Unsere lieben Nazis

Bisher gibt es in Deutschland zwar Baby-Klappen; aber es fehlt an Nazi-Klappen. Jedenfalls habe ich auf meinen Streifzügen durch die große Stadt noch kein Gebäude gefunden, an dem das Schild ...

... "Für ungewollte Nazis" angebracht wäre. Man könnte dort an der Tür klingeln und gäbe seinen Nazi ab. Einfach so, man bekäme nicht einmal Pfand für ihn. Nur aus reiner Menschenliebe täte ich es.
Möglicherweise scheitert die Aktion aber einfach am Wort "ungewollt". Vielleicht sind die Nazis gar nicht ungewollt? Unsere politische Klasse jedenfalls produziert täglich Verständnis für die Nazis und sorgt "ein Stück weit" dafür, daß sich die "Masse" unbemerkt mit den Nazis politisch verbündet. Es sind nicht allein die Themen Arbeit, Ausländer und Korruption. Bei der Frage nach der Schuld Deutschlands am Holocaust und am II. Weltkrieg zählen die subtilen Lügen und Verdrängungen der Rechten schon längst zur Alltagskultur.
Das deutsche Volk will es nicht mehr hören. Es bedauert die Verbrechen, aber möchte bitte in Ruhe gelassen werden. Es sei nur an den medialen und völkischen Aufschrei über die wenigen israelischen Abgeordneten erinnert, die die Knesset verließen, weil Herr Köhler dort Deutsch sprach.
Diese Ruhe vor dem, was war, geht einher mit dem Wunsch, endlich wieder eine richtige Nation sein zu dürfen. Mit den Signets eines stolzen Landes stellen sich der gewöhnliche Deutsche und die gewöhnliche Deutsche einer Welt, die aber sehr nachtragend ist. Doch in diesem Leid ist der einfache deutsche Mensch nicht allein. Seit an Seit schreiten seine Volksvertreter mit ihm.
Nehmen wir Frau Merkel. Im konservativen Charlton-Club in London erklärte sie den britischen Konservativen, daß eine CDU/CSU-Regierung eine Wirtschaftspolitik betreiben würde, die Deutschland wieder seinen natürlichen Platz zurückgebe. "Nach einer Aufstellung der OECD sei die Bundesrepublik derart abgesunken, daß in der alten EU nur Portugal, Spanien und Griechenland unter ihr rangieren."
Ja, wo sind wir denn? Sicherlich, wir fahren zu diesen portugiesisch-spanischen-griechischen Losern in den Urlaub; aber mit Verlaub, vergleichen wollen wir uns mit denen nicht. Wäre nämlich unnatürlich. Von Natur aus ist der Deutsche diesen überlegen. Fehlt es denen doch an Disziplin, Gehorsam und Arbeitsfreude. Einen Holocaust hätten die nie organisieren können. Hat die Frau Merkel halt nicht bedacht, als sie wieder einmal losplauderte. Aber die liebe Frau meint es nicht so. Überhaupt meinen die Deutschen es meistens nicht so.
Doch wenn sie etwas meinen, dann kämpfen sie dafür. Ein wirklicher Kämpfer ist der Kanzler. Der lebte bisher in der seligen Gewißheit, ein guter Mensch zu sein. Immer die Ärmel hoch und fleißig in fremden Gärten geerntet. Gerhard Schröder - der Gärtner. Die ruhige Hand zeichnet ja alle Taschendiebe aus. Dumm nur, daß er die als Politik verkaufen muß. Da kann der Gerhard nicht einfach das wegnehmen, was ihm gefällt. Er muß es begründen. Und dabei fällt er mittenrein in den braunen Haufen.
In seinen Reden zur großen Not und deren Abwehr baut der Schröder einen Feind auf, der sozialschmarotzend und unflexibel dem Volk schadet. Damit aber im Land alles gerecht zugehe, sollten diese zu ihrem Glück gezwungen werden. Dies verkünden der Kanzler und seine wissenschaftlichen Vasallen im Namen der Sache.
Der Rest ist einfach. Am Volk vorbei werden die demokratischen Rudimente benutzt, um das Große zu wagen. Das Volk zu fragen, ob es die Segnungen mag, liegt nicht in der Natur des politischen Geschäftes.
Es ist nicht das Versagen im "vorpolitischen Raum" (Schröder in allen Medien), welches die Nazis stärkt, es ist das Versagen aller anderen Parteien im politischen Raum. Das Begründungsmuster jeder Politik ist zwischen SPD, CDU/CSU, FDP, Grünen, PDS und NPD deckungsgleich. Ihre politischen Konzepte gehen immer von einem Mißstand aus, der durch ein Verhältnis zwischen Mehrheiten und Minderheiten charakterisiert wird. Die Minderheiten fungieren stets als negative Ordnungsgröße, und Politik ist dann nichts anderes als Kampf gegen willkürlich und meist ideologisch bestimmte Minderheiten. Für die deutsche Politik gibt es keine kooperativen Modelle mehr - alle folgen zunehmend einem intoleranten, demagogischen und undemokratischen Modell.
Alternativ gab es bisher mit der PDS eine oppositionelle Kraft für Minderheitsinteressen. Doch die Sozialisten verlieren mit zunehmender politischer Reife diesen radikalen Ansatz. Damit gibt es keine radikale Kritik mehr im demokratischen Feld. In dieser Lücke kann eine NPD mit sozialen und gesellschaftskritischen Ansätzen neue Wähler rekrutieren.
Was bleibt? Der gegenwärtige Parteibetrieb wird die Nazis nicht verhindern. Um sie zu verhindern, bedürfte es einer neuen politischen Kultur und eines anderen Selbstverständnisses von Politikproduktion. Doch dafür gibt es momentan keine ernsthaften Ansätze. Also bleibt nur die Möglichkeit, daß die politische Klasse weiter nach rechts rutscht und somit den Nazis die Themen wegpolitisiert.
DenkÂ’ ich an Deutschland - nicht nur in der Nacht Â…

in: Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII) Berlin, 28. Februar 2005, Heft 5