Eine Buchbesprechung
Im Herbst 2019 erschien „Vom Ende der Klimakrise“ von Luisa Neubauer und Alexander Repenning in den deutschen Buchläden. Über weite Teile ist der Text gemeinsam verfasst, immer wieder gibt es aber auch namentliche gekennzeichnete Beiträge. Da Neu- bauer zwischenzeitlich schon zur ‚deutschen Greta Thunberg‘ gekürt wurde, haben wir es hier durchaus nicht mit irgendeinem Buch zur The- matik zu tun, sondern können, zumindest was Deutschland anbelangt, mit Fug und Recht von einer zentralen Veröffentlichung sprechen. Diesen Anspruch haben die Autorin und der Autor augenscheinlich auch selber, immerhin formulieren sie in ihrem Epilog im Namen der neuen Ökologiebewegung recht selbstbewusst: „Wir wissen, was gemacht werden muss. Wir wissen auch, wie. Und vor allem wissen wir: dass es möglich ist“ (280). Grund genug, sich etwas ausführlicher mit diesem Buch auseinanderzusetzen. Vor allem, weil es nicht ein Buch neben oder über FFF (Fridays for Future) ist, sondern direkt aus der Bewegung kommt.
Wer in den letzten Wochen und Monaten Veranstaltungen von und mit FFF in Deutschland besucht hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dort bezüglich des großen Ziels – die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts unter zwei Grad Celsius zu halten – zwei nicht unproblematische Vorstellungen bzw. Forderungen omnipräsent waren und sind. Zum einen die Vorstellung, Klimaschutz sei vor allem eine Frage des Bewusstseins und könne dementsprechend letztlich nur durch individuelles Umsteuern gebremst werden. Auf die Klimakrise müsse das Individuum also reagieren, indem es sein Konsumverhalten ändere. Da FFF recht heterogen ist, ist diese Position ganz sicher nicht die ei- nes/einer jede*n Aktivisten*in der Bewegung, bleibt aber dennoch ein nicht zu überhörender Grundtenor bei öffentlichen Auftritten. Aber auch wo FFF die Idee des individuellen Konsumverzichts überschreitet und stattdessen politische Forderungen stellt, gibt es zumindest eine große Schwachstelle. Gemeint ist die Forderung nach CO2- Bepreisung, bei der sich die deutsche FFF-Sektion mittlerweile mit 180 Euro pro Tonne ausgestoßenem CO2 sogar konkret festgelegt hat.
Abgesehen von den enormen Abwehrreflexen, die eine solche Forderung vor allen bei denjenigen auslösen dürfte, die nicht das Glück hatten, auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft zu stehen, ist sie unseres Erachtens problematisch, weil sie impliziert, der Markt oder zumindest Marktmechanismen könnten die Klimakrise lösen. An an- derer Stelle (Broistedt/Hofmann OXI 3/20) hatten wir deshalb argumentiert, die Linke dürfe die soziale und die ökologische Frage nicht gegeneinander ausspielen sondern müsse diese – mit einem Angriff auf das bürgerliche Eigentum – zusammenführen. Etwa durch die Forderungen nach einer Vergesellschaftung des Energiesektors, einem kostenlosen ÖPNV, einer radikalen Arbeitszeitverkürzungen oder energetischen Sanierungen des Wohnraums bei Verbot von Mietsteigerungen. Nur über diese Kämpfe kann der Blick frei werden für den eigentlichen Widerspruch: für den kapitalistischen Wachstumszwang und die planetaren Grenzen als dessen stofflicher Basis.
Wer diesen Widerspruch ernst nimmt und sich diesbezüglich für die Entwicklung von FFF interessiert, kommt um das Buch von Neubauer und Repenning nicht herum. Denn dieses zeichnet recht offen und eindrücklich Diskussionen, Fragestellungen und Entwicklungen innerhalb der neuen Ökologiebewegung nach. Der Grundwiderspruch von endlosem Wachstum und endlichen Ressourcen ist dabei durchaus erkannt und wird in einem Sammelsurium von Ideen und Kritiken verarbeitet. Dabei wird die Prozesshaftigkeit der neuen Bewegung, wie auch die eigene Weiterentwicklung, angedeutet. Und in diesen Schilderungen werden, mal mehr, mal weniger bewusst, Schwachstellen der bisherigen Diskussionen um die Klimakrise auf- gezeigt. Um die Schlüsselfragen wird dabei kein großer Bogen gemacht, auch wenn die Antworten teils ambivalent ausfallen mögen. Aber der Reihe nach:
Der Markt: Bereits einleitend wird festgehalten, dass „die Weltwirtschaft darauf angelegt ist, dass die Zerstörung der globalen Ökosysteme anhält“ (31). Denn „[g]lobale Erwärmung, Umweltzerstörung und wachsende Ungleichheit sind vor allem die Folgen einer entfesselten Wirtschaftsweise, die auf Profit und Quartalszahlen ausgerichtet ist, nicht aber auf das Wohlergehen von Mensch und Natur“ (76f.). Ob unsere „Wirtschaftsweise“ dafür „entfesselt“ sein muss, sei einmal dahingestellt. Davon abgesehen wäre hier ein sehr guter Ausgangspunkt gefunden, von dem aus man sich der Klimakrise nähern muss.
