AfD und Landwirtschaft: Agitation und Unbehagen

Ein Kommentar zum Landwirtschaftsprogramm der Alternative für Deutschland

Seit den Bauernprotesten im Winter 2023/2024 tritt die AfD vermehrt und erfolgreich mit landwirtschaftlichen Themen an die Öffentlichkeit. Wie eine Analyse der programmatisch agrarpolitischen Dokumente der AfD Bundestagsfraktion1 zeigt, bewegt sich die Partei zwischen widersprüchlichen agrarpolitischen Aussagen einerseits und einer emotionalen Mobilisierung durch Angstnarrative und vorgefertigte Schuldzuweisungen andererseits. Der Erfolg der AfD in der Landwirtschaft – so die These von Timeo Schneider und Andreas Braun – erklärt sich somit weniger aus programmatischer Stringenz als aus autoritärpopulistischen Mechanismen.

Bei den jüngsten Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen sticht eine Berufsgruppe besonders heraus. Landwirte stimmten zu 49% für die AfD und sorgten damit für den größten Zuwachs aller durch die Forschungsgruppe Wahlen untersuchten Kategorien bei dieser Wahl.2 Dem voran ging eine offensichtlich erfolgreiche von der Partei geführte agrarpolitische Offensive im Zuge der Bauernproteste im Januar 2024. Flankiert von diversen Solidaritätsbekundungen mit den Protestierenden, veröffentlichte die Partei das AfD-Sofortprogramm für unsere Landwirtschaft. Neben Seitenhieben in Richtung der aktuellen Regierung sowie der Europäischen Union sind die zentralen Forderungen dieses Papiers eine Verdopplung der Agrardieselrückerstattung, Abschaffung oder Ausgleich der KFZ-Besteuerung und die Halbierung der Energiepreise. Besagte Forderungen wurden aufgrund ihrer vermeintlichen Unvereinbarkeit mit der noch im Bundestagswahlprogramm von 2016 vertretenen neoliberalen "Mehr Wettbewerb, weniger Subventionen"-Agrarpolitik von einigen kritischen Stimmen zum Anlass genommen, die AfD als opportunistisch und ihr Programm als widersprüchlich zu entlarven.3 Gegenüber dieser Kritik behaupten sich die AfD-Wahlergebnisse hartnäckig und es stellt sich die Frage, wie ihr Landwirtschaftsprogramm trotz dessen so erfolgreich sein kann. Es macht den Anschein, als hätte man in der Landwirtschaft, zumindest in Ostdeutschland, geradezu auf die AfD gewartet. Endlich, so klingt es, werden die agrarpolitischen Probleme klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, Überregulierung, Strukturwandel, Flächenfraß und Lobbyismus bekommen auf parlamentarischer Ebene eine vielversprechende Gegenstimme, es wird auf die Protestierenden zugegangen und Verantwortliche werden benannt.

Im Folgenden wird, um der Frage nach dem Erfolg nachzugehen, ein genauerer Blick auf die programmatischen Veröffentlichungen der AfD zur Agrarpolitik geworfen. Dieser Schritt gilt insbesondere der Überprüfung dessen, ob es sich um ernstzunehmende systemische Widersprüche oder lediglich um bagatellisierbare Einzelheiten handelt. In einem zweiten Schritt werden jene Faktoren herausgestellt, die sich als Konstanten durch das gesamte agrarpolitische Programm ziehen und eine Erklärungsebene für den Erfolg der Partei, abseits der konkreten landwirtschaftlichen Aussagen, eröffnen.

