Der Antifaschist Heinrich Mann

1930-1933

Schon im Kaiserreich demaskierte der Schriftsteller Heinrich Mann1 den deutschen Spießbürger in seinem "Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen" (1905) - im Jahre 1930 unter dem Titel "Der blaue Engel" erfolgreich verfilmt. Manns grandioser Roman "Der Untertan" über das Kaiserreich konnte nur noch teilweise bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges als Vorabdruck erscheinen, vollständig als Buch erst nach Kriegsende. In der Weimarer Republik verteidigte Mann die junge Demokratie. Dies gilt besonders für die Endphase der Zerstörung dieser Demokratie durch rechte Kräfte von 1930 bis 1933,2 wie Karlheinz Lipp erinnert.

Der große Erfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 alarmierte demokratische Kräfte. Am 11. Oktober besuchte Heinrich Mann den Vortrag Deutsche Ansprache seines Bruders Thomas im Berliner Beethovensaal. Nationalsozialistische Kreise störten diese Veranstaltung.[/i]

Der Rechtsruck

Wilhelm Herzog, ein Pazifist und Freund Heinrich Manns erinnert sich.

"Angesichts der immer gefährlicheren Bedrohung der Republik durch die Nationalsozialisten wollten wir versuchen […] vor der ungeheuren Gefahr zu warnen und zur Gegenaktion aufzurufen. Heinrich Mann las mir den Entwurf für das Manifest vor, das wir planten (20. Oktober 1930). Nach einigen Änderungen, die ich vorschlug, begann es mit diesen Sätzen: ›Wir warnen und fordern! An die Reichsregierung und alle Republikaner, gegen die Feinde und Zerstörer der Republik. Wer diesen Warnungen und Forderungen zustimmt, wer helfen will, die Republik gegen alle Anschläge, von welcher Seite sie auch kommen mögen, zu verteidigen, wen die Kulturschande unseres Jahrhunderts - wie Zola den Antisemitismus getauft hat - anwidert, wer sich den ersten Unterzeichnern des Manifestes anschließen und mit ihnen kämpfen will gegen alle Diktatoren und Abenteurer, die sich als ›Retter‹ der Republik vermummt haben, - der trete in unsere Reihen. An keine Partei gebunden, abseits aller Cliquen stellt sich der Bund der radikalen Republikaner keine andere Aufgabe als den Schutz der Republik. Wir wissen, wie unvollkommen ihre Einrichtungen sind, wir wissen, wieviel noch zu tun bleibt, wir wissen, daß nur die schonungslose Bekämpfung der Korruption der Anfang einer Säuberung des öffentlichen Lebens sein kann. Dennoch ist selbst diese Republik mit all ihren Krankheiten ein unvergleichlich besserer und fruchtbarer Boden für die geistige, moralische und soziale Entfaltung ihrer Mitglieder als eine Diktatur oder Monarchie.‹ Das Notizbuch vom 22. Dezember 1930 vermerkt: ›Heinrich Mann bei mir. Hoffnungslos die Lage in Deutschland, angesichts dieser Republikaner.‹"3

Am 27. März 1931 konnte Mann seinen 60. Geburtstag feiern, in der Akademie und in seiner Wohnung. Im gleichen Jahr brachten Herzog und Mann ihre politischen Befürchtungen im preußischen Innenministerium höchstpersönlich vor.

