Ein Dammbruch:

Abschiebungen in Einsatzgebiete der Bundeswehr

Heute: Afghanistan

 

Mitte Dezember 2016 begannen die ersten Sam­melabschiebungen nach Afghanistan.

Betroffen waren vom ersten Flug 34 Asylbewer­ber_innen aus den Bundesländern Bayern, Ba­den-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und dem Saarland. Sie wurden mit einer eigens hierfür gecharterten Maschine von Frank­furt nach Kabul gebracht und sind dort von der Flughafenpolizei und Personal der International Organisation for Migration (IOM) in „Empfang“ genommen.

Vielleicht war das der Moment, in dem das Asyl­recht in Deutschland vollends seine Wirkung ver­loren hat. Denn in Afghanistan ist die Lage alles andere als sicher: Die Taliban erobern immer weitere Gebiete zurück, auch der IS/Daesh macht sich breit. Bekämpft werden sie von den vom Ausland finanzierten Afghan National Security and Defence Forces (ANSDF), ausgebildet und koordiniert von westlichen Militärs – darunter die Bundeswehr – und unterstützt von ausländischen Spezialeinheiten.

Laut übereinstimmender Einschätzung von Men­schenrechtsorganisationen wie Amnesty Interna­tional hat sich die Lage seit Anfang 2015 deutlich verschlechtert, nach Angaben der UN ist für 2016 mit mehr zivilen Opfern zu rechnen, als je zuvor. Unter den Abgeschobenen waren auch Angehö­rige von Minderheiten. Im grün regierten Baden- Württemberg wurde ein Konflikt mit dem Koaliti­onspartner CDU inszeniert.

Im letzten Moment wurde ein afghanischer Christ von der Liste der Abzuschiebenden gestrichen, an­geblich auf Initiative der Grünen: „Verstehen kann ich es nicht, wie der Innenminister und der Lan­desvorsitzende einer Partei mit dem C im Partei­namen zehn Tage vor Weihnachten einen Christen nach Kabul abschiebt“, so ein Grünen-Politiker. Andere Personen aus Baden-Württemberg wurden jedoch schonungslos ins Flugzeug gesetzt.

 

Zuvor: Kosovo

 

Tatsächlich dürfte die Positionierung der Grünen in Baden-Württemberg entscheidend für die aktu­elle Trendwende in der Abschiebepolitik sein, mit der Populismus und Rechtsnihilismus an die Stel­le getreten sind, wo einst ein Grundrecht auf Asyl bestand und internationales Recht seiner Wirkung beraubt wird. Schon während der sog. „Flüchtlingskrise“ hatten die Grünen in Baden-Württem­berg Zustimmung zur Einstufung des Kosovo als „sicherem“ Drittland signalisiert – während ihre KollegInnen auf Bundesebene bis auf zwei Aus­nahmen zuletzt am 23. Juni 2016 der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo zustimmten. In dem Antrag zur Mandats­verlängerung heißt es: „Die internationale Truppenpräsenz KFOR bleibt jedoch zur Auf­rechterhaltung eines sicheren und stabilen Umfelds und der Sicherstellung der Bewegungs­freiheit insbesondere im Norden erforderlich.“

Das Mandat umfasst 1.350 deut­sche Kräfte, darunter über 500, die zum deutsch-österreichi­schen Reservebataillon gehö­ren, das bei Eskalation der Lage kurzfristig und robust eingreifen soll.

 

Bald: Mali

 

Menschen in Länder abzuschie­ben, in denen Krieg herrscht und wo die Bundeswehr selbst mitkämpft, soll zukünftig offen­bar zur Regel werden. Beson­ders offensichtlich wird das am Abkommen der EU mit Mali, das am 11. Dezember 2016 ge­schlossen wurde und das, neben einer verstärkten Bekämpfung des Schlepperwesens, vor allem die einfachere Abschiebung von Menschen nach Mali vorsieht. Quasi zeitgleich kündigte die Bundesregierung an, die bereits etwa eintausend deutschen Kräf­te in Mali um etwa weitere 300 zu verstärken.

Die Aufstockung beinhaltet im Wesentlichen Kampf- und Ret­tungshubschrauber für die im Norden des Landes kämpfen­den Truppen. Die militärischen Evakuierungshubschrauber, die offenbar im Verbund mit den Kampfhubschraubern zum Einsatz kommen sollen, um Verwundete auch aus noch an­haltenden Gefechten zu bergen, gelten als zentral für die Aus­weitung des Aktionsradius der deutschen Truppen im Norden: In der kaum erschlossenen Wü­stengegend, in der die Truppen der MINUSMA keine Kontrolle ausüben, gilt die Rettungskette, also die schnelle Evakuierung Verwundeter, als zentral. Denn in Mali handelt es sich um den gegenwärtig robustesten und gefährlichsten Einsatz der Bun­deswehr. Zu MINUSMA zählen auch 650 der in Mali einge­setzten Kräfte der Bundeswehr. Weit über 100 Angehörige der MINUSMA wurden bereits ge­tötet. Gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr waren bereits an Gefechten beteiligt, auch das deutsche Feldlager bei Gao, Camp Castor, wurde bereits an­gegriffen.

