Varian Fry und die Rettung von Flüchtlingen 1940/41
Wenn rechte Parteien erst einmal an der Macht sind, setzen sie bald ihr politisches Programm um. Dies zeigte die NS-Diktatur ab dem 30. Januar 1933. Personen, die dieses Regime ablehnten, mussten um ihr Leben fürchten - und einige flüchteten, soweit dies noch möglich war. Flucht, aber wohin? In manchen Fällen halfen engagierte Unterstützer. Karlheinz Lipp erinnert an die Aktivitäten von Varian Fry.
Viele Länder weigerten sich ab 1933, Flüchtende aus dem nationalsozialistischen Deutschland aufzunehmen. Die gescheiterte internationale Flüchtlingskonferenz von Evian im Juli 1938 war ein besonders drastisches und folgenreiches Beispiel: Flüchtlinge waren schlichtweg unerwünscht. Ein völlig falsches Signal - zumal weit größere Herausforderungen noch kommen sollten: Die Pogromnacht, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust. 1
Südfrankreich, insbesondere Sanary-sur-Mer, bedeutete für geflüchtete Intellektuelle, Schriftstellerinnen und Schriftsteller zunächst eine sichere Region. Diese Sicherheit erschütterte und zerstörte der Zweite Weltkrieg. 2
Das Jahr 1940 und das Emergency Rescue Committee 3
Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges 1939 brachte - wie jeder Krieg - eine weitere Zuspitzung der Situation von Flüchtenden mit sich. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris und die Besetzung von Teilen Frankreichs im Juni 1940 verschärfte die Lage von Flüchtlingen weiter. Marschall Philippe Pétain, Regierungschef im noch unbesetzten Frankreich (Hauptstadt: Vichy) erklärte sich zur Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland bereit. Die Kollaboration zwischen dem NS-Deutschland und Vichy-Frankreich fand seinen klaren Ausdruck im Waffenstillstandsabkommen vom 21. Juni 1940. Auch für Flüchtlinge brachte dieser Vertrag erhebliche Probleme mit sich. So heißt es im Artikel 19: "Die französische Regierung ist verpflichtet, alle in Frankreich sowie in den französischen Besitzungen, Kolonien, Protektoratsgebieten und Mandaten befindlichen Deutschen, die von der Deutschen Reichsregierung namhaft gemacht werden, auf Verlangen auszuliefern." 4 Ein Passus, den die Gestapo nur zu gerne und zu oft aufgriff. Hinzu kam, dass Vichy-Frankreich eine antisemitische Gesetzgebung auf den Weg brachte: Erstes Judenstatut am 3. Oktober 1940, Gründung des Generalkommissariats für Judenfragen am 29. März und Zweites Judenstatut am 2. Juni 1941. Am 24. Oktober 1940 trafen sich Pétain und Hitler in Montoire. 5
Als gezielte Reaktion auf die Kollaboration zwischen der NS-Diktatur und Vichy-Frankreich gründeten nur wenige Tage nach dem Waffenstillstandsabkommen in New York amerikanische Intellektuelle (z.B. John Dos Passos, Upton Sinclair), die Präsidentengattin Eleanor Roosevelt sowie bereits Geflüchtete (z.B. Thomas und Erika Mann) am 25. Juni 1940 das Emergency Rescue Committee (ERC) mit dem Ziel, überwiegend prominente antifaschistische Menschen legal oder illegal zur Flucht zu verhelfen - und der Schwerpunkt dieses Engagements lag in Marseille.