"Bei den Reichstagswahlen gewannen die Nationalsozialisten 107 Mandate. Sie betrieben eine fanatische Agitation, hielten in jeder Stadt und in jedem Dorf fast jeden Tag Versammlungen ab. Die preußischen Minister - mit den Sozialdemokraten Otto Braun und Carl Severing als mächtigste Säulen an der Spitze - wollten abwarten, blieben passiv, fürchteten die Reichsregierung mit ihren perpetuierlichen Notverordnungen, sahen wohl das Steigen der braunen Flut, hielten jedoch die frühen Warnungen vor der imminenten Gefahr für übertrieben. […] Herr [Dr. Wilhelm] Abegg war im Innenministerium unmittelbar unter Severing der höchste juristische Beamte, ein Mann guten Willens. Er empfing Heinrich Mann und mich mit freundlichem Entgegenkommen. Wir fragten ihn zunächst, ob die preußische Regierung irgend etwas vorbereite, um der wüsten Agitation der Hakenkreuzler tatkräftig entgegenzuwirken. Der ›Führer‹ hatte gerade eine Rede gehalten, worin er schlicht und aufrichtig erklärte, sobald er an die Macht komme, ›werden Köpfe rollen.‹ Der kleine Staatssekretär antwortete uns, man berate im Schoße der preußischen Regierung schon längere Zeit über vielerlei, sei aber noch zu keinem Entschluß gekommen. Man müsse vorsichtig sein, sich nicht provozieren lassen, ganz behutsam bleiben und abwarten. Heinrich Mann sagte ihm: ›Nein, Herr Staatssekretär, wir glauben, daß man nicht abwarten, sondern zuschlagen müsse. Bevor es zu spät ist. Schon jetzt ist es fünf Minuten vor zwölf. Herr Herzog hat in einem Exposé einen Plan ausgearbeitet, den er Ihnen vorlegen wird.‹ ›Das interessiert mich natürlich alles sehr‹, sagte Herr Abegg. ›Wollen Sie das Exposé‹, wandte er sich zu mir, ›meiner Sekretärin diktieren?‹ Etwas abseits von ihm saß ein etwas verblühtes deutsches Gretchen mit blondem Haarkranz. Ich war schon erstaunt, daß er sie während unseres Gespräches im Zimmer gelassen hatte. Jetzt machte ich eine skeptische Bewegung, die er sogleich verstand. Auf mein Augenzwinkern versicherte er leise: ›Treu wie Gold!‹ Dieses Gold sollte sich - wie das meiste Gold - sehr bald als sehr untreu erweisen. Das blonde Gretchen war ein Spitzel, eine Nazi-Zelle mitten im Innenministerium des Sozialdemokraten Severing. Sie war, wie wir später erfuhren, die Freundin des Regierungsrates [Rudolf] Diels, der ebenfalls Beamter dieses Ministeriums war und unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zum Ersten Leiter der Gestapo avancierte. Das war unser Erlebnis - unser erstes und einziges - mit der preußischen Regierung."4

Dieses antifaschistische Engagement war sehr wichtig, denn am 11. Oktober 1931 formierte sich die politische Rechte (NSDAP, DNVP, Stahlhelm, Stahlindustrie) in der "Harzburger Front". Ebenfalls aus diesem Jahr stammt eine Umfrage unter dem Titel Wie kämpfen wir gegen ein Drittes Reich? Heinrich Mann beteiligte sich mit einem Beitrag und führte u.a. aus:

"Wer gewissenlos ist und noch damit prahlt, kann Eindruck machen auf ganz junge Leute, die im Krieg geboren und von Haus aus zügellos sind. Andere werden eher abgestoßen werden von Individuen, die zuerst ihr Ehrenwort geben - wenn aber das Ding gedreht ist, brechen sie einfach ihr Wort und erklären das für politische Taktik. Damit werden sie nicht weit kommen. Sie sind zu dumm für die Verbrechen, die sie begehen möchten. […] In den Reden, die sie jetzt halten, geben sich die Nationalsozialisten schon zufrieden, wenn sie auf gesetzliche Art zur Macht kommen. Für die Partei der Gewalt ist das ein böses Zeichen. Es kann sein, daß ihre Stunde schon <$[Spazio +15>vorbe<$]Spazio +15>i  ist. […] Unterschätzen wir aber auch nicht die Umstände, die trotz allem diese Partei zur Herrschaft bringen könnten. Erstens ist es die allgemeine Unentschlossenheit und die gedankenlose Abneigung der bürgerlichen Rechtsparteien gegen einen sogenannten ›Marxismus‹, der doch in Deutschland gerade die bestehende Ordnung stützt. Man könnte sich abrutschen lassen in die Anarchie, die sich Nationalsozialismus nennt, das wäre dann die Schreckensherrschaft. Es wäre Zerstörung und Auflösung bis an die französische Grenze. Lange könnte Frankreich das nicht ruhig mit ansehen. Vielleicht wäre es besser, den deutschen Widerstand zu stärken."5

Im Januar 1931 erfolgte die Wahl Heinrich Manns zum Präsidenten der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste und Ricarda Huchs zur stellvertretenden Vorsitzenden.

