„Grenzen sind überwindbar" schallt es durch den Saal des „Treffpunkt Jugend" in Potsdam. Eine junge Gruppe des GRIPS-Theaters aus Berlin führt einige Ausschnitte aus ihrem Theaterstück zum Thema Staatsgrenzen vor. Wir befinden uns auf einer Gala zur Wahl des Abschiebeministers, welche die Protesttage zur Innenministerkonferenz, bestehend aus der Gala, einer Demonstration und einer Konferenz, eröffnet.
Organisiert wurde das Protestprogramm von „Jugend ohne Grenzen", einer Vereinigung, in der sich jugendliche Migrantinnen und Migranten aus ganz Deutschland organisieren. Viele von ihnen sind für die Aktionstage nach Potsdam gekommen. „Die Politiker haben eine großzügige Bleiberechtsregelung versprochen. Diese Versprechen wurden gebrochen", ärgert sich ein junger Flüchtling in einer Rede.
Besonders unbeliebt ist Hamburgs Innenminister Christoph Ahlhaus. Er wurde auf der Gala aus fünf zur Wahl stehenden Innenministern zum Abschiebeminister 2008 gewählt. Bei seiner Vorstellung wurden insbesondere die von Hamburg ausgehenden Sammelabschiebungen und die als besonders hart und unfair arbeitend geltende Ausländerbehörde hervorgehoben.
Aber es wurden auch vier Projekte ausgezeichnet, die sich tatsächlich für Flüchtlinge und ihre Rechte einsetzen. Der Initiativpreis 2008 ging unter anderem an die Klasse 10A/C der Ludgeri Hauptschule aus Altenberge im Münsterland. In dieser Klasse kam Florenta, eine kosovarische Mitschülerin, vor einigen Wochen nicht mehr zur Schule. „Erst herrschte Unverständnis, dann wurden wir darüber aufgeklärt, dass Florenta nach Serbien abgeschoben werden sollte und deshalb untergetaucht ist", erklärt Matthias Mrass, ein Klassenkamerad. Er habe daraufhin zusammen mit ungefähr 15 weiteren Schülerinnen und Schülern eine Unterschriftenaktion gestartet, um gegen Florentas Abschiebung zu protestieren. „Die Reaktionen waren unterschiedlich", erinnert sich Astrid Veelker, „einige reagierten positiv, andere wurden richtig aggressiv". Trotzdem sind über tausend Unterschriften zusammengekommen. „Für eine Stadt wie Altenberge mit nur 10.000 Einwohnern gar nicht schlecht", meint ihre Lehrerin.
Neben der politischen Unterstützung sind Florenta und ihre Familie auf materielle Hilfe angewiesen. Seit sechs Wochen ist die Familie untergetaucht und wird von Bekannten mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt. Nach Serbien wollen sie auf keinen Fall. Florenta ist von Misshandlungen im Kosovo und von gescheiterten Fluchtversuchen traumatisiert, ihre Mutter hat Diabetes. Aber die Aussichten sind schlecht. Um der Abschiebung zu entgehen, müsste die Härtefallkommission eine Empfehlung aussprechen. Das wird sie aber wahrscheinlich nicht tun, weil die Familie untergetaucht ist, um nicht direkt abgeschoben zu werden. Ein Teufelskreis.
Wie Florenta und ihrer Familie geht es vielen Flüchtlingen in Deutschland. Ihren Missmut haben die Jugendlichen deshalb während der Innenministerkonferenz an die Verantwortlichen herangetragen. Im Aufruf zur Demonstration am 20.11.2008, dem Tag der Kinderrechte, heißt es: „Gleiche Rechte für Alle bestehen in Deutschland leider nur auf dem Papier. Die UNO-Kinderrechte gelten nicht für Flüchtlinge und über 100.000 Geduldete müssen nicht nur jahrelang in Angst vor der Abschiebung leben, sie dürfen nicht einmal ihr Bundesland verlassen, so will es die Residenzpflicht."
Durch die Residenzpflicht wurde einigen Jugendlichen von „Jugend ohne Grenzen" sogar die Teilnahme an den Protesttagen und damit ihr Recht auf Meinungsäußerung verwehrt. „Der Antrag zum vorübergehenden Verlassen der räumlichen Beschränkung der Duldung wird abgelehnt", heißt es im Schreiben der Darmstädter Ausländerbehörde.
Zur Demonstration, die am 20. November im strömenden Regen und in Verbindung mit einem unverhältnismäßig massiven Polizeiaufgebot stattfand, kamen dennoch knapp 300 Demonstrierende.
Die Innenminister schenkten dem offensichtlich wenig Beachtung: Außer des Lippenbekenntnisses, „das Bewusstsein für das Schicksal solcher Kinder, die als Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland kommen, weiter stärken" zu wollen, gab es bei der Innenministerkonferenz keine wesentlichen Fortschritte.
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