Wie kann der Klimawandel gestoppt werden und was ist die Antwort auf die vielen sozialen und ökonomischen Zerwürfnisse, den autoritärer werdenden Kapitalismus und die Radikalisierung der Rechten? Durch einen Green New Deal, lautet ein möglicher Vorschlag, und zieht in letzter Zeit mehr und mehr Aufmerksamkeit auf sich. Mit Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders in den USA und Corbyns Labour in Großbritannien gibt es seit kurzem drei prominente linke Politiker*innen, die den Green New Deal als zentralen Teil ihrer politischen Agenda festgelegt haben.[1] Zwar ist die Idee eines Green New Deal nicht neu, zu größerer Bekanntheit kam das Konzept allerdings erst kürzlich.[2] Ocasio-Cortez schloss sich im November 2018 einer Protestaktion der US-amerikanischen Klimabewegung Sunrise Movement an und forderte bei einem Sitzstreik im Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel und einen Green New Deal für die USA (Johnson, 2019). Wenig später im Februar 2019 veröffentlichte sie zusammen mit ihrem demokratischen Kollegen Edward Markey eine Resolution für einen Green New Deal und löste damit heftige Diskussionen in den USA aus. Inspiriert von der US-amerikanischen Debatte nahm die Labour Partei im September 2019 bei ihrer jährlichen Konferenz ihre Version des Green New Deal in ihr Parteiprogramm auf. Deren Titel lautet „Green Industrial Revolution“ und soll den historischen Bezug zur Führungsrolle Großbritanniens während der Industriellen Revolution herstellen. Der Green New Deal bezieht sich auf die Programme des historischen New Deal. Diese wurden von Präsident Roosevelt als Antwort auf die Große Depression 1929/33, die bis heute gravierendste Wirtschaftskrise in den USA, implementiert. Der New Deal beinhaltete unter anderem Hilfen für Farmbesitzer*innen zur Stabilisierung der Preise landwirtschaftlicher Produkte, geldpolitische Reformen sowie staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit und um die US-Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Durch seine Programme wurde unter anderem die Elektrifizierung der USA vorangetrieben und die Infrastruktur großflächig ausgebaut. Der New Deal bedeutete einen radikalen Bruch mit der laissez-faire-Politik von Roosevelts Vorgängern und stellte einen Kompromiss („Deal“) zwischen Kapital und der mächtiger werdenden Arbeiter*innenbewegung dar. Auch die Rechte von Gewerkschaften wurden durch den New Deal wesentlich gestärkt (Wallenfeldt, 2020).
Das Kernelement aller Erzählungen eines Green New Deal ist die Verbindung eines mehr oder weniger radikalen ökologischen Umbaus der Wirtschaft mit sozialen Verbesserungen für die Mehrheit der Menschen. Entgegen dem häufig vorgebrachten vermeintlichen Gegensatz „Arbeitsplätze gegen Klima“ lautet das zentrale Narrativ des Green New Deal genau anders herum: Jobs UND Klima. „Who will march for green austerity?“ fragen Aronoff, Battistoni, Cohen und Riofrancos (2019) in einer der neuen Veröffentlichungen zum Green New Deal zu Recht. Im Angesicht stets neuer und immer dystopischerer Zukunftsszenarios der Klimakatastrophe positionieren sich die Konzepte des Green New Deal als wünschenswerte und erreichbare Reformalternative. Dadurch versprechen sich seine Befürworter*innen nicht nur die für die Einhaltung des 1,5-Grad Ziels nötige CO2-Reduktion und die Verhinderung der schlimmsten Folgen des Klimawandels. Im selben Zug könnten zahlreiche gute Jobs und eine allgemeine Steigerung der Lebensqualität für die Mehrheit der Menschen erreicht werden. Kein Wunder also, dass der Green New Deal viel Aufmerksamkeit erfährt und von zahlreichen Akteur*innen vereinnahmt wird.
