„Unglaubliche Ausmaße“

Es steht fest: Die zehn TierrechtlerInnen, denen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation vorgeworfen wird, kommen in Österreich vor Gericht. Erstmals wird dabei der umstrittene § 278a StGB gegen eine zivilgesellschaftliche NGO angewandt. Ela Maywald sprach mit Sabine Koch von der Basisgruppe Tierrechte (BaT).

an.schläge: Du bist eine der TierrechtsaktivistInnen, die im Mai 2008 verhaftet wurden. Wann hast du erfahren, was dir vorgeworfen wird?
Sabine Koch: Das hat einige Zeit gedauert. Während der sechsstündigen Hausdurchsuchung durch die WEGA wusste ich die ganze Zeit nicht, was eigentlich los ist. Erst auf der Polizeiwache haben sie mir die Anordnung zur Festnahme gezeigt. Da stand drin, dass ich verdächtigt werde, Mitglied einer kriminellen Organisation zu sein und verantwortlich für Sachbeschädigungen mit Tierrechtsbezug seit Ende der 90er Jahre.

Bei den Hausdurchsuchungen hat die Polizei einiges beschlagnahmt. Inwieweit wurde eure Arbeit dadurch behindert?

Die Arbeit wurde auf jeden Fall erschwert, manche Vereine wurden dadurch sogar über Monate komplett lahmgelegt, weil alle ihre Computer und ihre Mitglieder-Datenbanken mitgenommen wurden. Unsere gesamten Speichermedien sind nach wie vor bei der Polizei bzw. kommen zum Gericht als Beweismaterial. Das heißt, wir haben unsere Computer nicht, unsere Datensticks und alle Presseartikel und Flugblätter nicht, die über die Jahre gesammelt wurden.

Agiert ihr heute anders bei eurer Arbeit? Hat sich für euch etwas geändert?

Für mich persönlich sicher – nachdem ich im Akt Protokolle von meinen teils sehr privaten Telefonaten gelesen habe, mag ich am Telefon nicht mehr über Persönliches reden, nicht über Politik, nicht einmal darüber, eine Demo anzumelden, weil das zum Beispiel Teil der Arbeit einer kriminellen Organisation ist.

Veranstaltet ihr trotzdem Demos?

Im Moment gibt es diese Demos gegen Kleider Bauer von uns nicht, weil uns vom Verfassungsgerichtshof untersagt wurde, direkt vor den Filialen von Kleider Bauer zu demonstrieren. Das ist sicherlich Teil der Kriminalisierungs- und Einschüchterungsgeschichte, weil die Kleider-Bauer-Kampagne ja zentraler Punkt der Anklage ist.

Dir wurde ja auch Sachbeschädigung vorgeworfen …

Ja, aber diese Anschuldigung wurde mittlerweile fallengelassen. Laut Anklage soll ich Mitglied einer kriminellen Organisation sein und schwere Nötigung begangen haben. Schwere Nötigung, weil ich mich seit Jahren aktiv an Kampagnen gegen Bekleidungsfirmen beteilige, die Pelz verkaufen, und die dazu bringen möchte, ihre Geschäftspolitik zu ändern. Ein Kriterium für eine kriminelle Organisation ist ja, Einfluss auf Wirtschaft oder Politik ausüben zu wollen.

Welche Aktionen werden durch den § 278a kriminalisiert?
Es werden alle Aktionsformen, die eigentlich völlig normal sind für die Arbeit von NGOs, durch diesen Paragraphen kriminalisiert. Recherchen anstellen – über Firmen, über Tierfabriken – oder öffentliche Vorträge halten, die Anmeldung und Teilnahme an Demonstrationen – das alles zählt zum Tatbestand einer kriminellen Organisation. Auch dass ich über Jahre Presseberichte gesammelt habe, wird mir persönlich als Teil meiner Tätigkeit in einer kriminellen Organisation vorgeworfen.

Wenn es zu einer Verurteilung kommt, siehst Du dann die Arbeit von NGOs gefährdet? Sprich bedroht der § 278a generell die demokratischen Grundrechte unserer Gesellschaft?
Ja, auf jeden Fall. Das geht alles ganz klar in die Richtung, dass man eigentlich politisch nicht mehr aktiv sein kann, weil sich ja jeder Protest gegen die Politik oder gegen Wirtschaftsunternehmen richtet. So gesehen sind eigentlich alle politisch aktiven Vereine und Organisationen, sei es im Umweltschutz-, im Menschenrechts- oder eben im Tierrechtsbereich, davon betroffen. Und auch alle, die sie unterstützen, die mit ihnen kommunizieren … – das nimmt ja unglaubliche Ausmaße an!

