsche Betriebsamkeit gehen über den Ozean. Nach Tausenden von Millionen beziffern sich die Werte, die Deutschland auf der See fahren hat. Der Dreizack gehört in unsere Faust. So ist es mein Wunsch, unserer vaterländischen Arbeit und der Industrie der produzierenden Stände die Absatzgebiete zu sichern und zu erhalten, die wir brauchen." Für den Kaiser stand die Kategorie Arbeit und die Realisierung ihrer Wertschöpfung als vaterländische Arbeit im Mittelpunkt der Kolonialpolitik. Die Sozialdemokraten fragten sich: "Soll Deutschland Kolonien gründen?" Höchberg, einer aus der Redaktion, zu denen Bernstein und Schramm gehörten und die in Zürich die offizielle Parteizeitung herausgaben, bejahten dies. Marx war entsetzt. In einer Arbeiterpartei seien, diese drei "Repräsentanten des Kleinbürgertums... Wird das neue Parteiorgan eine Haltung annehmen, die den Gesinnungen jener Herren entspricht, die bürgerlich ist und nicht proletarisch, so bleibt uns nichts übrig, so leid es uns tun würde, als uns öffentlich dagegen zu erklären."
Die heftigen Diskussionen in der Partei mündete 1891 im Erfurter Parteiprogramm, in dem, wie Engels schrieb: Die "Marxsche Kritik komplett durchgeschlagen hat". Doch wenige Tage vor dem Erfurter Parteitag, auf dem sich die Partei in SPD umbenannte, gab Georg von Vollmar die Losung aus: "Dem guten Willen die offene Hand, dem schlechten die Faust." Da die herrschende Klasse ihren harten Kurs nach den Sozialistengesetzen geändert habe, so Vollmar, müsse die Sozialdemokratie ihren revolutionären Kurs ändern und einen reformistischen einschlagen. Revolution und Reform wurden erstmals unversöhnlich gegenüber gestellt. Oder anders ausgedrückt. Man dachte innerhalb des bürgerlichen Kategoriensystems. Die SPD saß erstmalig in der Reformfalle. Marx hatte Reformen, wie das Erkämpfen der Herabsetzung der Arbeitszeit, stets intensiv unterstützt. Aber gleichzeitig war dieser Fortschritt für ihn ein unabtrennbaren Schritt auf dem Wege zur vollständigen Umwälzung der Gesellschaft. Bebel war gleicher Meinung. Um 1900 waren deutsche Monopole in etwa 40 internationalen Kartellen führend. Deutschland meldete gegenüber England seine Ansprüche auf Südafrika an. Der Staat rüstete für den Krieg. Auf dem Hamburger SPD Parteitag 1897 sagte Max Schippel: Da Kriege nicht zu verhindern seien, könne man "doch nicht unseren Soldaten schlechte Flinten, schlechte Kanonen geben." Manche behaupteten bereits, es gebe keine Kapitalisten und keine Arbeiter mehr. Die Verallgemeinerung der Kategorie Arbeit hatte zu einer Täuschung des Bewusstseins geführt. Es ginge nur um Deutschland, wurde behauptet, nicht mehr um Klassen. Laut Gewerbestatistik des Jahres 1907 waren von 25 Millionen Erwerbstätigen 11 Millionen Arbeiter. Zum Vergleich: Im Jahr 2002 waren von 40 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland 29 Millionen Angestellte und Arbeiter.
