Wie antifeministisch ist die Nachhaltigkeit?
In Krisenzeiten ist es in unserer Gesellschaft üblich, die bestehenden Unterdrückungsstrukturen einer Prüfung zu unterziehen und möglichst zu modernisieren, ...
In Krisenzeiten ist es in unserer Gesellschaft üblich, die bestehenden Unterdrückungsstrukturen einer Prüfung zu unterziehen und möglichst zu modernisieren, die Krise also durch eine effektivere Ausbeutung zu bekämpfen. Die Raubbau an Natur oder Umwelt stößt seit geraumer Zeit an bedrohliche Grenzen, Veränderungen im gesamten kapitalistischen System sind ausweichlich. Der "ökologische Umbau" fordert Einsparungen, Verbrauchssenkungen, keinerlei Verschwendung mehr. Der entscheidende Punkt ist nun aber nicht, daß wir sparen sollen, sondern die Streitfrage ist, wer sparen soll. In den Plänen, Strategien und Diskussionen werden hauptsächlich die ins Auge gefaßt, die nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen. In unserem Thesenpapier (1) haben wir das die "ökologische Modernisierung der Diskriminierung" genannt. Das heißt, die die ohnehin in einer schlechteren, sozialen und ökonomischen Lage sind wie Frauen, Arme oder die Menschen in der sogenannten Dritten Welt sollen ihre Ansprüche noch weiter reduzieren.
Beispielhaft für diese Strategie ist hier die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" geworden, die den Überdruß in der mittelständischen Konsumgesellschaft thematisiert. Die Entmenschlichung, die Isolation und die hemmungslose Ellenbogengesellschaft, die nur an Materiellem interessiert ist, werden angeprangert. Nicht angeprangert werden die Machtverhältnisse und deren Verantwortlichkeit für die lebensbedrohlichen Entwicklungen.
Die Nachhaltigkeitsdiskussion nimmt hier durchaus Punkte auf, die sich an die Argumentation des Feminismus anlehnen. Im Kampf um Gleichberechtigung wurde zwar die Partizipation der Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen gefordert, aber immer auch die Ausrichtung am patriarchalen Modell kritisiert. Nach jahrelangem Abstrampeln kann es eine richtige Erholung werden, wenn frau hört, daß das "bisherige Vollbeschäftigungsarrangement der Vergangenheit angehört". Wird also das Angleichen an die männliche Erwerbsbiographie nicht mehr in der Weise nötig sein? Wird sich diese Erwerbsbiographie grundlegend verändern? Gibt es hier vielleicht sogar Möglichkeiten, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung abzubauen? Ist es nicht zu begrüßen, wenn der bornierte patriarchale Arbeitsbegriff endlich der Vergangenheit angehören würde?
Sparen als weibliche Tugend
Aber das Konzept für die Zukunft, wie es hierzulande diskutiert wird, ist bei näherem Hinsehen doch einigermaßen ernüchternd. Es baut auf der Feststellung auf, daß die Wohlstandsgesellschaft, die sich ein Minimum an Emanzipation "leisten" konnte, in der Krise ist. In der Wirtschaft werden die Produktionsanlagen ins Ausland verlegt, im Inland rationalisiert und demzufolge Arbeitsplätze abgebaut. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Gleichzeitig nimmt der Staat seine Funktion der sozialen Absicherung nicht mehr wahr. Die steigende Armut ist so signifikant für die kommende Entwicklung wie das Ansteigen des Reichtums von ein paar wenigen. Dazu addiert sich die Sorge um die Umwelt, die zunehmend verdreckt und die Lebensbedingungen auch ökologisch radikal verschlechtert.
Diese Krise ist eine Herausforderung an das patriarchal-kapitalistische System und seine Regenerationsfähigkeit. Es muß sich verändern, moderner werden, wenn die Machtstrukturen erhalten werden sollen. Vor dieser Aufgabe stehen in erster Linie die Industriestaaten, die internationale wie auch jeweils nationale Umbau-Strategien entwickeln müssen. Nachhaltigkeitsszenarien wie "Zukunftsfähiges Deutschland" ist ein exemplarisches Beispiel und dies ist trotz seiner Widersprüchlichkeiten durchaus ernstzunehmen.
