Ein GWR-Interview mit Cécile Lecomte
Graswurzelrevolution (GWR): Cécile, wo warst Du am 8. November?
Cécile Lecomte: Ich war in polizeilichem Gewahrsam in Braunschweig.GWR: Wie ist es dazu gekommen?
Cécile Lecomte: Ich wurde nach einer Kletteraktion an Brücken oberhalb der Wendlandbahn festgenommen. Das war eine gewaltfreie Aktion gegen den bevorstehenden Castortransport, mit Robin Wood-AktivistInnen. Die anderen wurden auf freien Fuß gesetzt. Ich wurde mitgenommen zur „Gefahrenabwehr", das heißt: „eine rein vorbeugende Maßnahme". Mir wird nichts vorgeworfen, aber die Polizei fürchtete, dass ich beim Castortransport erneut klettere.
GWR: Wie sah in den letzten Wochen das Vorgehen der Polizei gegen dich aus? Warum bist du ins Visier geraten?
Cécile Lecomte: Ich glaube, dass die Polizei Menschen fürchtet, die engagiert sind, viel machen, sowohl koordinieren als auch Aktionen durchführen. Und ich bin ja bekannt für ein paar Aktionen, auch im Münsterland, wo ich Urantransporte durch Kletteraktionen jeweils für ein paar Stunden angehalten habe, also effektive Aktionen, die schöne Bilder produzieren und auch die Öffentlichkeit ein bisschen aufrütteln, das Thema präsent machen. Das gefährdet anscheinend den Atomstaat, dass man so gut klettern kann. Und es ist der Grund dafür, dass die Polizei mich auf dem Kieker hat. In den letzten Wochen vor dem Transport habe ich schon deutliche Spannungen gespürt. Ich war mit FreundInnen verabredet, stieg in den Zug ein. Dann stiegen Uniformierte ein und fragten mich, was ich vor habe und wo ich hin wolle. Als ich sagte, dass das mein Privatleben sei, fuhren sie einfach mit, eine Stunde lang. Das ist extrem anstrengend. Sie haben mir gezeigt, dass sie mich beobachten und gucken wollen, was ich vorhabe. Dann haben sie geplant, mich aus dem Verkehr zu ziehen. Als ich dann bei der Anhörung vor Gericht saß, saß da auch der Polizeipräsident im Saal und er hat das beantragt. Das war ein Sonderfall, die hatten die Akte und alles schon vorbereitet, wieso ich gefährlich sein soll, dass ich da auf den Baum geklettert bin und da auch noch, und da auch noch. „Gefahrenabwehr", meinten sie.
GWR: Obwohl sie dich eingesperrt haben, konnte der Castor 24 Stunden lang aufgehalten werden, durch direkte gewaltfreie Aktionen. Ich zähle ein paar auf: Nachdem der Atommüllzug aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague gestartet war, haben sich an der deutsch-französischen Grenze drei AktivistInnen im Gleisbett in einem Betonklotz angekettet und so den Zug 13 Stunden lang gestoppt. 1.000 Leute haben an der 48stündigen X-tausendmal quer-Blockade auf der Straße vor dem Zwischenlager teilgenommen. In Quickborn versperrten LandwirtInnen mit 42 Schleppern die „Nordstrecke". Acht Leute haben sich auf der Straße in Grippel in Betonpyramiden angekettet. Erst nach 23 Stunden gelang der Polizei die vollständige Räumung. Am 8. November haben 16.000 Menschen gegen den Castor demonstriert, aber AUCH lautstark gegen die Polizeiwillkür und für deine Freilassung. Die Repression gegen dich aufgrund vermeintlicher „Ordnungswidrigkeiten" ist ein Skandal. Ich hoffe, wir können politischen Druck auf die Verantwortlichen ausüben. Wirst du juristisch gegen die Freiheitsberaubung vorgehen?
Cécile Lecomte: Ich kann es versuchen. Vor allem gegen die Umstände wollte ich vorgehen, weil es richtig Psychofolter war, was da gelaufen ist, also: Schlafentzug. Die haben sich geweigert, in Braunschweig nachts das Licht auszumachen, Hofgang in Fesseln, an eine Polizistin gefesselt zwischen Garagen der Landespolizei, keine Möglichkeit, sich frei zu bewegen, nicht mal eine halbe Stunde am Tag. Das ist menschenunwürdig. Deswegen wollte ich dagegen vorgehen. Die Anwältin hat Strafanzeige wegen Nötigung aufgrund des gefesselten Hofgangs gestellt. Gegen die Maßnahme an sich ist es juristisch schwierig vorzugehen, weil ein Amtsgericht und ein Landgericht die Anordnung gegen mich bestätigt haben. Wir wollen gucken, ob man das „Gefahrenabwehr"-Gesetz kippen kann. Viele Anwälte sind der Meinung, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Das müssen wir prüfen. Was ich denke, wie wir dagegen kämpfen können, ist politisch, also, dass man politischen Druck aufbaut, so dass die Maßnahme nicht mehr durchsetzbar ist.