Am 2. Februar organisierte die Deutsche Liga für Menschenrechte eine Kundgebung gegen das Verbot des antimilitaristischen Films Im Westen Nichts Neues mit Mann als Redner.

Die deutsch-französische Versöhnung beschäftigte den Autor schon seit dem Kaiserreich. So traf er sich am 3. Juni 1931 in Paris mit Aristide Briand, dem ehemaligen französischen Außenminister, Initiator des Locarno-Paktes und Friedensnobelpreisträger (mit Gustav Stresemann) von 1926.6 Am 4. Oktober 1931 sprach Mann auf einer Kundgebung über die deutsch-französische Verständigung im Berliner Admiralspalast. Am 13. November hielt Mann den Vortrag Nach der Wahrheit leben in der Synagoge Prinzregentenstraße.

Das Jahr 1932

Am 10. April 1932 kam es zur Neuwahl des Reichspräsidenten. Es kandidierten: Thälmann (KPD), Hitler (NSDAP) und der Amtsinhaber Hindenburg (unterstützt von der SPD und einigen antifaschistischen Kräften). Heinrich Mann wählte den senilen Militaristen Hindenburg als das kleinere Übel. Hindenburg erhielt 53% der Stimmen, Hitler 36,8% und Thälmann 10,2%.7

Zu seiner kritisierten Unterstützung Hindenburgs bemerkte Mann:

"Solange die Republik weiterbesteht, ist noch Hoffnung, daß das Leben für alle einmal besser wird. Um zu dauern, wird die Republik gar nicht anders können, als ihre schweren Fehler abzulegen, entschlossener und reiner zu werden. Alle Hoffnungen aber sind zu Ende, wenn die Alleinherrschaft ergriffen worden ist vom Nationalismus in seiner schlimmsten Ausartung, der hochkapitalistisch-volksfeindlichen. Ein nationalsozialistischer Reichspräsident würde bedeuten und besiegeln: nie wieder Ruhe, nie wieder eine anständige Atmosphäre, nie wieder eine gesicherte Existenz, nie wieder Menschenglück - aber immer und ewig Haß, Erniedrigung, Katastrophe. Wenn Hindenburg dagegen der Damm sein kann, dann befestigen wir mit unseren Stimmen den Damm."8

Den Amsterdamer Kongress gegen den imperialistischen Krieg im August 1932 unterstützte Mann sehr. Seine Erklärung wurde auf der Tagung verlesen und erschien am 11. September gedruckt unter dem Titel Der Schriftsteller und der Krieg. Mann führte u.a. aus.

"Der Krieg bedroht abermals die Welt - und dies nach allem, was wir versucht haben, um ihn zu verhindern! Diesmal ist den Schriftstellern, denen, die mit Recht dafür angesehen werden, kein Vorwurf zu machen; sie haben seit der vorigen Katastrophe wirklich das Ihre getan. Es gibt kein erfolgreiches und erst recht kein wertvolles Kriegsbuch in Europa, das den Krieg beschönigt. […] Schriftsteller und Kriegsteilnehmer, oft ein und dieselbe Person, was früher selten vorkam, sie haben im Namen aller, aus der Erinnerung aller und ganz und gar aus der Masse heraus gesprochen. So war das sonst nicht. Die Masse indes verändert sich schnell, weil sie sich verjüngt. Das neue Geschlecht kommt und bringt mit sich: erstens Unwissenheit; dann Widerspenstigkeit; dann Mut und Lust auf Abenteuer; und dann die gewohnten schlechten Instinkte, auf die von den Anstiftern des Krieges auch 1914 mit Erfolg gerechnet werden konnte. […] Für den Frieden arbeiten, heißt alle Kriegsursachen erkennen und sie bekämpfen, die alten wie die neuen, die Zölle, die Krise, die Not, die irrsinnige Herrschsucht der politischen Betrüger, die nicht weniger krankhafte Nachgiebigkeit der Betrogenen und Geopferten. Wer für den Frieden arbeitet, hält sich heute nicht mehr bei Ermahnungen auf, sondern fängt selbst an, ihn zu organisieren. Wir werden helfen, die Zollunion durchzusetzen in Europa, zuerst die deutsch-französische. Wir werden mit unseren Kräften einstehen für einen internationalen Wirtschaftsplan, denn einen anderen kann es nicht geben. Kein Land ist für sich allein lebensfähig, Europa wird fortdauern nur als Einheit, oder es hört auf, zu zählen in der Welt. Die europäische Einheit ist geistig schon da; alle Europäer empfinden dieselbe Lebensgefahr für ihren Kontinent; sie fühlen sich zueinander gedrängt; sie bereuen ihre Zerwürfnisse und sind nicht weit entfernt, sie als Verrat an Europa anzusehen. […] Das ist dann das Ende des Krieges, wenn auch vorläufig nur für Europa; - aber Europa, wohlverstanden, gibt es nur einschließlich Rußlands! Der Ausschluß Rußlands, an den Nationalisten denken, wäre dagegen so gut wie die sofort eintretende Kriegserklärung! […] Friedensliebe verpflichtet zur Härte gegen uns selbst, und die Erreichung des wahren Friedens wird nicht nur der einzig gerechte, es wird auch der schwerste und ein niemals endgültig entschiedener Krieg sein. Denn es ist ein Krieg des Geistes gegen die Gewalt."9