Dass die politischen Repräsentanten dieser Gesellschaftsordnung den Markt dagegen unbedingt verteidigen wollen legt Neubauer eindrucksvoll dar und paraphrasiert das Gegenüber mit schar- fer Zunge: „Aber der Markt wird das ja regeln. Denn der Markt kann das. Die unsichtbare Hand des Marktes wird die Probleme für uns anpacken, sie wird die besten Mittel suchen und finden. Der Markt wird uns den Weg zum Er- reichen der Klimaziele aufzeigen und uns dabei unseren ‚Wohlstand‘ unser ‚Wachstum‘ unsere Industrie und Arbeitsplätze lassen“ (49). Dem ‚Märchen von ewigem Wachstum‘ wird entschlossen entgegengehalten: „Der Weg in den Untergang ist [...] mit gut gemeinten, marktbasierten Instrumenten gepflastert“ (154) – wohl wahr gesprochen!
Das Bewusstsein und der Konsumverzicht des Individuums: Aber nicht nur dem politischen Gegner hat Neubauer gut zugehört. Auch auf den eigenen Veranstaltungen stößt ihr einiges auf, vor allem bezüglich der Konsumkritik, die sie als „Klimaschutz-im-Alltag-Frage“ benennt: In langen Diskussionen wird dargelegt, dass es um nicht weniger als die ‚wohl komplexeste Krise der Menschheitsgeschichte‘ geht, um ‚systemische Fragen‘ und einen ‚strukturellen Wandel‘. Und diese Angelegenheit wird dann, „in ein, zwei Sätzen auf ein individuelles Konsumverhalten reduziert“ und die meisten Veranstaltungen enden mit gut gemeinten Ratschlägen und Fragen nach individuellen Verhaltensmustern; „Mehr Fahrrad fahren und Tofu braten, damit wir uns gut fühlen [...].“ (91). Die Tatsache, dass hohes Umweltbewusstsein nur sehr bedingt positive Auswirkungen auf den Klimaschutz hat, benennen Neubauer und Repenning ziemlich eindeutig: „[G]erade die Haushalte, die über sich selbst angeben, umweltbewusst zu wirtschaften [sind] auch diejenigen mit dem höheren CO2-Fußabdruck“. Ergo: „Solange die Rahmenbedingungen also nicht grundlegend verändert werden, ist Konsumkritik allein wirkungslos“ (101). Um dies etwas flotter zu verpacken wird sogar Adorno in Anschlag gebracht: „Es gibt kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft“ (37). Nicht nur beim Markt, sondern auch bei der Frage nach Verzicht, finden sich im Buch also recht deutliche Worte.
Soziale Frage und Kinder der Mittel- schichten: Bekanntlich handelt es sich bei FFF nicht einfach um Schüler*innen, sondern vor allem um die Kinder der Mittelschichten. Dies ändert natürlich rein gar nichts an den Fakten zur Klimakrise, die FFF ins Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses gebracht hat, kann aber durchaus Auswirkungen auf ihre Forderungen haben, etwa die genannte CO2-Bepreisung. Konkrete Ideen, wie sich der vermeintliche Widerspruch zwischen sozialer und ökologischer Frage aufheben ließe, finden sich im Buch leider nicht. Aber immerhin wird die Problematik gesehen, oder zumindest erahnt: „Für Mittelschichtskinder wie uns“ (35) ist es leicht „mit Hunderten anderen auf der Straße zu rufen ‚Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!‘ [...]. Weniger leicht ist es, diesen Ausruf, in dem so viel Vorwurf und Anklage mitschwingt, in ein Gespräch mit denen, die uns gegenüber- stehen, zu übersetzen [...] diejenigen des Diebstahls zu bezichtigen, die all das hier erarbeitet haben.“ (Ebd., 66).
