Urbane imperiale Differenz

Verflechtungen postkolonialer und post(real)sozialistischer Konfigurationen am Beispiel von Cottbus

Keywords: postcolonialism, postsocialism, coloniality of the post(real)socialist urban space, Cottbus, racism, Ossifizierung, migration, city tours

Schlagwörter: Postkolonialismus, Postsozialismus, Kolonialität des post(real)sozialistischen urbanen Raumes, Cottbus, Rassismus, Ossifizierung, Migration, Stadtrundgänge

Im Jahr 2018 stand die Stadt Cottbus mit ihren ca. 100.000 Einwohner*innen als „Brennpunkt“ (Fröschner & Warnecke 2019: 54) gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen „Geflüchteten“ und „Deutschen“ für einige Zeit im Mittelpunkt der bundesdeutschen medialen Aufmerksamkeit (Trzeciak & Schäfer 2021). Dabei gelang es der rechtsextremen Vereinigung „Zukunft Heimat“, immer mehr Menschen gegen die Aufnahme von Geflüchteten in der Stadt zu mobilisieren (Raab & Radvan 2020). In der medialen Berichterstattung wurden Kontinuitäten rechter und rassistischer Gewalt allerdings selten bis gar nicht thematisiert (Fröschner & Warnecke 2019: 38). Viele Medien erklärten Rechtsextremismus zudem zum Problem eines vermeintlich reaktionären Ostdeutschlands (Heft 2018; Kollmorgen & Hans 2011).

Auch wenn Rechtsextremismus dort zwar eine spezifische und im Vergleich zu Westdeutschland eine quantitativ stärkere Ausprägung hat, so ist rassistische Ausgrenzung und Gewalt nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in der gesamten Bundesrepublik virulent (Quent 2019). Sowohl die DDR als auch die BRD waren und sind Kontexte, in denen die Erfahrungen des Kolonialismus und des Nationalsozialismus nachwirken (Messerschmidt 2008). Gleichzeitig waren die Lebensrealitäten nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- und Westdeutschland bis 1990 durch die Gesellschaftsformen des real existierenden Sozialismus bzw. der sozialen Marktwirtschaft auf sehr unterschiedliche Weise geprägt. Aus diesem Grund kann das heutige Deutschland auch als postkoloniale, postnationalsozialistische sowie postsozialistische Gesellschaft begriffen werden, in deren Kontext verschiedene Dynamiken der Veranderung (Othering) zutage treten (El-Tayeb 2016: 24). Die Verflechtungen dieser verschiedenen Formen der Vergangenheitsbewältigung genauer im Kontext von Prozessen der rassialisierenden sozialen Hierarchisierung zu beleuchten, ist Gegenstand des vorliegenden Beitrages. Am Beispiel von Cottbus verfolgen wir folgende Fragestellung: Was sind die Spezifika (einer Aufarbeitung) kolonialer Verhältnisse im gegenwärtigen Stadtraum der ehemaligen DDR?

Wir gehen davon aus, dass die hier deutlich werdende Wirksamkeit rassistischer Mobilisierung auf eine spezifische Geschichte zurückgreift, die es zu berücksichtigen gilt, um aktuelle Prozesse der Rassialisierung und Veranderung besser verstehen zu können (Behrends u.a. 2003; Quent 2019). Mit diesem Erkenntnisinteresse beziehen wir uns auf dekoloniale[1] Ansätze (Quijano 2007; Lugones 2007). Deren zentrales Argument besteht darin, dass sich die verschiedenen Formen der „Moderne“, des eurozentristischen Überlegenheitsdenkens mit seinen jeweiligen Implikationen, seit dem 16. Jahrhundert in enger Verwobenheit mit den Prozessen der Kolonisierung sowie der Etablierung einer weltweiten kapitalistischen Produktionsweise herausgebildet haben. Aus Perspektive der dekolonialen Studien sind demnach Kolonialismus, Eurozentrismus und Kapitalismus konstitutiv miteinander verknüpft (N.K. Ha 2017: 78). Das Nachwirken kolonialer Verhältnisse, die Legitimierung eurozentrischer Denkmuster sowie damit einhergehende rassialisierte Klassifizierung der Weltbevölkerung beschreibt der peruanische Soziologe Aníbal Quijano (2007: 171) als eine „Kolonialität der Macht“ („coloniality of power“). Er argumentiert, dass sich diese konstitutive Verbindung zwischen kapitalistischen Formen des Ausbeutens mit Prozessen der Rassialisierung sowie weiteren Formen der sozialen Hierarchisierung seit dem 16. Jahrhundert, dem Startpunkt der Kolonisierung des lateinamerikanischen Kontinentes, auf nachhaltige Weise in die verschiedenen sozio-ökonomischen Konfigurationen der Moderne eingeschrieben haben. Die Hervorbringung der „Moderne“ stellt somit ein äußerst gewaltvolles Projekt dar, das nicht losgelöst von Kolonialität betrachtet werden kann. Quijano (2014) spricht daher von Modernität/Kolonialität als einer Beziehung, die sich gegenseitig konstituiere.

Die „Kolonialität der Macht“ ist jedoch nicht nur bedeutsam für das Verständnis vergangener und gegenwärtiger kapitalistischer Ordnungen. Wie die Kulturwissenschaftlerin Madina Tlostanova (2015) argumentiert, sind koloniale Machtverhältnisse auch in die verschiedenen Konfigurationen des (Real-)Sozialismus eingeschrieben gewesen. Sie zeigt am Beispiel der führenden Position Russlands in der Sowjetunion, wie der russische Staat sowohl gegenüber den Ländern des „Westens“ als auch gegenüber anderen sozialistischen Staaten eine ambivalente Position einnahm. Diese ambivalente Position umschreibt Tlostanova mit dem Bild einer Janusköpfigkeit („Janus-facedness“; s. Tlostanova 2012: 134f) bzw. „imperialen Differenz“ (ebd.: 132), das auf die komplexe Kolonialität von „not-quite-western, not-quite-capitalist empires of modernity“ (ebd.) hinweisen soll. Das Bild der Janusköpfigkeit verweist einerseits auf einen imperialen Machtanspruch seitens des russischen Staates. Andererseits beschreibt Tlostanova mit diesem Bild ein Gefühl der Minderwertigkeit Russlands gegenüber westlichen Staaten. Deshalb charakterisiert sie Russland als „second class empire“ (Tlostanova 2012: 134), das im Kontext einer Kondition globaler Kolonialität unterhalb der Spitze der kolonialen Einteilung der Welt angesiedelt sei. Entsprechend sieht Tlostanova (ebd.: 132) die sozialistische Moderne eng verwoben mit einer kolonialen Matrix, bei der koloniale Beziehungen und Klassifizierungen wie race (Quijano 2007) und Gender (Lugones 2007) in ihrer Verwobenheit soziale Gruppen marginalisierten sowie ökonomische, epistemische und soziale Beziehungen strukturierten. So finde sich ein System der Modernität/Kolonialität (1) sowohl in den Beziehungen zwischen den vormals sozialistischen (wie Russland, Polen oder die DDR) als auch kapitalistischen Staaten (wie der BRD oder den USA) gegenüber anderen Teilen der Welt sowie (2) in den jeweiligen internen Differenz- und Zugehörigkeitsordnungen der einzelnen Kontexte wieder.