Der Green New Deal als politisches Kampffeld
Grundsätzlich ist es daher sinnvoll, den Green New Deal viel mehr als Tendenz, als politisches Kampffeld, denn als abgeschlossenes Programm zu betrachten (Beuret, 2019). Es gibt zahlreiche Beispiele bereits umgesetzter Projekte, Initiativen und Gesetze, die sich in den verschiedenen Green New Deal Konzepten wiederfinden. Die politische Offenheit des Green New Deal bietet dadurch einerseits Chancen für progressive Interventionen, bringt aber auch viele Widersprüche mit sich. Unter dem Deckmantel eines Green New Deal bietet sich die Möglichkeit für weitgehende sozialdemokratische bis öko-sozialistische Reformprogramme (Riofrancos, 2019). Andererseits erscheinen unter demselben Label ebenfalls Vorschläge für kapitalistisches Greenwashing, die nichts an den gesellschaftlichen Eigentums- und Machtverhältnissen ändern wollen. Die aktuell politisch relevantesten radikalen Green New Deal Konzepte kommen aus den Reihen von Bernie Sanders und der britischen Labour Partei. Die nächsten vier Abschnitte widmen sich den inhaltlichen Kernpunkten dieser beiden Konzepte, der Finanzierungsfrage und den Hauptkritikpunkten. Weniger radikal ist der im Januar 2020 beschlossene und von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyens Federführung initiierte europäische Green Deal. Trotzdem stellt auch dieser ein nennenswertes Zugeständnis an die Herausforderungen des Klimawandels und zumindest teilweise einen Bruch der Europäischen Union mit ihrer bisherigen Sparpolitik dar. Der letzte Abschnitt widmet sich daher dem europäischen Green Deal.
Grundlegende Ziele und Handlungsfelder der radikalen Green New Deal Konzepte
Die wichtigsten umweltpolitischen Handlungsfelder der Konzepte von Sanders und Labour beinhalten den raschen und vollständigen Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien, die Dekarbonisierung der industriellen Produktion, die klimafreundliche Umgestaltung des Transport- und Verkehrssektors, energiesenkende Gebäudesanierung im großen Stil, eine umweltfreundliche Umgestaltung des Landwirtschaftssektors und den Schutz und die Wiederherstellung bedrohter und zerstörter Ökosysteme. Die wichtigsten sozialen Ziele sind eine staatliche Job-Garantie, die Schaffung zahlreicher neuer, gut bezahlter und gewerkschaftlich geschützter Arbeitsplätze, staatliche Hilfen für Arbeiter*innen im fossilen Sektor und in anderen vom Umbau betroffenen Industrien und eine verbesserte Versorgung mit Gemeingütern und Gesundheitsleistungen. Unter Bezug auf den historischen New Deal ist ein wichtiges Ziel dieser sozialen Reformen die Stärkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, um die sozialen Aspekte des Green New Deal zusätzlich abzusichern. Beide Konzepte sehen dafür massive Investitionen in Forschung und Entwicklung vor, um die Anwendung bestehender und die Erforschung neuer Technologien zu verbessern und die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern. Sichtbar werden bei beiden Konzepten auch starke Ambitionen auf eine nationale Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel.
Konkrete Maßnahmen der „Green Industrial Revolution“ in den Bereichen Energie, Industrie und Verkehr
Die Maßnahmen des Labour-Konzepts beinhalten die Installation eines Nationalen Transformationsfonds von 400 Milliarden Pfund zur Umsetzung der „Green Industrial Revolution“. Davon sollen 250 Milliarden Pfund direkt in den Ausbau erneuerbarer Energie, für den Umbau des Transportwesens, den Erhalt von Biodiversität und Umweltschutz fließen. Die „Green Industrial Revolution“ verspricht insgesamt die Schaffung von einer Million neuer Jobs.
• Im britischen Energiesektor soll der Übergang zu netto-null Emissionen in den 2030er Jahren erfolgen. Dafür sollen bis 2030 bis zu 90 Prozent der Elektrizität und 50 Prozent der Wärme durch den Ausbau von Off- und Onshore Windenergie, Solar- und Kernenergie erzeugt und auf verbesserten Stromnetzen verteilt werden.
