Die USA und das Öl

Das amerikanische Energieproblem, der Cheney-Report und die US-Außenpolitik

Als die Regierung George W. Bush 2001 ihre Arbeit begann, waren ihre intern abgesprochenen Prioritäten nicht der Kampf gegen den Terrorismus oder die Suche nach Massenvernichtungswaffen,

I

Als die Regierung George W. Bush 2001 ihre Arbeit begann, waren ihre in-tern abgesprochenen Prioritäten nicht der Kampf gegen den Terrorismus oder die Suche nach Massenvernichtungswaffen, oder irgendein anderes der Ziele, die Bush nach dem Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 noch so erklärt hatte, sondern etwas ganz anderes, ausgesprochen Prakti-sches: Die Sicherstellung und Erhöhung des regelmäßigen Zuflusses von Erd-öl aus ausländischen Fördergebieten in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dabei handelte es sich nicht allein um die Bedienung begehrlicher Profitinte-ressen der mit Bush eng vernetzten Petroleumindustrie, sondern um ein durchaus rationales nationales Anliegen. In den Monaten unmittelbar vor Bushs Amtsantritt hatten die USA eine ganze Reihe von unangenehmen bis peinlichen Energieversorgungs-Engpässen erleben müssen, die in Kalifornien zum Teil zu längeren Stromabschaltungen geführt hatten. Einige Wochen lang musste Strom zu erhöhten Preisen über das nordamerikanische Verbundnetz aus Kanada eingeführt werden - was dort (aufgrund von NAFTA-Regeln) zeitweilig ebenfalls die Strompreise in die Höhe trieb. Und all dies vor dem Hintergrund einer ominösen statistischen Wendemarke: In den späten neunzi-ger Jahren kletterte der Anteil von importiertem Öl am nationalen Öl-verbrauch zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten über die 50%-Marke. Es gab also durchaus berechtigte Anlässe zur Sorge, dass ir-gendwann in nicht allzu ferner Zukunft die Energieversorgung der US-Bevölkerung prekär werden könnte.
George W. Bush kündigte praktisch mit seiner Amtsübernahme an, dass das offensive Angehen der nationalen "Energiekrise" die wichtigste Aufgabe sei-ner Regierungszeit werden würde. Er und seine Berater (hauptsächlich rekru-tiert aus dem Project for the New American Century) waren zu der festen An-sicht gelangt, dass eine Absicherung der kontinuierlichen Versorgung bis etwa zur Jahrhundertmitte absolut unerlässlich sei - erst dann sei mit der Massen-verfügbarkeit alternativer Energiequellen, vor allem für den Individualver-kehr, zu rechnen. Bis dahin sei die Verfügbarkeit von billigem Erdöl unver-zichtbar nicht nur für die wirtschaftlichen Interessen großer amerikanischer Industrie- und Dienstleistungskonzerne, sondern darüber hinaus für das Wohl-ergehen und den sozialen Frieden der gesamten Nation. Sie rechneten vor, wie Engpässe in der Energieversorgung verheerende Auswirkungen haben würden auf die Automobilindustrie, die Luftfahrtgesellschaften, die Bauin-dustrie, die petrochemische Industrie, die private Mobilität, das Transportwe-sen und nicht zuletzt auch auf die Landwirtschaft. Mit zwei Fünfteln hat das Erdöl den größten Anteil an Amerikas Gesamtenergieverbrauch - und es ist dann natürlich auch besonders deswegen wichtig, weil das Öl die bei weitem größte Energiequelle für das Transportwesen und den privaten Autoverkehr ist. Nebenbei hatten die Planer natürlich auch im Blick, das das Öl eine ganz zentrale Rolle für die "nationale Sicherheit" spielt, nämlich als unersetzbarer Treibstoff für Amerikas riesige Flotte an Panzern, Kampfflugzeugen, Hub-schraubern und Kriegsschiffen, die das harte Rückgrat der amerikanischen Kriegsmaschine bilden.
Knapp zwei Monate nach Bushs Amtsantritt, am 19. März 2001, fand in Wa-shington unter Vorsitz von Energieminister Spencer Abraham ein Nationales Energie-Gipfeltreffen (National Energy Summit) statt, eine Art teach-in mit Vertretern aus Regierung, Wirtschaft und Wissenschaft. Auf diesem Treffen er-klärte Abraham u.a.: "Amerika steht vor einer größeren Energieversorgungskri-se irgendwann in den nächsten 20 Jahren. Wenn es uns nicht gelingt, diese Her-ausforderung zu meistern, dann wird unser Wohlstand ernsthaft bedroht sein, unsere nationale Sicherheit wird gefährdet sein und wir werden im wahrsten Sinne des Wortes unseren Lebensstil von Grund auf ändern müssen."
Als eine der ersten Maßnahmen nach seinem Amtsantritt setzte Bush eine nur ihm zuarbeitende Arbeitsgruppe für Energiepolitik ein, die National Energy Policy Development Group (NEPDG). Sie wurde bestückt mit hochrangigen Regierungsbeamten, denen der Auftrag erteilt wurde, einen langfristigen stra-tegischen Plan für eine amerikanische Energiepolitik zu entwickeln. Vorsit-zender dieser Arbeitsgruppe wurde Bushs engster politischer Kumpan und Ratgeber, Vizepräsident Dick Cheney. Cheney war bekanntlich Verteidi-gungsminister in der Regierung Bush Sr. und während der Clinton-Zeit lang-jähriger Vorstandsvorsitzender der Ölindustrie-Zuliefererfirma Halliburton. Die Herkunft aus diesem Stall, wenn man so sagen kann, führte u.a. dazu, dass Cheney als hauptsächliche Experten und Fachberater für die Arbeit sei-ner Kommission vornehmlich Manager und Vorstandsvorsitzende aus großen Energiekonzernen auswählte, wie z.B. von der Enron Corporation.