Der angrenzende Flughafen wur­de Ende November 2016 durch einen Anschlag schwer beschä­digt und außer Betrieb gesetzt. Die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschreibt die Sicherheitslage im Norden ungeschminkt: „Von Ende 2015 bis September 2016 kam es zu 52 Anschlägen auf MINUSMA; dabei starben 30 Menschen. 52 Todesopfer gab es zwischen Juni und Septem­ber bei Attacken auf die Armee. Die fünf Regionen des Nordens – Timbuktu, Gao, Kidal, Ména­ka, Taoudéni – werden weiter von bewaffneten Gruppen ... kontrolliert... Staatliche Akteure sind bislang nicht in den Norden zurückgekehrt.“ Die Regierung, mit der in Bamako das Abkom­men über Rückführungen unter­zeichnet wurde, hat also über große Teile des Landes über­haupt keine Kontrolle. Doch selbst im Zentrum und im häufig als „sicher“ bezeichneten Süden wird die Lage immer schlimmer. Noch einmal die SWP: „Alar­mierender ist die Tatsache, dass Rechtlosigkeit und Gewalt in Zentral-Mali Fuß gefasst haben. Wo staatliche Präsenz hier über­haupt existiert, ist sie weitge­hend symbolisch und auf urbane Zentren beschränkt. Auch im Süden breitet sich Unsicherheit aus... Ausläufer der Krise errei­chen auch Nachbarstaaten.“

 

Die „Bekämpfung von Fluchtursa­chen“

 

Dass just in diesem Moment ein Rücknahmeabkommen mit einer im Zuge der Militärinter­vention eingesetzten Regierung in Bamako abgeschlossen wird, zeigt die Dimension des Para­digmenwandels in der Flücht­lingspolitik. Wo früher kon­trovers über die „heimatnahe Unterbringung“ diskutiert wur­de, werden heute offen und sy­stematisch Menschen in Kriegs­gebiete abgeschoben.

Zwar wird von einer „Bekämp­fung von Fluchtursachen“ fabu­liert, in der Praxis handelt es sich jedoch um dauerhafte Stationie­rungen von Bundeswehrsolda­ten, Ausbildungsmissionen und die internationale Finanzierung von „Sicherheitskräften“, die in Wirklichkeit die Lage mehr de­stabilisieren, als sichern.

Was sie aber gewährleisten, ist die Existenz von Pseudo- und Marionettenregierungen, die – im Verbund mit „humanitären Organisationen“ und der IOM – als lokale Partner der Abschie­belogistik fungieren. Und dieser Prozess ist absehbar auf Perma­nenz angelegt. Denn eine wahre „Bekämpfung von Fluchtursa­chen“ findet nicht statt.

Das neoliberale Nation Building westlicher Prägung baut vor Ort Schattenstaaten auf, die sich letztlich auf überdimensionierte und unkontrollierte Sicherheits­apparate beschränken und der Bevölkerung nichts zu bieten haben. Der Bundeswehreinsatz im Kosovo geht 2017 ins 18. Jahr, derjenige in Afghanistan ins 15. und jener in Mali wird absehbar nicht schneller und er­folgreicher zu Ende gehen.

Denn anders als in Afghanistan und im Kosovo besteht in Mali nicht einmal ein formaler Plan für eine künftige Ordnung und die militärisch präsenten Staa­ten verfolgen unterschiedliche Ziele. Das gilt auch für die „en­gen Partner“ Deutschland und Frankreich. Französische Spe­zialkräfte kämpfen an vorderster Front zusammen mit Sezessio­nisten, anschließend soll die MI­NUSMA die eroberten Gebiete sichern und die Präsenz der von der Bundeswehr im Süden aus­gebildeten malischen Armee er­möglichen – die wiederum von jenen Sezessionisten bekämpft wird, mit denen Frankreich zu­sammenarbeitet.

Dieser vom Ausland perpetuier­te Bürgerkrieg bringt nichts als Elend – und eben eine Regie­rung in Bamako, die Migrati­onsabkommen signiert.

 

Christph Marischka

 

Christoph Marischka ist Mitarbeiter und Refe­rent der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen. Kontakt: www.imi-online.de

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 415, Januar 2017, www.graswurzel.net