Der durchschnittliche Stundenlohn war von 1895 bis 1913 um 54% rasch und anhaltend gestiegen. Die tägliche Arbeitszeit sank langsam auf 9 bis 10 Stunden. Georg Bernstein glaubte in dieser Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter die Tatsache zu erkennen, dass die kapitalistische Gesellschaft "langsam und allmählich" in den Sozialismus hinein wachse. Diese Bewegung bedeute alles für ihn - "das, was man gemeinhin Endziel des Sozialismus nenne", sei dagegen nichts. Rosa Luxemburg hielt dagegen beharrlich an einer Ontologie im Sinne von Marx fest. In der Leipziger Volkszeitung schrieb sie 1899, Bernstein konstruiere einen Gegensatz zwischen Revolution und Reform, dies sei "eine Theorie der sozialistischen Versumpfung, vulgär-ökonomisch begründet durch eine Theorie der kapitalistischen Versumpfung." Rosa Luxemburg nahm die Formveränderung der Kategorie Arbeit, wie sie durch zunehmende Konzentration und Vergesellschaftung entstanden war sehr wohl zur Kenntnis und fragte:
"Was bedeutet aber volkswirtschaftlich die immer größere Verbreitung des Aktienwesens? Sie bedeutet die fortschreitende Vergesellschaftung der Produktion in kapitalistischer Form, die Vergesellschaftung nicht nur der Riesen-, sondern auch der Mittel- und sogar der Kleinproduktion, also etwas, was der Marxschen Theorie nicht widerspricht, sondern sie in denkbar glänzendster Weise bestätigt." Diese ökonomischen Verhältnisse seien es, durch die der Sozialismus "aus einem `Ideal`, das jahrtausendelang der Menschheit vorschwebte, zur geschichtlichen Notwendigkeit geworden."5
Diese Formulierungen machen jedoch deutlich, das sie die philosophischen Schwächen von Engels fortsetzte. Den Sozialismus, beschreibt sie als Notwendigkeit und nicht als objektive Möglichkeit, die aber mit einer subjektiven Bewusstheit gepaart sein muß. Dieser scheinbar kleine Unterschied hat schwere Folgen. Denn wenn sich ein Prozess notwendig zu einer neuen Qualität entwickelt, braucht es nicht mehr das gezielte und bewusste Eingreifen der Menschen, die schließlich aber die Schöpfer ihrer Geschichte und Kategoriensysteme sind.
Der "Vorwärts" schreibt am 31.7.1914: "Wenn die verhängnisvolle Stunde schlägt, werden die vaterlandslosen Gesellen ihre Pflicht erfüllen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen." Diese Position erreichte in allen europäisch sozialdemokratischen Parteien die Mehrheit. Das Ziel, eine gattungsmäßig orientierte Gesellschaft zu schaffen, die ja in den alten Beziehungen bereits gereift war, wurde liquidiert. Rosa Luxemburg schreibt 19166
"Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen." Solche Feststellungen nannte die Mehrheit der SPD: Vaterlandsverrat. Dabei sprachen die Tatsachen für sich: Bis Mitte Februar 1916 waren 670 000 deutsche Soldaten gefallen. Der Krupp-Konzern steigerte seinen Gewinn von 1914 bis 1916 um 350 Prozent, nach allen Abzügen war das ein Reingewinn von über 105 Millionen Mark. Die AEG erzielte in den ersten drei Kriegsjahren einen Reingewinn von 80,8 Millionen Mark. Die Naturquelle der Kategorie Arbeit sprudelte in diesen Kriegsjahren reichlich. Die Revolution hatte 1918 die Diskussion von Demokratie und Sozialismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Am 20.11.18 bezeichnete Rosa Luxemburg in der "Roten Fahne" die Gegenüberstellung von "Diktatur" und "Demokratie" als "gegenrevolutionäre Maßnahme" der Regierung Ebert. "Nicht darum handelt es sich heute, ob Demokratie oder Diktatur. Die von der Geschichte auf die Tagesordnung gestellte Frage lautet: bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie."
Der SPD Parteivorstand schreibt einen Tag, nach der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler:... Hitler ist "Reichskanzler geworden auf legalem Wege, nicht durch einen Putsch, nicht durch einen Marsch auf Berlin...es ist dann eben eine verfassungsmäßige Rechtsregierung" Sie lehnten alle "ungestümen und voreiligen Aktionen" ab. Am 25. April 33 legte Gustav Krupp von Bohlen und Halbach im Namen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie der Hitlerregierung einen Plan zur "Neugestaltung der Industrie" vor. 1937 überholte Deutschland die USA sogar im Export von Maschinen, Eisenmetallen, Chemikalien, optischen