• Der Energieverbrauch in Gebäuden verursacht 56 Prozent der britischen CO2-Emissionen; er soll durch den Ausbau und die Erforschung verschiedener Technologien wie Wärmepumpen, solare Warmwassererzeugung und Wasserstofftechnologien reduziert werden. Auch die britischen Haushalte könnten laut Labour profitieren und ab 2030 im Durchschnitt 417 Pfund pro Jahr sparen.
• Wichtige Bausteine der „Green Industrial Revolution“ sind zudem die Förderung regionaler wirtschaftlicher Entwicklung, besonders in den deindustrialisierten und ökonomisch schlechter gestellten Regionen Großbritanniens, sowie der massive Ausbau öffentlichen Eigentums. Durch demokratische Selbstverwaltung sollen die Menschen bei Entscheidungen über die regionale Entwicklung der Energieversorgung und alle Investitionen mitbestimmen.
• Bus und Bahn sollen wieder verstaatlicht und ausgebaut werden. Der öffentliche Nahverkehr soll verbessert und Straßen für Fußgänger*innen sowie Radfahrer*innen sicherer und komfortabler werden. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Infrastruktur für Elektroautos und die Förderung von E-Auto Carsharing Clubs vorgesehen. Bereits ab 2030 sollen in Großbritannien keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden.
Bernie Sanders‘ Green New Deal: Forderungen in den Kernbereichen Energie, Industrie, Verkehr und Klimagerechtigkeit
Das Konzept von Bernie Sanders sieht ebenfalls massive Investitionen und Umbaumaßnahmen im Energiesektor vor. Insgesamt sollen die historische Summe von 16,3 Billionen US-Dollar an öffentlichen Investitionen mobilisiert und im selben Zuge 20 Millionen neue Jobs geschaffen werden. Bis 2030 soll der komplette Umstieg auf erneuerbare Energie für die Elektrizitätsproduktion und im Transportsektor gelingen. Das Jahr 2050 ist die Zielmarke für die vollständige Dekarbonisierung der US-Wirtschaft.
• Ein Teil der Investitionen soll, ähnlich wie im Labour-Programm, für den Ausbau von erneuerbarer Energiegewinnung, für Energiespeichersysteme und den Ausbau eines modernen Energienetzes verwendet werden. Statt als private Unternehmen profitorientiert zu wirtschaften, sollen diese neu geschaffenen Energiesysteme öffentliches Eigentum sein und regional verwaltet werden. Im Gegensatz zu Corbyns Green Industrial Revolution sieht Sanders Plan keinen Ausbau der Atomenergie vor. Ein Moratorium soll über die Vergabe von Lizenzen für die Weiterführung bestehender Kernkraftwerke entscheiden.
• Für die Modernisierung und Anpassung von Wohnhäusern von Personen mit kleinem und mittlerem Einkommen und Gebäuden von Kleinunternehmern plant Sanders die Bereitstellung von Krediten in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar und verspricht dadurch eine 30-prozentige Einsparung von Energiekosten im Gebäudesektor.
• Der Umbau des Transportwesens – immerhin für knapp ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich – steht ebenfalls im Zeichen der Elektromobilität und des Ausbaus öffentlicher Verkehrsmittel. Durch ein kreditgefördertes Austauschprogramm soll besonders Familien mit geringem und mittlerem Einkommen und Kleinunternehmern der Umstieg auf E-Mobilität erleichtert werden. Der Ausbau von Ladekapazitäten soll dafür die infrastrukturelle Voraussetzung schaffen, auch Schulbusse und LKWs im Transportsektor würden durch E-Fahrzeuge ersetzt. Das öffentliche Hochgeschwindigkeitsbahnnetz und der öffentliche Nahverkehr sollen ausgebaut und das Passagieraufkommen gesteigert werden.
