Wenn wir so in die Runde blicken sind Wiederbelebungen ganz und gar in. Ob in der Musik oder in der Mode, es wird gern Altes hervorgekramt, und ein bißchen neu arrangiert auf den Markt gebracht. ...
... Vom swingenden Robbie Williams über den recycelten New Wave bis hin zu breiten Revers und dem guten alten Turnschuh. Retro ist angesagt. Warum sollte es innerhalb der linken Theorie anders sein. Nach der unangenehm unsicheren und diskreditierten Phase, eingeläutet durch den Mauerfall, durchdrungen von Desorientierung und Pessimismus, konfrontiert mit Globalisierung, Neuer Weltordnung, hat man/frau sich heute wieder auf die altbewährten Werte verständigt und das betrifft Inhalt wie Stil und Form. Der Respekt gegenüber allem was Wissenschaft heißt, ist extrem ausgeprägt mit allen Insignien, die dazu gehören. Sicher war die Linke nie frei von dem Neid auf die Privilegien des Bildungsbürgertums, und ahmte in vielen Fällen dieselben Strukturen nach, aber es gab alternative Ansätze, die auf Selbstbestimmung und autonomer Wissensaneignung beruhten. Heute werden diszipliniert die alten weißen Männer der Theorien gelesen, rezipiert, und zitiert. Allen voran, populär wie nie: Marx. Nach 1989 wurde von den Linken das Verschwinden der sozialistischen Theorien bzw. dem Marxschen Theoriegebäude beklagt, inzwischen besteht dafür kein Anlaß mehr. Arbeit, Kapital, Mehrwert, Produktion usw. sind immer noch die häufigsten Begriffe in den meisten Artikeln. Der Fokus der Analyse liegt (wieder) auf der Kapitalismusfrage.
"Heute schon zu kurz gegriffen"
Im Mittelpunkt der Scharmützel auf den linken Plattformen steht der Kapitalismus, - bzw. die wahre Kapitalismuskritik. Große Bedeutung haben dabei Rituale, Standardfloskeln und die Verweise auf die entsprechende wissenschaftliche Schule, wer hat was gelesen, auf wen wird sich bezogen, wer wird zitiert, wer steht als Legitimationsgröße im Hintergrund. Dabei gibt es eine Lieblingsfloskel um im Gerangel um die richtige Kritik den Gegner/die Gegnerin zu bloßzustellen: "da greift die Kritik aber doch zu kurz," meistens am Kapitalismus, seltener am Rassismus, fast kaum am Patriachat, je nach Situation. Jenseits aller Fragen muss der Gegenseite erstmal vermittelt werden, dass sie die Kürzere hat und man/frau wohl die Längere, was mal mehr mal weniger begründet wird. Unter Frauen heißt die Spielart folgerichtig "Verkürzter Feminismus", den sich frau gegenseitig um die Ohren zieht. Bisher hat noch jede männliche Unart ihre weiblichen Nachahmerinnen gefunden.
Ein schönes Beispiel dafür stand neulich im AK, zwar einer der wenigen Artikel zu den Debatten um den 11. September aus feministischer Sicht, nur leider folgen besagte Argumentationsmuster. Es wird zwar bemängelt, dass der Einsatz für Fraueninteressen von offizieller Seite vereinnahmt wird, wie sich Alternativen auftun sollen bleibt im Dunkeln, den die wenigen Stimmen, die sich auf die Geschlechterfrage beziehen "greifen zu kurz" (!). Eine Erklärung, wie es denn zu einem "längeren" Feminismus" kommen kann erfolgt nicht. Zum Schluß wird lediglich, nach übergangslosen drei Spalten zur "Kopftuchdebatte", die Rundrumsorglosanweisung zur feministischen Analyse aus der Tasche gezogen: "dazu gehört nicht nur eine Analyse weiblicher Unterdrückung, sondern auch, antisemitische, rassistische und hegemoniale Strukturen in diese [feministische Analyse] miteinzubeziehen und die eigene Verwobenheit der eingenommenen Perspektiven innerhalb eines übergeordneten, sozialen/ökonomischen, historischen und diskursiven Raums zu betrachten." (Dietrich/Nachtigall 2002) Na, prima! Hört sich ganz wunderbar an, wird nur von niemandem gemacht. Die Angst vor Fettnäpfen führt eher zur Abgabe von Statements in Form von Glaubenssätzen als zu einer tatsächlichen Auseinandersetzung. Und die Angst als Feministin bezeichnet zu werden sitzt vermutlich noch tiefer, steht es doch für eine eindimensionale Weltsicht und impliziert sofort eine Abwertung bzw. eine Zuweisung auf einen eingeschränkten Bereich - eine Perspektive, die auch Frauen stark verinnerlicht haben. Nachdem es nicht gelungen ist, den Feminismus zu verankern und vor allem auch weiterzuentwickeln, wurde er abgeseilt oder in zahnlose Begriffe wie Gendermainstreaming oder Geschlechterbeziehungen gekleidet.