Manche der Angeklagten werden für Straftaten verantwortlich gemacht, die man ihnen selbst gar nicht nachweisen kann. Gilt dann jede und jeder, die/der für Tierrechte aktiv ist, als Teil einer kriminellen Organisation?
Ja, das ist ja das Absurde. Ich meine, Sachbeschädigungen mit Tierrechtsbezug gibt es mindestens seit den 80er Jahren und wird es sicher auch weiterhin geben. Also eigentlich dürfte ich im Bereich Tierrechte gar nichts mehr machen. Wenn ich z.B. einen Infotisch gegen Fleischkonsum mache und irgendwo in Österreich wird die Scheibe einer Fleischerei eingeschlagen, bin ich Mitglied einer kriminellen Organisation und indirekt auch für diese Sachbeschädigung verantwortlich. In diese Richtung läuft das jetzt gerade. Es sollen anscheinend Leute dazu gebracht werden, sich nicht mehr für Tierrechte auf die Straße zu trauen. In England wurden TierrechtlerInnen Anfang des Jahres zu zehn- bis 14-jährigen Haftstrafen verurteilt, einfach weil sie seit Jahren in eine Kampagne gegen ein Tierversuchslabor involviert sind. Und in diese Richtung geht es bei uns jetzt auch. England ist da Vorreiterin, weil dort die Pharmaindustrie sehr dahinter ist, dass Proteste komplett eingedämmt werden. Dort haben viele Großkonzerne damit gedroht, das Land zu verlassen, wenn die Polizei diese für sie schädlichen Kampagnen nicht in den Griff kriegt. Also haben sie viele Leute weggesperrt. Und die Pharmakonzerne hoffen jetzt, dass diese Repressionsmethoden auch in andere europäische Länder exportiert werden.

Die BaT will nicht (nur) als Tierrechtsgruppe bezeichnet werden, sondern tritt genauso für Feminismus und Antirassismus ein. Wie stehst du bzw. die BaT zu Aussagen von Alice Schwarzer oder PETA, die fehlende Tierrechte mit dem Holocaust gleichsetzen?

Also alles, was rassistisch oder sexistisch ist, ist für mich nicht mehr tragbar. Die PETA hat ja auch diese Kampagne gehabt „Holocaust on your plate“, und es gab dazu eine ganz klare Distanzierung vonseiten der BaT. Wir halten solche Vergleiche für untragbar. Die Shoah für eigene Anliegen zu instrumentalisieren ist schon ganz klar jenseits dessen, was ich vertreten kann. Auch die „Lieber nackt als Pelz“-Kampagne von PETA find ich nicht in Ordnung. Sie ist einerseits sexistisch, weil da nur Frauen gezeigt werden, die einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen, und es gehen für mich dabei auch die Inhalte vollkommen verloren.
Unser Schwerpunkt ist die Tierrechtsarbeit, aber wir sind grundsätzlich gegen jede Diskriminierung und Ausbeutung – sei sie nun rassistisch, (hetero)sexistisch oder speziesistisch motiviert. Eine Gesellschaft, in der etwa durch nationale Grenzen einige Menschen als „illegal“ gelten und abgeschoben werden oder in der Frauenhäuser immer noch dringend notwendig sind, ist lange keine freie Gesellschaft. Ebenso wenig ist es eine, in der Tiere eingesperrt, auf Schlachthöfen zerstückelt oder in Versuchslaboren zu Tode gequält werden.

Welche Rolle spielen da zivilgesellschaftliche Organisationen?

Eine sehr wichtige Rolle. In unserer kapitalistischen Gesellschaft werden uns Verbesserungen nicht einfach geschenkt. Es wird immer Unterdrückung und Missstände geben, deshalb muss es auch immer zivilgesellschaftliche Organisationen geben, die darauf aufmerksam machen. Es gibt genug schlimme Sachen – z.B. den Rassismus in Österreich und wie viele Leute FPÖ und BZÖ wählen, das macht mir schon irgendwie Angst. Deshalb sind Organisationen wichtig, die einen linken, progressiven Widerstand darstellen, ein Gegengewicht zu den herrschenden Verhältnissen, die unterdrückerisch, rassistisch und sexistisch sind.
Schon bei der „Operation Spring“ wurde der § 278a angewendet, die Öffentlichkeit war überhaupt nicht aufseiten der Betroffenen: „Black Community“, „schwarze Drogendealer“ – das hat in die Vorstellung der Menschen von einer kriminellen Organisation gepasst. Aber das war ebenso ein Konstrukt wie bei uns jetzt – nur hat damals niemand öffentlich aufgeschrieen. Da war das schon in Ordnung, dass Leute abgeschoben werden. Oder wenn ich mir die Reaktionen auf den erschossenen Kremser anschaue. Da wird jetzt darüber diskutiert, was ein 14-Jähriger um zwei Uhr im Supermarkt macht, anstatt zu fragen: Warum erschießt ein Polizist einen 14-Jährigen?
Das zeigt, dass in unserer Gesellschaft einiges schief läuft. Und diejenigen, die dagegen auftreten, sollen jetzt anhand unseres Beispiels abgeschreckt werden. Ich denke, unser Prozess ist eine Art Probefall, dass man eine Bewegung, die unliebsam ist, mundtot macht – und das kann dann natürlich auf jede Form von Organisation ausgeweitet werden. Wenn die Verurteilungen durchgehen, dann ist das sicher keine schöne Basis für eine freiere Gesellschaft.

 

Sabine Koch, 31 Jahre, ist ausgebildete Hundetrainerin und seit 2003 aktives Mitglied der Basisgruppe Tierrechte.

www.basisgruppe-tierrechte.org
www.antirep2008.tk

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at