GWR: Wolfgang Ehmke, ein Sprecher der BI Lüchow Dannenberg, hat in seinem Demo-Redebeitrag am 8. November auch dazu aufgerufen, sich direkt bei der Polizei in Braunschweig zu beschweren. Meinst du, dass es sinnvoll ist, auch die GWR-LeserInnen dazu aufzufordern, dagegen zu protestieren? Und an wen soll man sich dann wenden?
Cécile Lecomte: Als ich in Gewahrsam war, war es extrem hilfreich. Das habe ich auch relativ schnell mitbekommen und ich habe mich tierisch gefreut. Die Polizei in Braunschweig war überfordert. Wo ich denke, dass sie eins auf den Deckel kriegen sollten sozusagen, das ist diese Polizeidirektion mit dem Polizeichef, Polizeidirektor M. Brauer zum Beispiel, die diese ganze Maßnahme angeordnet haben. Dass die Leute sich noch weiterhin beschweren, faxen, schreiben, fragen, was das war, dass sie zeigen, wie empört sie darüber sind, dass der Druck nicht nachlässt, das ist gut.
GWR: Jetzt habe ich ein paar persönliche Fragen. Wie bist du aufgewachsen und wo? Wo, wie und wann fing dein politisches Engagement an?
Cécile Lecomte: Ich bin großteils in Orleans aufgewachsen, dann viel hin und her gezogen. Da ich eine Leidenschaft zum Klettern habe, bin ich in die Berge gezogen, wo man schön klettern kann, beim Mont Blanc um die Ecke. Politisch bin ich immer ein bisschen gewesen, interessiert daran, was in der Welt alles passiert. Als ich dann zur Uni kam und meine Unabhängigkeit hatte, habe ich versucht, mich bei diversen politischen Gruppen zu engagieren. Ich bin über sozial- und konsumkritisches Engagement zur Politik gekommen, viele Aktionen gegen Werbung, Anreize zum mehr Kaufen, Konsumieren. Kann man nicht mit weniger schön leben? Also, das System, den Kapitalismus in Frage stellen. Durch diese Konsumkritik bin ich auf Umweltfragen gekommen, weil die Ressourcen der Erde begrenzt sind. Das ist auch ein Problem und damit habe ich angefangen, mich zu beschäftigen. Zum Thema Atomkraft bin ich erst in Deutschland gekommen, als ich da studiert habe. Da ist das Thema zu mir gekommen, das in Frankreich tabu ist.
GWR: Wo hast du studiert?
Cécile Lecomte: Ich habe erst mal in Chambéry studiert, in den Bergen.
GWR: Du bist 1999 bei der französischen libertären Ökogruppe Chiche! aktiv geworden und schreibst regelmäßig Artikel für die gewaltfrei-anarchistische Monatszeitung Graswurzelrevolution. Hast du eine libertäre Utopie?
Cécile Lecomte: Ich glaube ja. Chiche! zum Beispiel, wir sagen immer, wir machen wahre Utopien. Wir denken zwar, das ist eine Utopie, unsere ideale Gesellschaft, aber davon kann man sehr viel erreichen und machen. Und auch schon bei sich selber anfangen. Wir sagen immer „die langsame Revolution", das heißt, wir wollen das System grundsätzlich verändern, aber wir nehmen uns auch Zeit dafür, das gut zu machen. Wir wollen das gewaltfrei machen, und wir wollen, dass die Menschen da mitwirken. Umweltschutz von unten z.B. ist für die Menschen, das heißt, dass sie entscheiden, was passiert, und dass das nicht von oben bestimmt wird. Das heißt, wir kommen nicht und sagen, wir haben die Wahrheit, sondern wir bauen eine andere Welt zusammen.
GWR: Ja super. Verstehst du dich als Anarchistin?
Cécile Lecomte: Libertär. Anarchistin in dem Sinne, dass ich keine Herrschaft haben will, Hierarchie ablehne, für Freiheiten eintrete und den Staat ablehne. Was ich dabei denke, ist, dass wir als Menschen soziale Wesen sind und wir zusammen etwas brauchen, das uns verbindet, auf jeden Fall. Ob das schon eine Anarchistin ist, weiß ich halt nicht. Ich mag nicht immer in Schubladen gepackt werden, weil ich denke, dazu ist die Welt einfach zu vielfältig. Aber libertär, so von der Stimmung her auf jeden Fall.