Widersprüche im agrarpolitischen Programm

Bei genauerer Betrachtung offenbart ein Blick auf das agrarpolitische Programm inklusive der Bundestagsanträge der Partei tatsächlich an mehreren Stellen Irritationspotenzial. Auffällig ist zuallererst die Diversität der auf Makroebene verfolgten agrarpolitischen Stoßrichtungen. Als Ziel formuliert die AfD eine unter anderem familiäre, technologisierte, traditionelle, digitalisierte, unsubventionierte, wettbewerbsfähige, bäuerliche und renationalisierte Landwirtschaft.4 Diese Attribute, welche auf konkreter Umsetzungsebene teilweise gegenteilige und widersprüchliche Forderungen erwarten lassen, zeichnen sich besonders durch ihre Vagheit und Diffusität aus. Fast jede erdenkliche agrarpolitische Forderung ließe sich im groben Rahmenprogramm der AfD unterbringen. Aus diesem Grund konnte die Partei auch problemlos uneingeschränkte Solidarität mit den Bauernprotesten aussprechen, die in sich bemerkenswert heterogen waren und paradoxe Positionen beinhalteten.5 Doch wie sieht abgesehen davon das Programm auf konkreter Umsetzungsebene aus? Wie schafft es die AfD, das derart vage agrarpolitische Rahmenprogramm im reformpolitischen Betrieb - sei es durch Bundestagsanträge oder Wahlprogramme - darzustellen? Anhand von drei Beispielen lässt sich die agrarpolitische Konsistenz der AfD gut verdeutlichen:

  • 1. Während der Ökolandbau beispielsweise in der Dresdner Erklärung von 2019 noch in neoliberaler Manier als den Wettbewerb bereichernde "sinnvolle Ergänzung des landwirtschaftlichen Portfolios" bezeichnet wird, sieht die AfD im Hessischen Landtagswahlprogramm von 2023 die Ernährungssicherheit u.a. durch die ökologische Landwirtschaft akut gefährdet. Oder sie bezeichnet in einem Bundestagsantrag mit dem Titel Den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel wirksam reduzieren (2019) schlicht die konventionelle Landwirtschaft, welche sich am integrierten Pflanzenschutz orientiere, als "nachhaltige […] und ökologische Erzeugung", womit sie indirekt die Abgrenzung zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft leugnet.
  • 2. Auch die landwirtschaftlichen Restriktionen sind Zielscheibe regelmäßiger Beanstandungen der AfD. Sie werden im Bundestagswahlprogramm von 2021 als "Entmündigung von Landwirten" aufgefasst und im Vorwort der Dresdner Erklärung ist die Rede von einer "Verschärfung der Regulierungswut durch ideologiegetriebene Maßnahmen ohne Sachverstand". Umso verwunderlicher scheint es, dass in einem Bundestagsantrag zur Verbesserung der Tierschutzkontrollen in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung (2019) "effektivere[n] Tierschutzkontrollen" mit "wirkungsvollere[n] Sanktionen" und sogar die Einrichtung eines "nationalen Kompetenzzentrum[s] mit dem Schwerpunkt Überwachung" als Forderungen formuliert werden.
  • 3. Die AfD warnt seit ihrem ersten Bundestagswahlprogramm von 2016 konstant vor den Folgen und Risiken der Gentechnik. Dabei ist nicht nur die Rede von ökologischen Aspekten, es wird auch richtigerweise ausdrücklich von einem mit der Liberalisierung einhergehenden "Konzentrationsprozess im kommerziellen Saatguthandel" gewarnt. Dieser Linie folgend erwähnt die Partei im nächsten Bundestagswahlprogramm (2021) die Gentechnik im gleichen Zuge mit Giftpflanzen. Sie legt hier außerdem großen Wert auf Verbraucherschutz mit der Forderung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt werden sollten, "informierte und eigenverantwortliche Kaufentscheidung treffen zu können. Produkte sollen deshalb nach festgelegten Standards gekennzeichnet werden. Die Auskunft über Inhaltsstoffe und Herkunft der Produkte ist zu verbessern". All diesen bisherigen Positionen widersprechend, stimmte die AfD im Frühjahr 2024 auf EU-Ebene für die Wiederaufnahme der Deregulierungsbestrebungen der EU-Kommission.6 Sie handelt also im totalen Widerspruch zum einen zu ihrer bisherigen Position zur Gentechnik und zusätzlich zu ihrer Position zum Verbraucherschutz, denn mit der von der EU-Kommission zur Abstimmung gebrachten Forderung würde auch jegliche Kennzeichnungspflicht bei Anwendung Neuer Gentechnik wegfallen.