Für Frauen zeichnen sich darin erschreckende Aussichten ab. Im Blickpunkt der Ressourcenschonung stehen hauptsächlich die privaten Haushalte, und die Leitbilder und Handlungsanweisungen sind ein fundamentaler Angriff auf die gesamte Lebens- und Arbeitswelt von Frauen, und das weder unabsichtlich noch unbewußt, sondern als ein Plan, der die Möglichkeiten für Frauen gründlich reduzieren soll.
Im Gegensatz zu den bisherigen, zugegebenerweise nicht befriedigenden Alternativen weiblicher Lebensplanung wird es in Zukunft kaum noch welche geben. Für die Zukunft ist eine "Mischung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Eigenarbeit" vorgesehen, wobei mit Erwerbsarbeit Teilzeitarbeit im sogenannten Niedriglohnsektor gemeint ist. Ein Bereich in dem sowieso hauptsächlich Frauen arbeiten. Der "volle" Arbeitsplatz wird völlig unwahrscheinlich, insofern auch die ökonomische Unabhängigkeit. Gleichzeitig wird die Last der unbezahlten Eigenarbeit, die zur Zeit fast ausschließlich von Frauen geleistet wird noch größer.
"Umweltschonung und ein deutlich geringerer Ressourcenverbrauch führen zu einer Verringerung des Volumens an Erwerbsarbeit. Das bedeutet aber keinesfalls, daß es weniger zu tun gibt." Die historischen Kenntnisse müssen nicht besonders gründlich sein, um zu wissen, daß die unbezahlte Arbeit immer dem weiblichen Teil der Bevölkerung zugedacht ist. Ob die Nachbarschaftshilfe, die Herstellung von Nahrungsmitteln oder die soziale Hilfe, alle diese Bereiche sollen wieder radikal privatisiert werden.
Die Stoßrichtung ist klar. Es wird viel weniger zu verteilen geben, sprich Geld, aber gleichzeitig wird der notwendige Arbeitseinsatz, um den Alltag zu bewerkstelligen unermeßlich steigen. Und dies wird einseitig auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Bisher gab es für Frauen zumindest die Möglichkeit zwischen verschiedenen Existenzsicherungen zu wählen und sich wenigstens anteilig auch von ein paar Arbeitsleistungen freizukaufen. Die Tiefkühlkost, die Wegwerfwindeln, die Kinderbetreuungsstätten, waren materiell vermittelte Kompromisse zwischen den Zeitansprüchen von Frauen und dem männlichen Anspruch auf eine geordnete Reproduktion. Selbst der Verzicht auf Familie und die Konzentration auf einen Beruf war, wenn auch gesellschaftlich nicht übermäßig gern gesehen, nicht ausgeschlossen.
Das geht dem Ende entgegen. Zu den traditionellen Argumenten, die Frauen an den Herd zurückschicken, - sich den Kindern zu widmen und den Männern die Arbeitsplätze nicht streitig zu machen - gesellt sich jetzt auch noch das ökologische Argument. Es hat die geradezu widerliche Komponente, die Art und Weise wie die Frauen die Reproduktionsarbeit zu gestalten haben auf das genaueste vorzuschreiben. Nämlich arbeitsintensiv, auslaugend, farblos, luxusfrei, ohne jegliche Fluchtmöglichkeiten und komplett enttechnisiert. Da spielt es plötzlich eine Rolle wieviel Wäsche gewaschen wird, wie hoch der Befüllungsgrad von Spülmaschinen zu sein hat oder warum denn der Trockner benutzt wird, wenn sich die Wäsche viel energiesparender auf die Leine hängen läßt. Genau dort fällt der "Zusammenhang von Technisierung und Anspruchssteigerung" ins Gewicht. "Dann ist nichts so effizient wie das nicht gekaufte Gerät."
Für sich genommen ist die Übertechnisierung des Alltags auch durchaus kritikwürdig. Aber indiskutabel ist es, die Technisierung zu senken, und gleichzeitig die Anforderungen an die Reproduktion zu steigern. Ein gelungener Vorschlag zur Reduzierung des Wäscheaufkommens wäre zum Beispiel, daß die Männer ihre Wäsche selber waschen.