• Ein wesentlicher Bestandteil des US-Konzeptes ist die Frage nach transformativer Gerechtigkeit für benachteiligte und marginalisierte Gruppen in den USA. Die Resolution von Alexandra Ocasio-Cortez beinhaltet als zentralen Begriff sogenannte „Frontline and Vulnerable Communities“. Der Begriff umfasst indigene Völker und BPOC-Gemeinden[3], deindustrialisierte und entvölkerte ländliche Gemeinden, Arme und Niedriglohnarbeiter*innen, Frauen, alte Menschen, Wohnungslose, Menschen mit Behinderung und Jugendliche. Auch bei Sanders findet sich dieses Konzept wieder. Aufgrund historischer Diskriminierung und Ausschlüsse, unter anderem während des historischen New Deal, haben diese Gruppen ein besonderes Anrecht auf Teilhabe. Es wird beispielsweise häufig auf das Wissen und die wichtige Rolle indigener Völker hingewiesen, die seit Jahrhunderten an vorderster Front bei der Verteidigung natürlicher Lebensräume stehen.
Finanzierung des Green New Deal – Modern Monetary Theory
Wie sollen diese kostspieligen und ambitionierten Projekte finanziert werden? Insbesondere in der US-amerikanischen Debatte taucht häufig der Bezug auf die „Modern Monetary Theory“ (MMT) auf. Alexandra Ocasio-Cortez rückte die MMT als Finanzierungsmöglichkeit eines Green New Deal in den Fokus und sagte im Interview mit dem Business Insider, dass diese ein größerer Teil der Debatte sein sollte (Relman, 2019). Stephanie Kelton, eine namhafte Vertreterin der MMT, war bereits 2016 die wirtschaftspolitische Beraterin von Bernie Sanders Präsidentschaftskampagne. Kein Wunder, dass das Interesse an der MMT sehr gewachsen ist. Unter der MMT versteht man ein post-keynesianisches Konzept der Geldtheorie, das entgegen der gängigen neoklassischen Vorstellung die Monopolstellung moderner Staaten in der Geldschöpfung betont. Demnach bringt der Staat über die Zentralbank Geld in Umlauf und zieht dieses später als Steuern oder Guthaben wieder ein (Ehnts & Paetz, 2019). Vertreter*innen der MMT sehen Staatsverschuldung nicht als per se negativ an und betonen, dass die Gefahr von Inflation nur besteht, wenn das vom Staat in Form von Schulden in den Wirtschaftskreislauf geflossene Geld die Aufnahmekapazität der Wirtschaft übersteigt (Kelton, 2019). Aufgabe des Staates ist es unter diesen Voraussetzungen, durch fiskalpolitische Maßnahmen der Volkswirtschaft in passendem Maße Geld zuzuführen. Durch richtiges staatliches Handeln könne für Vollbeschäftigung und anhaltendes Wirtschaftswachstum gesorgt werden (Kelton, 2019). Eine der Politikempfehlungen aus der MMT, die sich in den radikalen Green New Deal Konzepten wiederfindet, ist die Forderung nach einer staatlichen Job-Garantie. Auch die Auffassung, dass Staatsschulden zur Finanzierung zukunftswirksamer Investitionen grundsätzlich unproblematisch seien, findet sich in den Konzepten wieder.