Folgende Fragen werden vielleicht gestreift, aber nicht (mehr) ernstlich bearbeitet: Wie verhält es sich mit dem Patriarchat und dem Rassismus, die doch deutlich länger existieren als der Kapitalismus? Werden sie beim Abbau des Kapitalismus einfach mit verschwinden und warum? Wie waren sie vorher, im Kapitalismus und wie danach? Ohne deren Verhältnis dazu ist weder die heutige Situation des globalisierten Kapitalismus noch die Perspektiven zu klären. Stattdessen stehen mit dem Entstehen einer Antiglobalisierungsbewegung internationale Finanzströme, Konzernstrukturen, neoliberale Wirtschaftsbeziehungen im Mittelpunkt. Das Schmerzliche an den ganzen Auseinandersetzungen ist, dass die wenigsten der Beteiligten überhaupt wissen wovon sie reden. Was beinhaltet eigentlich dieser "historische Kapitalismus"? Wallerstein schrieb vor fast 20 Jahren: "Der Kapitalismus entwickelte in seiner Geschichte einen ideologischen Rahmen der Unterdrückung und Erniedrigung, wie er nie zuvor bestanden hatte, den wir heute Sexismus und Rassismus nennen. Um es deutlich zu sagen: sowohl die Dominanz des Mannes über die Frau, als auch allgemeiner Fremdenhaß waren in vorangegangenen historischen Systemen weit verbreitet, ja universal. Sexismus war jedoch mehr als die Dominanz von Männern über Frauen, ebenso wie Rassismus mehr war als ein allgemeiner Fremdenhaß. Sexismus war die Verbannung der Frauen in die unproduktive Arbeit. (...) Rassismus diente der Schichtung der Arbeitskraft innerhalb des historischen Systems, um unterdrückte Gruppen in das System einzubinden, nicht, um sie auszuschließen." (Wallerstein 1984, S. 90/91) Hier wird ein Zusammenhang hergestellt, der zunehmend in Vergessenheit gerät. Heute wird wieder separatistisch gedacht, quasi ein arbeitsteiliges System bezüglich der Unterdrückungserklärungen aufgebaut. Die einen verfallen durch einen laserstrahlartigen Blick auf das Patriarchat völlig dem Mythos der aufgeklärten westlichen Demokratien, halten unseren Gleichberechtigungsfeminismus für die fortschrittlichste aller Möglichkeiten und befinden sich flott in rassistischen Zuschreibungen. Die anderen fürchten nichts mehr als den Rassismusvorwurf, wollen am besten alles dekonstruiert und differenzfrei wissen und haben zu nichts mehr eine Meinung. Eine weitere Variante spielt sich auf dem Feld der Klassenfrage ab, wahrscheinlich die größte Gruppe, die gänzlich unbeeindruckt von Geschlechter- oder Rassenfragen die Welt traditionell aus der Polarität von Arbeit und Kapital erklärt. Beziehungen unter diesen Zugängen werden selten hergestellt. Dabei wäre aber der Kapitalismus nicht überlebensfähig ohne die rassistischen und sexistischen Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen, die sich immer wieder erneuern. Das moderne Patriarchat der Industrienationen und das vermeintlich alte oder "unzivilisierte" sind keine Gegensätze oder Abbilder einer jeweils anderen Entwicklungsstufe, sie gehören zusammen in ein komplexes System von Ausbeutung und Verteilung.