Ausgangspunkt für die Arbeit der Kommission war die anerkannte Einsicht der Kommissionsmitglieder, dass die Vereinigten Staaten für ihre zukünftige Energiepolitik die Wahl zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Möglich-keiten habe. Die erste war: das Land könne einfach so weitermachen wie bis-her, jedes Jahr den Petroleumverbrauch weiter steigern und sich damit - ange-sichts der Tatsache, dass die inländische Ölförderung sich bereits unwiderruf-lich auf dem absteigenden Ast befand - zunehmend in Abhängigkeit zu aus-ländischen Ölproduzenten begeben. Zweitens könne das Land aber auch einen ganz anderen Weg einschlagen: Es könnte massiv die Nutzung erneuerbarer Energiequellen fördern und dadurch schrittweise den Verbrauch von Petro-leum reduzieren.
Nun ist es natürlich ganz klar, dass jede der beiden Möglichkeiten entschei-dende Konsequenzen für die Gesellschaft, die Wirtschaft und für die nationale Sicherheit, sprich: das Militär der Vereinigten Staaten haben würden. Eine Entscheidung für So-weiter-wie-bisher würde das Schicksal und die Prosperi-tät der Vereinigten Staaten noch enger als bisher an die Ölstaaten des Persi-schen Golfs und andere reiche Förderregionen ketten, mit entsprechenden Konsequenzen für die nationale Sicherheitspolitik. Eine Entscheidung für den alternativen Weg würde wiederum gewaltige Investitionen in neue Energie- und Transporttechnologien erforderlich machen, was gewaltige Eigentums-verschiebungen zur Folge haben würde und kurzfristig die Existenz ganzer Industriezweige in Gefahr bringen könnte. Aber: Wie auch immer die Ent-scheidung ausfallen würde: Die Dynamik und Struktur der ganzen US-Wirtschaft würde davon betroffen werden, das Land und seine Bevölkerung würden in jedem Fall deren Auswirkungen in ihrem täglichen Leben erfahren. Niemand - weder in den Vereinigten Staaten noch sonst wo in der Welt - würde von den Auswirkungen der Energiepolitik der USA in den nächsten 20 Jahren unbehelligt bleiben.
Die NEPDG machte sich ihre Entscheidung nicht so einfach, wie sich das vielleicht mancher US-skeptische Europäer vorstellt; die Gruppe rang ernst-haft um eine Lösung dieses Dilemmas und erwog verschiedene Kompromiss-varianten. Im April 2001 verabschiedete sie schließlich ihren Bericht, der dann nach kurzer Prüfung von Präsident Bush praktisch unverändert über-nommen und als offizielle National Energy Policy am 17. Mai 2001 der Öf-fentlichkeit präsentiert wurde. Auf den ersten Blick scheint der Bericht - nach dem Namen des Kommissionsvorsitzenden auch Cheney-Report genannt - der langjährigen Politik der Ölabhängigkeit den Kampf anzusagen und statt dessen für erneuerbare Energiequellen zu werben. Zur publizistischen Flan-kierung verbreitete Präsident Bush eine Menge ökologische Rhetorik. Je-doch, bei genauerem Hinsehen sieht - bei aller rhetorischen Schmiere für al-ternative Energie, energiesparendes Verhalten etc. - die National Energy Poli-cy keinerlei konkrete, umsetzbare Politik für eine systematische Reduzierung des Ölverbrauchs vor. Dafür erwägt sie - um die Abhängigkeit von ausländi-schen Produzenten zu reduzieren - die verstärkte Ausbeutung der verbliebe-nen nationalen Ölreserven, einschließlich solcher in Naturschutzgebieten, in denen das Bohren nach Öl bislang gesetzlich verboten war.
So war es das wohl wichtigste und die Öffentlichkeit am meisten erregende Detail der National Energy Policy, das Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) für das Bohren nach Öl öffnen zu wollen. Das ANWR ist ein riesi-ges, bisher von menschlich-zivilisatorischen Eingriffen unberührtes Gebiet im Nordosten Alaskas, in dem hauptsächlich Cariboos, Wölfe und Grizzly-Bären leben. Dieser Vorschlag provozierte einerseits eine erbitterte innenpolitische Debatte zwischen Umweltschützern und Industriefreunden, erweckte aber zumindest vor der Öffentlichkeit den Anschein, dass die Regierung ernsthaft daran interessiert sei, die Abhängigkeit von ausländischem Öl zu verringern. Da man wissen musste, dass er erbitterte Debatten hervorrufen würde, kann man ihn getrost als Alibirhetorik interpretieren. Denn als wesentliche und in ihrer politischen Umsetzbarkeit einzige ausführlich entfaltete harte Hand-lungsempfehlung des Cheney-Plans wird die Suche nach und die Sicherstel-lung von zusätzlichen und zuverlässigen Öl-Lieferanten außerhalb der Verei-nigten Staaten von Amerika vorgeschlagen.
Mit anderen Worten: Die Bush-Regierung war und ist sich der prekären Situa-tion in Bezug auf die mittelfristige Energieversorgung der USA voll bewusst gewesen und traf dann angesichts der zur Auswahl stehenden Handlungsmög-lichkeiten eine ganz klare Entscheidung: In vollem Bewusstsein darüber, dass auf längere Sicht die heimische Ölförderung immer geringer werden wird, und bei gleichzeitigem Unwillen, an den amerikanischen Verbrauchsgewohnheiten und Verbrauchsmustern irgend etwas Substanzielles zu ändern, entschied sie sich dafür, einstweilen auf dem gewohnten Weg einer ständig wachsenden Abhängigkeit von ausländischen Ölquellen weiter zu gehen.