Geräten. Harmonie statt Klassenkampf war die Devise oder, wie Hitler formulierte: "Sozialismus ohne Proletariat". Die Mehrheit des Volkes war fest integriert in ein bürgerliches Kategoriensystem faschistischen Typs. Nicht die gesellschaftlichen Kategorien und besonders der bürgerliche Charakter der prägenden Kategorie Arbeit, war nach dem zweiten Weltkrieg Ausgangspunkt der Analyse der SPD, sondern es ging um bürgerliche Rechte oder Menschenrechte, die im Godesberger Programm gefordert wurden. "Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität" heißt es dort. Diese Rechte stehen aber mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in direkter Beziehung. Denn die Lohnarbeit ist freie Arbeit. Ihre Aneignung erfolgt gerecht auf der Basis der bürgerlichen Warenproduktion und solidarisch ist sie auch, nämlich dann, wenn man als Deutscher für deutsche Kapitalinteressen kämpft oder wenn Angestellte und Arbeiter ein Wir-Gefühl oder corporate identity für ihre Firma entwickeln. Mit Menschlichkeit und bewusster Gattungsmäßigkeit hat dies aber nichts zu tun. Für Marx basierte das Menschenrecht der Freiheit eben "nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung des Menschen von dem Menschen. Es ist das Recht dieser Absonderung, das Recht des beschränkten, auf sich beschränkten Individuums."7 In dem Moment, wo dieses bürgerliche Recht zum leitenden Faktor der SPD wurde, stützte sie nicht nur das bürgerliche Kategoriensystem, sondern sie negierte gleichzeitig die Kategorie Arbeit als prägende Kategorie des gesellschaftlichen Seins. Fast wörtlich Lassalle zitierend will das Godesberger Programm für den "gerechten Anteil der Arbeitnehmer am Ertrag der gesellschaftlichen Arbeit" sorgen. Gerechtigkeit und Freiheit basieren aber auf der bürgerlicher Produktionsweise und deren partikularen Interessen. Jeder bekommt den Wert seiner Ware in Geld ausbezahlt. So jedenfalls ist das Prinzip. Die vielfältig geschmückten Lobeshymnen auf die Freiheit und die Menschenrechte sind ohne klaren Bezug zu einem, über partikulare Interessen hinausgehendem Kategoriensystem, das sich auf eine gattungsmäßige Nützlichkeit von Arbeit konzentriert, nur Fetische, mit denen sich Manipulationen geschicktester Art verstecken lassen. Im Februar 2002 wurde von zwei sozialdemokratischen Bundesministerien das Förderprogramm "Optische Technologien - Made in Germany" implementiert, mit dem zunächst über 5 Jahre die Entwicklung von Strahlquellen und optischen Systemen, innovative Anwendungen von Licht für Menschen, Produktion und Umwelt sowie die Schaffung günstiger Start- und Rahmenbedingungen unterstützt werden sollen. Stahl kaufen die Konzerne heute billiger in Korea, Indien oder Brasilien - inklusive Transport - als im Ruhrgebiet oder im Saarland. Die Schwellenländer haben den Schritt zur Industriegesellschaft längst getan, sie stellen heute bereits die Produkte billiger her, die der Norden vor zwanzig Jahren noch selbst erarbeitete. Das Elend der Arbeitslosigkeit in Europa ist auch eine Folge der Verlagerung arbeitsintensiver Produktionen in Billigproduktionsländer, wo das Elend des Südens Extraprofite erlaubt. "Nur durch neue Produkte und Produktionsverfahren", erklärten die SPD-Wirtschaftspolitiker auf ihrer Konferenz im Juni 1994, "kann der Standort Deutschland dauerhaft gesichert werden. Wir wollen, dass 'Made in Germany' auf den Weltmärkten wieder zum Gütezeichen internationaler Spitzentechnologie und deutscher Qualitätsarbeit wird." Die SPD erinnert immer deutlicher an Heinrich Manns "Untertan", der "Hurra" schrie, als er Kaiser Wilhelm im Ausland hoch zu Roß begegnete. Er wollte dem Kaiser danken, dass Deutschland hinter Großbritannien die zweitstärkste Handelsmacht der Welt geworden war. In einer gemeinsamen Erklärung der SPD-Wirtschaftsexperten vom Juni 1994 zogen Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, die Wirtschaftsminister der SPD-geführten Bundesländer und die wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen im Bundestag und den Landesparlamenten die politische Konsequenz. Dort heißt es: "Die Anstrengungen deutscher Unternehmen zur Erschließung neuer Märkte müssen durch eine aktive Außenwirtschaftspolitik unterstützt werden. Ein Land, in dem jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt, kann es sich nicht leisten, daß unsere Unternehmen auf den Auslandsmärkten nur deshalb das Nachsehen haben, weil sich die Regierungen unserer Konkurrenten wirksamer für ihre Unternehmen einsetzen. Die deutschen Botschaften im Ausland müssen sich stärker als bisher handelspolitisch engagieren. Die deutsche Entwicklungspolitik muß enger mit der Außenwirtschaftspolitik verzahnt werden. Bei den Finanzierungsbedingungen wichtiger Exportprojekte muß für mehr Chancengleichheit gesorgt werden." Nur mit konkurrenzlosen Hochtechnologie-Produkten - also mit Waren, deren Herstellungsweisen den Nichteuropäern vorenthalten werden - könne der eigene Wohlstand gegen die Schwellenländer der "Dritten Welt" verteidigt werden. "Wir müssen das produzieren, was die anderen noch nicht können", sagte Oskar Lafontaine im September 1993 in einem vor der Friedrich-Ebert-Stiftung. Lafontaine: "Wir müssen die modernste Forschungslandschaft der Welt aufbauen, wenn wir pro Kopf die größte Exportnation der Welt bleiben wollen, was wir immer noch sind. ... Wir sind Exportweltmeister geworden, weil wir es in der Vergangenheit immer geschafft haben, Spitzenprodukte zu entwickeln und neue Technologien, die die anderen noch nicht hatten, und die wir dann auf den Weltmärkten platzieren konnten". Auch Hitler war 1937 Exportweltmeister! Es sollte an diesen Beispielen deutlich werden, wie die SPD nicht nur innerhalb des bürgerlichen Kategoriensystems zu denken und zu argumentieren versteht. Die Kategorie Arbeit wird als deutsche Wertarbeit gepriesen und mit allen Mitteln unterstützt. Hinter dem Motto "Made in Germany" das die Reformer Clement, Schröder, aber auch die sogenannten Traditionalisten auf ihre Fahnen geschrieben haben, versteckt sich die chauvinistische Konsequenz, der jede Partei folgen muß, wenn sie die Kategorie Arbeit nicht in ihrem Banne bürgerlicher Partikularinteressen sieht. "Made in Germany" ist zum modernen, für viele Ohren noch unverfänglichen, Schlachtruf aller großen Parteien im Bundestag geworden. Er wird von Friedrich Merz aus der CDU genauso gerufen, wie von Oskar Lafontaine, Edelgard Bulmahn oder Angela Merkel. Letzt genannte rief in ihrer Antwort auf die Kanzlerrede am 14. März: "Wir wollen an die Spitze von Europa!" Sie glauben alle an das Primat der Politik und ihrer Ideen. Sie bemerken gar nicht, dass sie einer Dynamik folgen, die in der Aneignung und Verwertung der Ware Arbeitskraft ihre eigentlichen Ursachen hat. Der Begriff des Sozialismus steht zwar noch im gültigen Parteiprogramm der SPD, ist aber bedeutungslos, wie Schröder ja ganz offen erklärt. Sigmar Gabriel plädierte statt dessen im niedersächsischen Wahlkampf für eine "next economy" Gabriel: "Es ging in der Vergangenheit nie und geht auch in der Zukunft nie um die "new" oder die "old" economy. Es geht immer um die Integration der "new" in die "old" economy. Es geht immer um die next economy. Daraus entsteht wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Erfolg. Daraus entsteht Kraft, Dynamik und auch soziale Sicherheit." Bei Peter Glotz heißt die "next economy" "Digitalkapitalismus". Wie locker flockig das Vokabular auch ausfallen mag. Stets wird gefordert "Made in Germany" solle auf der Welt wieder ganz nach oben rücken. Rückt "Made in Germany" nach oben, dann würde das den deutschen Arbeitern und Angestellten auch nutzen. Das ist die alte Gebetsmühle die der deutsche Kaiser, aber auch Hitler gerührt haben. Damit soll kein Gleichheitszeichen zwischen Hitler und Gabriel oder Glotz oder wem auch immer gesetzt werden. Dieser Hinweis soll nur zeigen, wohin es führt, wenn die Kategorie Arbeit nicht in der Umklammerung kapitalorientierter Zielsetzung gesehen wird, sondern wenn diese Wirklichkeit einfach in Klammern gesetzt wird. Clement nannte die Zielsetzung bürgerlicher Arbeit die "Macht des Faktischen". Er mag das ja wirklich glauben. Er sitzt dann aber einem falschen Bewusstsein auf. Denn die Ökonomie der Gesellschaft ist schließlich keine Geistermacht die uns Menschen Fakten diktiert, sondern sie ist Produkt menschlicher Arbeit, die sich hinter dem Rücken der Menschen zu einer engen Verbindung der Völker entwickelt hat. Dies ist ja einerseits eine