Antisemitismus von rechts bis pseudolinks

Donald Trump brüstet sich gern mit seiner angeheirateten jüdischen Verwandtschaft; sein Schwiegersohn Jared Kushner ist Jude. Der als Freund der Juden posierende Trump verlangt aber dafür Gefolgschaft: Am 15. Oktober erklärte er, die amerikanischen Juden sollten „sich zusammenreißen“ und ihm mehr Unterstützung zuteilwerden lassen, als die verschiedenen Umfragen vor den „Zwischenwahlen“ ausgewiesen haben. „Unsere wunderbaren Evangelikalen“ wüssten diese Freundschaft und seine Unterstützung für Israel viel mehr zu schätzen „als die Menschen jüdischen Glaubens, vor allem diejenigen, die in den USA leben.“

Trumps Israel-Freundschaft bedeutete vor allem die Unterstützung für die rechte Nethanyahu-Regierung mitsamt ihrem wahnhaften Siedlungsprogramm, das eine Zweistaaten-Lösung in Israel und Palästina – die einzig realistische Zukunftsoption – immer unwahrscheinlicher werden lässt. Seine Kritiker in den USA und Israel warnen mit Recht vor einem immer noch äußerst mächtigen Politiker, der in einer Zeit, da der Antisemitismus weltweit zunimmt, drohende Worte gegenüber amerikanischen Juden findet. Kaum weniger verhüllt attackierte Doug Mastriano, der republikanische Kandidat für das Gouverneursamt von Pennsylvania, seinen demokratischen Gegner, Generalstaatsanwalt Josh Shapiro, als abgehobenen Vertreter einer Politikerkaste, der eine „privilegierte, exklusive Eliteschule“ besucht habe und „Leute wie uns verachtet“. Gemeint war die Akiba Hebrew Academy in Bryn Mawr, Pennsylvania, die jetzt den Namen von Jack M. Barrack trägt. Sie ist eine private, religiös pluralistische Sekundarschule. 1946 gegründet, war sie die erste ihrer Art in den USA. All dies passt in eine von Rechtsradikalen seit Längerem initiierte Kampagne gegen den Holocaust-Überlebenden und Philanthropen George Soros, dem angeblichen Drahtzieher des herbeiphantasierten „Großen Austausches“, der weißen Amerikanern ihr Land streitig machen und sie sukzessive durch eine nicht-weiße Bevölkerung ersetzen wolle. Übrigens dauerte es 24 Stunden, bis die Regierung Biden Trumps demagogische Äußerung offiziell verurteilte.

Hierzu passt leider auch der Jahresbericht 2021 des Center for the Study of Contemporary European Jewry der Universität Tel Aviv, der auf der Analyse von Dutzenden von Studien aus der ganzen Welt sowie auf Informationen von Strafverfolgungsbehörden, Medien und jüdischen Organisationen beruht. Der Bericht stellt fest, dass es im vergangenen Jahr in den meisten Ländern mit einer großen jüdischen Bevölkerung zu einem deutlichen Anstieg verschiedener Art von antisemitischen Vorfällen kam.

In den USA, dem Land mit der größten jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels, hat sich die Zahl der erfassten antijüdischen Hassverbrechen in New York und Los Angeles im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. In Frankreich stieg die Zahl der erfassten antisemitischen Vorfälle im Vergleich zu 2020 um fast 75 Prozent. In Kanada meldete eine führende jüdische Gruppe einen 40-Jahres-Rekord an antisemitischer physischer Gewalt in einem einzigen Monat, im August. Im Vereinigten Königreich stieg die Zahl der registrierten körperlichen Angriffe gegen Juden im Vergleich zu 2020 um 78 Prozent. In Deutschland stieg die Zahl der polizeilich erfassten antisemitischen Vorfälle im Vergleich zu 2020 um 29 Prozent und im Vergleich zu 2019 um 49 Prozent. Diese erschreckenden Zahlen sind zum Teil Reaktionen auf die Kämpfe zwischen Israel und Palästinensern im Gazastreifen im Mai 2021. Damals lieferten sich Israel und militante Gruppen 11-tägige Kämpfe, bei denen nach UN-Angaben 261 Menschen im Gazastreifen und 14 Menschen in Israel getötet wurden.