Internationaler Wettbewerb als Leitlinie
Der pedantische Ehrgeiz das Leben von "überflüssiger" Technik freizuschaufeln ist sofort wie weggeblasen, wenn man/frau sich die Zukunftsszenarien für die Männer ansieht. Dort nämlich tun sich die schönen, neuen Welten der Öko-Technologien auf. Da wird nicht gegeizt oder geknausert, da wird die Natur optimiert, der "Ökoproduktivität" zu ungeahnten Erfolgskurven verholfen. Es wird Ressourcenmanagement in großem Stil betrieben, ob "dezentrale Photovoltaik", "solarthermische Wärme" oder "Offshore Windpotentiale". Was wäre erst die Bundesbahn mit der "Modularität der Komponenten", der "Pendolino-Technik" und einer "Niederflurbauweise"! Abgesehen davon rechtfertigt der "verkehrsvermeidende Wertewandel" den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, da er die persönliche Mobilität überflüssig macht.
Das mag zum Teil lächerlich und nicht weiter bedrohlich klingen, aber hier werden die Chancen auf dem internationalen Markt ausgekartet. Es geht gar nicht in erster Linie um die Organisation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, sondern um die Entwicklung von Produkten. "In den Bereichen 'Umwelttechnologie' und 'Dematerialisierte Produkte und Dienstleistungen' wird ein zukunftsfähiges Deutschland neue Stärken entwickeln. Dies gilt besonders, wenn andere Industrieländer mit der Anpassung an die ökologischen Herausforderungen später beginnen. Die neuen Stärken der deutschen Wirtschaft werden nur zu einem geringen Teil materielle Produkte umfassen, zu einem größeren Teil jedoch immaterielle Güter, geistiges Eigentum und Beratungsleistungen."
Hier tritt die imperialistische Intention offen zu Tage, die auf der Ausbeutung der heimischen Reproduktions- und Subsistenzarbeit aufbaut. Wieder einmal lassen sich erstaunliche Parallelen zur NS-Politik nachzeichnen. Damals schon verfiel der Reichsnährstand darauf, den Bauersfrauen u.a. fahrbare Gemeinschaftswaschanlagen, bestehend aus Waschmaschine und Schleuder, aufzudrängen.(2) Damit war absolut nicht bezweckt die Arbeit zu erleichtern, sondern sie umzulenken, um die nationale Autarkie der Nahrungsmittelversorgung trotz steigender Anstrengungen für die Rüstungsproduktion zu erreichen. Die Umorganisation der ländlichen Haushalte stand in direktem Zusammenhang mit der NS-Expansionspolitik. An der Instrumentalisierung der weiblichen Arbeitskraft für expansionistische Ziele hat sich auch beim heutigen "ökologischen Umbau" nichts geändert. Heute werden zur Absicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die privaten Haushalte enttechnisiert, in ihrem Energieverbrauch reduziert, um die gewonnenen Einsparungen in den technologischen Wettlauf auf den internationalen Märkten zu investieren. "Effizienz muß auch hier durch Suffizienz stabilisiert werden", was nichts anderes meint als daß die Subsistenz die Expansion alimentiert.
Frauenunterdrückung im Namen der Umwelt
Die angestrebten Veränderungen haben nicht nur eine ökonomische Dimension. Es dreht sich auch auf der politischen und persönlichen Ebene um die umfassende Zurückweisung der Ansprüche von Frauen. Die Backlash-These, vom Rückschlag gegen den Feminismus, ist mit Vorsicht zu genießen, aber sie verweist zumindest auf den härter gewordenen Kampf um Behauptung von Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen. Das Dilemma war, daß die in den 70er Jahren durchgesetzten Freiräume - in vielen Fällen spontan und chaotisch, aber auch erfolgreich - zunehmend integriert, institutionalisiert und damit entschärft wurden. Das Ergebnis bestand darin, daß Frauen im Beruf dem männlichen Modell nacheifern mußten, um sich durchzusetzen, oder zu Hause die klassische weibliche Rolle zu erfüllen hatten, also schlicht aus verschieden reduzierten aufoktroyierten Lebensmodellen wählen konnten.
Die Zeiten dieser Art Gleichberechtigungsgesellschaft neigen sich dem Ende zu. Die Alternativen schwinden bzw bietet sich nur noch für eine kleiner werdende privilegierten Anteil von Frauen . Mit dem Verweis auf die Umweltschonung haben die Männer endlich auch ein quasi geschlechtsneutrales Argument gefunden, Frauen wieder stärker in ihre Schranken zu verweisen. Es ist nun möglich die unabhängige Frau, die sich um nichts und niemand schert, genußvoll als anti-ökologisches Monster zu brandmarken. Effizienz und Suffizienz heißt auch: der neuen 'Intelligenz' der Männer soll eine neue Bescheidenheit der Frauen an die Seite treten.