Im Anschluss an Tlostanovas Konzept der „imperialen Differenz“ folgern wir, dass imperiales Streben und die „Kolonialität der Macht“ sowohl kapitalistische als auch (real)sozialistische Gesellschaftsformen geprägt hat. Wir greifen auf diese Überlegungen zur Modernität/Kolonialität sozialistischer Gesellschaftsformen zurück, um anhand dreier lokaler Erinnerungsorte in Cottbus über die ambivalenten Facetten der Kolonialität des post(real)sozialistischen urbanen Raumes[2] im (ost-)deutschen Kontext nachzudenken. Zunächst skizzieren wir unser konzeptuelles und methodisches Vorgehen, das mit der Erarbeitung eines postkolonialen und postsozialistischen Stadtrundganges verbunden ist und unsere Spurensuche leitete. Danach stellen wir die drei Erinnerungsorte vor und diskutieren verschiedene Spuren (real)sozialistischer Kolonialität/Modernität. In einem weiteren Schritt konzeptualisieren wir die teilweise widersprüchlichen Facetten der Modernität/Kolonialität des urbanen post(real)sozialistischen Raumes als urbane imperiale Differenz. Wir argumentieren, dass die DDR koloniale Machtverhältnisse auf sozio-ökonomischer und symbolischer Ebene sowohl fortsetzte als auch diesen entgegentrat. Ferner beleuchten wir, wie der post(real)sozialistische Raum auch selbst Prozessen der Abwertung unterworfen ist.

Das Projekt einer postkolonialen und postsozialistischen Stadtführung durch Cottbus

Inspiriert durch postkoloniale und dekoloniale urbane Initiativen (Aikins & Hoppe 2011; Förster u.a. 2016; Zwischenraum Kollektiv 2017) haben wir in den Sommersemestern 2018 und 2019 im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes an der BTU Cottbus-Senftenberg gemeinsam mit Studierenden und Aktivist*innen im Rahmen des fächerübergreifenden Studiums das Projekt einer kritischen Geschichtswerkstatt ausgearbeitet.[3] Zu den Teilnehmenden zählten weiße und PoC-Studierende mit ost- und westdeutscher Herkunft sowie mit und ohne Migrationserfahrungen, darunter ein Mitglied des Vereins Geflüchteten Netzwerk Cottbus e.V., antifaschistische Aktivist*innen sowie zwei weiße Seniorstudenten, die ihr Leben in der Stadt verbracht hatten. Im Vergleich zu anderen Formen schwieriger Geschichte wie etwa dem „undesirable heritage“ (Macdonald 2006) des Nationalsozialismus[4] hat sich eine kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe in der deutschsprachigen Wissenschaft und Erinnerungskultur nur zögerlich etabliert (Zimmerer 2013). Neben den einschlägigen internationalen Arbeiten zur Kolonialität/Imperialität von Städten (s. u.a. Driver & Gilbert 2003; Jacobs 1996; King 1976), ist die Aufarbeitung kolonialer Geschichte im deutschsprachigen urbanen Raum insbesondere der Arbeit aktivistischer Gruppen zu verdanken.[5] Diese postkolonialen Arbeiten und dekolonialen Initiativen haben wichtige Impulse zum Verständnis der kolonialen Kontinuität gegenwärtiger Formen der Rassialisierung und Formierung von Ungleichheit in urbanen Räumen sowie des Widerstands dagegen geliefert.

Allerdings handelt es sich im Falle von Cottbus nicht nur um einen postkolonialen und postnationalsozialistischen, sondern ebenso um einen post(real)sozialistischen Raum, dessen Bezüge zur „Kolonialität der Macht“ sich von postkolonialen und postfaschistischen Städten im Westen Deutschlands unterscheiden. Die spezifisch „verwobenen Geschichten“ (N.K. Ha 2017: 76) von Kolonialismus und Sozialismus müssen daher berücksichtigt werden, was aber über die bestehenden bzw. bisher beschriebenen Ansätze der Thematisierung von Kolonialismus im städtischen Raum hinausgeht. Die ambivalenten Verflechtungen, Unterbrechungen sowie das spezifische Fortwirken der „Kolonialität der Macht“ in postsozialistischen Kontexten sind in den deutschsprachigen sozial- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten bisher nur randständig untersucht worden. Um einen produktiven Beitrag zu dieser Forschungslücke zu leisten, greifen wir auf postsozialistische Studien[6] zurück und argumentieren, dass die Strukturen und Praktiken des (Real)Sozialismus weiterhin die Wissens- und Lebensformen der Stadtgesellschaft prägen. Ferner folgern wir im Anschluss an Tlostanova, dass auch die Formen der sozialistischen Moderne konstitutiv auf Kolonialität und damit auf der Hervorbringung rassialisierter Formen der Klassifizierung und Hierarchisierung gründen. Eine dekoloniale Perspektive auf den post(real)sozialistischen urbanen Raum erfordert es, fortbestehende koloniale Beziehungen und Verwobenheiten zwischen verschiedenen Orten und Zeiten im Kontext unterschiedlich gelagerter Ausbeutungs- und Ungleichheitsverhältnisse zu untersuchen (N.K. Ha 2017: 76).

Die DDR nahm im Vergleich zur BRD auf einigen Feldern (wie der Geschichtswissenschaft) eine umfassendere Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte vor (K.N. Ha 2017: 114). Beispielhaft zu nennen sind die Arbeiten des Historikers Horst Drechsler (1984 [1966]) zum Widerstand der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialherrschaft, die lange Zeit weitgehend unberücksichtigt geblieben sind (Bürger 2017: 30). So gingen mit der (real)sozialistischen Gesellschaftsform auch andere Möglichkeitsräume einher, um gegen koloniale, rassistische sowie kapitalistisch-ausbeuterische Ordnungen vorzugehen. Nicht nur unterstützte die DDR antikoloniale Kämpfe und Bewegungen (wie in Angola, Mosambik, Namibia, Südafrika oder Zimbabwe) und verortete das Projekt des (Real)Sozialismus dadurch auch in Systemkonkurrenz zu kapitalistischen Staaten (Pampuch 2018: 336). Sie stellte sich darüber hinaus gegen eine positive Erinnerungskultur an den deutschen Kolonialismus, Imperialismus und Nationalsozialismus, beispielsweise indem sie Straßen umbenannte oder Denkmäler entfernte (Schilling 2014). Auch sah sie die ausbeuterischen und rassialisierten Konditionen für westdeutsche „Gastarbeiter*innen“ im Kontext einer Kontinuität zur NS-Zwangsarbeit und lehnte die Anwerbung ausländischer Arbeiter*innen aus diesem Grund zumindest bis Mitte der 1970er Jahre ab (Mende 2013: 152).

Eine weitere Spezifik des Nachwirkens kolonialer Verhältnisse in (real)sozialistischen Staaten liegt in dem zuvor eingeführten Verhältnis der „imperialen Differenz“ (Tlostanova 2012: 132). So kann die DDR in Beziehung zu Russland bzw. der Sowjetunion einerseits und zu westlich-kapitalistischen Ländern, insbesondere der BRD, andererseits als aktiver Teil eines nach Macht und Vorherrschaft strebenden Gefüges währendes des „Kalten Krieges“ verstanden werden. Im Kontext des globalen Kräfteringens nahm der „Arbeiter- und Bauern-Staat“ seinen Platz hinter dem „second class empire“ (ebd.: 134) Russland ein, das mit den imperialen Ambitionen westlicher Staaten politisch und ökonomisch nur bedingt konkurrieren konnte. Aspekte dieser „imperialen Differenz“ zeigen sich ferner im Kontext einer Systemkonkurrenz, bei der sich die DDR als in ihrer machtpolitischen Stellung direkt hinter der Sowjetunion angesiedelt sah (Poutrus 2005a: 124). Mit anderen Worten: Während die DDR von ungleichen globalen Machtverhältnissen profitierte, war sie durch eine doppelte Inferiorität sowohl gegenüber der Sowjetunion als auch der BRD geprägt.

