Lesbisch-schwule Wissenschaft an der Hochschule

Soll und kann sie sich dort etablieren? Erfahrungen eines Bremer Projektes

Die SchwulLesbischen Studien in Bremen, seit 1995 an der Universität angesiedelt und in Forschung und Lehre ebenso vielseitig tätig wie in der Öffentlichkeit, waren leider nur befristet finanziert.

Angesichts der Tatsache, daß wir in einer Wissensgesellschaft leben, die um die Erzeugung und Verteilung des Wissens mehr und mehr streitet, wird die Wendung von Francis Bacon, "Wissen ist Macht" von Schwulen und Lesben doch äußerst zurückhaltend aufgenommen. Wir scheinen mit ein paar vereinzelten, jeweils von den einzelnen Landesministerien geförderten Studien mal mehr, mal weniger zufrieden. Mich beunruhigt dieses Desinteresse an Wissenschaft, weiß ich doch, daß die Politik tief mit der Wisssenschaft verstrickt ist und das politische Interessen die Entwicklung von Forschung und Wissenschaft mitbestimmen. Ja heute werden sogar schon Fragen der Überwachung und Kontrolle des Wissens diskutiert. An dieser Wissenspolitik beteiligen sich Schwule und Lesben kaum. Mir scheint, als sei es Schwulen und Lesben bislang überhaupt nicht gelungen, Zugang zum Wissenschaftssystem zu finden. Zwar wird versucht, in Politik und Kultur etwas zu "bewegen", die Wissenschaft jedoch, die größtenteils als Legitimationsbasis für politische Entscheidungen herhält, steht in Schwulen- und Lesbenkreisen mehr oder weniger "still". Dazu gibt es sicherlich einige plausible Gründe, die ich später gerne zur Diskussion stelle. Vorher möchte ich allerdings noch auf einen Versuch schwullesbischer Forschung und Wissenschaft zurückkommen: die SchwulLesbischen Studien Bremen (SLS).
Begonnen mit der Idee hat eine Arbeitsgruppe an der Uni Bremen mit Planungen im Herbst 1991. Die Gruppe bestand anfangs aus der gesamten Bandbreite akademischer Mitgliedschaft: Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, ProfessorInnen - Männer und Frauen, Schwule, Lesben, Heteros. Vor allem aus dem Engagement des Mittelbaus entstand ein Reader, der unsere Vorstellungen einer "Wissenschaftlichen Einrichtung "Homostudien" an der Universität Bremen" zum Ausdruck brachte und als Antragsdokument gelten sollte. Im Frühjahr 1995 schließlich wurden wir mit dem Ende der Bremer Ampelkoalition aus Landesmitteln, dem "Forschungsinfrastrukturplan", mit einer Laufzeit von 36 Monaten mit zwei halben Stellen und geringem Sachmitteletat gefördert. Ein Bremer Schwuler und eine Bremer Hetera, die auch die Geschäftsführung übernahm, wurden jeweils zur Hälfte auf die Stellen gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war in Bremen keine mit den nötigen Abschlüssen qualifizierte Lesbe aufzutreiben. Die Arbeitsgruppe sollte allerdings aus Leuten bestehen, die sich schon haben kennenlernen können. Die anderen, wie ich z.B., haben so mitgearbeitet.

Die Tätigkeit der Schwul-Lesbischen Studien erstreckte sich auf mehrere Gebiete.

In der Lehre wurde seit dem Wintersemester 1995/96 die verschiedensten Veranstaltungen angeboten, sei es zu Soziosexuellen Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität in lesbischen Kontexten (Sabine Hark), zu Homosexualität und Faschismus (Jörg Hutter), Homosexualität als sozialer Konflikt (Jörg Hutter und Rüdiger Lautmann), Lebenswelt und Alltag von Lesben (Kathrin Lahusen und Brigitte Honnens), Feministisch-lesbischen Forschungsperspektiven (Kathrin Lahusen) oder Homophobie - Haßverbrechen, Feindseligkeiten und antihomosexuelle Einstellungen (Rainer Hoffmann) - um nur einige zu nennen.