Neben kreditfinanzierten staatlichen Ausgaben soll in Sanders und Labours Konzepten die fossile Industrie, Hauptverursacherin des Klimawandels und Hauptgegnerin im Kampf um Klimaschutz, vor Gericht für die entstandenen Schäden zur Verantwortung gezogen werden und den Umbau durch hohe Steuern und die Streichung von Subventionen mitfinanzieren. Ein weiterer Teil soll durch Besteuerung großer Konzerne und Vermögen finanziert werden. Sanders Plan rechnet mit Einkünften aus der regionalen Stromgewinnung, die von 2023 bis 2035 einen Beitrag zur Finanzierung leisten sollen. Danach soll Energie bis auf Bereitstellungs- und Erhaltungskosten frei sein. Durch die Reduktion der US-Militärausgaben könnte zusätzliches Geld bereitgestellt werden. Steuereinkünfte der 20 Millionen potenziell neu geschaffenen Jobs und die Einsparung von Sozialausgaben durch die Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit tragen das Übrige zur Finanzierung des US-Green New Deal bei. Laut Sanders trägt sich der Green New Deal innerhalb von 15 Jahren selbst. Das Labour-Konzept will die für den Umbau der Wirtschaft nötigen Investitionen in Industrie und Infrastruktur maßgeblich durch ein neugestaltetes Finanzsystem ermöglichen. Durch die Schaffung einer nationalen Investitionsbank sollen 250 Milliarden Pfund an Krediten für Unternehmen, Infrastruktur und Innovationen über einen Zeitraum von 10 Jahren beschafft werden. Kleinere Kredite für lokale Investitionen können durch regionale Postbanken zur Verfügung gestellt werden. Schließlich sollen neue Kriterien für die Londoner Börse geschaffen werden. Diese würden es Unternehmen nur erlauben auf dem London Stock Exchange gelistet zu werden, wenn sie einen positiven Beitrag bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe leisten. Auch der Labour Plan rechnet mit zusätzlichen Steuereinnahmen und Konsumausgaben durch die rund eine Million neuer Jobs durch die „Green Industrial Revolution“. Beide verweisen außerdem auf die Kosten des Klimawandels bei Untätigkeit und argumentieren, dass diese die Kosten eines Green New Deal bei weitem übersteigen würden.
Akteur*innen und Umsetzungsstrategie
Neben dem konkreten Inhalt und Fragen der Finanzierung ist die wichtigste Frage, wie sich diese weitreichenden Forderungen politisch durchsetzen lassen. Hier zeigt sich eine der Schwachstellen der Green-New-Deal-Konzepte von Sanders und Labour. Denn es wird für die Umsetzung eines radikalen Green New Deal nicht ausreichen, würden Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn die Regierungen in ihren jeweiligen Ländern stellen. Dafür sind die Gegner zu mächtig und zu einflussreich. Der Einfluss der fossilen Energiekonzerne reicht weit in die Mitte der US-Demokraten hinein. Zahlreiche einst radikale Versprechen in Sachen Klimaschutz endeten als zahnlose Tiger, wenn sie nicht gänzlich verworfen wurden. Dass sich die reiche und mächtige fossile Industrie und die von ihr abhängigen Konzerne nur mit großem Druck von der Straße besiegen lassen, findet sich durchaus in beiden Programmen wieder. Im Vergleich zur Aufzählung von geplanten Maßnahmen und Forderungen nehmen die Umsetzungsstrategien jedoch nur einen geringen Teil der Konzepte ein. Diese gehen größtenteils über die allgemeine Beschwörung von Protestbewegungen beziehungsweise deren Unterstützung kaum hinaus. Die Konzepte bewegen sich trotz ihrer Radikalität auf staatlicher Handlungsebene und fokussieren hier wiederum vielmehr die Frage, was getan werden sollte und weniger, wie man die Forderungen politisch durchsetzen kann. Dass allerdings schon weitergehende Ideen, etwa für die Übernahme der US-amerikanischen Öl- und Gas-Produzenten, diskutiert werden, zeigen Aronoff, Battistoni, Cohen und Riofrancos (2019). Um die US-amerikanische Öl- und Gas-Industrie unter staatliche Kontrolle zu bringen, könnte man beispielsweise Gesetze und Regelungen erlassen, die den Börsenwert der Konzerne drastisch verringern. Dieser basiert ohnehin auf Reserven, deren Extraktion und Nutzung die Erde auf bestem Wege zur 5-Grad-Erhitzung bringt. Ist ihr Wert erst gesunken, könnte man 51 Prozent dieser Öl- und Gas-Konzerne aufkaufen und so dafür sorgen, dass Öl und Gas im Boden bleiben.