Im Dezember 1932 erschien Manns letzter Essay, den er in Deutschland verfasste, Titel: Das Bekenntnis zum Übernationalen. Hier betont der Schriftsteller die große Bedeutung der Völkerverständigung. "Ich habe den alten Macht- und Nationalstaat verlassen, weil sein sittlicher Inhalt ihm ausgetrieben ist. Er erhält sich nur noch in Haß und Verwilderung, und der unsittliche Zwang, den er anwenden muß, ist die Ursache aller Verbrechen, von denen es in ihm wimmelt, auch der scheinbar privaten. Der nationalistischen Lüge werden die Menschen geopfert. Der nationalistischen Lüge wird das Menschentum geopfert. Ich bin es gründlich satt, die freche Lüge zu hören, daß nicht der Kampf um das Menschentum der höhere Beruf ist, sondern der Kampf dagegen."10

Die Anfänge der NS-Diktatur

Am 30. Januar 1933 ernannte der antidemokratische Reichspräsident Hindenburg den "Führer" der NSDAP zum neuen Reichskanzler. Die Zerstörung der Weimarer Republik durch rechte Kräfte vollzog sich nun sehr schnell. Am 15. Februar verloren Käthe Kollwitz und Heinrich Mann ihren Sitz in der Preußischen Akademie der Künste.

Praktisch als eine letzte Warnung vor den Reichstagswahlen am 5. März erschien im Februar ein Dringender Appell! gegen die NSDAP, den auch Heinrich Mann mitunterzeichnete:

"Die Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit in Deutschland steht unmittelbar bevor, wenn es nicht in letzter Minute gelingt, unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind. Die nächste Gelegenheit dazu ist der 5. März. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen und endlich einen Schritt zu tun zum Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront, die nicht nur für die parlamentarische, sondern auch für die weitere Abwehr notwendig sein wird. Wir richten an jeden, der diese Überzeugung mit uns teilt, den dringenden Appell zu helfen, daß ein Zusammengehen der SPD und KPD für diesen Wahlkampf zustande kommt, am besten in der Form gemeinsamer Kandidatenlisten, mindestens jedoch in der Form von Listenverbindung. Insbesondere in den großen Arbeiterorganisationen, nicht nur in den Parteien, kommt es darauf an, hierzu allen erdenklichen Einfluß aufzubieten. Sorgen wir dafür, daß nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen! Gez. Willi Eichler, Karl Emonts, Hellmuth Fakenfeld, Kurt Großmann, E. J. Gumbel, Theodor Hartwig, Maria Hodann, Käthe Kollwitz, Karl Kollwitz, Robert Kuczynski, Otto Lehmann-Rußbüldt, Heinrich Mann, Paul Oestreich, August Siemsen, Minna Specht, Erich Zeigner. Setzt die Verantwortlichen unter Druck."11

Zu einer wahltaktischen Einigung der beiden Parteien, wie in diesem Appell gefordert, kam es nicht. Zu feindlich und zu erbittert standen sich SPD und KPD gegenüber.