II

Erst im achten und letzten Abschnitt der National Energy Policy - überschrie-ben: Strengthening Global Alliances, also "Stärkung weltweiter Bündnisse" wird die Katze richtig aus dem Sack gelassen. Der Tonfall ändert sich schlag-artig. Von artigen und unverbindlich-verwaschen formulierten Bekenntnissen zu nachhaltiger Energiegewinnung, zum Sparen durch Energieeffizienz und so weiter schlägt die Sprache schlagartig um in unmißverständlichen Klartext, in dem ohne wenn und aber die Notwendigkeit betont wird, ausländische Ölquel-len in größerem Umfang sicherzustellen, und zwar nicht für "den freien Ener-giemarkt" oder auch nur "den Westen", sondern ganz klipp und klar für die nationalen Bedürfnisse der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Abschnitt beginnt mit folgenden Sätzen: "Die nationale Energiesicherheit der USA hängt ab von ausreichender Energieversorgung für die Unterstützung des ame-rikanischen und des globalen wirtschaftlichen WachstumsÂ… Wir können un-sere eigene Energiesicherheit und die allgemeine Prosperität der Weltwirt-schaft dadurch stärken, dass wir eng mit anderen Staaten zusammenarbeiten, um die Weltproduktion von Energieträgern zu erhöhen. Wir sehen es als unse-ren Auftrag, die Schaffung von Energiesicherheit zur obersten Priorität unse-rer Außenhandels- und Außenpolitik zu erheben."
Das Papier ist sehr zurückhaltend mit Aussagen über die Menge an ausländi-schem Öl, die in den nächsten Dekaden benötigt würde. Der einzige Hinweis ist indirekt: Eine Schautafel, auf der die erwartete Entwicklung des US-Ölverbrauchs in Beziehung zur inländischen Ölproduktion gesetzt wird. Nach dieser Tafel wird die US-Inland-Förderung von ca. 8.5 Mill. Barrel pro Tag im Jahr 2002 auf ca. 7.0 Mill. Barrel pro Tag im Jahr 2020 sinken. Der Verbrauch dagegen wird im gleichen Zeitraum von 19.5 Mill. Barrel pro Tag auf ca. 25.5 Mill. Barrel pro Tag steigen. Das würde bedeuten, dass der Anteil von direkten Öl-Importen oder von Öl, das aus anderen Quellen gewonnen wird, z.B. aus flüssig gemachtem Gas, Ölschiefer o.ä., von 11 Mill. Barrel am Tag auf ca. 18.5 Mill. Barrel am Tag steigen muss. Die Mehrzahl der Empfeh-lungen im Abschnitt 8 laufen darauf hinaus, diese zusätzlichen 7.5 Mill. Bar-rel pro Tag durch Öl-Direktimporte abzudecken.
Ein gutes Drittel dieser Empfehlungen betreffen Ratschläge, wie man Zugang zu ausländischen Ölquellen gewinnen kann. Viele der Empfehlungen sind länderspezifisch, mit der Betonung auf die Beseitigung politischer, gesetzli-cher, ökonomischer und logistischer Hindernisse. Zum Beispiel gibt der Che-ney-Report ausdrücklich die Empfehlung an die Minister für Handel, Energie und Auswärtige Politik (bzw. Secretaries of Energy, Commerce and State), "den kommerziellen Dialog mit Kasachstan, Aserbeidschan und anderen Staa-ten der kaspischen Region so zu vertiefen, dass ein offenes, stabiles und für energieindustrielle Infrastrukturprojekte förderliches Klima entsteht."
Die National Energy Policy ist die zentrale Richtlinie der offiziellen Strate-gie für die amerikanische Außenpolitik in den verbleibenden Jahren der Bush-Regierung und wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei einem Regierungswechsel weiter bestimmend bleiben. Auch unter einem demokra-tischen Präsidenten werden Amerikas Diplomaten mit ausländischen Regie-rungen zu diesem Zweck Verhandlungen aufnehmen und Investitionen ver-mitteln und anregen müssen, die die Förderung und die reibungslose Aus-fuhr von Petroleum gewährleisten. Sie müssen weiterhin dafür Sorge tragen, dass Kriege, Regierungswechsel oder Bürgerkriege nicht den reibungslosen Ablauf von Förderung und Export in die Vereinigten Staaten gefährden. Diese strategischen Imperative werden vor allem für die Beziehungen der USA mit den Golf-Staaten, der Kaspischen Region, sowie mit bestimmten Staaten in Afrika und Lateinamerika von bestimmender Bedeutung sein.
Daraus ergibt sich aber ein gravierendes politisches Problem. Es besteht darin, dass in den meisten der ölfördernden Staaten die allgemeine politische Stim-mung eher anti-amerikanisch ist. Eine Sicherung des Ölexports durch Statio-nierung von US-Truppen, z.B. zur Verhinderung von Revolutionen oder für die USA ungünstigen Machtwechsel, wird in fast allen diesen Staaten diese anti-amerikanischen Stimmungen nur noch verstärken, da sie als Kolonialis-mus bzw. Imperialismus empfunden wird. Besonders kompliziert ist die Situa-tion natürlich in der Nahost-Region, wo die USA einerseits aus vielen arabi-schen Staaten Öl importiert und das verstärkt weiter tun will, andererseits aber auch als unerschütterlicher Patron von Israel auftritt. Israel verfolgt dabei ei-gene Interessen, aber erfüllt dabei ebenso die Funktion eines militärischen Statt-halters und vorgeschobenen Bullys in der Nahost-Region. Es darf von Zeit zu Zeit in eigener expansionistischer Absicht in seiner arabisch-muslimischen Nachbarschaft wüten. Für die Ölstrategen der USA besteht die Rationalität der bedingungslosen Unterstützung dieses ansonsten untragbaren Verhaltens vor al-lem in einem dadurch vermittelten Nebeneffekt: Der Widerstandswillen der auf dem Öl hockenden "Eingeborenenbevölkerung" wird getestet, ihre Moral gebrochen und ihnen immer wieder aufs Neue das Bewusstsein ihrer Unterle-genheit gegenüber "dem Westen" ins Auge gerieben. Gleichzeitig jedoch birgt diese Taktik die Gefahr des Umschlagens ins Gegenteil: Die Erniedrigungen und Einschüchterungen schaffen Einigkeit und wecken Hass und Widerstands-willen der Betroffenen ebenso wie Kritik und Missbilligung der Verbündeten, vom Rest der Welt zu schweigen. Das Bewußtsein über die wachsende Prekari-tät und die mittelfristigen Kosten und Risiken dieser reinen Gewaltstrategie für die Interessen der USA hat inzwischen den amerikanischen mainstream erreicht. Es ist daher mit Sicherheit kein Zufall, dass in diesem Jahr (2006) zum ersten Mal seit vierzig Jahren die vermeintlich irrationale Nibelungentreue der USA zu Israel nicht nur von linker Seite, sondern direkt aus dem Zentrum des konserva-tiven akademischen Milieus kritisiert wird, auch wenn es den renommierten Verfassern nicht gelang, ein amerikanisches Publikationsorgan für die Erstver-öffentlichung zu gewinnen.

