Welternährung

Editorial zum Dossier iz3w 382 (Jan./Feb. 2021)

Biafra-Kinder mit aufgeblähten Bäuchen und Brot für die Welt – das ist alles so Retro wie die Schwarzweißfotos aus den Siebzigerjahren. Als ein Relikt aus längst vergangenen entwicklungspolitischen Zeiten dürften jüngeren Menschen auch Begriffe wie Welternährung und Ernährungssicherheit erscheinen. Nicht ganz zu Unrecht: Eine Zeitlang hatte es ja wirklich so ausgesehen, als ob der Hunger bald aus der Welt geschafft wäre und zu einem Problem von gestern wird. Entsprechende Ziele waren in allen wichtigen internationalen Übereinkünften verankert. Noch vor fünf Jahren waren viele Fachleute optimistisch, dass zumindest ein Mindestmaß an Ernährungssicherheit auf globaler Ebene in Bälde erreicht wird.

Doch nicht nur die Corona-Pandemie machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung, sondern auch die perfide Strategie einiger Kriegsparteien, den Hunger verstärkt als Waffe einzusetzen – in Syrien ebenso wie im Jemen oder im Südsudan. Der Hunger ist heute wieder auf dem Vormarsch. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) registrierte 2019 die Rekordzahl von 135 Millionen Menschen, die akut hungern und deren Leben und Gesundheit deswegen massiv gefährdet sind. Tendenz: stark ansteigend.

Es stieß daher auf verbreitete Zustimmung, als dem WFP im Oktober der Friedensnobelpreis zugesprochen wurde. »Nahrung ist der beste Impfstoff gegen Chaos«, begründete Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelkomitees, die Ehrung und proklamierte: »Ernährungssicherheit ist ein Werkzeug des Friedens.« Das WFP gilt als größte humanitäre Organisation weltweit, 2019 versorgte es fast hundert Millionen Menschen in 88 Ländern mit Lebensmitteln. Das WFP sei in der Lage, auch schwer zugängliche Regionen etwa in Syrien oder im Jemen zu erreichen, erklärte das Nobelkomitee. Bei der internationalen Ächtung von Hunger als Kriegswaffe – etwa durch die 2018 verabschiedete UN-Resolution 2417 – habe das WFP eine aktive Rolle gespielt.

Das WFP auszuzeichnen ist zwar keine Fehlentscheidung, wie es sie in der Geschichte der Friedensnobelpreise öfter gab. Doch es ist eine mutlose Verleihung. Denn das WFP rüttelt nie an den Ursachen für den Hunger, es verteilt lediglich die Überschüsse der agroindustriellen Lebensmittelproduktion an die besonders Elenden unter den Elenden. So lässt sich zwar ein Anschein von sozialem Frieden herstellen. Andere Organisationen sind aber wesentlich kämpferischer, angefangen bei Bewegungen wie etwa der Landlosenbewegung und den NGOs, die sich für das Recht auf angemessene Ernährung und für die Ernährungssouveränität der Menschen einsetzen, bis hin zu Gewerkschaften und Kooperativen, die für humane Arbeitsbedingungen auf dem Feld und in den Fabriken der Nahrungsmittelerzeuger streiten.

Als bekennende Hedonist*innen hätten wir liebend gerne eine ganze iz3w-Ausgabe zu den schönen Seiten der Ernährung gestaltet. Stoff gäbe es mehr als genug. Essen und Trinken sind nicht umsonst in allen Gesellschaften ein Quell von Lebensfreude. Sie erfüllen wichtige soziale Aufgaben, wie die geradezu universale Wertschätzung von gemeinsamen Mahlzeiten verdeutlicht.

Doch im Laufe der Arbeit an diesem Dossier wurde immer klarer: Als kritische Zeitschrift kommen wir nicht daran vorbei, in erster Linie über den Mangel an ausgewogener Ernährung zu schreiben – und über all die empörenden Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen, die maßgeblich zur Fortexistenz eines globalen Ernährungsregimes beitragen, das in sozialer und ökologischer Hinsicht katastrophal ist. Dieses Ernährungsregime wurde im Zeitalter des Kolonialismus der ganzen Welt aufgezwungen und wird bis heute in seinen Grundzügen kaum angetastet. Es harrt seiner Revolutionierung, etwa durch umfassende agrarökologische Ansätze und durch Ernährungssouveränität – sowohl auf Seiten der Produzent*innen als auch der Konsument*innen.

Bebildert ist dieses Dossier mit einer Fotostrecke von Street Food Vendors aus aller Welt. Diese Berufsgruppe steht in besonderem Maße stellvertretend für die Verhältnisse in der Lebensmittelbranche. Einerseits versorgen die Street Food Vendors Milliarden Menschen mit oftmals großartigen Speisen und Getränken; zu Recht sind sie stolz auf ihre Arbeit und ihre Kompetenz. Andererseits sind ihre Arbeitsbedingungen und ihre Entlohnung miserabel, sie werden kaum gewürdigt und die Behörden drangsalieren sie. Auch hier ist ein grundlegender Wandel überfällig, findet

 

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