Die Medien meldeten es rasch: Bei den schwersten Gefechten zumindest seit Beginn des Jahres, wahrscheinlich seit die Bundeswehr in Afghanistan irgendwelche Interessen verteidigt, wurden am Karfreitag südwestlich Kundus' drei deutsche Soldaten getötet, acht verletzt, unter ihnen vier Schwerverletzte.
Mit den Texten über jenen unsäglichen Krieg ist es wie mit allen Worten, die längst zu Asche geworden sind, und dennoch immer wieder ausgesprochen werden müssen. Es muß wieder etwas dazu gesagt werden, weil das aufhören muß. Es muß aufhören, nicht irgendwann, sondern jetzt, sofort, unverzüglich!
Meine erste Überlegung war, eine neumodische Wendung zu schreiben: Afghanistan reloaded. Das hat mit Computer-Worten zu tun, oder auch mit anderen Neuansätzen. Kapitalismus reloaded war ein gängiger Spruch, der auf die neue Qualität des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts verwies und dennoch auf seine unveränderte Grundqualität. Reload hat im Deutschen allerdings nicht nur eine Bedeutung. Da ist zunächst umladen oder neu laden. Die Last wird umgeladen, nachdem der Lastwagen gegen einen Baum gefahren ist. Neu laden heißt nicht nur, daß der Wagen wieder beladen wird, also erneut beladen, sondern nachladen, was wiederum eher eine Drohung ausdrückt, wie wenn Sarah Palin ihre Waffe nachlädt oder neu aufmunitioniert, die sie auf die Demokraten richtet. In diesem Sinne läuft die Debatte der bürgerlichen Politik und Medien nach den jüngsten Gefechten von Kundus in der Tat darauf hinaus, daß Deutschland wieder nachladen soll, neu aufmunitioniert, mit neuen Panzern, mehr Kampfhubschraubern, härter ausgebildeten Soldaten. Das reload kann aber auch heißen: wieder verladen. Die deutsche Öffentlichkeit soll wieder verladen werden, weil sie glauben soll, dieser Krieg sei nicht nur führbar, sondern auch gewinnbar. Brigadegeneral Frank Leidenberger, einer der Afghanistan-Befehlshaber, wurde jetzt mit dem Satz zitiert: „Wir geben nicht klein bei. Wir werden weiterkämpfen, und wir werden gewinnen." Wenn das als Grund für die Fortsetzung des Krieges gelten soll, ist das verdammt wenig.
Der zuständige Minister brach extra seinen Osterurlaub ab, um der staunenden deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen, der Krieg sei jetzt „umgangssprachlich" Krieg. Also nicht völkerrechtlich oder formaljuristisch, sondern „umgangssprachlich". Die Toten sind allerdings nicht nur umgangssprachlich tot, sondern sehr real. Seit Beginn der deutschen Kriegsbeteiligung sind es jetzt (mit den drei Toten vom Karfreitag) 39 deutsche Soldaten.
Wieviele sollen es eigentlich noch werden? Und wer trägt die Schuld? Natürlich der Taliban. Die Bundeskanzlerin, im Kriegsfalle die oberste Kriegsherrin, redete von einem „verabscheuungswürdigen und hinterhältigen Angriff". Was ist eigentlich verabscheuungswürdiger und hinterhältiger, den bewaffneten Soldaten „des Feindes" eine Falle zu stellen und sie anschließend in ein ganz traditionelles Gefecht zu verwickeln, oder des Nachts mit hochmodernen Waffen aus der Luft eine Ansammlung von Zivilpersonen zu bombardieren? Jetzt ist zweimal Kundus, einmal das eine, mit den Bomben und den vielen afghanischen Toten, und dann das andere, mit drei deutschen Toten. Vielleicht gingen ja auch jene bärtigen Männer davon aus, daß sie noch eine Rechnung offen hatten mit den Deutschen. Wie der deutsche General jetzt meint: „Wir geben nicht klein bei. Wir werden weiterkämpfen, und wir werden gewinnen." Den Satz hat vielleicht auch der Taliban-Kommandeur gesagt, als er seinen Leuten die Stellungen zuwies bevor die deutschen Schützenpanzer angefahren kamen. „Wir hatten nicht mit einer solchen massiven Kampfkraft der Taliban gerechnet", wurde ein deutscher Offizier zitiert. Es seien etwa zweihundert Taliban gewesen, und sie seien „ungewöhnlich schwer bewaffnet gewesen". Ja, denken denn die deutschen wie die US-amerikanischen und NATO-Planer, sie könnten des Langen und des Breiten diskutieren über neuen Einsatz, Bewaffnung, Strategie und Taktik, und der Kriegsgegner merkt das nicht? Der Westen bringt weitere Waffen nach Afghanistan und die Taliban, oder wer dafür gehalten wird, schauen zu? Den Krieg, in dem die eine Seite nicht reagiert auf das, was die andere tut, gibt es nicht. Aber vielleicht ist ja „verabscheuungswürdig und hinterhältig" der Krieg überhaupt, und nicht das, was die eine oder die andere Seite tut? Dann sollte aber endlich der Krieg aufhören!