Die Metropole am Mittelmeer war noch nicht von der Wehrmacht besetzt und entwickelte sich zu einem Schmelztiegel von Menschen aus verschiedenen Nationen. Die atmosphärische Situation in dieser Stadt und den beängstigenden Alltag der Flüchtenden beschrieb Anna Seghers - selbst ein Flüchtling - kongenial in ihrem Roman Transit. Das ERC suchte zunächst vergeblich nach einer Kontaktperson - und fand schließlich den Harvardabsolventen und Journalisten Varian Fry, der über Französisch- und Deutschkenntnisse verfügte. Er koordinierte die Flüchtlingshilfe vor Ort in Marseille. In seinen Erinnerungen an seine Zeit in Marseille schreibt dieser über seine Motive zur Flüchtlingsarbeit:
"Ich hatte weder mit Fluchthilfe noch mit Untergrundarbeit Erfahrung, aber ich nahm den Antrag an, weil ich, wie die übrigen Komiteemitglieder, von der Notwendigkeit demokratischer Solidarität überzeugt war. In Europa hatte ich eine demokratische Regierung nach der anderen untergehen sehen: zuerst in Italien; dann in Deutschland, Österreich und Spanien, und schließlich in der Tschechoslowakei, in Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich. Demokratisches Bewußtsein mußte ein internationales Bewußtsein werden, sollte die Demokratie überhaupt jemals Bestand haben. […] Unter den Flüchtlingen, die in Frankreich festsaßen, waren viele Künstler und Schriftsteller, deren Werk ich bewunderte: unter anderem die Schriftsteller Franz Werfel und Lion Feuchtwanger, die Maler Marc Chagall und Max Ernst und der Bildhauer Jacques Lipchitz. Einigen fühlte ich mich, obwohl ich sie nur durch ihre Arbeiten kannte, persönlich tief verbunden; und allen schuldete ich großen Dank für die Freude, die sie mir mit ihrer Kunst gemacht hatten. Jetzt, wo sie in Gefahr waren, fühlte ich mich verpflichtet, ihnen wenn irgend möglich zu helfen, so wie sie mir, ohne es zu wissen, in der Vergangenheit oft geholfen hatten. Vor allem aber war es meine Sympathie für die deutschen und österreichischen sozialistischen Parteien, die mich bewog, im Sommer 1940 nach Frankreich zu gehen, eine Sympathie, die aus der langen Beschäftigung mit den Prinzipien und der Arbeit erwachsen war. Besonders beeindruckt hatten mich die großartigen Arbeitersiedlungen, die sie in den Zwanziger Jahren gebaut hatten. Ich war nicht immer mit den Ideen und Methoden einverstanden, aber nachdem ich die Siedlungsprojekte gesehen hatte, wußte ich, daß die Sozialisten das Herz auf dem rechten Fleck trugen. Und schließlich wußte ich aus eigener Anschauung, was eine Kapitulation vor Hitler bedeuten konnte: 1935 hatte ich Deutschland besucht und den Geist der Unfreiheit, den das Hitlerregime hervorgebracht hatte, selbst erlebt. Ich hatte mit Nazigegnern und Juden gesprochen, teilte ihre Befürchtungen, begriff ihr Gefühl der Ohnmacht und sah die Ausweglosigkeit ihrer Situation. In Berlin wurde ich auf dem Kurfürstendamm Zeuge der ersten großen Judenverfolgungen, sah mit eigenen Augen, wie sich junge Nazischläger zusammenrotteten und jüdische Cafés demolierten, beobachtete mit Entsetzen, wie sie jüdische Caféhausbesucher von ihren Stühlen rissen, hysterisch schreiende Frauen die Straße hinuntertrieben, einen alten Mann zu Boden warfen und ihm ins Gesicht traten. Nachdem solche Zustände auch auf Frankreich übergegriffen hatten, konnte ich nicht untätig zusehen, solange es auch nur die kleinste Chance gab, wenigstens einige der Gefährdetsten zu retten." 6
Ohne zu zögern - Die Flüchtlingsarbeit von Varian Fry und seinem Team
Fry kam mit einer Liste von ca. 200 akut bedrohten Menschen nach Marseille und sollte sich in der Zeit vom 4. bis zum 29. August 1940 um sie kümmern - es wurden letztlich 13 Monate und über ca. 2.000 gerettete Flüchtlinge. Seine Anwesenheit erwies sich oft als fester Garant der vielen Rettungsaktionen. Das Hotel Splendide diente als Zentrum der Arbeit, die Arbeitszeit begann um 8 Uhr und dauerte bis Mitternacht an.