Doch weist der Bericht auch darauf hin, dass die Verbreitung von Verschwörungsphantasien über die Covid-19-Pandemie antijüdischen Hassverbrechen Vorschub leistet. „Gleich zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 begannen Verschwörungstheorien in der ganzen Welt zu sprießen, die die Juden und Israel für die Verbreitung des Virus verantwortlich machten“, heißt es. Solche gezielten Falschmeldungen „trugen erheblich zur Verbreitung des giftigen antisemitischen Diskurses in den sozialen Netzwerken bei“. Am besorgniserregendsten sei das Dark Web, „das Extremisten Unterschlupf gewährt und in dem antisemitische Inhalte frei und offen verbreitet werden“, warnt der Bericht, der sich auf den Teil des Internets bezieht, der nur über spezielle Browsing-Software zugänglich ist. Im Jahr 2021, als die Corona-Regeln schrittweise gelockert wurden, „kehrten die Antisemiten auf die Straße zurück“.

Sie wurden mit der Wiederaufnahme des regulären Studienbetriebs unter pseudolinkem Vorzeichen auch an amerikanischen Universitäten wieder aktiv. Nur einer aus einer wachsenden Zahl an Vorfällen der jüngsten Zeit sei herausgegriffen: An der Juristischen Fakultät der University of California at Berkeley, einer der renommiertesten Hochschulen der USA, verabschiedeten neun studentische Organisationen eine Satzung, die künftighin „Zionisten“ das Rederecht in öffentlichen Räumen versagen solle. Mit „Zionisten“ waren, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, alle Juden gemeint, die das staatliche Existenzrecht Israels unterstützten. Die Studentenorganisationen befürworten hingegen die Politik des Boykotts, des Rückzugs wirtschaftlicher Aktivitäten sowie eine umfangreiche Sanktionspolitik (Boycott-Divestment-Sanctions) unter ihrem Kürzel BDS gegen Israel. Dies richtet sich vor allem gegen Israels Wissenschafts- und Kultureinrichtungen, bis der Staat die Besatzungspolitik beendet und darüber hinaus den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachfahren vollständig das Rückkehrrecht garantiert (von den aus islamischen Ländern vertriebenen Juden spricht keiner).

Der Dekan der Juristischen Fakultät, Erwin Chemerinsky, schrieb am 28. September für die Internet-Ausgabe des Jewish Journal, dies bedeute, auch er selbst könne nicht mehr als Redner eingeladen werden, da er die Existenz Israels unterstütze, obwohl er Vieles an dessen Politik verurteile, insbesondere die „Menschenrechtsverletzungen“. Der in zahlreichen Bürgerrechts-Initiativen gegen Rechts aktive Rechtsanwalt Kenneth L. Marcus, der die Angelegenheit öffentlich machte, erinnerte an antijüdische Gesetze in der Gegend um San Francisco-Berkeley zu Beginn des 20. Jahrhunderts und schrieb: „Es ist nun ein Jahrhundert her, seit rund um die Bucht von San Francisco judenfreie Zonen entstanden (Keine Hunde, keine Juden).“ Zwar blieben die Studenten eine wenngleich wachsende, so doch deutliche Minderheit auf dem Universitätscampus. „Dennoch erscheint dieser Schritt beängstigend und unerwartet, wie ein nächtliches Hämmern an der Tür.“

Die israelische Journalistin Anat Kamm, die ihren aktiven Einsatz für die Rechte der Palästinenser in der Westbank mit einer einjährigen Haftstrafe sowie mit Hausarrest bezahlte, schrieb am 12. Oktober in der Tageszeitung Haaretz, die BDS-Bewegung habe 2005 als gewaltfreie Alternative zum gewalttätigen Widerstand gegen die Besatzungspolitik begonnen. Heute aber schade sie mit ihren Boykottaufrufen vor allem israelischen Akademikern, „den engagiertesten, aktivsten Mitgliedern der israelischen Linken“. Die BDS-Bewegung habe aufgehört, „ein Druckmittel gegen die Besatzung zu sein, und sich in ein pseudo-intellektuelles Treibhaus des Antisemitismus der schlechten alten Art verwandelt. Das schmerzt umso mehr, wenn es von denen kommt, die eigentlich unsere Verbündeten gegen die Besatzung sein sollten. Aber gerade deshalb muss die Linke, die das Recht der Palästinenser auf einen unabhängigen Staat unterstützt, laut und deutlich sagen: Der Weg von BDS ist nicht unser Weg.“