Die marxistischen Löcher
Der Streit um Hauptwidersprüche hat seinen angestammten Platz in der Geschichte der sozialen Bewegungen. In der Ersten Frauenbewegung kochten die Diskrepanzen um die Hierarchisierung der Unterdrückungszusammenhänge hoch. Grundsätzlich wurde mit dem Sieg des Sozialismus die Verwirklichung der Frauenemanzipation automatisch mitangenommen, so hauptsächlich bei Engels und Bebel. MarxistInnen maßen der Frauenfrage keine eigenständige Bedeutung zu, "allein die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, ihre Umwandlung in Gesellschaftsbesitz, sichert auch die Frauenbefreiung zu" (Zetkin) ist gleich Nebenwiderspruch. Berührungspunkte zwischen radikaler und auch bürgerlicher Frauenbewegung und Sozialismus lagen in der Befürwortung von Frauenerwerbstätigkeit und vor allem im Einsatz für das Wahlrecht. Auch Clara Zetkin ordnete die Frauenfrage der Klassenfrage unter: "Unsere Forderung des Frauenwahlrechts ist keine frauenrechtlerische, vielmehr eine Massen- und Klassenforderung des Proletariats."
Ungefähr 50 Jahre später entwickelte sich wieder eine Neue Frauenbewegung in Abgrenzung zu den linken Männern. Durch die Ignoranz im SDS gegenüber der geschlechtsspezifischen Unterdrückung, die Instrumentalisierung der Frauen für die reproduktiven Tätigkeiten inklusive Sex und Kinderbetreuung konstituierte sich eine autonome Frauenbewegung. Sie beanstandete die strikte Trennung zwischen Theorie und Praxis, dem Öffentlichen und dem Privaten. Neben der Gründung der Kinderläden, dem Kampf für die Abtreibung wurden auch intensive Schulungen betrieben, von Lohn, Preis und Profit bei Marx über die Staats- und Revolutionstheorien bei Lenin bis hin zu Luxemburg und Mao. (Schlaeger, S. 66)
Nach diesen Anfängen folgte eine Ära der intensiven Auseinandersetzung mit dem Marxismus und sozialistischen Theorien. Eine grundlegend feministische Kritik an Marx wurde entwickelt, ungefähr seit Mitte der 70er Jahre. MarxÂ’ Ignoranz gegenüber der Reproduktionsarbeit, und den Konsequenzen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist legendär. Innerhalb der feministischen Kritik haben Bennholdt-Thomsen/Mies/Werlhof einen der wichtigesten Beiträge geleistet: die Frauenarbeit als blinden Fleck in der Ökonomie. "In der modernen Gesellschaft ist die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht Bestandteil der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, sondern die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist geschlechtlich." (Bennholdt-Thomsen S. 204)
Diese Kritik hat ihren festen Platz in der Geschichte der Frauenbewegung bzw. feministischen Forschung wie viele andere auch, die die Geschichte des Patriarchats auseinandergenommen haben. In vielen wissenschaftlichen Disziplinen wurden die sexistischen und rassistischen Zusammenhänge reflektiert. Auch der Umgang mit Wissenschaft selbst, die Definition dessen und deren Funktion wurden einer intensiven Kritik unterzogen. Männliche Hierarchien und akademische Ausschlußmechanismen wurden auseinandergenommen und bekämpft. "Betroffenheit, Parteilichkeit, Respektlosigkeit sind wesentliche Beweggründe eines wissenschaftlichen Feminismus. Sie verhindern bläßliche Abstraktion, Pseudoobjektivtät und devotes Nachbeten." (Haug/Hauser 1992, S. 115)
Die Kritik der Frauenbewegung hat Wirkung gezeigt und zu Veränderungen geführt, in ihrer Folge aber auch zu den typischen modernen Konsequenzen geführt. Die gesamte Frauenförderung in der offiziellen Politik zielt auf das Gleichberechtigungsmodell ab, was nichts anderes heißt als Frauen ein Leben entlang den männlichen Maßstäben zu ermöglichen. Reproduktionsarbeit auszulagern wo es geht, andererseits ein paar "weibliche" weiche Qualifikationen in die Arbeitswelt nutzbringend zu integrieren. Sicher, auch Männer können heute Erziehungsurlaub nehmen (ganze 2% tun es) und für Frauen ist die Notwendigkeit von Erwerbstätigkeit kein Thema mehr, wie auch augenscheinlich die Hierarisierung oder unterschiedliche Wertung zwischen Produktion und Reproduktion sich deutlich aufgeweicht hat. In dem Sinne hat sich die moderne kapitalistische Gesellschaft verändert und hat Frauen stärker integriert ohne die patriarchalen Bedingungen aufzuheben, d.h. diese Veränderung wird entlang der rassistischen und ökonomischen Hierarchien organisiert. In der Praxis schlägt sich das folgendermaßen nieder: die Reproduktionsarbeit wird an unterprivilegierte Frauen weitergegeben, oder die Doppel- bis Dreifachbelastung setzt sich durch. Das ist exakt die Kehrseite der Integration.