Radikale Kritik
In der mangelnden Konkretisierung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die für die Umsetzung eines radikalen Green New Deal nötig wäre und wie man diese erreicht, zeigt sich eine der größten Schwächen der Konzepte von Sanders und Labour. Vielleicht sind derlei strategische Überlegungen nicht geeignet für Wahlkampfprogramme. Will man die Menschen aber langfristig für einen grundlegenden, radikalen sozialen und ökologischen Wandel mobilisieren, sollte man auch strategische Fragen, Widerstände und Probleme klar kommunizieren. Der historische New Deal war Roosevelts Reaktion auf massiven Druck der US-amerikanischen Kommunist*innen und Gewerkschaften. Der New Deal entstand nicht als freiwilliges Zugeständnis, sondern als erkämpfter Kompromiss zwischen Arbeiter*innenbewegung und Kapitalseite.
Eine weitere Leerstelle der beiden Green New Deal Konzepte ist die Nichtbeachtung historischer kapitalistischer Entwicklungstendenzen. Der Übergang von der fordistischen zur neoliberalen Ära geschah nicht zufällig und nicht nur aufgrund politischer Entscheidungen. Säkulare Stagnationstendenzen und niedrige Unternehmerprofite legten den Grundstein für die Abkehr von der keynesianischen Politik in den 1970er bzw. 80er Jahren und machten den Weg frei für die neoliberale Umverteilung von unten nach oben. Es ist anzunehmen, dass ein einfaches Zurück in die Goldene Ära des Kapitalismus unter ökologischen Vorzeichen nicht möglich ist ohne weitreichende Konsequenzen für die kapitalistische Produktionsweise. Das Versprechen eines ‚Zurück‘ findet sich aber zumindest zum Teil in den radikalen Green New Deal Konzepte wieder.
Schließlich beinhalten sowohl radikale als auch weniger radikale Green-New-Deal-Pläne die Verbindung von CO2-Einspaarung und Umweltschutz mit dem Versprechen von Wirtschaftswachstum. Es ist jedoch fraglich, ob Wirtschaftswachstum und gesteigerter CO2-Ausstoß voneinander trennbar sind. Zumindest gilt dies unter den gegebenen technologischen Voraussetzungen (Bernes, 2019). Ein zusätzliches Problem ist der enorme Bedarf an seltenen Erden und Metallen, der durch den elektrischen Umbau der Industrie, der Energieversorgung und des Transportwesens entstehen würde. Alleine der Labour-Vorschlag zur E-Mobilität würde das Doppelte der aktuellen weltweiten Kobaltproduktion, die gesamte Produktion von Neodym, dreiviertel der weltweiten Lithiumproduktion und die Hälfte der Kupferproduktion beanspruchen (Beuret, 2019). Gerade weil sich die radikalen Konzepte explizit für internationale Gerechtigkeit und ein Ende der Ausbeutung der Ressourcen des globalen Südens aussprechen, ist es fraglich, ob sich die Umsetzung der Green-New-Deal-Konzepte mit diesem Anspruch verbinden lässt. Mangelt es klassischer Konsumkritik stets am Blick auf die durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgerufenen Probleme, so mangelt es den Konzepten eines radikalen Green New Deal am Eingeständnis, dass sich auch unsere kapitalistische Konsumgesellschaft ändern muss. Zumindest, wenn man die Kapazitäten der Erde nicht weiter überschreiten will.
Bei aller Kritik an den Green-New-Deal-Konzepten von Bernie Sanders und der Labour-Partei handelt es sich bei diesen dennoch um radikale Reformalternativen zur aktuellen gesellschaftlichen Produktionsweise. Dass unter dem Label eines Green New Deal jedoch auch wirtschaftsliberale Maßnahmen verfolgt werden können, zeigt das Konzept der Europäischen Kommission.
