Bundestagspost

Es ging um eine Volksabstimmung für die europäische Verfassung. Aus diesem Grund bat ich in Briefen meine politischen Vertreter im Bundestag, einen entsprechenden Antrag einzubringen und zu bestäti

Ich bekomme Post von Politikern. Richtige Briefe. Mit Briefmarke drauf und zugeklebt. Natürlich keine Bettelbriefe à la Schönbohm. Der wollte mich zu Weihnachten in die CDU jagen und, sollte ich die Mitarbeit verweigern, wenigstens an mein Geld. Völlig schamlos der Mann. Da gibt es behindertere Organisationen, die es nötiger haben. So ein Politiker bekommt doch wenigstens Diäten.
Auf solche Briefe stehe ich nicht und schreibe deshalb auch nicht zurück. Die Post, die ich meine, ist selbst initiiert. Ich hatte mir gedacht, daß Max Hagebök als zukünftiger Vollwert-Europäer darüber sollte bestimmen können, was ihn als Europäer auszeichnet. Es ging um eine Volksabstimmung für die europäische Verfassung. Also bat ich meine politischen Vertreter im Bundestag, einen entsprechenden Antrag einzubringen und zu bestätigen. Im November vorvorigen Jahres hatte dies die FDP getan; der ich aber gar nicht geschrieben hatte und die damit bei allen anderen Fraktionen durchgefallen war.
In meiner Enttäuschung wandte ich mich nun vertrauensvoll an 25 Abgeordnete. Postalisch. Sogar die Abgeordneten Schröder und Fischer wurden von mir beehrt. Ich kritisierte das negative Abstimmungsverhalten und verwies auf die verpaßte Chance für den Bürger, sich politisch artikulieren zu dürfen.
Mein Brief rührte am Gewissen von sechs Abgeordneten. Davon waren drei grün, zwei christlich demokratisch und eine sozial demokratisch.
Von den grünen Politikern erfuhr ich Erstaunliches. Einer entschuldigte sich für sein Abstimmungsverhalten und stellte mir sein Verständnis über meinen Unmut in Aussicht. Sein sehr ehrlicher Brief über das unwürdige Gerangel in der Koalition endete damit, daß er mir versprach, sich jetzt aber vehement für Volksabstimmungen einzusetzen.
Dagegen waren die beiden anderen weniger verständnisvoll. Meiner Absicht einer punktuellen Herbeiführung plebiszitärer Entscheidungen bezeichneten sie als Rosinenpickerei. Das mir, der keine Rosinen mag. Im weiteren verwiesen sie auf ihr unermüdliches Wollen, welches an der Mehrheit der CDU/CSU-Länder im Bundesrat scheitere. Mich versorgten sie mit der Losung: "Alles oder Nichts"; mit der solle ich mich doch zufriedengeben. Das Aparteste war jedoch, daß es sich um einen sehr persönlich gehaltenen Serienbrief handelte.
Die Christen unter den Demokraten waren entsetzt und geängstigt. Das Volk sei verführbar und keineswegs reif für Volksabstimmungen. Einer rief mich auf, bei der Europawahl dieses Jahres die Richtigen zu wählen. Seit dem grübele ich darüber nach, wer die Richtigen sind.
Und noch eins fiel auf. Die Christdemokraten trauen ihrer eigenen Demokratie nicht. Voller Demut beklagten sie, daß es Gruppen und Minderheiten gäbe, die das Volk verführen würden. Und das Volk, der Politiker überdrüssig, könnte einen Fehler begehen. Vor diesem Fehler müsse das Volk und damit der Bürger beschützt werden.
Auf diese Briefe antwortete ich. Ich erinnerte die Herren Abgeordneten, daß sie sowohl rechnerisch als auch politisch eine Minderheit darstellen. Und damit im Sinne des Grundgesetzes im politischen Wettbewerb nicht privilegierter als andere Minderheiten seien. Ihre Absage an Volksabstimmungen scheine mir mehr dem eigenen Machterhalt als der Demokratie zu dienen.
Die sozialdemokratische Beantwortung fand "im Auftrag" statt. Die Dame schrieb für sich, und doch schien sie mir im kollektiven Selbstrausch: Die SPD sei prinzipiell für Demokratie, aber immer nur ein Stück weit.
Da stand ich mit einer guten Antwortquote und war von meinem Ziel doch viel weiter entfernt als je zuvor. Max Hagebök, der Souverän dieser Demokratie, ist politisch noch nicht reif. Wähler von Menschen darf er sein. Doch was sie ihm antun werden, wenn sie gewählt sind, erfährt er erst, wenn die Legislaturperiode schon läuft.

in: Des Blättchens 7. Jahrgang (VII) Berlin, 19. Januar 2004, Heft 2