Später hat sich dieses Abgrenzungsbedürfnis stark relativiert, immer dann wenn schon ein gewisses Maß an Frauenemanzipation vorausgesetzt wird. Dasselbe könne wir heute wieder beobachten. Eine eigenständige autonome Frauenbewegung gibt es schon länger nicht mehr, dafür eine breit entwickelte institutionell verankerte Frauengleichberechtigungspolitik. Ursache für diese Situation ist aber auch die Stagnation innerhalb der feministischen Auseinandersetzung, in vielen Fällen hat sich die Frauenbewegung isoliert, auf Einzelaspekte konzentriert oder sich in Selbstfindungsmanier privatisierend zurückgezogen.
Das alles hat dazu geführt, dass es einen feministischen Anteil innerhalb der Debatte um linke Analyse kaum mehr gibt, bestenfalls an den Universitäten existieren ein paar handzahme Auseinandersetzungen um Geschlechterbeziehungen u.ä. In der linken Szene sprechen und schreiben die Männer und es werden wieder die alten Theorien gewälzt. Es wird wieder geschult, ein Revival in Marx und Hegeltönen, nur nicht mehr geschlechtsgetrennt, schließlich wird Emanzipation vorausgesetzt als hätte sich bereits das Patriarchat weitgehend verflüchtigt. Zumindest gehört seine Problematisierung der Vergangenheit an. Inzwischen dreht sich alles an linker Diskussion in einem dicken Anti-Globalisierungsnebel, verdichtet und verfuselt sich, vergräbt sich in alter marxistischer Tradition einerseits, die andererseits gleichzeitig modern, locker und euphorisch daherkommt und passend zum 21. Jahrhundert den Verheißungen der virtuellen Vernetzung erliegt. Ein "Highlight" in dieser Entwicklung ist die sogenannte "Münchner Volksbaderklärung", ein von den führenden Intellektuellen des make-world-Kongreß verfaßtes Verheißungspapier. Hier wird Abgehobenheit und Distanz gepredigt: "Wir sind nicht für den Krieg, wir sind nicht gegen ihn." Die Empfehlung ist: "sich zu versammeln, sich zu vernetzen, sich in Beziehung zu setzen. (...), für Bewegungs- und Informationsfreiheit." Über die freien Botschaften des globalen Netzes wird die Autonomie und die Demokratie beflügelt. "Make world, not war!" ist das abschließende Motto, dass schon an einen heilsbringenden Schwebezustand erinnert. (make-world.org)
Die Hüter der Globalisisierungstheorie
Die Quintessenz dieses zeitgenössischen linken Denkens findet gerade in dem frisch ins Deutsche übersetzten Werk "Empire" von Negri/Hardt seinen Höhepunkt. Absolut treffend von Tobias Rapp in einer der letzten Ausgaben der Jungle World beschrieben: "Hier geht es um Globalisierung und das junge, harte Denken" (und endlich hat auch die Kapitalismuskritik die ausreichende Länge). Diese Charakterisierung ist nahe dran. "Jung" ist weniger auf die Autoren, Hardt ist 42, Negri über 70, als auf die Anlehnung an den Zeitgeist sprich die postmodernen Theorien zu beziehen, und "hart" verweist auf den doch kompromißlosen marxistischen Kern.