Der europäische Green Deal
Das Europäische Parlament stimmte am 15. Januar 2020 mit großer Mehrheit dem Entwurf der Europäischen Kommission für einen europäischen Green Deal zu. Dessen Ziel ist es, die Klimaneutralität der EU bis zum Jahr 2050 sicherzustellen. Bis auf Polen, wo 80 Prozent der Energieversorgung auf Kohle und Gas beruhen, stimmen alle EU-Mitgliedsländer den Plänen des Green Deal zu (Vakulina, 2020). Mindestens eine Billion Euro sollen über einen Zeitraum von zehn Jahren für Investitionen in den Klimaschutz freigesetzt werden. Davon wird rund die Hälfte direkt aus dem EU-Budget finanziert. Die andere Hälfte soll indirekt durch verschiedene Maßnahmen wie Investitionsgarantien, die Europäische Investmentbank und durch nationale und privatwirtschaftliche Investitionen ausgelöst werden (European Commission, 2020a). Eine Kombination stellt der 100 Milliarden Euro umfassende Just Transition Mechanism dar. Dabei handelt es sich um einen Strukturhilfefonds, der besonders unterentwickelten und von fossilen Rohstoffen abhängigen Regionen zugutekommen soll. Dessen Gelder können durch die Vorlage regionaler Entwicklungskonzepte abgerufen werden und sollen die regionale Wirtschaftsentwicklung mit Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit kombinieren (European Commission, 2020b). Im Gegensatz zu den Konzepten von Sanders und Labour sieht der europäische Green Deal einen behutsameren Umbau der europäischen Wirtschaft und ihrer Lieferketten über den Zeitraum von 25 Jahren vor. Das Ziel ist der Umbau zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft (Europäische Kommission, 2019). Die Ausweitung öffentlichen Eigentums wie in den Programmen von Sanders und Labour ist nicht vorgesehen. Es geht vielmehr darum, Anreize für nötige Veränderungen durch die Förderung von Green Finance, also durch profitable private Investitionen in grüne Wirtschaftssektoren, zu schaffen. Auch der CO2-Emissionshandel bleibt weiter Bestandteil der europäischen Klimapolitik. Grundsätzlich ist am europäischen Green Deal zu kritisieren, dass nicht schnell genug gehandelt wird und die Ziele nicht weit genug gehen. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ambitioniert genug, um eine Chance auf unter 1,5 Grad Klimaerwärmung zu gewährleisten. Ob die geplanten Steuermechanismen selbst dafür ausreichen, ist ebenfalls fraglich. Außerdem bleiben die anderen bereits genannten Kritikpunkte auch hier gültig, auch wenn sich die Europäische Kommission vermutlich weniger Gedanken über den Widerstand des Kapitals gegen ihren Green Deal machen muss.
Fazit
Ob sich der Green New Deal als strategisch sinnvolles und verbindendes Projekt eignet, bleibt offen. Das mobilisierende Potenzial des Green New Deal sollte aber nicht unterschätzt werden. Klar ist jedoch auch, dass die für die Eindämmung des Klimawandels nötigen Veränderungen nicht erreicht werden können, wenn die Maximierung von privaten Profiten das oberste Gebot unserer Wirtschaftsweise bleibt. Selbst die radikalen Konzepte eines Green New Deals überwinden diese Verwertungslogik nur zum Teil und gehen über die Bereitstellung einer wenn auch radikalen Reformalternative innerhalb des kapitalistischen Systems nicht hinaus. Dies gilt, auch wenn manche Bereiche wie Energie und Transport dieser Verwertungslogik entzogen werden sollen. Dessen kann man sich bewusst sein und trotzdem den Green New Deal befürworten. Denn ist angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht jeder kleinste Strohhalm wert ergriffen zu werden, der uns vor den schlimmsten Folgen bewahren könnte? Kann ein Green New Deal vielleicht sogar als strategisches Programm zur Überwindung des Kapitalismus genutzt werden? Die Widersprüche, in die man bei dem Versuch seiner Umsetzung zweifelsohne gerät, könnten die Bewegung zu dem Schluss kommen lassen, dass die Ziele des Green New Deal innerhalb des Kapitalismus nicht umsetzbar sind und dieser überwunden werden muss. Solche Fragen sollten ernst genommen und diskutiert werden. Sollte es Bernie Sanders in den USA dieses Jahr tatsächlich gelingen, demokratischer Präsidentschaftskandidat zu werden, wird der Green New Deal eines der zentralen Wahlkampfthemen sein und die Öffentlichkeit weiter beschäftigen.