Am 19. Februar fand in der Berliner Krolloper ein Anti-NS-Kongress mit dem bezeichnenden Titel Das freie Wort statt. Teilnehmende kamen aus den Reihen der KPD, SPD und dem liberalen Spektrum. Initiiert hatten diese Veranstaltung u.a. Albert Einstein, Käthe Kollwitz sowie Heinrich und Thomas Mann. Noch vor dem eigentlichen Ende des Kongresses räumte die Polizei den Saal - die NS-Diktatur hatte im politischen Alltag begonnen.12

Manns Flucht und die Folgen

Heinrich Mann erlebte den Brand des Reichstages am 27. Februar und das Wahlergebnis vom 5. März nicht mehr in Deutschland. Seine Wohnung wurde bereits seit einiger Zeit observiert. Am 21. Februar spazierte Mann zunächst zur Straßenbahn - nur mit einem Regenschirm. Von Berlin aus fuhr er mit dem Zug nach Frankfurt am Main, übernachtete einmal, fuhr am nächsten Tag über Karlsruhe nach Kehl und ging dort über die Rheinbrücke nach Straßburg - Mann befand sich nun in seinem geliebten Frankreich und war gerettet. Seine Flucht führte erst nach Toulon und dann nach Nizza. Er sprach und schrieb perfekt Französisch. Deutschland sollte er niemals wiedersehen. Manns Kalendernotiz vom 21. Februar lautete schlicht: "abgereist."

Die braunen Machthaber hatten Mann auch nach seiner Flucht nicht vergessen, so wurde er auch in Frankreich von der Gestapo observiert. Am 10. Mai 1933 gegen 23:30 Uhr begann auf dem Berliner Opernplatz (heute: Bebelplatz) die Bücherverbrennung. Betroffen von diesem Spektakel, das im Rundfunk live übertragen und von mehreren Kameras für die NS-Wochenschau festgehalten wurde, waren auch die Werke von Heinrich Mann und seinem Neffen Klaus. Bereits der zweite "Feuerspruch", den ein NS-Student ins Mikrophon schrie, lautete: "Gegen Dekadenz und moralischen Verfall, für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner."13

Mann gehörte zu den 33 Personen, die auf der ersten Ausbürgerungsliste des NS-Staates vom 25. August 1933 standen. Über ein Drittel dieser Ausgebürgerten zählten zur Friedensbewegung der Weimarer Republik.14

Manns erste Publikation im Exil, eine Essay-Sammlung, erschien im Herbst 1933 unter dem Titel [i]La Haine. Histoire contemporaine d‘Allemagne[/i] im renommierten Pariser Verlag Gallimard. Nur wenige Wochen später erschien die deutsche Ausgabe unter dem Titel Der Haß. Deutsche Zeitgeschichte  im Querido Verlag Amsterdam mit der Widmung "Meinem Vaterland". Der Verlag erwarb sich sehr große Verdienste um das Verlegen von Büchern geflüchteter deutscher Autoren und Autorinnen. Emanuel Querido war als Jude und Sozialist ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus.

In dieser Essay-Sammlung kritisiert Mann wichtige Vertreter der NS-Elite, so den "verkrachten Literaten" Goebbels, der bei einem jüdischen Professor promoviert wurde, die "Bestie" Göring und den "großen Mann" (Hitler)  - stets angetrieben wurde die braune Führungsclique von einem tief sitzenden Hass auf Intellektuelle, Judentum und Linke.