Wenn H/N von Empire in Abgrenzung von Imperialismus sprechen, haben sie durchaus eine Vorstellung von dem Modernisierungsprozeß des globalen Herrschaftssystems, von der Integrationsleistung, der Erneuerung der Machtstrukturen und treffen damit einen wesentlichen Kern der aktuellen Entwicklung. Der Kapitalismus ist nicht nur übrig geblieben, er ist ein anderer geworden, vernetzt, kommunikationsintensiv, und vielschichtiger. Damit andererseits konfliktreicher, verwundbarer und auch kooperationsbereiter. Dabei ist die USA nicht alleiniger Vertreter des Empire, aber wesentlicher Bestandteil und mit ihren konstitutionellen Fundamenten beispielgebend für das neue Empire. Die schrankenlose Freiheit, manifestiert in der Unabhängigkeitserklärung eines Thomas Jefferson, Urbild der amerikanischen Ideologie, wird von H/N als der Geist gepriesen, der Reichtum und Freiheit brachte. Wenn auch die amerikanischen UreinwohnerInnen grundsätzlich ausgeschlossen waren, die Afro-AmerikanerInnen wurden einbezogen. Demzufolge steht die Sklaverei auch für eine erste Krise im Verständnis um die Freiheit, denn "black labor was an essential support of the new United States". (Hardt/Negri, 2000, S. 171) Sie wurden einbezogen, aber nicht gleichberechtigt. Was H/N als langfristig positiven Integrationsprozeß beschreiben, ist die typische Entwicklung demokratischer Staaten. Schrittweise partizipieren, ohne die Hierarchien aufzugeben. Dieser Vorgang ist ein genialer Zusammenhang und Basis für die Regenerationsfähigkeit kapitalistischer Demokratien. Nur eine ausgeprägte Geschichtsblindheit führt zu dieser milde gesagt einseitigen Interpretation, gerade die Reflexion der historischen Demokratie machen deutlich wie Widerstandsformen gegeneinander ausgespielt und durch minimale Partizipation unschädlich gemacht wurden.
Nun hat sich die USA hin und wieder von ihrem anfänglich konstituierenden Geist immer wieder entfernt, wie es Hardt/Negri beschreiben, wie zum Beispiel beim Vietnamkrieg. Die sozialen Bewegungen wirkten aber daraufhin gewissermaßen wie ein ständig einflußreiches Korrektiv: "not only in the antiwar movement themselves, but also in the civil rights and Black Power movements, the student movement, and eventually the second-wave feminist movement." (Hardt/Negri, 2000, S. 179) Man/frau beachte die feine Abstufung unter den sozialen Bewegungen. Europa hat es im Gegensatz dazu nie verstanden eine tragfähige, erfolgreiche Massendemokratie zu etablieren. Und da ist sogar was dran. Selbst Toqueville, letztendlich Anhänger der Aristokratie, hat in seinem Werk "Über die Demokratie in Amerika" von 1840 schon mit großem Bedauern festgestellt, dass die europäischen Eliten nicht über diese Integrations- und Regenerationsfähigkeit verfügen. Bis heute regiert hier eine kontraproduktive Ausgrenzungspolitik.
H/N setzen auf die Veränderungsfähigkeit des Empire, durchgesetzt durch die "Multitude", die Vielheit, sämtliche Widerstandsformen, wie die Anti-Globalisierungsbewegung, die Gruppen und Grüppchen, die weltweit Sand ins Getriebe streuen und messen dabei dem/der immateriellen ArbeiterIn, ganz in Fortführung ihres bisherigen Werkes, eine enorme Bedeutung zu. Wobei sich das revolutionäre Subjekt "im Zeitalter der Netzwerkbewegungen" in den globalen Zusammenhängen als Individuum auflöst und konfliktfrei weltumspannend miteinander kommuniziert. Dabei ist M. Hardt bei der Verwendung von Begrifflichkeiten nicht gerade zimperlich: "Die Idee der Multitude impliziert, dass eine gemeinsame politische Organisation möglich ist, ohne dass Differenzen unterdrückt werden, in der also Gemeinsamkeiten und Vielheit koexistieren. Und das ist eine adäquate Definition von Demokratie, aber auch von Kommunismus." (FR, 26.03.02)
Der altbekannte Fortschrittsoptimismus wird beschworen, selbstverständlich hat das imperiale Empire den alten imperialistischen Kapitalismus abgelöst, d.h, stellt eine Verbesserung dar. Da läuft die Argumentation ganz ähnlich zum "kommunistischen Manifest", das "Empire" wirkt als zivilisatorischer Fortschritt und es bringt bereits jetzt ständig die Akteure seines Untergangs hervor.