"Abends, wenn der letzte Flüchtling gegangen war, hielten wir eine Art Konferenz ab, gingen alle Karten durch, die wir tagsüber geschrieben hatten, und versuchten zu entscheiden, welche Maßnahmen im Einzelfall zu treffen waren. Da wir immer Angst hatten, die Polizei könnte ein Abhörgerät in unserem Zimmer anbringen oder einen Spitzel im Nachbarzimmer unterbringen, der durch die geschlossene Verbindungstür mithörte, besprachen wir Geheimsachen nur im Badezimmer bei aufgedrehten Wasserhähnen." 7
Ende August 1940 gründete Fry zur geschickten Tarnung seiner überwiegend illegalen Arbeit das Centre Américain de Secours mit einem offiziellen Büro. Die Flüchtlingsarbeit bedeutete eine große psychische Belastung für die Helfenden.
"Jeden Morgen um 8 Uhr ging die Plackerei von vorne los, und jeder Tag war ein bißchen schlimmer als der vorherige - immer mehr Leute, die um Hilfe baten, immer schrecklichere Geschichten, die man anhören, und immer unmöglichere Entscheidungen, wem geholfen werden sollte und wem nicht, war die größte Belastung. […] Wir konnten nicht jedem helfen, der in Frankreich Hilfe suchte. Wir konnten noch nicht einmal jedem politischen Flüchtling oder Intellektuellen helfen, der Beistand benötigte oder es zumindest behauptete. Und wir hatten keine Möglichkeit herauszufinden, wer wirklich in Gefahr war und wer nicht. Wir mußten raten, und der sicherste Weg bestand darin, im Zweifelsfall zugunsten des Flüchtlings zu entscheiden. Andernfalls liefen wir Gefahr, jemandem die Hilfe zu verweigern, der wirklich gefährdet war, um dann später zu erfahren, daß man ihn nach Dachau oder Buchenwald geschafft hat, weil wir ihn fallengelassen hatten." 8
Die Flüchtlinge befanden sich in einem Dschungel der Bürokratie, besaßen keine gültigen oder längst abgelaufene Papiere oder waren Staatenlose. Sie brauchten jedoch lebensrettende Dokumente: Ausreisevisa von Vichy-Frankreich sowie spanische und portugiesische Transitvisa, um dann vom Fluchtpunkt Lissabon per Schiff zu entkommen. Spanien und Portugal wurden von Faschisten beherrscht - Franco und Salazar regierten noch Jahrzehnte weiter. Mitunter waren auch neue Pässe notwendig. Hier halfen Fry und sein Team öfters mit gefälschten Ausweispapieren, falschen Stempeln und Transaktionen auf dem Schwarzmarkt - die Passfälscher mussten natürlich bezahlt werden. Über den Alltag schreibt Fry:
"Immer noch traf ich täglich Dutzende von Leuten und erlebte dabei die ganze Bandbreite denkbarer Charaktereigenschaften - von heroisch bis jämmerlich. Immer noch verfolgten mich arme, gehetzte Flüchtlinge von morgens bis abends. Ich bekam immer noch sechs bis zwölf Telefonanrufe in der Stunde und fünfundzwanzig Briefe pro Tag. Aber der Druck ließ trotzdem nach - nicht etwa, weil sich die Lage besserte, sondern weil immer mehr unserer Schützlinge verhaftet und in Lager gebracht wurden, und wir nur wenig oder gar nichts dagegen tun konnten." 9
Auch eine Lebensmittelkrise im Frühjahr 1941 beeinträchtigte die Rettungsaktionen, die trotzdem unvermindert weitergingen.