Kurz: die Liste der hier nur teilweise angeführten Widersprüche ist lang. Und dass sich der Erfolg unter Landwirten mit den tatsächlichen agrarpolitischen Positionen der Partei erklären lässt, ist unwahrscheinlich. Denn sowohl bei den gelisteten Beispielen als auch bei der erwähnten Diskrepanz zwischen neoliberaler Wirtschaftspolitik und Forderung nach Landwirtschaftssubventionen, handelt es sich keineswegs um Trivialitäten, sondern mitunter um die großen aktuellen und bestimmenden Themen in der Debatte um die Zukunft der deutschen Landwirtschaft.

Kohärente emotionalisierende Narrative

Doch nicht das gesamte Programm ist derart paradox. Es lässt sich unterteilen in zwei Ebenen, bestehend einerseits aus der oben genannten manifesten, praktisch agrarpolitischen und andererseits aus einer latenten, dauerhaft im Hintergrund mitschwingenden Ebene. Was die Kohärenz betrifft, bildet letztere einen klaren Kontrast zu ersterer. Denn angesichts der emotionalisierenden Narrative und schematischen Instrumentalisierung des auch bei den Bauernprotesten zum Ausdruck gekommenen Unbehagens herrscht im agrarpolitischen Programm der AfD Kohärenz und Eindeutigkeit.

Die prominent geforderte Renationalisierung der Landwirtschaft und die damit einhergehenden Schuldzuweisungen an wahlweise die aktuelle Regierung, die EU, Flüchtlinge, vermeintlich ›Ideologieverblendete‹ oder Bürokraten, steht dabei am Ende des schematischen Vorgehens der AfD. Die Art und Weise, wie die Partei die angespannte Situation in der Landwirtschaft politisiert und zu diesen ›Schlussfolgerungen‹ gelangt, lässt sich mit dem von Leo Löwenthal und Norbert Guterman 1949 in Prophets of Deceit entwickelten Konzept der Agitation hervorragend veranschaulichen und einordnen. Denn ähnlich wie die von Löwenthal und Guterman beobachteten Demagogen zur Zeit des zweiten Weltkrieges in den USA, welche oftmals mit Hitler oder Mussolini sympathisierten und durch antisemitische Äußerungen auffielen, zielt auch die AfD-Landwirtschaftsprogrammatik auf emotionale Komplexe ab, anstatt die jeweilige Problemursache anzugehen. Die Erfolgsgrundlage von Agitation ist dabei immer Unbehagen auf gesellschaftlicher sowie individueller Ebene. Dieses ist offensichtlich in der Landwirtschaft reichlich vorhanden. Dementsprechend ist es nicht in agitatorischer Absicht, dieses Unbehagen zu verringern, im Gegenteil: Ein zentrales Element der AfD-Agrarpolitik besteht in der Konstruktion oder Steigerung einer Bedrohungslage, also dem Schüren von Unbehagen.