Literatur
Aronoff, K., Battistoni, A., Cohen, D., & Riofrancos, T. (2019). A Planet to Win: Why We Need a Green New Deal. London.
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Beuret, N. (24. Oktober 2019). A Green New Deal Between Whom and For What? Viewpoint Magazin. Abgerufen am 19. Januar 2020 von https://www.viewpointmag.com/2019/10/24/green-new-deal-for-what/
Ehnts, D., & Paetz, M. (April 2019). Die Modern Monetary Theory: Staatsschulden als Steuergutschriften. Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, S. 77-90.
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European Commission. (Januar 2020a). Investing in a Climate-Neutral and Circular Economy. The European Green Deal. European Union. doi:10.2775/74946
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Green New Deal Group. (2008). A Green New Deal. London: new economics foundation.
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Kelton, S. (2. März 2019). Bernie Sanders´ 2016 economic advisor Stephanie Kelton on Modern Monetary Theory and the 2020 race. (J. Malter, Interviewer)
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Relman, E. (2019). Alexandra Ocasio-Cortez says the theory that deficit spending is good for the economy should 'absolutely' be part of the conversation. Business Insider. Abgerufen am 18. Januar 2019 von https://www.businessinsider.com/alexandria-ocasio-cortez-ommt-modern-monetary-theory-how-pay-for-policies-2019-1?r=DE&IR=T
Riofrancos, T. (16. Mai 2019). Plan, Mood, Battlefield - Reflections on the Green New Deal. Viewpoint Magazin. Abgerufen am 19. Januar 2019 von https://www.viewpointmag.com/2019/05/16/plan-mood-battlefield-reflections-on-the-green-new-deal/
The Green Party of the United States. (o.D.). Green Party US. Von Green New Deal: https://www.gp.org/green_new_deal abgerufen
Vakulina, O. (17. Januar 2020). EU steps in with fund to ease the cost of going green. euronews. Abgerufen 20. 01. 2020 von https://www.euronews.com/2020/01/16/eu-steps-in-with-fund-to-ease-the-cost-of-going-green?utm_medium=Social&utm
_source=Twitter#Echobox=1579253460
Wallenfeldt, J. (2020). New Deal: United States History. Retrieved Januar 27, 2020, from Encyclopaedia Britannica: https://www.britannica.com/event/New-Deal
[1] Die Green New Deal Resolution von Alexandra Ocasio-Cortez findet sich hier: https://www.congress.gov/116/bills/hres109/BILLS-116hres109ih.pdf
Das Wahlprogramm mit entsprechendem Abschnitt zum Green New Deal von Bernie Sanders https://berniesanders.com/en/issues/green-new-deal/
Das Labour Manifest für eine Green Industrial Revolution: https://labour.org.uk/manifesto/a-green-industrial-revolution/
Im weiteren Verlauf wird jeweils auf diese Quellen Bezug genommen, wenn Forderungen aus den verschiedenen Green New Deal Programmen der genannten Personen und Parteien beschrieben werden.
[2] Unter anderem die europäischen Grünen forderten bereits im Jahr 2006 einen Green New Deal. Im Jahr 2010 warb der Grüne New Yorker Gouverneurskandidat Howie Hawkins mit dem Green New Deal für seine Kandidatur. Die Grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein trat 2012 mit einem Green New Deal Programm an (The Green Party of the United States, o..D.). Im Jahr 2008 veröffentlichte die Green New Deal Group das Papier A Green New Deal als progressive Antwort auf die Finanzkrise (Green New Deal Group, 2008)
[3] BPOC: Abkürzung für „Black and People of Colour“, umfasst also schwarze und farbige Menschen.