"Als wir Ende Mai [1941] eine Zwischenbilanz zogen, stellten wir fest, daß sich in weniger als acht Monaten über 15 000 Menschen persönlich oder schriftlich an uns gewandt hatten. Wir mußten jeden einzelnen Fall prüfen und eine Entscheidung treffen. In 1800 dieser Fälle hatten wir entschieden, daß sie zu unserem Aufgabenbereich gehörten. Das bedeutete, daß es sich bei ihnen um politische Flüchtlinge oder Intellektuelle mit berechtigten Aussichten auf eine baldige Emigration handelte. In 560 von diesen 1800 Fällen, hinter denen sich insgesamt etwa 4000 Schicksale verbargen, hatten wir einen wöchentlichen Unterstützungsbetrag gezahlt, und wir hatten mehr als 1000 Flüchtlinge aus Frankreich herausgebracht. Für die übrigen haben wir getan, was wir konnten - von der Befreiung aus dem Internierungslager bis hin zur Hilfe bei der Suche nach einem Zahnarzt." 10
Zu Frys Team gehörten u.a. Daniel Bénédite, Beamish (d.i. Albert O. Hirschmann), Hiram Bingham jr., Miriam Davenport, Mary Jane Gold und Charles Fawcett. Lisa Fittko gilt als eine bedeutende Fluchthelferin und führte mehrere Flüchtlinge (u.a. Walter Benjamin und Heinrich Mann) über eine körperlich anstrengende Hauptroute über die Pyrenäen. 11
Um sich von der belastenden Flüchtlingsarbeit zumindest manchmal zu erholen, suchte Fry eine Rückzugsoase - und fand diese außerhalb des Zentrums von Marseille in der Villa Air Bel.
Varian Fry als unerwünschte Person
Der politische Druck von Vichy-Frankreich, der Gestapo und des amerikanischen Außenministeriums auf Fry wuchs. In der Visa-Abteilung des amerikanischen Konsulats in Marseille kam es zu einem entscheidenden Personalwechsel. Dem neuen Mann schien es besonders wichtig zu sein, möglichst viele Visa-Anträge abzulehnen, um die USA vor Flüchtlingen zu schützen, die er allesamt für radikale, linke Kräfte hielt.
"Ende Juni erhielten die amerikanischen Konsulate in Frankreich die Anweisung, daß Visa nur noch auf ausdrückliche Anweisung des Außenministeriums ausgegeben werden durften. Selbst Durchreisevisa bedurften der Genehmigung durch das Außenministerium. […] Niemand, der einen Angehörigen ersten Grades in Italien, Deutschland oder einem der besetzten Länder, der besetzte Teil Frankreichs eingeschlossen, hatte, erhielt ein Visum. Auch die Polizei wurde uns gegenüber mutiger. […] In der darauffolgenden Woche kamen drei Detektive mit einem Durchsuchungsbefehl ins Büro. Sie suchten nach falschen Pässen, gefälschten Visa, gefälschten Ausweisen sowie den Maschinen und dem Material, um diese herzustellen. Sie taten gründliche Arbeit und suchten mehr als eine Stunde, fanden jedoch nichts - weil es nichts zu finden gab. Vielleicht waren wir naiv - ziemlich sicher sogar - aber nicht so dumm, gefälschte Papiere im Büro herzustellen oder aufzubewahren." 12
Im Juli 1941 wurde Fry vom Polizeichef von Marseille einbestellt und dem Menschenfischer wurde unmissverständlich klargemacht, dass er das Land zu verlassen habe. Die Vichy-Behörden verhafteten Fry am 29. August 1941 und wiesen ihn einige Tage später aus Frankreich aus. Auch das ERC und Eleanor Roosevelt konnten oder wollten Fry nicht mehr helfen.