Entsprechend war die DDR bis Mitte der 1970er Jahre bei substantiellen Entscheidungen über ihre Außenpolitik auf die Zustimmung der Sowjetunion angewiesen. Gleichzeitig machte Westdeutschland, bis zur Anerkennung der DDR als souveränem Staat (1973), die „Entwicklungszusammenarbeit“ mit Ländern des Globalen Südens von deren Nicht-Kooperation mit der DDR abhängig (die sogenannte Hallstein Doktrin) (Döring 2008: 27). Insgesamt kann herausgestellt werden, dass trotz des offiziell antifaschistischen und anti-imperialistischen Selbstverständnisses (s. u.a. die Politiken der „Völkerfreundschaft“ oder „internationalen Solidarität“) koloniale Beziehungen sowie rassistische Klassifizierungen und Wissensformen die DDR-Gesellschaft prägten. Dies gilt vorwiegend für die urbanen (real)sozialistischen Räume, die von Migration und Industrialisierung geprägt waren. Die von verschiedenen Autor*innen (s. u.a. Wetzel & Schenck in diesem Heft, S. 31ff; Piesche 2002; Rabenschlag 2014) herausgearbeiteten rhetorischen Widersprüche zwischen dem Solidaritätsdiskurs der DDR und der „Kolonialität der Macht“ sind vor dem Hintergrund zu betrachten.

Im Zuge der Erarbeitung der Stadtführung haben wir uns auf die Suche nach Erinnerungsorten gemacht, die koloniale und (real)sozialistische Verflechtungen sichtbar machen. Anschließend an Etienne François & Hagen Schulze (2001: 18) verstehen wir Erinnerungsorte nicht nur als materielle, sondern auch als politische, kulturelle, soziale oder imaginäre Bedeutungsträger, die ihre „Bedeutung und […] Sinn erst durch […] Bezüge und […] Stellung[en] inmitten sich immer neu formierender Konstellationen und Beziehungen [erhalten]“ (ebd.; zit. n. Zimmerer 2013: 12). Aus diesem Verständnis heraus können Erinnerungsorte sowohl Artefakte als auch symbolische wie metaphorische Orte umfassen.

Da die Erinnerungsorte nicht im kulturellen Gedächtnis der Stadtgesellschaft präsent sind, mussten wir uns zunächst auf die Suche nach solchen Orten machen. In Anlehnung an die Methodologie der Multi-Sited Ethnography (Marcus 1995) und im Sinne eines „follow the memory“ verstanden wir das Stadtführungsprojekt als einen konzeptuellen Raum, der durch die Aushandlungen seiner Teilnehmenden konstruiert wurde (Trzeciak 2020). Um die „disparaten Entstehungsorte erinnerungskultureller Semantiken und deren Vermittlungswege“ (Spiritova & Götz 2015: 328) zu betrachten, machten wir uns auf die Suche nach Spuren post(real)sozialistischer Kolonialität im Stadtraum. Auf Basis von Literaturrecherchen, Archivarbeit oder Gesprächen mit Menschen in Cottbus, d.h. unter Bezugnahme auf biographisches und Alltagswissen, machten wir verschiedene lokale Bezugspunkte aus, an denen sich koloniale und sozialistische Spuren in ihrer Verflochtenheit betrachten ließen.

Die auf diese Weise auf den Plan gerufenen, materiellen wie imaginären Erinnerungsorte diskutierten wir hinsichtlich ihrer umkämpften und changierenden Bedeutungen. Dazu bezogen wir einerseits Fragen von Reflexivität und Positionalität ein, von denen aus die Erinnerungsnarrative bedeutsam werden. Andererseits konsultierten wir die oben bereits angerissene Literatur, um die Erinnerungsorte zu kontextualisieren. Ausgehend von dieser ethnographisch geleiteten Spurensuche rekonstruierten wir verschiedene Ebenen post(real)sozialistischer Kolonialität im städtischen Raum.

Drei der postkolonialen und postsozialistischen Stationen unserer Stadtführung, (1) das ehemalige sozialistische Stadtzentrum, (2) das ehemalige VEB Textilkombinat Cottbus (VEB TKC) sowie (3) die Virchowstraße, nehmen wir nachfolgend zum Ausgangpunkt, um am Beispiel von Cottbus die Ambivalenzen und Spezifika einer Aufarbeitung kolonialer Verhältnisse im gegenwärtigen Stadtraum der ehemaligen DDR zu diskutieren.

Erinnerungsort 1: Das ehemalige sozialistische Stadtzentrum in Cottbus

 

Bild 1  „Cottbus, Schöne DDR – Geschäftiges Treiben herrscht stets im Zentrum der Bezirksstadt Cottbus. Über eine Fußgängerbrücke erreicht man die originell gestaltete Milchbar (Mitte) und das Warenhaus (l.).“, 27.10.1977

Bundesarchiv, Bild: 183-S1027-0014, Foto: Werner Großmann.

Der erste Erinnerungsort, das ehemalige sozialistisch-gestaltete Stadtzentrum von Cottbus (s. Bild 1), nimmt die Architektur der Bauwerke als Ausgangspunkt für die Suche nach Aspekten post(real)sozialistischer Kolonialität in den Blick. Die eingeschriebenen Symbole und Bezugnahmen verorten wir in einer Reihe kolonialer Spuren, die insbesondere in die Architektur der europäischen Metropolen (etwa in Palästen, Gärten oder Fabrikantenvillen) eingeschrieben sind (N.K. Ha 2017). Diese zu „Stein gewordenen Profite“ weisen auf die ungleichen Beziehungen zwischen den Ländern des Globalen Nordes und Südens hin, die sich ferner – wie wir am Beispiel desselben Erinnerungsortes darlegen – auch in kolonialen Produktionsketten und dem Konsum von Genussmitteln wie Kaffee oder Kakao widerspiegeln.

Im Stadtzentrum von Cottbus, am Ort des ehemaligen urbanen Zentrums im Stil der sozialistischen Moderne, findet sich eine eingezäunte Brache. Bei genauerem Hinsehen werden Lüftungsschächte und die Fundamente ehemaliger Gebäude erkennbar. Auf dem Bereich hatten sich zu DDR-Zeiten ein Konsument-Warenhaus sowie eine Reihe von Pavillons, mit Restaurants, kleineren Läden, einer Diskothek und einer Bowling-Bahn befunden. Die 2007 abgerissene Kosmos-Bar bildete das Zentrum des Gebäudekomplexes und war damals ein beliebter Freizeitort in Cottbus. Das Gebäude wurde zu Zeiten von Sputnikstart und Mondlandung sowie anlässlich des zwanzigsten Jahrestags (1969) der DDR feierlich eröffnet. Mit der sternförmigen, sechseckigen Dachkonstruktion repräsentierte das Sternchen die Architektur der sozialistischen Moderne. Sein futuristisches Design beinhaltete Motive des Weltraums und seiner „Entdeckung“ (Krauß 2012).[7]

In der spätsozialistisch gestalteten Architektur des Sternchens wird ein erster Aspekt der Kolonialität des (real)sozialistischen urbanen Raumes sichtbar. In unserer Lesart lässt sich das Sternchen als Stein gewordener Bedeutungsträger eines imperialen Anspruches auf Fortschritt und Entwicklung (etwa in den Bereichen Technologie und Wissenschaft) seitens der DDR deuten, der in die Architektur des Gebäudes eingeschrieben ist. Wie Patrice Poutrus argumentiert, imaginierte sich die DDR mit Hinweis auf ihre „Spitzenstellung (hinter der Sowjetunion)“ (Poutrus 2005a: 124) und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz zu Westdeutschland als entwickelterer Sozialismus im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten.