Wir bewegen uns also automatisch in eine bessere Welt, das heißt eigentlich verlassen wir auf jeden Fall eine schlechte Welt.
Bei allem reichlich vorhandenem Diskussionsbedarf zu "Empire" ist sicher eines festzuhalten: es entspricht sehr genau dem augenblicklichen linken Zeitgeist. Die marxistischen Grundkomponenten werden ins 21. Jahrhundert transformiert, sie werden dem globalisierten, vernetzten Zeitalter angepasst. Die richtigen Glaubenssätze werden genannt - und die haben sich in den letzten jahrzehnten nicht wesentlich verändert -, es erklärt den Wandel des Kapitalismus, prophezeit seinen Untergang, schweigt über jegliche konkrete Alternative und sieht das Heil in der kommunistischen Virtualität. Auch diese quasireligiösen Untertöne haben Tradition: "Kommunismus ist Utopie, also nirgendwo. Er ist die Inkarnation all unserer religiösen Eschatologien: die Ankunft des Messias, die Wiederkunft Christi, Nirwana. Er ist keine historische Perspektive, sondern ein gegenwärtiger Mythos."
Keine Kritik
Es ist ein formvollendetes Wir-sind-die-guten-Buch, das den Widerstandsformen absolut kriterienlos gegenübersteht. Selbstkritik , Fehlanzeige, Reflexion der Blockaden durch die besagten Differenzen, die eigenen Rassismen oder Sexismen, kein Wort. Weder die sozialistischen Theorien, noch die Praxis werden einer kritischen Analyse unterworfen. Dabei hat dieses Umgehen vor allem eine Entlastungsfunktion, schließlich hat sich der alte Internationalismus überlebt, der sich am Imperialismus abgearbeitet hat und darüberhinaus nationalstaatlich orientiert war. Ergebnis ist einfach: wir haben keine Fehler gemacht, wir haben jetzt eben nur Empire. Das macht auch wohl den Schmelz aus, den eigentlich kann alles bleiben wie es ist. Es spiegelt in genialer Weise die moderne Form einer traditionellen Denkweise wieder.
Ganz wunderbar eingefangen ist dieser Zustand in der neuen Zeitschrift "Fantômas - magazin für linke debatte und praxis", die erste Sonderausgabe, die der ak (analyse&kritik) jetzt im April 2002 herausgegeben hat. Dieses Heft ist eine repräsentative Zusammenfassung von dem, was zur Zeit den linken Ton angibt, insofern absolut zu empfehlen, auch wegen der wirklich schönen Fotos aus vergangenen Kinotagen. Nach der Ankündigung, die in Zukunft "harte" theoretische Beiträge verspricht - schon wieder hart -, folgt wohl der wichtigste Satz dieser Ausgabe: "Weil der Pluralismus in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten oft genug zum Vorwand wurde, sich aus der marxistischen Tradition davonzustehlen, sei ausdrücklich festgehalten, dass eine plurale Linke zwar nie nur, doch immer auch eine marxistische Linke sein wird." Marx bis in alle Ewigkeit, soviel dürfte wohl klar sein. Die Zusammenstellung ist dann auch plural mit marxistischer Grundströmung. Hardt/Negri sind mit "Empire" schon rezipiert und verankert, am reibungslosesten in dem Text von "no spoon", die den Begriff bereits in ihren Sprachgebrauch verwenden und eine treffend abgehobene Definition geben: "Das Empire ist die Matrix, das Netz, das sich zwischen den Global Citys über den Planeten spannt und sich überall in Form von Ungleichzeitigkeiten von Verhältnissen und Widersprüchen in einem Raum artikuliert. Die territorialen Knoten der Macht fügen sich nicht länger zu einem verbindlichen Raum-Zeit-Kontinuum."