III

Gegenwärtig kommt nur 18 Prozent des von den USA importierten Öls aus dem Gebiet des Persischen Golfs. Aber Washington hat ein besonderes strate-gisches Interesse an der Sicherung dieses Gebiets, weil die anderen großen Industrienationen des Westens und Haupt-Geschäftspartner der USA total ab-hängig sind von Importen aus dieser Region. Darüber hinaus hat der schlichte Umfang des Ölexports aus der Golfgegend die Welt-Ölpreise jahrelang relativ niedrig gehalten, was ein großer Vorteil für die westlichen Ökonomien war. Angesichts der unaufhaltsam fallenden inländischen Fördermengen weist der Cheney-Report nachdrücklich darauf hin, dass die "Golf-Region von vitaler Wichtigkeit für die US-Interessen bleiben" werde.
Die USA haben seit langer Zeit in dieser Region ihre politischen Hände im Spiel. Eine special relationship wurde zu Saudi-Arabien aufgebaut. Bereits während des Zweiten Weltkriegs schmiedete Präsident Roosevelt ein Bündnis mit dem Gründer der modernen Saud-Dynastie, Abdul-Aziz Ibn Saud: Die USA verpflichteten sich, für den Schutz der Saudis gegen externe wie interne Feinde zu sorgen, als Gegenleistung erwarten sie privilegierten Zugang zu saudiarabischem Öl. In späteren Jahren etablierten verschiedene US-Regierungen ganz analoge identische Beziehungen z.B. mit dem Schah von Persien, sowie den jeweiligen politischen Führern von Kuwait, Bahrain, und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diesen Ländern wurden immense Quantitä-ten an Kriegsmaterial geliefert, in einigen Fällen auch Truppen zum Schutz ge-schickt. Der schwerste Einbruch in dieses wechselseitige Abhängigkeitssystem fand bekanntlich 1979 statt, als der Schah von Persien, einer der wichtigsten und auch treuesten Klienten der USA, von einer "islamistischen" Revolution aus dem Land geworfen wurde, woraufhin er in die USA flüchten musste.
Die amerikanische Politik in Bezug auf die Region Persischer Golf war stets eindeutig und kompromisslos: Wann immer eine Unterbrechung der Ölexpor-te durch eine politische Krise oder ähnliches drohte, bemühten sich die USA mit allen denkbaren Mitteln, den Fluss des Öls zu sichern. Diese Politik ist üb-rigens auch älter als die besonderen Beziehungen zu Israel, denen ja kürzlich von John Mearsheimer und Stephen Walt zugeschrieben wurde, dass sie prä-gend für die US-Nahostpolitik seien. Seit 1980, also dem offiziellen Jahr des Schah-Sturzes, hat diese Politik sogar einen offiziellen Namen: Carter-Doktrin. Der damalige demokratische Präsident Carter hatte das Eingreifen der SU in den afghanischen Bürgerkrieg zum Anlass genommen, die Golf-Region für ausschließlich amerikanisches Interessengebiet zu erklären; er bzw. sein Sicherheitsberater Brzezinski behaupteten dass der "Einmarsch" der Sowjet-Truppen in Afghanistan der unauffällige Beginn eines langen Mar-sches sei, an dessen Ende die Besatzung der Golf-Region durch sowjetische Truppen stehen solle. In ausdrücklicher Anwendung der "Carter-Doktrin" setzten die USA 1987 und 1988 Truppen ein, um kuwaitische Öltanker vor i-ranischen Raketenangriffen zu schützen, und ebenso 1990 im ersten Golf-krieg, um die irakischen Truppen wieder aus Kuwait zu vertreiben.
Anlässlich des ersten Golfkriegs erklärte der damalige Verteidigungsminister Cheney im September 1990 vor dem Senate Armed Services Committee. "Un-sere strategischen Interessen in der Golf-Region sind allgemein bekannt, aber verdienen es durchaus, dass man sie hier noch einmal wiederholtÂ…" Und dann erklärte er in Bezug auf Saddam Husseins Angriff auf Kuwait: "Nachdem Sad-dam sich Kuwait angeeignet und dort eine so große Streitmacht, wie die iraki-sche nun einmal ist, stationiert hat, ist er eindeutig in einer Position, von der aus er die Zukunft der Energiepolitik auf der Welt praktisch diktieren kann, und das gibt ihm faktisch die Möglichkeit, unsere und die meisten anderen Volkswirt-schaften in der Welt im Würgegriff zu halten." Irak selbst besitze 10 Prozent der gesicherten Welt-Ölreserven und habe gerade weitere 10 Prozent durch die An-nexion Kuwaits hinzugewonnen. Und diese Besetzung Kuwaits bedeute ferner, dass die irakische Armee nunmehr wenige hundert Meilen entfernt sei von wei-teren 25 Prozent, die sich unter dem Wüstenboden des östlichen Saudi-Arabiens befänden. Cheney machte dem Kongresskomitee klar, dass die USA gar keine andere Wahl hätten, als hier militärisch einzugreifen, um Saudi Arabien und an-dere befreundete Staaten in der Region zu verteidigen.