Konkret lässt sich diesem Vorgang also durch die Analyse einiger sich gegenseitig bedingender emotionaler Komplexe annähern. Neben Misstrauen, gezielter Vorenthaltung und Bevormundung spielt das Schüren von Angst im Programm der AfD eine exponierte Rolle, insbesondere Angst vor "Kulturverfall", vor Fremdartigkeit und vor Chaoszuständen. Letztere tritt besonders in der häufig wiederholten Bezifferung einer vermeintlich lauernden Bedrohung der Ernährungssicherheit in Deutschland zum Vorschein.7 Tatsächlich ist es allerdings laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sehr gut um die Ernährungssicherheit hierzulande bestellt. Als Gründe für globale Ernährungsunsicherheiten listet das BMEL Armut, Ungleichheit, die Covid-19-Pandemie, Kriege und insbesondere den Klimawandel, inklusive des Verlusts an Biodiversität auf.8 Anstelle jedoch an diese Ursachen zu referieren, propagiert die AfD eine Renationalisierung der Landwirtschaft, leugnet den menschengemachten Klimawandel und schimpft auf die EU. Allein die Wortwahl des traditionell sachlichen Formats der programmatischen Schriften und Bundestagsanträge suggeriert an vielen Stellen drohendes oder bestehendes Chaos. In den AfD-Programmen ist die Rede von einer "galoppierenden Inflation", davon, dass Betriebe "zerschlagen" würden, vom "Sterben" der Höfe, einer "fortschreitende[n] Entmündigung", "massiven Ernterückgängen", von "Flächenfraß", "Regulierungswut" und "Energiepreis-Extremismus".9 Außerdem verlangt sie im [i]Wahlprogramm für den Hessischen Landtag [/i](2023) eine Förderung für die Landwirtschaft bei der "Beschaffung von Notstromaggregaten und Kraftstofflagern". Es wird deutlich, wie einerseits Bedrohungslagen konstruiert werden, etwa bei der vermeintlichen Ernährungssicherheitsgefährdung, und andererseits bestehende Missstände instrumentalisiert werden, beispielsweise bei Nennung des Höfesterbens. Denn Begriffe wie das Höfesterben stammen keineswegs von der AfD, sondern finden genauso ihren Platz bei progressiven kleinbäuerlichen Bewegungen, wie der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). In der Artikulation von Beschwerden gibt es also durchaus eine große Schnittmenge. Der entscheidende Unterschied findet sich in der konkreten Zielsetzung, also wie mit den Problemen umgegangen werden soll. Und hier deutet sich aufgrund erläuterter Widersprüche und Diffusitäten an, dass es der AfD lediglich um die emotionale Anschlussfähigkeit der Beschwerden geht, nicht aber um eine Adressierung der tatsächlichen Ursachen. Es kristallisiert sich deutlich das Narrativ des Scheiterns der ›Anderen‹ heraus, also eine konstruierte Endzeitstimmung, bei direkter Verantwortungszuweisung. Mit Vehemenz arbeitet die AfD daran, das Krisenempfinden zu steigern, damit sie schließlich in populistischer Manier als Sprachrohr aller Bauern und letzte Bastion der ›guten alten Ordnung‹ auftreten kann. Dass Krisen schon immer Bestandteil politischer Entwicklungen waren, ist eine unwillkommene und von der Partei bewusst ausgeblendete Tatsache.

Das Arbeiten mit Angst vor ›Fremdartigkeit‹ und ›Kulturverfall‹ grenzt die zuvor konstruierte Einheit der Bauernproteste, derer die AfD sich als Fürsprecherin gibt, oder gar des ›Bauernstandes‹ deutlich nach außen ab. Auf agrarpolitischer Ebene wird sich hierbei einer großen Bandbreite an Narrativen bedient. Angefangen beim laut dem Bundestagswahlprogramm von 2021 erforderlichen "Schutz der heimischen Ökosysteme" vor der "Einschleppung invasiver Tier- und Pflanzenarten" und der damit einhergehenden, ökologisch kaum zu rechtfertigenden Hierarchisierung zwischen ›fremden‹ und ›heimischen‹ Arten10, wird dieses Bild auf weitere Ebenen übertragen. Als Beispiel ist das in fast jedem Wahlprogramm geforderte Schächtungsverbot zu nennen, welches eine marginale praktische Rolle spielt11, aber eine lange antisemitische und islamophobe Tradition hat.12 In diesem Beispiel vollzieht sich die für den Antisemitismus typische, aber auch im Rassismus geläufige Transformation der marginalisierten und subalternen Subjekte, welche eigentlich Opfer bestehender Herrschaftsstrukturen sind, hin zu einer übermächtigen äußeren Bedrohung, indem genannten Gruppen ›barbarische Praktiken‹ zugewiesen werden.

Außerdem wird im Agrarpolitischen Leitbild (2020) "international tätige[n] Konzerne[n]", welche den Bodenmarkt unter Druck setzten und dadurch traditionelle Familienbetriebe verdrängen würden, die Feindschaft erklärt. Denn damit komme laut der Partei die Möglichkeit abhanden, der "immer größer werdenden Entfremdung zwischen der urbanen Gesellschaft und der landwirtschaftlichen Produktion" entgegenzuwirken. Hieran zeigt sich der Facettenreichtum in der Emotionalisierung des ›Fremden‹. Es werden, wie die letzten Beispiele verdeutlichen, nicht nur Ressentiments gegen Geflüchtete geschürt, sondern auch antimoderne Narrative in Form von Stadt-Land-Dichotomien und Antiinternationalismus bedient. Diesem konstruierten ›negativen Fremden‹ steht laut der AfD schließlich die unmittelbar bedrohte Heimat, Kultur und Ernährungssicherheit gegenüber. Parallel wird der ›Bauernstand‹ zum geradezu heroischen Apologeten der ›bedrohten Ordnung‹. Denn ›der Bauer‹ habe, laut Agrarpolitischem Leitbild (2020), neben der Nahrungsmittelversorgung zudem die Rolle der "Pflege und Gestaltung der Kulturlandschaft" sowie der "Aufrechterhaltung von Tradition und Kultur".