Seit August 1998 lief ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zwei Jahre mit einer vollen Personalstelle gefördertes Forschungsprojekt. Dieses Projekt, in dem ich bis Ende Juli dieses Jahres auf einer Projektstelle arbeitete, trägt den Titel: "Ausbruch aus der Subkultur: die Theatralisierung der gleichgeschlechtlichen Liebe." Wir sind bei diesem Projekt inhaltlich von folgenden Prämissen ausgegangen:

In den letzten 130 Jahren hat sich das gleichgeschlechtliche Begehren in die westliche Sexualkultur sichtbar eingeschrieben. Dies geschah und geschieht in einer Intensität und Weise, die anderen Epochen und in nichtwestlichen Kulturen unbekannt ist. Öffentliche Selbstdarstellungen vor einem anfangs ablehnendem, dann aber faszinierten Publikum scheinen die Etablierung bewirkt zu haben. Unübersehbar waren es theatrale Formen, ständig variiert und strategisch eingesetzt, welchen den kulturellen Wandel trugen. Das Projekt untersucht Formen der Inszenierung, der Korporalität und der Wahrnehmung. Dazu werden verschiedene Szenen, insbesondere Kinofilme, Talkshows, Fummelbälle, Hochzeiten, CSD-Paraden unterschieden. Für ausgewählte Szenen werden Vorgeschichte und Verlauf, Darstellung und Körperbezug sowie vor allem die Publikumsreaktionen beschrieben. Daten werden durch Dokumenten- und Bildanalysen, teilnehmende Beobachtung und Gruppendiskussionen erhoben. Unsere Hauptfragen zielen auf eine "Erklärung", wie Inszenierung und Wahrnehmung zusammenhängen, wie die männliche Homosexualität vermittels Theatralisierung die Geschlechter- und Sexualverhältnisse zu beeinflussen vermochte.

Daneben sind in den drei Jahren eine Reihe von Projektskizzen entstanden, u.a.:
* Junge Schwule und Lesben und ihre Eltern. Geschlechts- und milieuspezifische Belastungs- und Bewältigungsformen eines sexuellen Stigmas
* Schule und Homosexualität
* Probleme von Kindern mit gleichgeschlechtlich orientierten Müttern/Vätern/Eltern
* Gewalt gegen Schwule
* Konflikte homosexueller Ausländer in ihren Familien
* Sozialbericht zur Lage der Schwulen und Lesben in einem Bundesland
Drittmittelgeber, an die wir herangetreten sind, hatten kaum inhaltliche Probleme mit den Anträgen, wohl aberFinanzierungsschwierigkeiten- was meiner Meinung nach aber letztendlich immer auch ein inhaltliches Problem bedeutet. Töpfe waren leer, abgeschöpft, geschlossen. Programme liefen aus, sollten zum Teil aber neu - jedoch in ungewisser Zukunft - aufgelegt werden. Andere sind erheblich gestutzt worden. Haushaltssperren allerorten. "Wir wissen selbst nicht, ob wir demnächst überhaupt noch weiterarbeiten können", haben wir zuhören bekommen. Manchmal mußt das Geld auch in den angestammten Bundesländern verbleiben und dort ausgegeben werden.
Eine weitere Säule unserer Tätigkeiten waren die Gastvorträge. Der Kürze halber nenne ich für Eingeweite nur ein paar Namen, die in Bremen waren: Gerburg Treusch-Dieter, Helmut Kentler, Karin Lützen und Henning Bech, Igor Kon, Christa Thürmer Rohr, Ilse Kokula, Rainer Herrn, Judith Schuyf, Rose Killinger, Claudia Schopmann, Burkhard Jellonnek, Theo van der Meer, Stefanie Wewetzer, Hanna Hacker, Vera Slupik, Monika Barz, Andrea Thamm, Bernd-Ulrich Hergemöller.

Ferner haben wir eine Buchreihe "WerkstattTexte" ins Leben gerufen, die im Männerschwarmskript Verlag in Hamburg erscheint. Vier Titel sind seit 1996 dort erschienen.
Nicht zuletzt darf unsere Beratung und Betreuung von Qualifikationsarbeiten nicht vergessen werden, ferner die Teilnahme und Beiträge auf Tagungen und Kongressen (z.B. Wider das Vergessen. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich - Die unterbliebene Wiedergutmachung, vom 30.9. bis 2.10. 1996 in Saarbrücken), sowie verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. die Ausstellung "Sexualwissenschaft", die aus Berlin nach Bremen kam.