Nachdem die Iraker aus Kuwait vertrieben worden waren, verfolgten die USA eine Politik der "Eindämmung" gegenüber dem Irak, verbunden mit strengen ökonomischen Sanktionen, mit no-fly-zones über Nord- und Süd-Irak etc. Gleichzeitig verstärkte Washington seine militärische Präsenz in der Golfre-gion, um eventuelle zukünftige militärische Sanktionen in der Region zu er-leichtern. Das Pentagon begann, gigantische Mengen von Munition und ande-rem Kriegsmaterial in Kuwait und Katar einzulagern, damit US-Truppen bei zukünftigen Operationen in der Region nicht Wochen oder Monate auf die Ankunft ihres schweren Materials warten müssten.
Offiziell galt dann der Angriff auf den Irak 2003 der Suche nach Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen". Dass diese Begründung von Anfang an nur vorgeschoben war, wird heute auch in den USA von so gut wie jeder-mann anerkannt. Zu der Erkenntnis, dass die wirklichen, harten Gründe für die Invasion des Iraks aber von Beginn solche der Ölsicherung waren, hätte man bereits während der Kriegsvorbereitungen gelangen können, nämlich durch aufmerksames Zuhören, wann immer Dick Cheney den Mund aufmach-te. So erklärte er z.B. in seiner viel zitierten und kommentierten Rede vom 26. August 2002 auf der Jahresversammlung des amerikanischen Veteranenver-bandes: "Sollten Saddam Husseins ehrgeizige Bestrebungen (nach Massen-vernichtungswaffen) von Erfolg gekrönt sein, würde das ungeheure Auswir-kungen auf die USA und den Rest der Welt haben. Ausgerüstet mit diesen Terrorwaffen und in Besitz von 10% der Welt-Ölreserven, Saddam Hussein wäre dann in der Lage, Dominanz über den gesamten Nahen Osten auszu-üben, die Kontrolle über einen Großteil der globalen Energiewirtschaft auszu-üben und direkten Druck auf Amerikas Freunde in der Region auszuüben." Während der Zeit der Kriegsvorbereitungen, die ja offiziell allein der Suche nach den "Massenvernichtungswaffen" galten, ließ "ein hoher Pentagon-Offizieller" verlauten, dass "General Tommy Franks und seine Mannschaft Strategien konzipiert haben, die es uns erlauben werden, so schnell wie mög-lich (die Ölfelder) zu sichern und vor möglichen Angriffen zu schützen."
Dieser Offizielle war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Paul Wolfowitz, mittlerweile mit neuem Auftrag als Chef der Weltbank tätig. Er erklärte, dass es allererste Priorität der US-Truppen sei, die Ölfelder zu besetzen und vor der Zerstörung zu retten, um dadurch Revenue-Quellen für den Wiederaufbau des Irak zu sichern. Unter dem Hussein-Regime war der Irak lange Zeit einer der größten Öllieferanten der Vereinigten Staaten. Noch im Jahr 2002 lieferte das Land im Schnitt ca. 566.00 Barrel pro Tag, immerhin etwa 5 Prozent des Ge-samtimports. In Washington hoffen nun viele, in Zukunft weit mehr als diese Menge aus dem Irak beziehen zu können. Nach Angaben des Energieministe-riums besitzt der Irak gesicherte Reserven von über 112 Milliarden Barrel, das ist die zweitgrößte Menge nach Saudi-Arabien, und Experten vermuten weite-re 200 Milliarden in bisher unentwickelten Feldern. Mit anderen Worten: Irak könnte einer der ergiebigsten Öllieferanten in den kommenden Dekaden wer-den - vorausgesetzt, ein kooperatives Regime erlaubt US-amerikanischen Firmen die Erschließung bisher unangezapfter Reserven.
Nach über drei Jahren Krieg und Besetzung des Landes steht es bisher keines-wegs fest, dass dieses Vorhaben gelingt. In diesem Sinne ist die militärische Ak-tion gegen den Irak ein ausgesprochener Fehlschlag gewesen. Das ist der wahre, gewissermaßen operationale Hintergrund für die wachsende Kritik und auf-kommende Unzufriedenheit mit der Bush-Regierung im allgemeinen und der Kriegführung im Irak im besonderen. Deswegen sehen die Strategen des State Department es inzwischen als ihre strategische Hauptaufgabe an, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten dazu zu bringen, die Ölförderung kontinuierlich weiter hochzufahren, um die wachsende internationale Nachfrage und die Nachfrage von Seiten der USA zu befriedigen. Damit ist die Aufgabe, gegen deren Schei-tern man sich ja durch den Irak-Krieg und die Sicherung alternativer Großvorrä-te gerade absichern wollte, erneut gestellt: das instabile und daheim äußerst un-beliebte Regime der Saudis gegen seine inneren Feinde zu beschützen.
Die Anforderungen an die Saudis werden ungeheuer sein. Nach Angaben des Energieministeriums soll Saudi-Arabiens Netto-Förderung über die nächsten 25 Jahre um ca. 133 Prozent wachsen, von 10.2 Mill. Barrel pro Tag auf 23.8 Mill. Barrel pro Tag im Jahr 2025, um die wachsende Weltnachfrage zu be-friedigen. Die Erweiterung der saudischen Kapazität um 13.6 Mill.-Barrel pro Tag - das ist soviel wie die heutige Gesamtmenge des in den USA und Mexi-ko zusammen geförderten Öls - würde Hunderte Milliarden Dollar an Investi-tionen erfordern. Der einfachste Weg dahin wäre, wenn die Saudis amerikani-schen Firmen gestatten würden, in Saudi-Arabien in großem Umfang zu in-vestieren. Genau dazu rät der Cheney-Report. Eine solche Lösung wäre aber mit Sicherheit tödlich für das Saudi-Regime. Es hat 1970 seine Ölvorräte na-tionalisiert, und jeder Ausverkauf an US-Firmen, noch dazu wenn vorher poli-tischer Druck aus Washington ausgeübt würde, hätte mit Sicherheit mit erheb-lichem Widerstand in Saudi-Arabien selbst zu rechnen. Soviel islamische "Terroristen" gibt es gar nicht auf der Welt, als dass die Saudis sich durch de-ren finanzielle Unterstützung dann noch die Duldung durch ihre eigene isla-mistische Opposition erkaufen könnten.