Ein weiterer Aspekt der Kolonialität des (real)sozialistischen städtischen Raumes, wie sie im Sternchen zum Ausdruck kommt, verweist auf koloniale Produktionsketten zwischen der DDR und Ländern des Globalen Südens. Im Sternchen konnten die Besucher*innen Genussmittel wie Kaffee oder Kakao konsumieren. Diese Produkte waren insbesondere nach der ökonomischen Krise von 1975 und der zunehmenden Verschuldung der DDR in der (real)sozialistischen Planwirtschaft vergleichsweise teuer und mussten gegen kostspielige Devisen importiert werden (Kloiber 2017: 22). Auf Kaffee konnte jedoch nicht verzichtet werden. Kaffee, als in die Alltagspraxis eingeschriebenes Erbe kolonialer Beziehungen, wurde somit zu einer Angelegenheit der „domestic stability“ (ebd.: 15) der DDR. An der Beschaffung von Kaffee kann die Gestaltung extraktiver Beziehungen zwischen dem SED-Staat und anderen anti-imperialistischen Staaten im Globalen Süden exemplarisch beleuchtet werden. Nicht nur waren bei den Wirtschaftsabkommen zwischen der DDR und Ländern wie Äthiopien, Mosambik und Angola die Expertise sowie die Vorstellung von moderner Entwicklung mit der Begründung ihrer vermeintlichen Spitzenstellung im Sozialismus auf Seiten der DDR angesiedelt. Die DDR sah sich vielmehr dazu verpflichtet, anderen Staaten den richtigen Weg zum Sozialismus zu zeigen. Letztere wiesen gemäß einer eurozentrischen Sichtweise angeblich noch nicht die ökonomischen Bedingungen (beispielsweise im Falle von Subsistenzwirtschaft) für eine umfassende sozialistische Revolution auf (Schilling 2014: 94). Im Zeichen antiimperialistischer Solidarität konnten der Austausch von Rohstoffen wie Steinkohle oder Kaffee gegen Waffen oder Knowhow als solidarische Hilfe deklariert werden (ebd.; Döring 2008: 28). Unter anderen initiierte die DDR Großprojekte in die Entwicklung der Kaffeeindustrien in Vietnam und Laos, um sich im Gegenzug exklusive Versorgungsrechte mit Kaffee zu sichern (Kloiber 2017: v). Dass die Produktion von Kaffee in Vietnam erst Ende der 1980er anlief, als die DDR sich bereits in Abwicklung befand, gehört zur Ironie dieser Geschichte. Aufgrund dieser Ambivalenz von Solidarität und Kolonialität, die neben den genannten Beispielen auch in der Unterstützung antikolonialer Kämpfe zum Ausdruck kam, bezeichnet Ann-Judith Rabenschlag (2014) diese DDR-Politik auch als „Völkerfreundschaft nach Bedarf“.

Neben diesen Aspekten, die auf eine ambivalente Modernität/Kolonialität des post(real)sozialistischen Raumes hinweisen, illustriert das Beispiel des Sternchens aber auch exemplarisch die Behandlung des Kulturerbes der DDR nach 1990. So kann der Abriss des Sternchens auch als aktiver Umgang mit dem ungewünschten Erbe des Sozialismus verstanden werden. Wie Kathleen Heft (2018) argumentiert, dient die diskursive Abwertung der DDR und ihrer vormaligen Bewohner*innen als reaktionär mitunter der Hervorbringung der Vorstellung westdeutscher Fortschrittlichkeit und Überlegenheit. Heft (ebd.) konzeptualisiert die diskursive Hervorbringung von Ostdeutschland als minderwertig und weniger demokratisch im Verhältnis zum Westen als Ossifizierung.[8] Mit diesem Konzept richtet sie den Blick auf die Prozesse der Kulturalisierung, durch die Ostdeutsche im deutschsprachigen Kontext fremdgemacht werden. Im Gegensatz zu rassialisierten Prozessen der Veranderung, wie sie etwa viele Vertragsarbeiter*innen erfuhren, bezieht sich das Konzept der Ossifizierung auf Prozesse der räumlich-zeitlichen Grenzziehung (Heft 2018; Trzeciak & Schäfer 2021). Diese zeichnen sich, wie Raj Kollmorgen (2011) argumentiert, durch eine Ambivalenz von Anerkennung und Abwertung aus. Beispielsweise ging der Beitritt der DDR in die BRD auf eine von der Mehrheit der DDR-Bürger*innen gestützte politische Entscheidung für die konkreten Transformationsprozesse hin zum System der sozialen Marktwirtschaft zurück. Gleichzeitig gehört die in den Prozessen der Ossifizierung hervorgebrachte Gruppe der Ostdeutschen zur imaginierten weißen natio-ethno-kulturellen Dominanzgesellschaft (Mecheril 2003). Sie ist in die Prozesse der Klassifizierung und sozialen Hierarchisierung von migrantisierten „Anderen“ wesentlich involviert, ein Fakt, der sich nicht zuletzt in den Erfolgen der AfD in Ostdeutschland widerspiegelt (Kubiak 2018: 38).

Erinnerungsort 2: Das ehemalige VEB Textilkombinat Cottbus

Am Beispiel unseres zweiten Erinnerungsortes, dem ehemaligen VEB Textilkombinat Cottbus, erörtern wir, wie soziale Verhältnisse der Ungleichheit/Differenz in die Arbeitsbeziehungen der DDR eingeschrieben waren. An den Vertragsbedingungen, die bilateral zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten geschlossen wurden, kann exemplarisch aufgezeigt werden, wie das (real)sozialistische Migrationsregime auf einem System der rassialisierten Klassifizierung und sozialen Hierarchisierung aufbaute. Für die im VEB TKC und an vielen anderen Produktionsstätten in der DDR beschäftigten Vertragsarbeiter*innen bedeutete das im Vergleich zu den DDR-Bürger*innen sehr unterschiedliche Positionierungen und Teilhabechancen. Diese Prozesse der sozialen Differenzierung verweisen auf eine spezifische Wirkweise der „Kolonialität der Macht“ in den (real)sozialistischen Arbeits- und Lebenswelten der DDR. Dies gilt insbesondere für Industriestandorte wie Cottbus.

1980 waren in Cottbus 8.177 migrantische Beschäftigte verzeichnet, der Anteil der ausländischen Belegschaft betrug 1987 insgesamt 11,3 % (Strnad 2011: 180ff). Allerdings imaginierte sich die DDR in ihrem offiziellen Selbstverständnis als ethnisch homogene und weiße Gesellschaft (Piesche 2002: 32ff). Auch wenn insbesondere aktivistische und partizipative Forschungsvorhaben dies langsam ändern, wird dieses Bild weiterhin in der Migrationsforschung sowie in Erinnerungspraktiken reproduziert (Goel 2013; Lierke & Perinelli 2020; Piesche 2020). Die Darstellung der ehemaligen DDR als ein Land ohne nennenswerte Einwanderungsgeschichte macht die komplexen Dynamiken von Mobilität unsichtbar, die nach dem zweiten Weltkrieg in Richtung und aus der DDR von statten gingen (Poutrus 2005b; Goel 2013).

Der VEB TKC, der als Kombinat vierzehn bis dahin bestehende Textilbetriebe von Cottbus über Guben bis Forst vereinte, war zu DDR-Zeiten ein bedeutender Arbeitgeber in der Region. 1977 zählte er über 16.000 Beschäftigte und war für gut 17 % aller textilen Produktionseinheiten der DDR verantwortlich. Im Stammbetrieb Cottbus selbst waren über 5.000 Arbeiter*innen beschäftigt, darunter rund 75 % weibliche Arbeitskräfte (Strnad 2011: 174). Im VEB TKC sollten neue und auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte produziert werden. Spätestens ab Mitte der 1970er Jahre ist der Erfolg des VEB TKC verbunden mit der Geschichte von Vertragsarbeiter*innen, ohne die die Produktion aufgrund des Fachkräftemangels nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Anders als die BRD, die ausländische Arbeiter*innen von 1953 bis 1973 rekrutierte, war die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in der DDR jedoch zunächst nicht vorgesehen. Stattdessen wurde sie als in Kontinuität zu Zwangsarbeit im Nationalsozialismus stehend abgelehnt (Mende 2013: 152). Erst vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfes nach Arbeitskräften infolge der massiven Auswanderung aus der DDR sowie der auch damit verbundenen zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten gewann Vertragsarbeit ab Mitte der 1970er Jahre an Bedeutung.[9]

Die bilateralen Vereinbarungen zwischen der DDR und den jeweiligen „Bruderländern“ regelten die spezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen der Vertragsarbeiter*innen. Sie unterschieden sich je nach Herkunftsland. Zu Beginn war die Ausgestaltung der Vereinbarungen noch einem solidarischen Anspruch verpflichtet. Sie war zwar zeitlich befristet, jedoch mit sozialen Leistungen sowie dem Recht auf Ausbildung verbunden und offiziell an der Ermöglichung gleicher Rechte (mit Ausnahme der Staatsbürgerschaft) orientiert (Mende 2013: 156). Auf diese Weise konnte die DDR-Führung die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in den Zusammenhang mit Politiken der „anti-imperialistischen Solidarität“ setzen (ebd.: 153). Die praktische Ausgestaltung der Verträge wich jedoch deutlich von diesen Idealen ab.