Auch Außenminister Westerwelle meldete sich zu Wort. „Wenn wir jetzt Hals über Kopf abziehen würden, wäre das Land in ganz kurzer Zeit wieder Rückzugsgebiet des Weltterrorismus." Woher weiß er das? Jürgen Todenhöfer, einst konservativer Abgeordneter im Bundestag, dann einer der schärfsten Kritiker der Kriege in Afghanistan und Irak, ist jemand, der sich dort auskennt. Er hatte schon in den 1980er Jahren Kontakte zu den damals vom Westen finanzierten und ausgerüsteten „Freiheitskämpfern" in Afghanistan, die die Vorläufer der heutigen „Taliban" waren, und das Land zu Zeiten der sowjetischen Besetzung besucht. Im vergangenen Jahr war er wieder dort. Sein Fazit lautete: das, was der Westen als internationalen Terrorismus bezeichnet, ist längst weitergezogen, nach Jemen oder Sudan, ist eigentlich in Saudi-Arabien zu Hause oder in Hamburg, und die Männer, die in Afghanistan gegen die westlichen Soldaten kämpfen, tun dies nicht für den „Terrorismus", sondern um die fremden Eindringlinge aus ihrem Land zu verjagen. Wohlgemerkt: aus ihrem, nicht aus unserem. In Bezug auf Westerwelle heißt das: Eine Regierung, deren Lageeinschätzung auf falschen Prämissen beruht, kann keine richtigen Schlußfolgerungen ziehen.
Seit 2001 tobt nun der Krieg des Westens in Afghanistan. Zuerst gab es nach dem 11. September 2001 das großmäulige Wort eines deutschen Kanzlers über „uneingeschränkte Solidarität" mit den USA. Die bestand dann in der Kriegsteilnahme in Afghanistan. Es folgten große Worte von Demokratie, Frauenrechten und Schulbau. Dann galt Afghanistan jahrelang als Erfolgsgeschichte: die Taliban als besiegt, die Regierung Karsai, die immerhin auf dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 aus der Taufe gehoben wurde, als demokratisch, und der Rest als Problem von Polizei, Entwicklungshilfe und Wiederaufbau. Die alten Warlords, die das Land bereits in den 1990er Jahren ins Chaos gestürzt hatten, haben sich ein demokratisches Mäntelchen umgehängt und ihre Macht wieder ausgebaut. Diese Macht beruht in vielem auf einer Drogenökonomie, die derzeit wertmäßig mehr umschlägt, als die Hälfte der gesamten legalen Ökonomie Afghanistans ausmacht.
Inzwischen toben die Kämpfe wieder in fast dem ganzen Land. Karsai hatte sich mittlerweile seinen Präsidentenstuhl durch Wahlfälschung erneut gesichert, und der Westen hat diesem Treiben Absolution erteilt. Kürzlich meinte Karsai, die Wahlen seien durch den Westen gefälscht worden, nicht durch seine Leute. Und in Anwesenheit des US-Oberkommandierenden, General McChrystal, erklärte er nun vor einer Versammlung afghanischer Stammesführer, wenn sie es nicht wollten, werde die geplante NATO-Offensive im Süden Afghanistans nicht stattfinden. Er werde sie nicht gestatten. Und er werde vielleicht ebenfalls noch zum Taliban. Der Westen zeigte sich irritiert und meinte, das sei nur Gerede. Was aber, wenn das kein leeres Gerede, sondern afghanische Politik ist? Dann hätte die Fortsetzung des Afghanistan-Krieges keine formaljuristische und auch keine umgangssprachliche, sondern gar keine Grundlage. Es gibt Konstellationen in der Geschichte, da die scheinbar sehr schwache, abhängige Seite plötzlich über sehr große politische Spielräume verfügt, weil sie sich die Option eröffnet, auszusteigen. Und die scheinbar so mächtige, überlegene Seite, kann dies nicht verhindern, weil sie diese Option nicht hat.
Stell' dir vor, du wachst morgens auf, und der Krieg ist aus! Früher, als Westerwelle und all' die anderen heute glauben. Viele Menschen blieben am Leben, auch junge Deutsche.