IV

Gerade weil die Vereinigten Staaten noch lange Zeit abhängig von der Golf-region bleiben werden, streben sie umso entschiedener nach einer "Diversifi-zierung" ihrer Bezugsquellen. Um diese Über-Abhängigkeit zu vermeiden, sind die USA gegenwärtig mit Macht dabei, die Erweiterung der Ölförderung in einer Reihe von Staaten außerhalb der Golf-Region anzuregen. Dazu gehö-ren die Westküste von Afrika, Lateinamerika und, last but not least, die Regi-on um das Kaspische Meer.
Die interessanteste hier ist zweifellos die Öl-Region um das Kaspische Meer. Dazu gehören die Länder Aserbeidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan, sowie angrenzende Gebiete in Russ-land und dem Iran. Nach Angaben des US-Energieministeriums befinden sich auf diesem Gebiet sichere Reserven (definiert als 90 Prozent wahrscheinlich) von 17 bis 33 Milliarden Barrel, und mögliche Reserven (definiert als 50 Pro-zent wahrscheinlich) von 233 Millionen Barrel. Sollten sich diese Schätzungen als korrekt herausstellen, dann wären das die zweitgrößten bisher unerschlosse-nen Reserven nach der Golf-Region, also noch größer als die des Irak.
Um den ungehinderten Strom von einem Großteil dieses Öls in die Autos, Wohnungen und Fabriken westlicher Verbraucher sicherstellen zu können, hat die US-Regierung in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um in der Region die Infrastrukturen und das Distributionssystem zu verbes-sern. Diese Bemühungen begannen bereits unter der Clinton-Regierung. Da das Kaspische Meer ein Binnenmeer ist, müssen das Öl und das Erdgas aus dieser Region mit Pipelines in andere Gegenden, vornehmlich solche mit Meereshäfen geleitet werden. Mit anderen Worten: Die Erschließung der Res-sourcen dieses Gebiets macht gleichzeitig den Aufbau von Langstrecken-Exportwegen unerlässlich.
Die Clinton-Regierung sah es überhaupt nicht gern, dass das in der Kaspi-schen Region geförderte Öl in seinen Pipelines auf dem Weg nach Westeuro-pa russisches Gebiet durchqueren sollte. Das würde Moskau - immer noch mehr gesehen als potentieller Rivale denn als solidarischer G8-Verbündeter - zur Möglichkeit einer gewissen Kontrolle über den Energienachschub ins ver-bündete Europa verhelfen. Die Durchleitung durch den Iran war qua Gesetz verboten, da der Iran Feindesland ist. Deshalb unterstützte Clinton den Bau einer Pipeline für Öl und Gas von Baku in Aserbeidschan nach Ceyhan in der Türkei über Tblissi in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien. Einer von Clintons letzten Amtshandlungen war die Unterzeichnung des Vertrages über den Bau der 3-Mrd.-Dollar-Baku-Tblissi-Ceyhan-Pipeline (BTC) in Ankara.
Während sich die Clinton-Regierung auf die juristischen und logistischen As-pekte des Ölgeschäfts mit den Ländern der Kaspischen Region konzentrierte, sorgte sie sich gleichzeitig aber auch darum, dass die Stabilität und Sicherheit der Region fragil sein könnte. Um möglichen politischen Unruhen, Aufstän-den, separatistischen Umtrieben etc., die die Ölwirtschaft gefährden könnten, vorzubeugen, begann Clinton ein umfangreiches militärisches Hilfsprogramm für die Staaten der Region. Es bestand aus Waffenlieferungen, der Entsendung von militärischen Beratern und Ausbildern sowie der Abhaltung gemeinsamer Manöver mit US-Truppen.
Aufbauend auf Clintons Fundament, versuchte dann die Bush-Regierung, den Ausbau der kaspischen Förder- und Transportkapazitäten zu beschleunigen. Das National Energy Policy-Paper geht darauf folgendermaßen ein: "Ausländische Investoren und Technologie sind von zentraler Bedeutung für die schnelle Ent-wicklung von neuen, wirtschaftlichen Exportwegen. Weitergehende Entwick-lung auf diesem Gebiet wird sicherstellen, dass die wachsenden Fördermengen aus der Kaspischen Region wirksam in die Welt-Ölwirtschaft integriert werden können." Der Cheney-Report weist dann noch mal ausdrücklich auf die Wich-tigkeit der BTC-Pipeline hin. Ebenfalls betont wird die notwendige Beteiligung von US-Firmen an kaspischen Energieprojekten. Die Bush-Regierung bemüht sich auch um den Bau einer weiteren Pipeline von Kasachstan und Turkmenis-tan am Ostufer des Kaspischen Meers nach Baku am Westufer, um noch mehr Öl und Gas aus Zentralasien in das BTC-System einspeisen zu können.
Vor dem 11. September 2001 bestand das amerikanische Engagement am Kaspischen Meer und in Zentralasien im wesentlichen darin, wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen aufzubauen sowie Militärhilfeabkommen zu schlie-ßen. Im Kontext des dann beginnenden "Kampfes gegen den Terror" wurden in Kirgistan und Usbekistan Militärbasen errichtet und einige zehntausend Mann Kampftruppen dort für den Einsatz gegen AL Quaeda und die Taliban in Af-ghanistan stationiert. Die Regierung musste später aus Usbekistan ihre Truppen wieder abziehen, aber offensichtlich ist eine permanente militärische Präsenz in diesem Teil der Welt vorgesehen. In der Verlautbarungspolitik sollen sie natür-lich als lokale Basen für den Kampf gegen den "Terrorismus" dienen, aktions-politisch als Wachmannschaften für die Sicherung des Ölexports. Die Bush-Regierung schickte auch militärische Berater und Ausbilder nach Georgien, die dort Spezialeinheiten im Anti-Guerilla-Kampf unterweisen sollen, zum Schutz des georgischen Abschnitts der Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline.
