Populär ist gut, populistisch nicht

in (26.05.2021)

Pop Art. Bei dieser an das moderne Leben gebundenen Kunst, die mit dem Geschmack des Volkes liebäugelte, drehte sich vieles um die Vorlieben der breiten Masse: Angesagt waren schrille Farben, harte Konturen und flächige Darstellungen, eine Ästhetik, die in den wirtschaftlich prosperierenden 1950er- und 1960er-Jahren an Werbeanzeigen und auffällige Leuchtreklamen in den Großstädten erinnerte. Die High Art verband sich in der Popkunst wie in kaum einer anderen Zeit mit der Low Art, die Ästhetik der Waren und der vielversprechende Schein der Oberflächen wurden Kult, die Kunst bediente sich der Stilisierungsmethoden von Grafik und Design. Gut verdauliche und plakative Schauwerte versprachen leichte und seichte Unterhaltung, erschwingliche Multiples brachten die Welt des schönen Scheins in das Wohnzimmer des Normalverbrauchers, Comics aus der Kinderstube wurden zu bildwürdigen Sujets, und der Sexismus der stilisierten Pin-up-Girls wurde gesellschaftsfähig. Wenn es, wie der kunsttheoretische Diskurs der 1960er-Jahre forderte, um die Erweiterung des Kunstbegriffs durch die Aufwertung des Betrachters/ der Betrachterin und die Demokratisierung der zuvor als elitär verstandenen und einem Bildungsbürgertum vorbehaltenen Kunst ging, waren die Ziele von Pop und die breite Begeisterung, die dieser Stil auslöste, innovativ. Wenn allerdings aus einem populären Ansinnen populistische Anbiederung wurde und der Zweck die Mittel, ergo die Kunst heiligte, war diese zu einem bedauernswerten Teil eines Systems geworden, das sich den Interessen von Geld und Politik untergeordnet hatte. Es gehörte zur Ambivalenz dieses Stils, dass er die Alltagsrealität in ihren unterschiedlichen Ausprägungen einerseits affirmierte und andererseits dasjenige kritisch überzeichnete, was der Fall war: Kitsch hatte Hochkonjunktur. Medien, Werbung und Kunst spiegelten die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen wider, die Filmindustrie Hollywoods blühte auf. So unterschiedlich die visuelle Sprache der einzelnen Vertreter auch gewesen sein mag, aus ziemlich heterogenen Positionen wurde ein kunsthistorisches Label. Dies stand im Einklang mit den Prämissen von Pop, seiner Stärke im Branding und seinem Hang zum Starkult, der sich in der Hypostasierung von Ideen zu Ikonen manifestierte.

In Österreich prägten die internationale Abkapselung, die Desavouierung der Konsum- und Massenkultur, die existenzialistische Verfasstheit des Landes nach dem Krieg und die Tradition der Psychoanalyse das kulturelle Selbstverständnis. Für viele Kunstschaffende gab es keine adäquaten Präsentationsflächen und keine ausreichende Unterstützung durch den heimischen Kunstbetrieb, um eine lokale Variante der Popkunst salonfähig zu machen. Der Zeithistoriker Siegfried Mattl begründete dies vor allem auch mit den Vorbehalten des Landes gegenüber der weltweit prosperierenden Konsumkultur: „Die nicht-entwickelte consumer culture, die eine Reihe von Vermittlungen wie Design, neue Distributionsstrukturen, Wissensproduktion und Werbung benötigt, wurde offiziell als Schwachstelle der Steuerung von Modernisierungsprozessen debattiert.“
[1] Eine Moderne ohne die Anpreisung von Waren beziehungsweise die Teilhabe an der zeitgenössischen Dingwelt ist jedoch kaum vorstellbar, da die Konsumkultur Träume und Utopien also moralische Werte nutzt, um das menschliche Verlangen anzustacheln, erklärt die in Israel lebende Soziologin Eva Illouz, die die Kommodifizierung von Gefühlen in kapitalistischen Systemen untersucht.

Ob man aus der bis in die Gegenwart reichenden österreichischen Ignoranz des popkünstlerischen Schaffens Rückschlüsse auf den Genius loci schließen kann, sei dahingestellt. Künstlerische Konventionen sind jedenfalls auch immer Resultat eines bestehenden Herrschaftssystems. Eine kunstgeschichtliche Korrektur und Ergänzung durch bisher auch weniger bekannte Positionen wie Kiki Kogelnik, Robert Klemmer, Ingeborg Pluhar, Haus-Rucker-Co, Ludwig Christian Attersee, Auguste Kronheim, Cornelius Kolig und anderen könnte allerdings ein vielfältigeres und deshalb auch historisch realeres Bild zeichnen. Eine Revision dieser Stilepoche im Hinblick auf die Aktualität einiger popkünstlerischer Themen wie den Umgang mit neuen demokratischen Medien – was heute die sozialen Netzwerke betrifft – und den weltweit grassierenden Rechtspopulismus, der viel mit demagogisch-visuellen Manipulationsstrategien zu tun hat, würde zudem eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit der Zeiten feststellen.

Inwieweit jedoch der Versuch der Demokratisierung des Kunstverständnisses, den die Popkultur bis heute verfolgt, in der bildenden Kunst mit Erfolg gekrönt sein kann, sei dahingestellt. Pierre
Bourdieu führte 1979 in Die feinen Unterschiede die Trennung zwischen einer hohen, legitimen und einer populären Kunst auf die Spaltung der Klassen zurück. Allerdings sah er in der alternativen Wendung gegen das klar Umgrenzte, Festgelegte, formal Bestimmte, gegen Etiketten und Klassifikationen, nichts Freiheitliches, sondern vielmehr einen Versuch, sich mit dem eigenen Geschmack und den eigenen Abgrenzungsprinzipien über die in ihren Möglichkeiten begrenzten niederen Schichten zu erheben und diese Vorherrschaft zugleich jeder Diskussion zu entziehen.[2] Die enorme Popularisierung und die große Beliebtheit von Kunst, die sich seitdem entwickelten, haben historisch gesehen im Projekt der Moderne und der Verbindung von Kunst und Leben ihre Wurzeln. Die Popkunst steht für einen der wesentlichsten Demokratiesierungsschübe in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Sie öffnete die Türen des elitären Elfenbeinturmes, sie umarmte das Publikum. Populär ist gut, populistisch nicht.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Nr. 57, Frühling 2021, „Kultureller Populismus“.


Angela Stief lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie und ist Chefkuratorin der Albertina modern, Gastprofessorin für kuratorische Praxis an der Kunstuniversität Linz und Beraterin der VIENNA ART WEEK

 

[1] Siegfried Mattl: Modernismus, Avantgarde und Lokalität – Wien in Zeiten der Mäßigung nach 1945, in: Elisabeth Großegger und Sabine Müller (Hg.): Teststrecke Kunst. Wiener Avantgarde nach 1945, Wien 2012, S. 36.

[2] Vgl. Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955–2009, Bielefeld 2009, S. 377.