Oftmals bekamen Vertragsarbeiter*innen die marginalisiertesten Positionen in der Arbeitshierarchie (wie körperliche sehr anstrengende Tätigkeiten und Schichtarbeit) zugewiesen (Poutrus 2005a: 130). Auch konnten sie Ausbildungsangebote in vielen Fällen nicht wahrnehmen oder die Qualifizierungsmaßnahmen entsprachen nicht den Arbeitsmärkten der Herkunftsländer (Langner 2020: 102). Nicht nur die prekären Arbeitsbedingungen führten zu vielfältigem Unmut. Auch die meist von den Betrieben organisierte Unterbringung in den Wohnheimen war mit strikten Kontrollen sowie Prozessen der Segregierung nach Geschlecht und Herkunft verbunden (Rabenschlag 2016; Langner 2020: 104). Ferner bestanden Einlasskontrollen und die Bewohner*innen mussten die Zustimmung für Besuche und Übernachtungen einholen (Mende 2013: 155). So erinnert sich David Mavinguane Macou, der von 1979 bis zu seiner Rückkehr nach Mosambik 1992 im Braunkohlekombinat (BKK) Senftenberg im Bezirk Cottbus arbeitete, exemplarisch an die Lebens- und Arbeitsbedingungen von mosambikanischen Vertragsarbeitern:

„Unser Leben war wirklich ein Kampf für Verbesserungen, der nicht leicht war, denn die vier Jahre waren für uns ein Opfer. Wir mussten damals alle möglichen Sachen organisieren, wie auch Hochzeiten, um rauszukommen an den Wochenenden. Es gab Stress mit der Jugend draußen; wenn wir alleine ausgingen, wurden wir angegriffen. Wir fühlten uns eingesperrt zum Lernen und Arbeiten, aber wir wollten auch nach Belieben am Wochenende ausgehen. […] Meine zwölf Jahre [in der DDR] waren nicht wunderbar, sie waren ein übler Krieg.“[10]

Die von Macou geschilderten Erfahrungen der rassistischen Diskriminierung und Gewalt waren kein Einzelfall und nahmen ab den 1980er Jahren zu (Langner 2020). Auch gesetzliche Bestimmungen wie die restriktiven Regelungen zu binationalen Beziehungen bedienten rassistische Denkmuster (Poutrus 2005a: 132). So mussten binationale Eheschließungen von beiden Herkunftsstaaten genehmigt werden und schwangere Vertragsarbeiterinnen (mit Ausnahme von polnischen Staatsbürgerinnen) wurden vor die Wahl zwischen Abtreibung oder Rückkehr in ihr Herkunftsland gestellt (ebd.; Rabenschlag 2016; Piesche 2002: 42).

Anhand der Ambivalenz zwischen dem Anspruch der antiimperialistischen Solidarität und Entwicklungshilfe mit sozialistischen Ländern aus dem Globalen Süden sowie der faktischen Prozesse der rassialisierten Klassifizierung von Vertragsarbeiter*innen, die entsprechend der ökonomischen Bedarfe der DDR umgesetzt wurde, kann die Kolonialität des (real)sozialistischen Migrationsregimes illustriert werden. Auch wird diese Ambivalenz darin deutlich, dass sich Vertragsarbeiter*innen durchaus zur Wehr setzten, indem sie streikten[11] oder die Möglichkeit von Eingaben nutzten (Poutrus 2021: 10ff; Langner 2020). Zudem gab es ab den 1960er Jahren sowie im Kontext der rassistischen Übergriffe in Erfurt (1979), Merseburg (1983) und dem Tod von Antonio Manuel Diogo (1986) auch Forschungen zu rassistischen Ressentiments der DDR-Bürger*innen (Langner 2020: 104f). Unter Verweis auf eine Position der Wissenden und Entwickelten auf Seiten der DDR, auf „zivilisatorische Rückständigkeit“ (Mende 2013: 159) und ein vermeintlich fehlendes Bewusstsein für den Sozialismus seitens der Vertragsarbeiter*innen konnten allerdings auch widerständige Praktiken (wie Streik) gegen Arbeits- und Lebensbedingungen unterdrückt werden.

Als die DDR 1990 der BRD beitrat, brachte der Transformationsprozess weitreichende Veränderungen mit sich, mit unterschiedlichen Konsequenzen für die unterschiedlich positionierten sozialen Bevölkerungsgruppen. Die ersten Arbeiter*innen, die ihre Anstellung verloren und aus Deutschland ausgewiesen wurden, waren die Vertragsarbeiter*innen. Die Arbeitsverträge, die zwischen der DDR und ihren Herkunftsländern geschlossen worden waren, wurden von der BRD nicht anerkannt. Von ca. 95.000 Vertragsarbeiter*innen im Jahr 1989, hielten sich 1990 nur noch ca. 28.000 in Deutschland auf (Goel 2013: 141). Erst 1997 trat eine Aufenthaltsregelung für ehemalige Vertragsarbeiter*innen in Kraft, ein Zeitpunkt, zu dem nur noch ca. 15.000 in der BRD waren (ebd.).

Erinnerungsort 3: Die Virchowstraße

Schließlich beleuchten wir bei unserem dritten Erinnerungsort, der Virchowstraße in Cottbus, wie die Politiken der Straßenbenennung nach 1945 dazu beitrugen, koloniale Denkmuster zu legitimieren. Namensgebungen von öffentlichen Plätzen und Straßen, die direkte Bezüge zum deutschen Kolonialismus und Imperialismus aufweisen, können als symbolische Manifestationen kolonialer und damit rassialisierter Ideologie verstanden werden (Aikins & Hoppe 2011: 521). Folglich sind Straßennamen mit kolonialen Referenzen auch Formen symbolischer Gewalt[12], denn sie schreiben koloniale Erinnerungspraktiken in das kollektive Gedächtnis des urbanen Raums ein. Zwar haben Historiker*innen und Aktivist*innen eine kritische Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte sowohl in Ostdeutschland (in den 1950er Jahren) als auch in Westdeutschland (in den 1960er Jahren) initiiert, in deren Folge viele Denkmäler des Kolonialismus getilgt wurden. Allerdings folgte daraus keine nachhaltige bzw. institutionalisierte Auseinandersetzung mit der Bedeutung kolonialer Wissensbestände (Schilling 2014: 202). Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu den Strategien heutiger aktivistischer Initiativen, die beispielsweise Referenzen zu Kolonialisten in Straßennamen durch Erinnerung an antikoloniale Widerstandskämpfer*innen ersetzen und nicht durch Entfernung der Referenz die Thematisierung des Kolonialismus erschweren.