Das Weiße Haus setzt große Hoffnungen in die Entwicklung von neuen För-derkapazitäten im Kaspischen Meer-Gebiet und Zentralasien. Allerdings sind die mittelfristigen Probleme, die sich daraus für die USA ergeben, im Prinzip nicht anders als in der Golf-Region. Auch in Mittelasien sind die politischen Verhältnisse eher instabil. Jeder Versuch, einen dauerhaften und stabilen Ex-portfluss sicherzustellen, wird mittelfristig das gleiche Maß an militärischer Ab-sicherung erforderlich machen wie in der Golfregion. Und hier wie dort trägt gleichzeitig gerade eine offene, permanente Anwesenheit US-amerikanischer Soldaten nicht unbedingt dazu bei, den inneren politischen Frieden und damit in letzter Instanz auch die Zuverlässigkeit des Ölflusses zu fördern.

V

Eine andere Weltregion, die von der Bush-Regierung als vielversprechender zukünftiger Öl-Lieferant gesehen wird, ist Westafrika. Obwohl bislang nur etwas über 10 Prozent der Welt-Ölförderung aus afrikanischen Ländern kommt, werden es nach den Prognosen des amerikanischen Energieministeri-ums im Jahr 2020 etwa 25 Prozent sein. Anders gesagt: Man erwartet eine Er-höhung der Produktion um 8.3 Mill. Barrel pro Tag. Der Cheney-Report stellt fest: "Wir erwarten, dass West-Afrika einer der wachstumsstärksten Zulieferer von Rohöl und Gas für den amerikanischen Markt werden wird."
Die Regierung plant, sich dabei hauptsächlich auf Nigeria, dessen unmittelba-re Nachbarstaaten im Golf von Guinea und auf Angola zu konzentrieren. Auch Nigeria ist ein Land mit erheblichen innenpolitischen Spannungsfeldern, insbesondere ethnisch inspirierte Auseinandersetzungen über das Fördergebiet im Delta des Niger, an denen sich auch westliche Umweltschutzorganisatio-nen beteiligt haben. Lokale Aktivisten haben in ihrem Kampf um Anteile an den Öl-Gewinnen häufig die Fördertätigkeit temporär lahmgelegt. Auch nor-male Kriminalität und Vandalismus erschweren in Nigeria häufig den rei-bungslosen Ablauf der Geschäfte.
Trotz dieser Umstände ist es nicht wahrscheinlich, dass die Vereinigten Staa-ten in West-Afrika Truppen stationieren werden. Das ist dann doch eine für die Weltöffentlichkeit allzu delikate Gegend, und der Vorwurf des Kolonia-lismus würde mit Sicherheit massenhaft erhoben werden, nicht zuletzt auch von Seiten der westeuropäischen Verbündeten oder zumindest von deren Öffent-lichkeit. Aber Washington ist sehr wohl bereit, die Militärhilfe für "befreundete Regimes" in der Gegend drastisch zu erhöhen. Angola und Nigeria erhielten von 2002 bis 2004 jeweils etwas 300 Millionen Dollar pro Jahr, ein erheblicher Zuwachs verglichen mit der vorausgegangenen Dreijahres-Periode. 2004 erhiel-ten Angola und Nigeria auch erstmalig Zweithand-Kriegsmaterial nach dem Excess Defense Article (Überschusswaffen) - Programm des Pentagon. Als jüngste Maßnahme hat das Pentagon damit begonnen, sich um die Rechte zur Errichtung von Marinebasen in der Region zu bemühen, vornehmlich in Nige-ria und auf den Sao Tome e Principe Inseln.
Last but not least fordert der Cheney-Plan eine signifikante Erhöhung der Öl-Liefermengen aus Lateinamerika. Die USA beziehen bisher schon einen gro-ßen Teil ihrer Energie-Importe aus dieser Region. Venezuela ist inzwischen der drittgrößte ausländische Öl-Lieferant, nach Saudi-Arabien und Kanada. Mexiko ist der viertgrößte und Kolumbien ist siebenter. Auch diese Region wird daher verstärkt gesehen in Zusammenhang mit der amerikanischen Ener-gieversorgung. In den Worten von Energieminister Abraham: "Präsident Bush erkennt nicht nur die Notwendigkeit höherer Energieimporte, sonder er sieht auch die kritische Rolle, die die (westliche) Hemisphäre für die Energiepolitik der Regierung spielen wird."
Auf der Fifth Hemispheric Energy Initiave Ministerial Conference (5. Minis-terkonferenz der hemisphärischen Energie-Initiative) im März 2001 in Mexico City sagte Abraham: "Unser Ziel ist es, Beziehungen zu unseren Nachbarn aufzubauen, die zu unserer aller Energiesicherheit beitragen werden: es geht um angemessenen, verlässlichen, umweltverträglichen und preiswerten Zu-gang zu Energiequellen." Wie kooperationsbereit sich diese schönen Sätze auch immer anhören mögen, im Kern geht es allein darum, ständig wachsende Anteile der lateinamerikanischen Ölforderung für den Verbrauch in den Ver-einigten Staaten abzuzweigen.
Der Cheney-Plan betont die Notwendigkeit zusätzlicher Liefermengen aus Mexiko und Venezuela. In den Worten des Reports: "Mexiko ist eine führen-de und verlässliche Quelle für den Import von Öl. Seine großen Reserven, un-gefähr um ein Viertel umfangreicher als unsere eigenen Reserven, machen Mexiko sehr wahrscheinlich zu einer Quelle erhöhter Fördermengen über die nächsten zehn Jahre."
Venezuela wird ebenfalls für ein ganz wichtiges Bezugsland angesehen, weil dort neben konventionellem Öl noch riesige Mengen sogenannten schweren Öls zu finden sind, eines schlammartigen Stoffes, der allerdings mit Hilfe ei-nes kostspieligen Prozesses in konventionelles Öl verwandelt werden kann.