Wie der Blick in die Programme zeigt, ist der AfD kaum ein agrarpolitischer Selbstzweck zuzugestehen. Die Themen dienen vielmehr als Vehikel, um zu einem Zeitpunkt agitatorisch tätig zu werden, an welchem das bestehende Unbehagen offenbar nur darauf wartet, mobilisiert zu werden.

Agitation inmitten des demokratischen Systems

Es kristallisiert sich eine agitatorische Struktur heraus, indem in einem ersten Schritt Krisensituationen benannt oder konstruiert werden, die auf unterschiedliche emotionale Komplexe der potenziellen Anhängerschaft abzielen. In einem zweiten Schritt bietet die AfD Pseudolösungen für die angeführten Probleme, welche entweder bei einem Fingerdeut auf Feindbilder oder dem Appell an eine Renationalisierung enden. Keine der beiden Varianten streift dabei die materiellen Ursachen agrarpolitischer Probleme.

Besorgniserregend ist, dass Agitation, wie sie bereits Löwenthal und Guterman identifizierten, offensichtlich nicht mehr einzelnen randständigen Agitatoren vorbehalten ist, sondern inmitten eines demokratischen Systems stattfindet. Agitation in diesem Sinne ist immer auf Macht aus und beruht auf autoritären Prinzipien. Selbst wenn die AfD in ihrem Agrarpolitischen Leitbild von einer "Redemokratisierung" der Agrarpolitik spricht, ist dem kaum Glauben zu schenken. Denn, was sich hinter diesen positiven Demokratiebezügen, die meist mit Delegitimierungsversuchen und Ideologievorwürfen an die bestehende Regierung einhergehen, verbirgt, ist das strategische Zuweisen autoritärer Merkmale an dieselbe. Wenn die AfD also Landwirte als "entmündigt", "staatlich bevormundet" und Opfer einer "rigorose[n] Verbotspolitik" bezeichnet13, weicht sie damit die Grenze zwischen Demokratie und Autoritarismus auf. Sobald die aktuelle Regierung erfolgreich als autoritär diffamiert ist, werden die eigenen Positionen indirekt legitimiert, relativiert und in ein ›rechtsstaatlicheres‹ Licht gerückt. Das Programm muss also immer vor dem Hintergrund autoritärer Absichten bewertet werden, denn diese ragen nicht nur zum agrarpolitischen Teil herüber, sondern prägen diesen entscheidend. Das Scheitern besagter Entlarvungsversuche im Zuge der Bauernproteste ist dementsprechend kein Zufall, sondern dadurch bedingt, dass die AfD überhaupt nicht den Selbstanspruch einer akkuraten Landwirtschaftspolitik hegt bzw. hegen muss.

Für die Analyse bedeutet das konkret, dass sie nicht auf der manifesten Ebene verbleiben darf, sondern Aspekte von Autoritarismus und Populismus miteinbeziehen muss. Auf politischer Ebene ließe sich dem mit einer glaubhaften, ursächlichen und auch empathischen Agrarpolitik begegnen, denn wo weniger Unbehagen vorzufinden ist, wird auch die Agitation ihres Fundaments beraubt.

Anmerkungen

1)  Die berücksichtigten Dokumente sind: Alle Parteiprogramme der AfD zu den Bundestags- und EU-Parlamentswahlen, alle Parteiprogramme für die Landtagswahlen in Sachsen und Hessen, weitere programmatische agrarpolitische Schriften der AfD (AfD-Sofortprogramm für unsere Landwirtschaft (2024), Agrarpolitisches Leitbild (2020), Dresdner Erklärung (2019)) und alle eingebrachten Bundestagsanträge der AfD-Fraktion zu landwirtschaftlichen Themen bis August 2024. Diese Dokumente sind, sofern nicht anders angegeben, die Referenz der in diesem Artikel getätigten Aussagen über die AfD.