Autonomie geht vor Ökologie!
Nachdem weder die hemmungslose Ressourcenverschwendung noch die artige Sparvariante eine akzeptable Handlungsperspektive sein kann, stellt sich die Frage nach anderen Lösungen. Die schon erhobene Forderung, solche Studien und Strategien demnächst unter breiter Mitwirkung von Frauen entstehen zu lassen, nimmt sich zum Ziel, die Gleichberechtigung in der Nachhaltigkeit verwirklichen zu wollen. Das ist aber weder realistisch noch wünschenswert. Das Effizenz/Suffizienz-Konzept wird durch weibliche Verzierungen nicht herrschaftsfreier.
Natürlich vollzieht sich die Spaltung auch unter den Frauen. Im Sinne der "ökologischen" Emanzipation sind Frauen getreu dem männlichen Vorbild längst auf diesen Zug aufgesprungen. Unter dem Motto "Umweltschonung" investiert frau in ökologisch einwandfreie Projekte, kreiert Marketing-Konzepte oder stattet Büros mit recycelten Rohstoffen aus. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß für Frauen grundsätzlich die Chance, dem männlichen Modell von Karriere nachzueifern kleiner wird und es in jedem Fall auf Kosten der nichtintegrierten Fruaen läuft.
Das Dilemma ist klar. Die Forderung kann nicht heißen, daß Frauen an dem weltweiten Ausbeutungssystem stärker beteiligt werden, die klassische männliche Vollbeschäftigung für alle zu verlangen und die Privilegien gerechter auf beide Geschlechter zu verteilen, da der Reichtum der Industrienationen schließlich wesentlich auf der Vernutzung von weiblicher Arbeitskraft in den Ländern der "Dritten Welt" beruht.
Sich aber völlig aus den Strukturen herauszuhalten, in weitgehende Bescheidenheit zu verfallen, und womöglich den Rückzug in das möglichst abgekoppelte Subsistenzareal anzutreten, ist auch kein befriedigender Weg, denn der Rest der Welt existiert trotzdem, mal abgesehen davon, daß dieses Lebensmodell nicht jedem/jeder zur Verfügung steht.
Denn es gibt ja weniger Mittel, infolgedessen mehr Aufwand für das Allernotwendigste, und gleichzeitig der Abbau von allen möglichen Projekten, Initiativen im nichtstaatlichen nicht privatwirtschaftlichen Bereich. Das ist genau das Problem. Insofern ist eine grundlegende finanzielle Absicherung notwendig, und die Möglichkeit unkontrollierte Räume zu erhalten oder zurückzugewinnen.
Frauen haben sich um ihre Unabhängigkeit zu kümmern und sich nicht zusätzlich unter die "ökologische" Knute zu begeben. Umwelt war einmal ein sogenanntes Frauenthema, aber dieser Bereich ist längst professionalisiert und institutionalisiert worden. Wer sich heute für Nachhaltigkeit engagiert, muß wissen daß hier ausgekartet wird, wer für wen welche Umwelt schont und daß lediglich versucht wird den Machtapparat zu regenerieren.
Unbestritten ist es richtig sich aus diesem Weltmarkt herauszuwinden. Aber dazu gehört eine regionale Selbstversorgung, die auch einen Stadt-Land-Austausch einschließen muß, weil nicht alle ihr Stück Land haben können. Dafür sind gewissermaßen subversiv-soziale Netze notwendig. In den Städten muß es weiter alle Formen des politischen Widerstands geben, der Normen, Vorschriften unterläuft, Protest organisiert, an alternativen Existenzformen festhält, genauso wie dies in ländlichen Gefilden nötig ist. Beide Bereiche müssen sich ergänzen, einen eigenständigen Austausch und einen solidarischen Bezug aufeinander entwickeln, damit Strukturen entstehen können, die widerstandsfähig und unabhängig werden. Und wenn sich eine Technik gegen die Herrschaftsmaschinerie verwenden läßt, wird sie eben auch verwendet. Zu einem nicht unerheblichen Teil tun wir dies schließlich auch schon.