Die Benennung der Virchowstraße in Cottbus nach dem Pathologen Rudolf Virchow (1821-1902) erfolgte am 1.11.1946. Zuvor war die Straße nach Luise Hubert, geborene von Löben, der Frau des Amtsrates Hubert benannt gewesen (Akte Magistratssitzung 1946). Zu vermuten ist, dass die vorherige Benennung der Luisenstraße zu sehr an die preußische Königin Luise erinnerte. Mit Virchow honorierte die Stadt Cottbus als Teil der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) stattdessen einen der bekanntesten Medizinwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, der als Pionier auf den Feldern der Pathologie und Hygiene gilt. Weniger präsent im kollektiven Gedächtnis ist allerdings, dass Virchow auch einer der führenden Vertreter der frühen „Rassenhygiene“ war. Virchow war Gründer der Berliner (1869) und der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft (1870) und folgte einem darwinistischen Verständnis der Evolution (Becker 2008: 95). Um die Entwicklungsstadien von Barbarei zu Zivilisation zu studieren, sammelte Virchow über viertausend Objekte, darunter menschliche Überreste aus allen Teilen der Welt (Creutz 2005; Becker 2008: 96). Um „Rasseunterschiede“ zu untersuchen, ließ Virchow zudem die Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie Kopfformen von mehr als einer Million deutscher Schulkinder vermessen (Becker 2008: 95). Zwar stellte er fest, dass „eine rein erhaltene Rasse nicht existiert“ (ebd.), jedoch war sein Interesse durch die Suche nach Belegen für Unterschiede zwischen „Rassen“ begründet und legitimierte die Praxis rassistischer Forschung (Mecheril 1999: 231-239). Darüber hinaus war Virchow aktiv an der Gründung des Berliner Museums für Völkerkunde beteiligt, dessen Eröffnung zudem ohne die Objekte aus den (deutschen) Kolonien und die Sammlungsaktivitäten der Mitglieder der Berliner Anthropologischen Gesellschaft nicht möglich gewesen wäre.

Die Tatsache, dass in Cottbus zu Zeiten der SBZ eine Straße nach Rudolf Virchow benannt wurde, zeigt, wie post(real)sozialistische Praktiken der Erinnerung von der „Kolonialität der Macht“ durchdrungen sind. Während die expliziten Verbindungen zum Kolonialismus gekappt wurden, beispielsweise indem koloniale Denkmäler gestürzt oder verändert wurden, so fand wenig nachhaltige Auseinandersetzung mit den Praktiken der Hervorbringung rassistischen Wissens im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte statt. Wie Peggy Piesche (2002) in ihrer Untersuchung von Schulmaterialien der DDR rekonstruiert, waren rassialisierende Vorstellungen und Praktiken im Wissensarchiv der DDR fest verankert (was im Übrigen auch für die BRD gilt). Piesche zeigt, wie die Schulbücher Bilder von „different races and appearances“ (ebd.: 44) hervorbringen. Dabei suggerieren die Materialien, dass Weiß-Sein eine soziale Norm darstelle und die DDR-Bevölkerung im Vergleich zu anderen Nationalitäten auf einer höheren Entwicklungsstufe in der globalen sozialen Weltordnung stünde. Resümierend spricht Piesche (ebd.: 32) von einem „socialism of difference“, der mit rassistischen Stereotypisierungen arbeitete, die einen großen Einfluss auf kulturelle Praktiken hatten und mitunter auch das Leben von Kindern in entscheidender Weise prägten.

Der Erinnerungsort der Virchowstraße in Cottbus bestätigt die sich schon zuvor zeigende Permanenz der „Kolonialität der Macht“ im post(real)sozialistischen urbanen Raum. Laut dem offiziellen Selbstverständnis des antifaschistischen SED-Staates bestand keine Notwendigkeit für eine erinnerungskulturelle Aufarbeitung der Ursprünge von Kolonialismus und Faschismus. So galt die Grundlage von Rassismus mit der Überwindung des Kapitalismus als beseitigt, was eine „effektive Amnestie für Millionen ehemaliger Nazis in der DDR“ (Rabenschlag 2014: 53, eigene Übersetzung) bedeutete. Mit der Externalisierung von Rassismus in die damalige Bundesrepublik wurde also eine politische Auseinandersetzung überflüssig, rassialisierte Bilder und Praktiken blieben in der sozialen Realität aber wirkmächtig. Während die DDR jedoch immerhin teilweise einige sichtbare Referenzen des Imperialismus und Kolonialismus entfernte, so führten sie Cottbuser Akteure nach 1990 teilweise unproblematisiert wieder ein. Dies kann am Beispiel der heutigen Christoph-Kolumbus-Grundschule Cottbus verdeutlicht werden. Die vorübergehend nach Ernst Thälmann benannte Schule erhielt ihren neuen Namen 2004 als Ergebnis eines Ideenwettbewerbs zwischen Eltern, Lehrern und Kindern (s. Christoph-Kolumbus-Grundschule Cottbus 2021).

Diskussion: die urbane imperiale Differenz des post(real)sozialistischen städtischen Raumes

Die zuvor diskutierten Erinnerungsorte zeigen, dass das Tlostanovas Konzept der „imperialen Differenz“ auch auf den Stadtraum von Cottbus angewendet werden kann, um die Geschichte und Kontinuitäten rassistischer Klassifizierungen im (real)sozialistischen Kontext der DDR und in Bezug auf den städtischen Raum zu beleuchten. Wie die Arbeiten aus der post- und dekolonialen Stadtforschung (Driver & Gilbert 1998; Picker 2017; Teverson & Upstone 2011) aufgezeigt haben, reflektieren Städte das Erbe sowie Fortwirken kolonialer Machtverhältnisse in einem besonderen Maße. Freilich können nicht nur die urbanen Landschaften westlicher europäischer Metropolen (wie Berlin, London oder Paris) als „hybride Produkte der Kulturgeschichte des modernen Imperialismus“ interpretiert werden (Driver & Gilbert 2003: 4, eigene Übersetzung). Vielmehr haben sich imperiale Bestrebungen auch in die urbanen und industriellen Zentren eingeschrieben, die aus der ehemaligen DDR hervorgegangen sind. Auch diese urbanen Räume bildeten und bilden eine „contact zone“ (Pratt 1992: 1-14) für asymmetrische Begegnungen zwischen Menschen, die auf (post)koloniale Beziehungen zwischen Orten verweisen (King 2015: 24; N.K. Ha 2014: 37).

Die Diskussion der Beispiele zeigt, dass die „Kolonialität der Macht“ die sozio-ökonomischen Konfigurationen kapitalistischer wie (real)sozialistischer Gesellschaftsformen in relationaler und lokalspezifischer Weise durchzogen hat. Die Analyse der komplexen Spielarten (post)kolonialer Gemengelagen, durch die sich imperiale Verhältnisse in der zeitgenössischen Stadt halten und herausgefordert werden, (beispielsweise über Identitäts- oder Ortpolitiken) bedarf, wie Jane M. Jacobs (2012: 419) im Hinblick auf „Die Relationalität des Städtischen“ argumentiert, insbesondere lokaler Untersuchungen.

Um die Ambivalenzen sowie die Relationalität des Nach- und Fortwirkens der „Kolonialität der Macht“ mit Bezug auf den städtischen Raum zu konzeptualisieren, sprechen wir daher von „urbaner imperialer Differenz“. Damit schließen wir einerseits an die Befunde der postkolonialen Stadtforschung an und tragen der Relationalität und Spezifik von Städten im Hinblick auf Geschichte und Fortwirken kolonialer Machtverhältnisse Rechnung. Andererseits nehmen wir Bezug auf die zuvor diskutierten Überlegungen Tlostanovas und heben die Bedeutung der unterschiedlichen Beziehungen zwischen modernen – sozialistischen wie kapitalistischen – Kontexten der imperialen Bestrebungen hervor. Das Konzept der „urbanen imperialen Differenz“ erlaubt es somit, die Kolonialität des städtischen Raumes sowohl lokalspezifisch als auch mit Blick auf dessen Relationalität und Variabilität zu betrachten.