GWR: Woher nimmst du die Kraft für deinen Widerstand?
Cécile Lecomte: Vielleicht aus der Revolte. Es ist bei mir das Konzept der permanenten Revolte, das man beim Philosophen Albert Camus oft wiederfindet, dass diese Welt mir so absurd erscheint und ich fühle mich so fremd und ich will da etwas verändern. Diese Wut, die verursacht, dass ich viel Energie finde, um zu versuchen, Sachen zu verändern. Also, was mir zum Beispiel gerade passiert ist beim Castor, dass ich so in Haft war, das war psychologisch extrem schwer durchzuhalten. Ich bin ziemlich k.o., muss ich zugeben, aber das hat bei mir auch extrem viel Wut hervorgerufen. Aus dieser Wut wird Energie und ich mache auf jeden Fall weiter.
GWR: Du bist ausgebildete Lehrerin. Wie hat sich dein politisches Engagement auf deine beruflichen Pläne ausgewirkt?
Cécile Lecomte: Wenn man wirklich politisch engagiert ist, dann ist es quasi unmöglich, als Lehrerin zu arbeiten, weil es Druck von außerhalb gibt, von den Behörden. Mir wurde klar gemacht, dass entweder oder, entweder Politik oder Unterricht. Mit den SchülerInnen hatte ich damals keine Probleme, was politische Sachen angeht und so. Aber mit dem Vorstand und der Bürokratie dafür umso mehr. Ich habe mich für den Widerstand entschieden und für politische Arbeit. Meine Fähigkeiten setze ich anders ein, ich kann z.B. das Klettern lehren, neue Leute ausbilden, Übersetzungen machen, Artikel schreiben usw.
GWR: Du wirst als Bewegungsarbeiterin von der Bewegungsstiftung gefördert. Das heißt, wer die Internetseite dieser Stiftung anklickt, findet dort Informationen über dich und kann dich direkt finanziell unterstützen.1 Das ist eine tolle Sache, weil es ansonsten schwierig ist, von der Bewegungsarbeit leben zu können.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Cécile Lecomte: Weiterhin aktiv zu sein, zusammen mit ganz vielen netten Menschen. Weil der Widerstand zeigt, das hat auch meine Inhaftierung gezeigt: Gemeinsam sind wir stark. Ich alleine werde nichts verändern, aber wenn die 16.000 Menschen da zusammenkommen und sich dafür engagieren, dann wird sich auch schon ganz schön viel verändern können.
Ich wünsche mir, durch Kreativität weitere Aktionen durchzuführen. Kreativität ist unsere Waffe. Und das ist auch etwas, was die Gegenseite z.B. bei mir nicht leiden kann.
Interview: Bernd Drücke
Das Interview mit der telefonisch aus Lüneburg zugeschalteten Cécile wurde am 13.11.2008 im Studio des Medienforum Münster geführt. Die Graswurzel-Radiosendung wurde am 2.12.08 um 21.04 Uhr auf Antenne Münster (95,4 Mhz) ausgestrahlt und ist auf www.freie-radios.net dokumentiert.
Anmerkungen: 1 Die BewegungsarbeiterInnen werden in ihrem Engagement als VollzeitaktivistInnen von PatInnen durch regelmäßige Beiträge unterstützt. Schon mit Beträgen ab 10 Euro pro Monat kann mensch als PatIn einen Beitrag zur Arbeit einer Bewegungsarbeiterin oder eines Bewegungsarbeiters leisten. Im Gegenzug berichtet der/die Bewegungsarbeiter/in regelmäßig über seine/ihre Aktivitäten, über neue Ereignisse und Erfolge. Die SpenderInnen erhalten zu Anfang jeden Jahres eine steuerlich abzugsfähige Spendenquittung. Infos: http://www.bewegungsstiftung.de/lecomte.html
Termin: 16.1.2009, 19 Uhr, Café Die Weltbühne, Breul 43, Münster: Anti-Atom-Infoveranstaltung mit Cécile Lecomte, Veranstalterinnen: Redaktion Graswurzelrevolution, SOFA und AStA Uni Münster.
Spenden: Um Céciles Anwalts- und Prozesskosten zu decken wurde ein Solidaritätskonto eingerichtet: Aktionsbündnis Münsterland, Volksbank Wettringen, BLZ 40164618, Kto. 357730701, Stichwort „Uranaktion Steinfurt".
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 334, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftsfreie Gesellschaft, 37. Jahrgang, Dezember 2008, www.graswurzel.net