Rückkehr in die Fremde: Nach der Zeit in Marseille
Am 5. September 1941 fuhr Fry über Spanien nach Lissabon und von dort in die USA. Er verließ die Flüchtlinge und die aufregende Zeit in Marseille - aber diese Zeit verließ ihn nie mehr und hatte deutlich ihre Spuren hinterlassen.
"Als ich in New York ankam, erfuhr ich, daß unser Auswärtiges Amt eine neue, grausam erschwerte Form für die Beantragung der Visa ersonnen hatte, die Flüchtlingen die Einreise in dieses Land so gut wie unmöglich machte. Glücklicherweise verhielten sich Mexiko und Kuba menschlicher; so gelang es unserem Büro in Marseille (das noch immer arbeitete), beinahe dreihundert weitere Flüchtlinge aus Frankreich herauszubringen - und das in dem Zeitraum von meiner Abreise bis zum 2. Juni 1942, als das Büro von der Polizei durchsucht und geschlossen wurde. […] Fast unmittelbar nach der Schließung des Büros am Boulevard Garibaldi begann eine der abscheulichsten Menschenjagden der Geschichte. Zunächst nur in der besetzten Zone Frankreichs, dann aber auch in der unbesetzten. Männer, Frauen und Kinder mit jüdischen Vorfahren wurden von der Polizei zusammengetrieben, in Viehwaggons verfrachtet und in Vernichtungslager nach Polen geschickt." 13
Frank Kingdon, der ERC-Präsident kritisierte Frys Aktionen als eigenmächtige Handlungen und distanzierte sich von ihm. Eileen Hughes Fry ließ sich 1942 von ihrem Ehemann scheiden, sie starb 1948.
Das FBI begann, Fry zu überwachen. Dieser versuchte bei verschiedenen Zeitungen vergeblich als Journalist zu arbeiten. Depressionen und Traumata beeinträchtigten sein Leben und seine Suche nach Gelegenheitsjobs. 1950 heiratete Fry die Journalistin Annette Riley, drei Kinder entsprangen der Ehe. Riley, die 16 Jahre jünger war, bewunderte ihren Mann, der sehr an mangelnder Anerkennung für seine Arbeit in Südfrankreich litt.
Sein Buch von 1945 über die Ereignisse in Marseille erwies sich als verlegerischer Flop. Fry bat 1963 das International Rescue Comittee, eine Flüchtlingsorganisation, durch den Verkauf von Originallithographien namhafter Künstler eine wichtige finanzielle Basis zu schaffen, um die Flüchtlingsarbeit zu unterstützen, daher kehrte Fry für einige Zeit nach Südfrankreich zurück. Die Resonanz war absolut enttäuschend - nur ein einziger Künstler stellte ihm eine Lithographie zur Verfügung. Diese äußerst bittere Frustration zog weitere Depressionen nach sich. In Cannes erlitt Fry 1966 einen Herzinfarkt. Im April 1967 wurde Fry für seine Flüchtlingsarbeit von Frankreich durch die Verleihung des Ritterordens der Ehrenlegion geehrt - die einzige Auszeichnung zu seinen Lebzeiten. Im August wurde die zweite Ehe geschieden. Kurz darauf trat er eine Stelle als Lateinlehrer an einer High School an. Fry starb am 13. September 1967 im Alter von fast sechzig Jahren.
Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte Fry 1994 als ersten US-Amerikaner als "Gerechter unter den Völkern". Der damalige US-Außenminister Warren Christopher lobte Frys Engagement und bedauerte die geringe Anerkennung Frys durch das State Department. In Berlin gibt es seit 1997 eine sehr kurze Straße im Bereich des Potsdamer Platzes, die nach Fry benannt wurde.
Das United States Holocaust Memorial Museum Washington verlieh 1991 Fry posthum die Eisenhower Liberation Medal, zeigte 1993 in einer Ausstellung erstmalig Frys Biographie und gab 1999 eine Neuausgabe von Frys Surrender on Demand heraus. Im Jahre 2000 wurde in Marseille der Platz vor dem amerikanischen Konsulat nach Fry benannt.