Das Aufeinandertreffen von sozialer und ökologischer Frage ist hier gut be- schrieben und bereits bei der genannten und ähnlichen Parolen scheiden sich die Geister. Wer das Gefühl hat sehr hart zu arbeiten und trotzdem am Ende des Monats genau auf sein Konto schauen muss, steht der (neuen) Ökologiebewegung meistens skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber. Im Gegensatz zu vielen ihrer Mitstreiter*innen wissen Neubauer und Repenning immerhin, dass es notwendig ist politische Mehrheiten zu finden. Ihre Idee, deshalb „positive Klimabilanz mit Ge- nuss und Luxus“ in Verbindung zu bringen (Ebd., 97) ist zwar sehr gut, hilft einem in dieser Abstraktheit aber zunächst recht wenig. Ähnlich steht es um den Hinweis, genannte Demoparole nur „gegen Schlüsselakteur*innen in Politik, Finanzwelt und Wirtschaft“ (Ebd. 67) zu wenden. Wie genau soll das gelingen? Geschmälert werden die guten Ansätze dann auch noch dadurch, dass an anderer Stelle positiv auf Ulrich Brandt und dessen Theorie der ‚imperialen Lebensweise‘ Bezug genommen wird (167ff.). Bei Brandt geht es aber gerade nicht darum, öko- logische Nachhaltigkeit mit ‚Genuss und Luxus‘ zu assoziieren, sondern um eine Kritik am Lebensstandard der gesamten Bevölkerung des globalen Nordens!?
Fehlende Antworten: Diese Ambivalenz zieht sich letztlich durch das gesamte Buch. Auch wenn zentrale Problemstellungen der gegenwärtigen Klimadiskussion gut benannt werden, so fallen die Antworten widersprüchlich aus. Der Markt, die Theorie vom Konsumverzicht, das Ignorieren der sozialen Frage; all dies wird direkt benannt und dies ist die große Stärke des Buches. Aber wie steht es um die Lösungen?
„Die Welt, in der wir aufwachsen, ist durch eine verblüffende Fantasielosigkeit geprägt. Wo sind die inspirieren- den Zukunftsbilder und Erzählungen, die als Leitbild am Horizont einer gesellschaftlichen Transformation stehen?“ fragen die Autor*innen zu Recht (77). Leider fallen sie hierbei selber auch nicht gerade positiv aus dem Rahmen. „Bevor man auf die Idee kommt, das menschengemachte System ‚des Marktes‘ verändern zu wollen, verändert man halt lieber das natürliche System des Weltklimas“ heißt es zunächst richtungsweisend. Aber worin besteht nun die eigene, ‚inspirierende Zukunftsvision‘? Hier findet man überwiegend ‚ordnungsrechtliche Maßnahmen, Regulierungen, Verboten und Anreize‘ (vgl. 144). Und nicht nur das. Letztlich scheint alles eine Frage des ‚politischen Willens‘ und „[e]inzelne Aspekte marktbasierter Ansätze können sicherlich Teil der Lösung sein“ (Ebd., 158). Nicht von ganz ungefähr kommt hier die Berufung auf Kate Raworth und das Ziel „Ökonomie wieder in die Gesellschaft und die Natur ein[zu]betten“ (177). Statt einer Kritik am Kapital als gesellschaftlichem Verhältnis, eine dichotome Gegenüberstellung von Ökonomie und Gesellschaft.
Deshalb muss man das Buch aber nicht in alter Tradition als halbherzig oder kleinbürgerlich brandmarken, sondern wird gut daran tun, es als Ausdruck der Entwicklung der entstehenden Ökologiebewegung zu betrachten. Nicht ganz zufällig ist Neubauer bislang auch Mitglied bei den Grünen, also der Partei, die geradezu idealtypisch für die Behauptung steht, die drohende ökologische Katastrophe innerhalb dieser Gesellschaft lösen zu können. Dies dürfte bis auf weiteres auch die Hoffnung der Mehrheiten innerhalb der neuen Bewegung sein. Bis zum Juni 2019, so räumt Neubauer freimütig ein, hat sie sogar noch die Hoffnung gehegt, Merkel könne für eine große Transformation gewonnen werden. Damit stand sie sicherlich nicht alleine. Die reale Entwicklung aber hat dann dazu geführt, dass diese Hoffnung verflog und die Bewegung sich radikalisieren musste. Dies ist nicht bloß eine Frage politischer Präferenzen.
Wie dem auch sei: Der Widerspruch von kapitalistischem Akkumulationszwang und planetaren Grenzen wird mehr und mehr diskutiert und die Aktivist*innen werden anfangen müssen, sich genauer mit Alternativen zur Marktgesellschaft auseinanderzusetzen. Davon zeugt „Vom Ende der Klimakrise“ allemal und ist deshalb spannend zu lesen. Dies gilt unabhängig davon, ob die zwei Autor*innen bei ihren oft halbherzigen Antworten verharren werden oder nicht.
Luisa Neubauer, Alexander Repenning, Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019, 304 Seiten, 18,- Euro
Christian Hofmann schreibt auf www.assoziation.info. Demnächst erscheint von ihm und Philip Broistedt »Goodbye Kapital« bei Papy Rossa.