"Deutschland konnte allerdings das Haßland werden, weil es in Verwirrung geraten war durch die Niederlage [1918], durch das blödsinnige Verbrechen der Inflation, durch Krise und Arbeitslosigkeit. Der Nationalstolz kommt auch hinzu, aber erst in letzter Linie. Dieser Stolz ist eng verknüpft mit dem Haß der Deutschen rechts gegen die Deutschen links, und ohne diesen Haß wäre zu bezweifeln, daß er so wie jetzt jedes Maß überschritten hätte. Auch die Republik gab sich mitunter nationalistisch, aber sie hatte doch begriffen, daß sie erstreben mußte, was alle ersehnten: Frieden und Verständigung in der Wirtschaft und im Geistigen. Die Völker waren grade genug geprüft. […] Die Republikaner bewahrten sich den Glauben an die Gesetzlichkeit. Sie waren darin eingefahren, dachten übrigens streng bürgerlich. Daher erfaßten sie auch niemals ganz, was Haß heißt. Wohl sahen sie ihn um sich her ansteigen. Er wurde ihnen genug ins Gesicht gebrüllt, und schon floß Blut genug, das ihn bezeugte. Sie sagten nur immer: Das wird ihnen vergehn. Diese Nationalsozialisten werden einander aufreiben. Eines Tages können dann die Gemäßigtsten von ihnen mitregieren und endlich Verantwortung lernen. Was wollen sie überhaupt? Wir tun doch schon, soviel irgend geht. - Denn die Republikaner hielten den Antisemitismus für eine abgeleierte Walze, die nicht mehr zog, und in dem Antimarxismus erblickten sie in der Hauptsache etwas, das die Industrie viel Geld kostete. Nachweisbar hat fast niemand unter ihnen die Ereignisse vorausgesehen, nicht die Aufhebung der Gesetzlichkeit zuungunsten von Sozialisten, Israeliten, Intellektuellen der Linken, und auch nicht die Konzentrationslager, der Boykott der jüdischen Geschäfte und die anderen Taten der Willkür und Gewalt, die unmittelbar gefolgt sind auf die Machtergreifung durch die Feinde der Republik. […] Betrachtet diese Sieger, diese paar Diktatoren, die für sich allein selbstherrlich verfügen über eine ganze Nation! Zu den öffentlichen Ämtern lassen sie niemand zu außer ihren Kreaturen, und auch das Alleinrecht auf Propaganda haben sie sich angeeignet, Presse, Rundfunk, Film. Sie haben sich mit Vollmachten ausgestattet, wie kein Bismarck sie besaß. Für sie gilt nichts mehr, weder Verfassung noch Gesetze. Die Massen marschieren braun gekleidet und mit erhobener Hand an ihnen vorbei. Sie führen sich selbst das Scheinbild einer großen Militärmacht vor und halten das Volk zum Narren. Es läßt sich ja so gern die altbekannte Knechtschaft aufreden für einen neuen Ruhm."15

Der Autor schließt seine Essay-Sammlung ab mit sechs Szenen aus dem Leben in der NS-Zeit. Szenen, die Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches teilweise vorwegnehmen.

In Frankreich lebte Mann in Nizza sicher bis zum Jahre 1940. Hier verfasste er u.a. die beiden Romane über den französischen König Henri Quatre sowie antifaschistische Schriften.16 Ferner beteiligte sich der Autor tatkräftig an dem Aufbau einer Volksfront gegen die NS-Diktatur, jedoch vergeblich.17

Hitlers Wehrmacht marschierte im Juni 1940 in Paris ein und eroberte sukzessive Frankreich. Manns Leben war nun akut gefährdet. Dank amerikanischer Hilfe floh der Schriftsteller von Südfrankreich über Spanien und Portugal in die USA und lebte seit Ende 1940 in Los Angeles, ganz in der Nähe von anderen Geflüchteten  - stets vom FBI überwacht. Hier konnte er seine Erinnerungen Ein Zeitalter wird besichtigt fertigstellen. Am 12. März 1950 starb Heinrich Mann im Alter von 79 Jahren. Aus der offiziellen BRD kam kein Kondolenzschreiben. Die DDR trauerte in Form einer außerordentlichen Sitzung des Ministerrates. Manns Urne wurde zunächst im engen Kreis und schließlich in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof am 25. März 1961 beigesetzt - zwei Tage vor seinem 90. Geburtstag.

Anmerkungen

1) Zu einem chronologischen Überblick zu Heinrich Manns Leben vgl. Ariane Martin 2022: "Zeittafel", in: Andrea Bartl / Ariane Martin / Paul Whitehead (Hg.): Heinrich Mann-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Berlin: 561-584.