Aufbauend auf den bisherigen Befunden unserer empirischen Analyse möchten wir abschließend strukturelle (sozio-ökonomische Verhältnisse) sowie symbolische (Repräsentationsverhältnisse) Ebenen urbaner imperialer Differenz erörtern.[13] Diese Aufteilung ist hilfreich, um verschiedene Aspekte der Hierarchisierung und Klassifizierung entlang der kolonialen Matrix in den Blick zu bekommen. Kolonialismus umfasste nicht nur eine brutale Form der Herrschaft und Ausbeutung. Vielmehr ging damit auch eine Hervorbringung von kolonialem Wissen einher, welches die kolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnisse sicherte und legitimierte. Auf der strukturellen Ebene beleuchten wir dementsprechend die (Re-)Produktion sozialer und ökonomischer Verhältnisse, in denen ungleiche strukturelle Positionierungen und Teilhabechancen (etwa in der Arbeitswelt) sichtbar werden. Auf der symbolischen Ebene fokussieren wir beispielhaft Architektur, Zeichen und Namensgebungen, die koloniale Formen der Hierarchisierung und Klassifizierung naturalisieren (Aikins & Hoppe 2011: 521). Die Unterscheidung und Rekonstruktion der verschiedenen Ebenen ist freilich konzeptueller Natur, die Ebenen sind eng miteinander verwoben.

Aspekte der symbolischen Ebene urbaner imperialer Differenz können am Beispiel des Sternchens sichtbar gemacht werden. Die architektonische Gestaltung, insbesondere die ästhetische Bezugnahme auf den Weltraum, deutet auf ein (real)sozialistisches Streben nach Fortschritt und Zukunft hin. Im Kontext global verflochtener Geschichten kann dieses als Ausdruck einer Vorstellung der Überlegenheit gegenüber anderen sozialistischen Ländern und insbesondere denen des Globalen Südens verstanden werden. Die russische Konnotation, die das Sternchen über den bezeichnenden Diminutiv (zvezdka), die sozialistische und bolschewistische Ikonographie (Roter Stern) sowie den Bezug zu den „Sternenstädtchen“ der sowjetischen Kosmonauten begleitet, lässt sich zudem als Verweis auf die Vormachtstellung der Sowjetunion gegenüber der DDR deuten.[14] Gleichzeitig verweisen der Verfall und die Zerstörung des Sternchens als Teil des DDR-Kulturerbes nach 1990 wie auch Abwertungen von Kultur und Bevölkerung der ehemaligen DDR in Prozessen der Ossifizierung auf Aspekte einer urbanen imperialen Differenz zwischen der ehemaligen DDR und der heutigen BRD.

Weitere Aspekte der symbolischen Ebene urbaner imperialer Differenz werden am Erinnerungsort der Virchowstraße deutlich. Die Benennung der Virchowstraße wie auch die Fortschreibung einer kolonialen Differenz in Schulbüchern der DDR zeigt, wie rassistische Wissensbestände in der DDR wirksam waren. Die Selbstimagination der DDR als antifaschistische und zugleich weiße Gesellschaft trug auf diese Weise zur Legitimierung imperialer Kontinuitäten bei. Zugleich kann eine im Vergleich zur BRD konsequentere Umbenennung von Straßen und öffentlichen Plätzen, die in Verbindung zu Kolonialismus und NS standen, in der SBZ/DDR angeführt werden. Diese im Zuge der Entnazifizierung erfolgte Namensgebung prägt die heutige Toponymie des post(real)sozialistischen Raums.

Auf der strukturellen Ebene kann die Ambiguität der urbanen imperialen Differenz des post(real)sozialistischen Raumes beispielhaft an den Erinnerungsorten des Sternchens und des VEB TKC aufgezeigt werden. Der Konsum von Kaffee und Kakao in der Milch- und Mokka-Bar wurde durch die bestehenden asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen sozialistischen Staaten ermöglicht. Gleichzeitig trug der Bezug dieser Erzeugnisse zur innenpolitischen Stabilität der DDR bei. Die Bedeutung der Verfügbarkeit von Produkten aus dem Globalen Süden (ehemalige „Kolonialwaren“) verdeutlicht die Verwobenheit der sozioökonomischen und symbolischen Ebenen der Kolonialität der Macht. Allerdings war der Bezug von „Luxusgütern“ (wie Kaffee, Schokolade, Bananen oder Orangen), anders als die sehr günstigen Alltagsprodukte (wie Backwaren oder regionales Gemüse), in der Planwirtschaft vergleichsweise teuer (Kloiber 2017: 135). Die Versorgungslage war in Städten oftmals eine bessere als in den ländlichen Gegenden der DDR. Allerdings mussten auch hier die Bürger*innen nicht selten Schlange stehen. Die unterschiedlichen Konsummöglichkeiten bilden somit einen weiteren Aspekt einer urbanen imperialen Differenz zwischen BRD und DDR sowie zwischen dem urbanen und dem ländlichen Raum.

Ein weiterer Aspekt der strukturellen Ebene urbaner imperialer Differenz kann exemplarisch am Erinnerungsort des VEB TKC veranschaulicht werden. Wie dargelegt profitierte die DDR bei den Arbeitsmigrationsabkommen zu „Vertragsarbeit“ von den ungleichen strukturellen Verhandlungspositionen zwischen ihr und ehemaligen Kolonialstaaten. Insbesondere in den industrialisierten urbanen Zentren der DDR, in denen Vertragsarbeiter*innen größtenteils lebten und arbeiteten, erlebten sie Systeme der sozialen Differenzierung sowie – insbesondere die Vertragsarbeiter*innen aus dem Globalen Süden – der rassialisierten Klassifizierung. Die zuvor beschriebenen ungleichen Positionalitäten innerhalb der Arbeitshierarchie und im Alltag belegen, dass nicht nur die kapitalistischen, sondern auch die sozialistischen Produktionsweisen in eine koloniale Matrix eingebunden waren. Letztendlich war es vielen Betrieben wie dem VEB TKC erst mithilfe von Vertragsarbeit möglich, die Produktion fort zu setzen.

Das Beispiel Vertragsarbeit illustriert jedoch auch Aspekte einer urbanen imperialen Differenz zwischen den politischen Ökonomien der DDR und der BRD. Die DDR kritisierte die ausbeuterischen Bestimmungen der westdeutschen Anwerbeabkommen für „Gastarbeiter“. Aber auch wenn die bilateralen Arbeitsmigrationsabkommen mit anderen sozialistischen Staaten offiziell antifaschistischen und sozialistischen Prämissen folgten und anders als in der BRD Ausbildungs- und Sozialleistungen enthielten, so sah deren Umsetzung in der Realität häufig anders aus. Schließlich tritt die urbane imperiale Differenz zwischen (den Industrien) der DDR und der BRD am deutlichsten nach 1990 hervor, als nach dem Beitritt der DDR in die BRD ein Großteil ihrer ökonomischen und politischen Strukturen – wie auch das VEB TKC – abgewickelt wurden. Während nach 1990 ein Großteil der Vertragsarbeiter*innen die BRD verlassen musste, bildet Cottbus nach wie eine „contact zone“. Seit 2015 ist ein stetiger Zuzug von „migrantischen“ Bevölkerungsgruppen zu verzeichnen (von 3,2 % in 2008 zu 9,15 % in 2021; s. Stadtverwaltung Cottbus 2022). Das Beispiel der Umbenennung der vormalig nach Ernst-Thälmann benannten Christoph-Kolumbus-Grundschule führt wiederum vor Augen, wie es nach 1990 wieder möglich wurde, den Namen einer emblematischen Figur des deutschen Antifaschismus durch eine der bekanntesten Gestalten des europäischen Kolonialismus zu ersetzen.

Die hier diskutierten symbolischen und strukturellen Ebenen urbaner imperialer Differenz deuten auf eine ambivalente Position innerhalb der „Kolonialität der Macht“ hin, die die DDR gegenüber Kolonialismus und Imperialismus sowie gegenüber dem kapitalistischen Westen einnahm. Auch in Hinsicht auf den post(real)sozialistischen Stadtraum lässt sich also von einer janusköpfigen urbanen imperialen Differenz sprechen. Entsprechend möchten wir einerseits die (Dis-)Kontinuitäten rassialisierter post(real)sozialistischer Urbanität und andererseits die Möglichkeitsräume hervorheben, die sozialistische Gesellschaftsformen gegen koloniale sowie kapitalistisch-ausbeuterische Ordnungen boten (s. auch Kušić u.a. 2019).