2) Vgl. Forschungsgruppe Wahlen 2024: Wahl in Sachsen, Mannheim: Forschungsgruppe Wahlen e.V.

3) Zu den kritischen Artikeln zählen folgende: Stephanie Munk 2024: "AfD inszeniert sich als Retter der Bauern - doch es gibt Widersprüche zum Wahlprogramm", in: Frankfurter Rundschau, [online] https://www.fr. de/politik/afd-bauernproteste-subventionen-bauern-landwirtschaft-sofortprogram-wahlprogramm-parteien-ampel-politik-zr-92768022.html  [10.01. 2025]. Dietmar Neuer 2024: "›Populistisch und verlogen‹ - die entlarvende Bauern-Strategie der AfD", in: Handelsblatt, [online] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bauernprotese-und-afd-populistisch-und-verlogen-die-entlarvende-bauern-strategie-der-afd/100007470.html  [10.01.2025]. Tilman Steffen 2024: "Die inneren Widersprüche sind nicht zu übersehen", in: Zeit Online, [online] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/landwirte-proteste-afd-subventionen-programm [10.01. 2025].

4) Datengrundlage für diese Aussage sind die untersuchten Dokumente, siehe Endnote 1.

5) Tanja Busse und Christine Grefe 2024: "Die aufgestaute Wut: Landwirte in der Zerreißprobe", in: Blätter für deutsche und internationale Politik, [online] https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/februar/die-aufgestaute-wut-landwirte-in-der-zerreissprobe?check_logged_in=1 [02.01.2025].

6) Vgl. AbL 2024: Neue Gentechnik im Europäischen Parlament, [online] https://www. abl-ev.de/apendix/news/details/neue-gentechnik-im-europaeischen-parlament [02.01.2025].

7) Datengrundlage für diese Aussage sind die untersuchten Dokumente, siehe Endnote 1.

8) Vgl. BMEL 2022: Globale Ernährungssicherung, [online] https://www.bmel.de/DE/themen/internationales/agenda-2030/globale-ernaehrungssicherung.html [10.01. 2025].

9) Zitate der Reihe nach auffindbar in: Wahlprogramm zur sächsischen Landtagswahl (2014), Agrarpolitisches Leitbild (2020), Wahlprogramm zur Bundestagswahl (2021), AfD Sofortprogramm für unsere Landwirtschaft (2024), Wahlprogramm zur hessischen Landtagswahl (2023).

10) Die Fachstelle für Radikalisierungsprävention im Natur- und Umweltschutz beschreibt diese Problematik sehr treffend. Als eigentliche Ursachen für problematische invasive Arten benennen sie den Klimawandel, die Globalisierung und Intensivlandwirtschaft. Vgl. FARN 2019: Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden - Argumente und Mythen, Berlin: Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz.

11) Die Zahlen zu Schächtungen werden in Deutschland nicht zentral erfasst. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt allerdings an, dass seit 2022 kein einziger Antrag auf Schächtung ohne Betäubung gestellt wurde. Vgl. ML Niedersachsen (2024): Islamisches Opferfest, [online] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/tiergesundheit_tierschutz/tierschutz_allgemein/islamisches-opferfest-4217.html [12.12.2024].

12) Barbara Vernerito beschreibt detailliert die antisemitischen Ursprünge der Antischächtungsbewegung. Vgl. Barbara Venerito 2018: Antischächtbewegung und Antisemitismus in Deutschland von 1867 bis 1914, Dissertation, Veterinärmedizin, Berlin: Dissertationen FU.

13) Zitate auffindbar in: AfD Europawahlprogramm (2019).

Timeo Schneider, angehender Doktorand im Themenbereich Mensch-Natur-Verhältnis und AfD an der Uni Kassel.
Prof. Dr. Andreas Christian Braun, Fachgebietsleiter Human-Environment Interactions (Uni Kassel), Gründungsdirektor des Kassel Institute for Sustainability.