In Anbetracht der aktuellen Lage und der Indoktrination durch den herrschenden Ökologie-Diskurs kann die bestimmende Leitlinie, an der unsere Entscheidungen auszurichten sind, nicht die Umwelt sein, sondern die Autonomie. Frauen müssen sich dagegen verwahren, sich jetzt auch noch mittels der öko-patriarchalen Variante Grenzen setzen zu lassen. Das ist der absolut zentrale Punkt. Denn eine herrschaftsarme Gesellschaft, die von relativ freier selbstbestimmter Gestaltung getragen wird und die Unterdrückungstrukturen abbaut, kann dieses Ausmaß an Umweltzerstörung gar nicht bewerkstelligen.
Flexibilität und Verwertung
Frauen leben seit jeher in viel höherem Maße in Mischexistenzformen, ihre Erwerbstätigkeiten werden unterbrochen, sind keine Vollzeitjobs, varieren und wechseln, kurzum sind ein Sammelsurium von Überlebensformen. In der Beziehung sind sie Männern (auch gezwungenermaßen) deutlich überlegen, sind flexibel und haben Improvisationstalent. Aber das ist schließlich kein Wert an sich, solange dies von den Herrschaftsverhältnissen ausgenutzt wird. Diese Fähigkeiten von Frauen werden fremdverwaltet, sie erfüllen Anforderungen, die sie nicht bestimmen können und tragen damit zum Funktionieren der gesamten Strukturen bei.
Es ist sehr viel schwieriger geworden den patriarchalen Gehalt der Entwicklungen wahrzunehmen. Die aufgeklärte Männlichkeit verfügt über einen gewissen Charme und setzt längst zivilisierte Machtmittel ein, frei nach dem Motto: die effektivste Unterdrückung ist die, die nicht bemerkt, sondern mitreproduziert wird. Dies läßt sich auch bezüglich der Verlagerung der politischen Steuerungs- und Entscheidungssysteme von staatlicher auf die internationale Ebene beobachten. Die internationalen Organisationen folgen im Globalisierungsprozess denselben demokratischen Gesetzen wie die nationalstaatlichen, nur daß die Einflußnahme noch weiter sinkt. Es gibt zwar einen Regelungs-und Vermittlungsbedarf zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und damit auch eine Notwendigkeit weite Teile der "Zivilgesellschaft" zu integrieren, aber das bedeutet auch, daß sich die NGOs (wie zum Beispiel die lokalen Agenda-Gruppen) als mitfunktionierender Teil im erneuerten System des Neoliberalismus und globalen Wettbewerbsgesellschaft sehen dürfen.
Möglich wird das durch das perfektionierte Prinzip der "angepaßten Partizipation", Grundlage aller Demokratisierungsprozesse und wesentlicher Bestandteil der Modernisierung. Angepaßte Partizipation bedeutet, daß partieller, abgestufter Zugang zu den Machtmitteln und Entscheidungsprozessen gewährt wird, der Zugang aber abhängig von der Zustimmung zu den Strukturen ist. Anders ausgedrückt, wer gleicher ist, darf mitbestimmen. Dieses Prinzip setzt sich heute auf globalem Terrain fort und erreicht hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses einen neuen Standard.
Deshalb ist es für Frauen überlebensnotwendig die Klarheit und Kreativität gegenüber dem aktuellen Ausformungen des Patriarchats zu entwickeln um sich nicht ständig wieder in den Dienst dieser Verwertungsgesellschaft zu stellen. Ein Teil dessen ist sicher, die Abhängigkeiten zu verteilen, so absurd das klingen mag. Auf sozialer und ökonomischer Ebene muß es ein Mosaiksystem geben, das immer gewährleistet, nicht der Willkür eines Menschen oder einer Institution ausgeliefert zu sein. Ein anderer Teil ist es, auch in Zukunft Phantasie auf die Erhaltung und Schaffung von Gegenstrukturen zu verwenden. Nur dann gibt es eine Perspektive für eine herrschaftsärmere Gesellschaft, und eine Annäherung an das, was sich immer noch an dem Begriff Selbstbestimmung orientiert.
(1) Thesenpapier "Zwischen Sparstrümpfen und Gigabytes", Kritik an der Nachhaltigkeit und an der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" erstellt von Frauen aus der "Danke für den Fisch"-Gruppe (bzw. Nachhaltigkeits-AG des BUKO
(2) Daniela Münkel, "Ein besseres Leben für die Landfrau?" Technik im bäuerlichen Haushalt während der NS-Zeit, in METIS 1/95 Pfaffenweiler;
Zitate sind, wenn nicht anders angegeben aus: "Zukunftsfähiges Deutschland", Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Studie des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Basel 1996