Schlussbemerkung

Ziel des vorliegenden Artikels ist es, die ambivalenten Verflechtungen von kolonialen und sozialistischen Spuren im post(real)sozialistischen urbanen Raum Cottbus sichtbar zu machen. Im Anschluss an dekoloniale Perspektiven und die postkoloniale Stadtforschung haben wir am Beispiel dreier Erinnerungsorte verschiedene Facetten herausgearbeitet, an denen die Modernität/Kolonialität des post(real)sozialistischen städtischen Raumes der ehemaligen DDR illustriert werden kann. Diese spiegeln eine Ambivalenz zwischen der Fortschreibung kolonialer Strukturen, einem antiimperialistischen Selbstverständnis sowie der eigenen Erfahrung von Prozessen der Abwertung. Die teilweise widersprüchlichen Aspekte der Modernität/Kolonialität des urbanen post(real)sozialistischen Raumes haben wir in Anlehnung an und Weiterentwicklung von Tlostanova als urbane imperiale Differenz konzeptualisiert. Darüber wollen wir nicht nur die Kontinuitäten von Prozessen der Rassialisierung in postsozialistischen urbanen Räumen wie Cottbus ausbuchstabieren. Vielmehr zielt unser Beitrag darauf ab, auch postsozialistische Formen der Abwertung im Kontext der Transformationsprozesse nach 1990 sichtbar zu machen. Wie u.a. die rechtsextremen Mobilisierungen nach 1990 sowie – wie eingangs angeführt – im heutigen Cottbus zeigen, haben die ambivalenten und vielfältigen Prozesse der Rassialisierung einen Einfluss auf die gegenwärtigen Debatten um Zugehörigkeit im postsozialistischen urbanen Raum. In diesem Sinne macht die Aufarbeitung des kolonialen Erbes des post(real)sozialistischen Raumes anhand urbaner Erinnerungsorte die vielfältigen Prozesse sozialer Hierarchisierung im „wiedervereinigten“ Deutschland deutlich.

Die Komplexität der kolonialen Einbettung des post(real)sozialistischen Raumes sichtbar zu machen und Raum für epistemische und soziale Gerechtigkeit zu schaffen, bleibt ein unabgeschlossenes Projekt. Entsprechend kann der vorliegende Artikel zu Narrativen beitragen, die andere, solidarischere und heterogenere Geschichten und Verbindungen zwischen geographischen Kontexten und Menschen ermöglichen.

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Anschrift der Autor*innen:
Miriam Friz Trzeciak                                          Manuel Peters
trzeciak@b-tu.de                                                manuel.peters@b-tu.de

https://doi.org/10.3224/peripherie.v42i1.05

 

[1]       Obwohl sowohl postkoloniale als auch dekoloniale Studien die andauernden Effekte und Dynamiken des Kolonialismus analysieren, gibt es bedeutsame Unterschiede zwischen diesen Ansätzen. Wie Bhambra (2014: 115) aufzeigt, sind postkoloniale Studien tendenziell in den Cultural Studies verortet und wurden von diasporischen Intellektuellen entwickelt. Hingegen sind dekoloniale Theorien stärker in einer soziologischen Perspektive beheimatet (etwa der Weltsystemtheorie) und wurden hauptsächlich von lateinamerikanischen Intellektuellen konzipiert (ebd.).

[2]       Um die spezifische Geschichte und Machtposition der DDR-Gesellschaft im Kontext des Machtgefüges während des kalten Krieges hervorzuheben, sprechen wir von „post(real)sozialistischen Räumen“. Darüber möchten wir die Pluralität und Widersprüche zwischen verschiedenen Ideen und „realen“ Umsetzungsversuchen des Sozialismus in den Vordergrund rücken, die wiederum auf verschiedene Formen der Modernität/Kolonialität verweisen. Unsere Überlegungen beziehen sich auf den urbanen Kontext Ostdeutschlands, der aus der ehemaligen DDR hervorgegangen ist. Wir gehen davon aus, dass andere sozialistische Gesellschaftsformen jeweils auf spezifische Weise mit der „Kolonialität der Macht“ verwoben sind, die einer entsprechend differenzierten und kontextspezifischen Analyse bedarf.

[3]       Ausführlich zu diesem Projekt s. Trzeciak 2020.

[4]       Für Cottbus s. etwa die Broschüre von Häfner & Müller 2020.

[5]       Für einen Überblick s. die Homepage Dekoloniale 2022.

[6]       Für einen Überblick s. Stykow 2013.

[7]       Eine Innenansicht des Sternchens und weitere Bilder sind unter folgendem Link verfügbar: https://deu.archinform.net/projekte/26036.htm, letzter Aufruf: 15.2.2022.

[8]       Heft (2020: 245) arbeitet hier mit einer begrifflichen Doppeldeutigkeit, um die diskursive Festschreibung negativer Attribute gegenüber Ostdeutschen zu konzeptualisieren. Ossifikation verweist nicht nur auf Prozesse der diskursiven Hervorbringung der Ostdeutschen, sondern steht in der Medizin auch für „Verknöcherung“. Metaphorisch gewendet verweist Heft mit Verknöcherung auf „eine ossifizierende Kulturalisierung weiche[r] Differenzerfahrungen zu unverrückbaren kulturellen Gegensätzen“ (ebd.). Bedeutsam ist auch, dass die nach 1989/90 bekannt gewordene Bezeichnung „Ossi“ im Wortstamm enthalten ist.

[9]       Von 1951 bis 1961 wanderten knapp 2,6 Millionen DDR-Bürger*innen nach Westdeutschland aus, während von 1949 bis 1989 550.000 Westdeutsche in die DDR aussiedelten (Möhring 2015: 375). Der Mauerbau stoppte in den Jahren 1962 und 1963 die Auswanderung aus der DDR. Es folgte ein wirtschaftlicher Aufschwung in den 1960er Jahren. In den 1970ern verließen wieder mehr als 100.000 Menschen jährlich die DDR (Statistisches Bundesamt 1993: 24). Das statistische Bundesamt (ebd.) führt Bevölkerungsgewinne ab Ende der 1980er Jahre auf den Anstieg von Vertragsarbeiter*innen zurück.

[10]      S. das Interview mit drei Vertretern der Madgermanes in diesem Heft, S. 11ff, hier S. 16; für weitere Zeugnisse s. u.a. die Homepage Eigensinn im Bruderland, https://bruderland.de/ letzter Aufruf: 1.4.2022.

[11]      Beispielsweise streikten 23 mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen am 11.3.1982 im Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb VEB Cottbus, weil sie zu wenig Geld ausgezahlt bekommen hatten (Homepage Eigensinn im Bruderland 2021).

[12]      Bourdieu verwendet den Begriff der symbolischen Gewalt sinnverwandt zu symbolischer Macht oder symbolischer Herrschaft. Diese wird „vor allem über Kultur, das heißt über die symbolischen Dimensionen des sozialen Lebens, die Sinnbezüge, die Weltansichten und selbstverständlichen Denkweisen vermittelt“ (Moebius & Wetterer 2011: 1f).

[13]      Hinzugefügt werden kann die Subjektebene (Akteur*innen) (zur Diskussion der Analyseebenen und ihrer Verwobenheit s. Winker & Degele 2010). So stellten (real)sozialistische Gesellschaftsordnungen spezifische Subjektpositionen (wie Arbeiter*in, Genossenschaftsbauer*in oder Vertragsarbeiter*in) bereit, die nicht nur wirkmächtige Identifizierungsangebote darstellten, sondern auch mit sozialen Hierarchisierungen verbunden waren. An den zuvor angeführten Berichten von Vertragsarbeiter*innen wurde die Bedeutung der Subjektebene bereits deutlich.

[14]      Für diesen Hinweis danken wir Reinhart Kößler.