Einen aufschlußreichen Querschnitt bietet der Artikelteil zur Antiglobalisierungsbewegung, fünf Stimmen aus dem linken Spektrum, vom reformpolitischen Ansatz (ATTAC) bis hin zum "internationalen Generalstreik" (franz. Erwerbslosenbewegung) werden die Perspektiven beleuchtet und ein gewisse Mystifizierung schwingt mit. Trotz der Unterschiede innerhalb aller Strömungen würden wohl alle die Einschätzung von Peter Wahl (WEED/ATTAC) unterschreiben: "Weder die ultimative Globalisierungsanalyse noch der Konstruktionsplan für eine neue Gesellschaft werden von Großdenkern oder einer selbsternannten Avantgarde mal eben von oben eingeflogen. Das programmatische Profil der Bewegung wird sich partizipativ und im herrschaftsfreien Diskurs prozesshaft herausbilden und ständig weiterentwickeln. Anders kann eine planetarische Bewegung, kann demokratischer Internationalismus nicht funktionieren." Dazu lässt sich nur sagen: Alles Lüge! Wer das glaubt ist mehr als naiv. Viel anders verfährt der demokratische Kapitalismus auch nicht in seiner Mythenpflege. Jeder und jede kann partizipieren, Einfluß nehmen und entscheiden. Hierarchien spielen keine Rolle. Wie sieht die Realität aus? Diese linke Bewegung besteht hier mehr oder weniger aus weißen Männern, die mehr oder weniger dem akademischen System verbunden sind und über eine unglaubliche Zeitsouveränität verfügen müssen. Es gibt die altlinken Gurus und die jungen GegnerInnen des Neoliberalismus, darüber hinaus existiert kaum noch Engagement. Menschen haben Kinder, Jobs, keine deutschen Pässe und andere soziale, ökonomische Zusammenhänge, die sie in ihrer Mobilität einschränken. Die Diskussion abstrahiert völlig von Erfahrung und historischem Bewußtsein: in sozialen Zusammenhängen, in Betrieben, in wie auch immer zusammengestellten Familien, in allen Überlebensstrukturen der Menschen. Der Anspruch auf Pluralität ist doch auf jeder Ebene Augenwischerei, die Inhalte dieser Bewegung entsprechen den Menschen die sie machen und umgekehrt. Solange dieses Ausleseverfahren nicht verändert wird, gibt es keine Weiterentwicklung. In dem Interview mit felS (für eine linke Strömung) heißt es bei dem Punkt, warum Leute die Gruppe verlassen: "Das hat natürlich auch mit Lebensabschnitten zu tun. Wenn Leute in einem Beruf drin sind, der sie total beschäftigt oder Kinder kriegen - zwei Leute bei felS haben jetzt zusammen Kinder und da ist klar, dass das schwer zu machen ist. Da fängt die Gruppe manches auch nicht auf." Hardt und Negri auch nicht.
* So beschrieb Tobias Rapp "Empire" von M. Hardt/A. Negri in seinem Artikel "Hier kommt der Masterplan" Jungle World Nr. 13, 20.03.2002
Literatur:
Anette Dietrich/Andrea Nachtigall, Der Schleier vor den Augen, Feministische Analysen und die Konstruktion des Fremden im Diskurs um den 11.9. erschienen in: ak 459 - 22. 02.2002.
Michael Hardt/Antonio Negri, Empire, Cambridge 2000, dt. Übersetzung: Empire, Frankfurt/New York 2002.
Frigga Haug/Kornelia Hauser, Marxistische Theorien und feministischer Standpunkt, erschienen in: Gudrun-Axele Knapp/Angelika Wetterer (Hg.) Traditionen Brüche, Entwicklungen feministischer Theorien, Freiburg 1992.
Fantômas - magazin für linke debatte und praxis, Nr. 1 Sommer 2002, Sonderausgabe zu ak - analyse & kritik
Theorie und Praxis, Diskussionsgrundlage für das Organisationsproblem im Aktionsrat, (Aktionsrat zur Befreiung der Frau) Oktober´69, erschienen in: Hilke Schlaeger (Hg.), Mein Kopf gehört mir, Zwanzig Jahre Frauenbewegung, München 1988.
Herrad Schenk, Die feministische Herausforderung, 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1980/1988.
Claudia v. Werlhof/Maria Mies/Veronika Bennholdt-Thomsen, Frauen, die letzte Kolonie, Zur Hausfrauisierung der Arbeit, Reinbek bei Hamburg 1983/1988.
Immanuel Wallerstein, Der historische Kapitalismus, Hamburg 1984.