In tempore belli (IV)

Bei Jack the Ripper war es wohl ähnlich. Nach dem ersten Mord im Londoner East End 1888 der nächste, dann fortlaufend die Serie, mit wachsendem Eifer. Da er nie gefaßt wurde, gehen die Diskussionen

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um diesen Triebtäter bis in die Gegenwart. Bei Bush II ist es die Serie von Kriegen, die mit ähnlichem Eifer in Szene gesetzt wird. Im Unterschied zu Jack the Ripper kennt man ihn weltweit, weiß aber noch nicht, bis wohin er sein Werk treiben wird.

Jetzt hat Israel einen neuerlichen Krieg im Nahen Osten geführt. Nachdem Hisbollah-Kämpfer vom Libanon aus zwei israelische Soldaten entführt hatten, entschloß sich die israelische Regierung zum großen Schlag, und legte den halben Libanon in Schutt und Asche. Das Land hatte sich gerade von seinem mörderischen Bürgerkrieg mühsam erholt und den Wiederaufbau einigermaßen abgeschlossen. Nun müssen die Libanesen in weiten Teilen des Landes wieder von vorn anfangen.

Nachdem sich die größten Rauchschwaden verzogen haben, werden einige Zusammenhänge deutlicher sichtbar. Es waren die USA, die Israel gedrängt haben, diesen Krieg auf diese Art und Weise zu führen. Damit waren zwei Überlegungen verbunden. Die eine war, wenn die USA denn den Iran angreifen - hierbei wird in Washington offenbar schon lange nicht mehr über ein Ob, sondern nur noch über das Wann und das Wie geredet -, sollte das Raketenpotential der Hisbollah bereits zerstört sein, damit sie nicht als Reaktion auf den US-amerikanischen Angriff auf den Iran Raketen auf Israel abschießen könne. Die andere Überlegung zielte darauf, den israelischen Angriff auf den Libanon als einen Probelauf für den USA-Krieg gegen den Iran durchzuführen und die Ergebnisse dann militärtechnisch und -strategisch auszuwerten.

Über den Stand dieser Auswertung ist bisher nicht viel bekannt. Die erzielten Resultate sind selbst militärisch zumindest fragwürdig. Die Fernsehzuschauer in der ganzen Welt sahen die toten Frauen und Kinder sowie die zerstörten Häuser, Straßen und Brücken. Wenn das militärische Ziel darin bestand, serienweise "gehärtete Ziele", also die Bunkeranlagen, in denen die Raketen stationiert wurden, zu treffen und zu zerstören, so wurde dieses Ziel offenbar verfehlt. Jedenfalls war die Hisbollah bis zum Beginn des Waffenstillstandes in der Lage, Raketen auf israelisches Territorium abzufeuern. Außerdem war der Widerstand gegen den Vormarsch der israelischen Bodentruppen offensichtlich auch stärker als erwartet.

Ein anderes Ziel soll laut Berichten, die Der Spiegel aus Washington bezog, gewesen sein, durch die Bombardierungen die sunnitischen und christlichen Bevölkerungsteile gegen die Hisbollah aufzubringen. Sie hat bekanntlich einen schiitischen Hintergrund und ist nicht zuletzt deshalb mit dem Iran besonders verbunden. Auch hier trat das Gegenteil des Erwarteten ein. So etwas hatten sich übrigens bereits die britischen Planer des Luftkrieges gegen Berlin ausgetüftelt, und wer sich auch nur annäherungsweise mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt hat, weiß, daß damals der genau entgegengesetzte Effekt eingetreten war. Es gab keinerlei Grund, dieses Mal ein anderes Resultat zu erwarten.

Aus israelischer Sicht ist das Ergebnis des Krieges sehr problematisch. Durch die Art des Krieges und des Waffenstillstandes wurde die Hisbollah als eigene Kriegspartei faktisch anerkannt und aufgewertet. Sie erwies sich als militärisch stärker als angenommen, und sie hat damit ihr Ansehen in der arabischen beziehungsweise muslimischen Welt erhöht. Auch arabische Regierungen, die sonst auf der Seite des Westens stehen, wie Saudi-Arabien oder gar die von den USA eingerichtete Regierung des Iraks, hatten sich sehr rasch an die Seite Libanons gestellt.

So hat dieser Krieg den langfristigen Interessen Israels eher geschadet. Der Historiker Immanuel Wallerstein schrieb dazu bereits Anfang August in einem Beitrag für die polnische Presse folgendes: "Die Regierung in Jerusalem gesteht sich nicht ein, daß weder Hamas noch Hisbollah Israel brauchen. Israel aber braucht sie, und das ganz dringend. Wenn es nicht ein Gebilde nach Art des durch Kreuzritter geschaffenen mittelalterlichen Königreichs Jerusalem werden möchte, das früher oder später getilgt werden wird, dann muß es hinnehmen, daß ihm nur Hamas und Hisbollah das Überleben garantieren können. Erst wenn sich Israel mit diesen tief in der Gesellschaft verwurzelten Sachwaltern des palästinensischen und arabischen Nationalismus zusammensetzt, kann es in Frieden leben." (Dziennik, 4. August 2006)

Und Washington? Von Nahostexperten wird berichtet, das Ergebnis dieses Krieges habe eher zu einem Rückschlag für die Befürworter des Krieges gegen den Iran geführt. Die Verantwortlichen für die Kriegspolitik aber werden das verdrängen und sich anderes zurechtlegen. Sie brauchen die Beschleunigung der Angriffsvorbereitung, denn die Amtszeit von Bush nähert sich ihrem Ende. Diesen Krieg aber will er noch geführt haben. Womit wir wieder bei der Frage nach dem Psychogramm von Jack the Ripper wären.

in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 4. September 2006, Heft 18

aus dem Inhalt:
Erhard Crome: In tempore belli (IV); Kurt Merkel: Der Generalserlaß; Heinrich Heine: Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen; Uri Avnery, Tel Aviv: Das 155. Opfer; Holger Politt, Warschau: Vor den Herbststürmen; M.R. Richter: Kiewer Zwickmühle; Martin Nicklaus: Der feine Unterschied; Heerke Hummel: 83 - und zwei Putzstellen; Jens Kassner: Integration per Bankauszug; Wolfgang Beutin: Der Feldhaubitze ungeschminkte Mündung; Peter Braune: Ich bekenne; Hermann-Peter Eberlein: Mynona; Thomas Rüger: Briefe an Arthur