2) Zu dieser Phase in Manns Biographie vgl.: Stefan Ringel 2002: Heinrich Mann. Ein Leben wird besichtigt. Eine Biographie, Berlin: 398-425; Manfred Flügge 2006: Heinrich Mann. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg: 246-259; Günter Rüther 2020: Heinrich Mann. Ein politischer Träumer. Biographie, Wiesbaden: 187-198; Waltraud Berle 1983: Heinrich Mann und die Weimarer Republik. Zur Entwicklung eines politischen Schriftstellers in Deutschland, Bonn.

3) Wilhelm Herzog 1957: Menschen, denen ich begegnete, Bern und München: 248f. Zu Herzog vgl. Carla Müller-Feyen 1996: Engagierter Journalismus: Wilhelm Herzog und Das Forum (1914-1929). Zeitgeschehen und Zeitgenossen im Spiegel einer nonkonformistischen Zeitschrift, Frankfurt am Main.

4) Wilhelm Herzog 1957 (s. Anm. 3): 257f.

5) Wie kämpfen wir gegen das Dritte Reich? Einheitsfront gegen das Hakenkreuz. 78 Beiträge von Arbeitern, Angestellten, Schriftstellern, Künstlern und Politikern, Berlin 1931: 5f.

6) Vgl.: Volker Riedel 2014: "Heinrich Mann und Frankreich von 1930 bis Februar 1933", in: Heinrich Mann - Jahrbuch 32: 159-168; Manfred Flügge 2013: Traumland und Zuflucht. Heinrich Mann und Frankreich, Berlin; Jürgen Haupt 1983: "Heinrich Mann, Henri Barbusse und andere. Eine deutsch-französische Freundschaft zwischen den Weltkriegen", in: Heinrich Mann - Jahrbuch 1: 51-66. Zu den deutsch-französischen Friedensnobelpreisen vgl. Karlheinz Lipp 2011: "Die Friedensnobelpreise 1926 und 1927", in: Wissenschaft und Frieden, 4/2011: 41-43.

7) Vgl. Ursula Büttner 2008: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Bonn: 298.

8) Zitiert nach: Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Hg. von Sigrid Anger. Berlin und Weimar ²1977: 247.

9) Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 5. 1930 bis Februar 1933. Hg. von Volker Riedel. Bielefeld 2009: 337f. Zur Amsterdamer Tagung vgl. Rosemarie Schumann 1985: Amsterdam 1932. Der Weltkongreß gegen den imperialistischen Krieg, Berlin.

10) Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 5 (s. Anm. 9): 383. Vgl. Helmut Scheuer 2010: "Heinrich Manns Das Bekenntnis zum Übernationalen (1932) - Idealismus und Realismus in Heinrich Manns politischer Essayistik", in: Heinrich Mann - Jahrbuch 28: 59-61.

11) Zitiert nach: Die richtige Seite. Bürgerliche Stimmen zur Arbeiterbewegung[/i]. Hg. von Wolfgang Tenzler und Manfred Borgisch. Berlin 1969: 154; zum Aufruf vom Sommer 1932 vgl. Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 5 (s. Anm. 9): 456f.

12) Vgl. Rolf Zerback 2023: Triumph der Gewalt. Drei deutsche Jahre 1932 bis 1934, Bonn: 146.

13) Zitiert nach: Werner Treß (Hg.) 2009: Verbrannte Bücher 1933, Bonn: 46.

14) Vgl. Klaus Pfeifer/Joachim Rott 2016: Die erste Ausbürgerungsliste vom 25. August 1933, Berlin.

15) Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 6, Februar 1933 bis 1935. Teil 1. Texte, hg. von Wolfgang Klein mit Vorarbeiten von Werner Herden. Bielefeld 2009: 44-46. Zur Thematik vgl. Karl Pawek 1972: Heinrich Manns Kampf gegen den Faschismus im französischen Exil 1933-1940, Hamburg.

16) Vgl.: Wolf Jöckel 1977: Heinrich Manns Henri Quatre als Gegenstück zum nationalsozialistischen Deutschland, Worms; Heinrich Mann: Verteidigung der Kultur. Antifaschistische Streitschriften und Essays, hg. von Werner Herden, Berlin und Weimar ²1973.

17) Vgl. Ursula Langkau-Alex 2004-2005: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. 3 Bände, Berlin.

Dr. Karlheinz Lipp ist Historiker.