Chance, die Arbeit bewusst gattungsmäßig zu orientieren. Anderseits, wenn die Ökonomie im bürgerlichen Kategoriensystem eingebunden bleibt, führt diese Verbindung zu intensiverer Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Plötzlich treten neue Stahlproduzenten, neue Ölinteressenten, neue Autoproduzenten in Erscheinung und der Kampf wird noch härter und blutiger. In dieser Situation wirft der Schlachtruf "Made in Germany" Feuer ins Öl. Ein klarer Blick auf die Kategorie Arbeit und das bürgerliche Kategoriensystem ist nötig, um Politik im Sinne der einen Menschheit praktizieren zu können. Das, was sich gern Realpolitik nennt, ist in der Regel nichts anderes, als die eitle Nutzung einer Eintrittskarte in die VIP Riege derer, die für den Schlachtruf Made in Germany die politischen Rahmenbedingungen abstecken möchten und als selbsternannte Lichtgestalten durch die Medien tingeln. Die Realpolitiker der SPD oder der Grünen nennen sich Realos, weil sie am bürgerlichen Kategoriensystem unbedingt mitwirken wollen. Müde lächelnd erklären sie das Experiment Sozialismus für gescheitert. So einfach ist es aber nicht. Denn die Kategorien sind objektive Daseinsformen und Existenzbedingungen, also keine Experimente oder Projekte. Wer ihren wesentlichen Charakter nicht zur Kenntnis nehmen will oder kann, läuft Gefahr mit dem Schlachtruf: "Made in Germany" in offene Feldschlacht fürs Vaterland zu ziehen. Wie rief Angela Merkel am 14.März in den Bundestag: "Es geht doch um Deutschland!" und Sigmar Gabriel ergänzte, ein "Verantwortungspakt für Deutschland" sei zu bilden. Dieser scheinbaren Weisheit werden viele Menschen auf den Leim gehen, wenn sozialistische Politik nicht klar macht, dass es im wesentlichen des gesellschaftlichen Seins eben nicht um Deutschland geht, sondern, um intensivere bürgerliche Nutzung der Kategorie Arbeit. Gegen diese Nutzung braucht es starke Gewerkschaften und eine Partei, die Demokratie nicht im Sinne bürgerlicher Realpolitik interpretiert, sondern als bewussten Willen von Arbeitern und Angestellten begreift, deren Bewusstein und deren Tat schließlich die Kategorie Arbeit aus ihrer bürgerlichen Fessel befreien muss. Dies geht nur durch Bewusstheit jener, die mittels ihrer Arbeit jenen Mehrwert produzieren, zu dessen unmittelbarer und mittelbarer Erhöhung das Kapital um die Weltmeere zieht. Nicht der Profit dominiert die bürgerliche Gesellschaft, sondern das Wesen der Kategorie Arbeit tut dies. Der Profit ist ja, wie der Lohn, Anteil am Produkt des Arbeiters. Er basiert nicht auf Betrug, sondern ist, wie Zins und Rente, nur der industrielle Teil des Mehrwerts, der, wie bekannt, absolut und relativ erhöht werden kann. Mit dem Sozialismus, so Marx, beginnt die eigentliche Geschichte der Menschheit ja erst. Hier herrscht, anders als in der Vorgeschichte, nicht die vergegenständlichte Arbeit über die lebendige Arbeit. Hier folgen die lebendigen Arbeiter und Angestellten mittels direkter Demokratie bewusst gattungsmäßig gesetzten Zielen in ihrer Arbeit und nicht, wie in der Vorgeschichte, nur partikularen Interessen jener, die sich die vergegenständlichte Arbeit aneigneten. Die bewusste Geschichte der Menschheit beginnt erst an dem Punkt, an dem die Arbeit die Gattungsmäßigkeit ganz bewusst und gezielt verfolgt, wenn die Arbeit sozusagen humanisiert und aus ihrer fetischisierten Verdinglichung befreit ist. Wenn sie, wie Marx sagt, zum ersten Lebensbedürfnis werden kann und nicht länger bloß als Mittel zum Überleben kategorisiert wird. Schließlich ist der Mensch durch Arbeit Mensch geworden. Doch dazu ist ein Wechsel des Kategoriensystems unerlässlich. Sozialistische Politik muss ontologisch fundiert sein, nur dann wird sie mit richtigem Bewusstsein gesellschaftliches Sein reproduzieren. Nur dann wird ihre Theorie zur materiellen Gewalt, weil sie die Menschen ergreift, die täglich mit ihrer Arbeit das Kapitalverhältnis aufs neue reproduzieren. Diese Menschen können in direkter Demokratie die Teleologie der Arbeit in eine Richtung bringen, in der sie nicht länger Kriege, Hunger, Neid und Elend auslöst.
1 MEW Bd. 13, S. 632
2 MEW Bd. 19, S. 15
3 MEW 27, S.838, Berlin, 1949
4 MEW 22, S. 509-527
5 "Sozialreform oder Revolution". 6 "Junisbroschüre"
7 MEW 1