Insgesamt läßt sich, wie ich finde, sagen: ein umfängliches, vielleicht auch ansprechendes Programm. Dennoch, wir müsssen uns - auch wenn es schwerfällt - als ein auf drei Jahre befristetes Pilotprojekt betrachten. Zunächst einmal ist Schluß. Obwohl ich wünschte mir, daß es weiter ginge.

Meiner Ansicht nach führen auch immer wieder strukturelle Probleme dazu, daß wir "auf Zeit" agieren. Sie scheinen mir mit folgenden Schlagworten/Begriffen zu fassen zu sein:
* Betroffenheitsforschung: Die einen sagen, wir müssen unsere Forschung selbst in die Hand nehmen; die anderen erwarten von Betroffenen keine seriösen Ergebnisse. Persönliche Involviertheit, das sogenannte "going nativ" verstellt die erwartete Objektivität. Dennoch: Bislang haben uns die Heteros auch nicht "besser" erforscht. Im Gegenteil oftmals, zumindest in vergangener Zeit, mit folgenschweren Diskriminierungen.
* One-Issue-Forschung: Ist Homosexualität, das Schwul- oder Lesbisch-Sein, eine Kategorie, die ausreicht, Forschungsaktivitäten zu begründen? Ist sie nicht im Gegensatz zu anderen Forschungsbereichen wie Bildungs-, Industrie-, oder Familienforschung etwa zu minimal angelegt? Dennoch: In den Großkategorien kommen wir trotzdem nicht vor.
* Interdisziplinaritätsprobleme: Angesichts der knappen Ressourcen ergibt sich die Frage, welche Wissenschaftsdisziplin am ehesten geeignet ist, unsere Lebensweisen zu erforschen. Aber nicht mal so sehr die Eignung ist relevant, sondern die Perspektive auf einen Gegenstand: Pädagogisch, psychologisch, soziologisch, politologisch, historisch, literarisch, ethnologisch usw. Dennoch: Eine muß anfangen. Die hochgelobte Interdisziplinarität ist oftmals mehr Wunsch als Wirklichkeit. Die Verständigungsprobleme sind ungeheuer. Sinnvoller scheint die Lösung der Akkumulation verschiedener Perspektiven auf Zeit zu sein.
* Legitimationsprobleme: Oftmals steht der Verwertungszusammenhang der Ergebnisse zur Diskussion. Aufgrund historischer Vorbelastungen häufen sich Debatten um den emanzipatorischen Gehalt von Studien. Manchmal herrscht größtes Mißtrauen untereinander, nach der Devise: Der Handelnde macht sich schuldig.
* Institutionalisierungsprobleme: Hier scheint mir das Bund-Länder-Problem am relevantesten. Manchmal kommt man nicht voran, weil die Länder Geld und Ansehen im eigenen Bundesland belassen wollen. Verstreute Einzelforschung kann es auf diese Weise geben. Ein renomiertes Institut bedarf sicherlich einer Bundesperspektive, die sich aus verschiedenen Finanzierungsquellen speisen muß. Daneben bleibt die Frage, ob innerhalb der Hochschule oder außerhalb? Dennoch: Wenn nicht bundesweit gedacht wird, lebt man auf Zeit, im Modell, aus befristeten Projektmitteln. Ein bißchen grandioser dürfen wir schon denken.
* Theorie-Praxis-Probleme: Die einen halten die Theorie für zu abgehoben, die anderen die Praxis für zu undurchdacht. Dennoch: Es ist immer beides! Und schließlich
* Zusammenarbeit von Schwulen und Lesben: Vielleicht kann es eine produktive Zusammenarbeit unter einem Dach geben. Inhaltlich mögen in einzelnen Projektfragen die immer wieder artikulierten Differenzgedanken doch größer sein als wir manchmal annehmen. Dennoch: Es muß für beide vorangehen.

Deshalb ist Streit gut, aber er darf uns auch nicht zu sehr auseinanderführen, und schließlcih heißt es: "Denn unser Wissen ist Stückwerk" in 1Korinther 13 Vers 9.
Dr. Rainer Hoffmann ist Soziologe in Bremen.