Aber auch hier stehen den USA ähnliche Schwierigkeiten bevor wie in den zuvor erwähnten Weltregionen. Nicht zuletzt aufgrund einer jahrhundertelan-gen Geschichte kolonialer und imperialistischer Erfahrungen haben sowohl Mexiko als auch Venezuela ihre Energiereserven unter staatliche Kontrolle ge-stellt, mit strikten gesetzlichen Auflagen für ausländische Beteiligungen an der heimischen Ölförderung. Während diese Länder mit Sicherheit von ihrem Öl-reichtum profitieren wollen und deshalb auch an die USA verkaufen werden, werden sie andererseits auch jede tiefere Einmischung US-amerikanischer Kon-zerne in die heimische Ölindustrie verhindern und sicherlich auch einer signifi-kanten Erhöhung der Ölfördermengen nicht ihre Zustimmung geben.
Die National Energy Policy verpflichtet die Minister für Energie, für Handel sowie das Department of State, in den nächsten Jahren geduldige Lobbyarbeit zu leisten, damit die lateinamerikanischen Staaten ihre "restriktive" Ölförder-politik aufgeben oder wenigstens abschwächen. Die Erfolgsaussichten sind eher gering. In Mexiko zum Beispiel hat der Kongress alle Versuche, den Ein-tritt ausländischer Konzerne in die mexikanische Ölförderung zu erleichtern, mit großen Mehrheiten abgelehnt. Und in Venezuela besteht seit 1999 ein Ge-setz, das die Beteiligung ausländischen Kapitals oder ausländischer Firmen in der venezolanischen Ölindustrie strikt verbietet, und im Jahr 2003 feuerte Staatspräsident Hugo Chavez einige Manager aus der staatlichen Ölindustrie, weil sie eine Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen befürwortet hatten.

VI

Auf ihrer unermüdlichen und (von amerikanischem Standpunkt aus) unerlässli-chen Suche nach verlässlichen und immer ergiebigeren Ölquellen mischen sich die Vereinigten Staaten ständig in die inneren Angelegenheiten der ölproduzie-renden Länder ein. Dabei ergibt sich für sie ein immer größeres Risiko, selbst in lokale und regionale Konflikte verwickelt zu werden. Dass dies wirklich so ist, hat die jüngere Vergangenheit in dramatischer Weise schon gezeigt.
Der Cheney-Report bzw. die Richtlinien für die Nationale Energiepolitik ge-hen auf diesen Umstand bzw. auf diese Gefahren einerseits mit keinem Wort ein. Sie werden einfach verdrängt. Statt dessen wird seitenlang über die wirt-schaftlichen und diplomatischen Dimensionen dieser Politik gefaselt. Aller-dings wissen die Architekten der US-Ölpolitik auch, dass die Sicherung der Ölimporte aus einigen der anvisierten Quellen ohne den Einsatz militärischer Mittel mittelfristig unmöglich sein wird. Diese "Einsicht" kommt dann zum Ausdruck in den Dokumenten zur Militärdoktrin und Strategie. So las man in dem vor dem 11. September 2001 verfassten, aber erst nachher veröffentlich-ten ersten Defense Review Report der Bush-Regierung: "Die Vereinigten Staaten müssen die Fähigkeit erhalten, ausreichend bewaffnete und logistisch gut unterstützte Streitkräfte zum Einsatz an kritischen Punkten in Schlüssel-gegenden dieser Welt zu entsenden, wann immer es nötig ist und auch, wenn feindlicher Widerstand zu erwarten ist."
Es bedarf keiner großen Fähigkeiten, zwischen den Zeilen zu lesen, um zu verstehen, dass mit den hier gemeinten möglichen "kritischen Punkten" ölex-portierende Länder gemeint sind. Ob die Verbindung bewusst von der Bush-Regierung so gemeint war oder nicht - jedenfalls gibt es objektiv eine ominö-se Gleichzeitigkeit von energiepolitischer Betonung auf den verstärkten Im-port aus instabilen Weltregionen und einem unüberhörbaren Rufen nach einer Verstärkung und Flexibilisierung der amerikanischen Streitkräfte.
Diese Kombination wird die Außenpolitik der USA in den nächsten Jahren stärker bestimmen als jede andere strategische oder taktische Doktrin: Auf der einen Seite ungebremste Fortsetzung der überkommenen Energiepolitik plus Beibehaltung des gewohnten Lebensstils, auf der anderen Seite, damit not-wendig verbunden, zunehmende Entschlossenheit, ohne Rücksicht auf die Meinung der "Weltgemeinschaft" diese Interessen mit Hilfe des eigenen Mili-tärs auch gegen Widerstände durchzusetzen. Von den Ländern der EU werden dabei Knappendienste erwartet. Allerdings formiert sich dort dagegen Wider-stand. Es sieht so aus, dass der ins Auge gefasste Angriff auf den Iran zum Zwecke des regime change an diesem Widerstand scheitern wird.
Richtig interessant, oder besser gruselig wird es erst dann, wenn - wie zu er-warten - irgendwann in den nächsten 20 Jahren die explodierende neue Wirt-schaftsmacht China und andere nachholende Großnationen der ehemaligen "Dritten Welt" versuchen werden, ihrerseits ihre rechtmäßigen Ansprüche auf einen angemessenen Anteil am Rest der fossilen Brennstoffe dieser Welt durchzusetzen, ohne die USA vorher artig um Erlaubnis zu fragen. Wir kön-nen sicher sein, dass das amerikanische Militär dafür schon Operationspläne auf ihren Festplatten hat. Für die europäische Politik besteht die delikate Hauptaufgabe der nächsten Dekade darin, unauffällig auf eine Kräfte-Umverteilung in der Welt hinzuarbeiten, die die politischen Führer der USA davor zurückschrecken lässt, diese Operationspläne umzusetzen.