Varian Fry ist ein großartiges Beispiel für Zivilcourage und eine erfolgreiche, humanitäre Flüchtlingshilfe - auch in unserer Zeit, da rechte und konservative Kräfte das ohnehin schon arg eingeschränkte Asylrecht de facto abschaffen möchten. Der Artikel 16 des Grundgesetzes ("Politisch Verfolgte genießen Asyl") ist im internationalen Vergleich verfassungsgeschichtlich einmalig - und auch ein Dankeschön für diejenigen Menschen, die verfolgten Deutschen bei ihrer Flucht vor der NS-Diktatur geholfen haben. Menschen wie Varian Fry.
Anmerkungen
1) Vgl. Karlheinz Lipp 2016: "Evian 1938. Vom Scheitern einer Flüchtlingskonferenz", in: Forum Wissenschaft 4/2016: 54-57.
2) Vgl. Manfred Flügge 2019: Das flüchtige Paradies. Deutsche Schriftsteller im Exil an der Côte d‘Azur, Berlin 2019, zu Fry: 182-222; Ulrike Voswinckel und Frank Berninger (Hg.) 2005: Exil am Mittelmeer. Deutsche Schriftsteller in Südfrankreich von 1933 - 1941, München, zu Fry: 153-180.
3) Vgl.: Anne Klein 2007: Flüchtlingspolitik und Flüchtlingshilfe. Varian Fry und die Komitees zur Rettung politisch Verfolgter in New York und Marseille, Berlin: 100-320; Aktives Museum (Hg.) 2007: Ohne zu zögern - Varian Fry: Berlin - Marseille - New York, Berlin: 98-197; Uwe Wittstock 6 2024: Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur, München: 127-334; Hans-Albert Walter 1988: Deutsche Exilliteratur 1933-1950. Band 3: Internierung, Flucht und Lebensbedingungen im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart: 153-202 und 318-372; Dierk Ludwig Schaaf 2018: Fluchtpunkt Lissabon. Wie Helfer in Vichy-Frankreich Tausende vor Hitler retteten, Bonn: 109-180. Auch ein dokumentarischer Roman widmet sich Fry und seiner Flüchtlingsarbeit: Vgl. Eveline Hasler 2013: Mit dem letzten Schiff. Der gefährliche Auftrag von Varian Fry, München.
4) Zitiert nach Rüdiger Strempel 2023: Varian Fry, der Amerikaner, der Europas Künstler rettete. The American Who Rescued Europe‘s Artists, Rheinbach: 18f.
5) Vgl.: Michael Mayer 2010: "›Die französische Regierung packt die Judenfrage ohne Umschweife an.‹ Vichy-Frankreich, deutsche Besatzungspolitik und der Beginn der ›Judenpolitik‹ im Sommer/Herbst 1940", in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 58 (2010): 329-364; Marc-Olivier Baruch 1999: Das Vichy-Regime. Frankreich 1940-1944, Stuttgart: 83-109.
6) Varian Fry 2 2022: Auslieferung auf Verlangen. Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41, Frankfurt am Main: 10f. Die Rechtschreibung folgt stets dem Original. (Amerikanische Originalausgabe: Surrender on Demand. New York 1945.)
7) Ebd.: 42.
8) Ebd.: 44.
9) Ebd.: 129.
10) Ebd.: 222f.
11) Vgl. Lisa Fittko 2 2018: Mein Weg über die Pyrenäen, München: 109-155. Zu Fittko vgl. Eva Weissweiler 2024: Lisa Fittko. Biographie einer Fluchthelferin, Hamburg: 223-267.
12) Varian Fry 2 2022 (s. Anm. 6): 253.
13) Ebd.: 276f.
Dr. Karlheinz Lipp ist Historiker.