Manche Bücher sollte lieber nicht in der Winterzeit lesen, wer zur jahreszeitlich bedingten Depression neigt. In seinem Buch Kapitalkollaps zeichnet der linke Journalist Tomasz Konicz ein düsteres Bild von der existenziellen Krise, die im globalen Kapitalismus inhärent angelegt ist. Sie zeigt sich in Finanzkrisen, Klimakollaps, Ressourcenerschöpfung, Kriegen, Fluchtbewegungen und vielem mehr. »Es scheint, als säße die Menschheit in einem sich stetig beschleunigenden Zug, der auf einen Abgrund zurast und in dem niemand in der Lage ist, die berühmte Notbremse zu ziehen«, fasst Konicz die Entwicklung zusammen. Gemeint ist jene Notbremse, die Walter Benjamin als Mittel des »eigentlichen revolutionären Akts« identifiziert hat, mit dem der Amoklauf der globalen Kapitalverwertung noch gestoppt werden kann.
Man will es auch außerhalb der Winterzeit nicht gerne wahrhaben, aber Konicz hat mit seiner bitteren Diagnose Recht. Die Auswirkungen der fundamentalen Krise des Kapitalismus sind »längst auch in den Zentren spürbar, ein Großteil der Peripherie ist von ihr bereits voll erfasst«, wie er schreibt. Materialreich trägt Konicz zusammen, an welche inneren und äußeren Schranken die globale Kapitalverwertung gestoßen ist und warum die Mechanik des Kapitalismus selbstzerstörerisch ist – in sozialer ebenso wie in ökologischer Hinsicht. All die letztlich hilflosen Reaktionen der bürgerlichen Politik werden von Konicz als »Krisenimperialismus« beschrieben. Gleich ob neu-alter Nationalismus, »Extremismus der Mitte« oder Ausgrenzung von Geflüchteten – all das sind nur vergebliche Versuche, aufzuhalten, was nicht aufzuhalten ist: Dass das Kapital an seine systemischen Grenzen stößt.
Wen bereits der Titel von Konicz’ Streitschrift an Publikationen des 2012 verstorbenen Krisentheoretikers Robert Kurz erinnert, irrt nicht. Konicz nimmt explizit Bezug auf die von Kurz maßgeblich initiierte Krisis-Gruppe und die von ihm 2004 davon abgespaltene Exit-Gruppe. Anders als der Choleriker Kurz richtet Konicz die Schärfe seiner Kritik jedoch ausschließlich auf seinen Gegenstand: die Destruktivität der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie. Dass andere Linke samt ihrer abweichenden Weltsichten von Konicz nicht hasserfüllt zum Feind erklärt werden, hilft dabei, den Blick auf dringend notwendige Veränderungsprozesse zu richten. Konicz wendet sich gegen den Kulturpessismus, er hält trotz aller Drastik der kapitalistischen Krise den Ausgang des längst begonnenen Transformationskampfes für offen. Für ihn ist nicht ausgeschlossen, dass nach dem kapitalistischen Winter ein emanzipatorischer Frühling kommt.
Ob die Vision von einer halbwegs befreiten Gesellschaft ausgerechnet in der nordsyrischen kurdischen Enklave Rojava als »emanzipatorisches Epizentrum« verwirklicht wird, wie Konicz hoffnungsfroh annimmt, darüber lässt sich streiten. Konicz befördert nicht aber nur diese Diskussion mit nachvollziehbar dargelegten Argumenten und stringenten Analysen. Loben muss man auch das sorgfältige Lektorat von konkret-Redakteur Wolfgang Schneider (von dem man übrigens gerne mal wieder ein eigenes Buch lesen würde). Grenzwertig ist hingegen die winzige Schriftgröße der durchaus erhellenden Fußnoten. Liebe Leute von konkret, auch das Design bestimmt das Bewusstsein!
Christian Stock
Tomasz Konicz: Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft. Konkret Texte 68. kvv konkret, Hamburg 2016. 276 Seiten, 23 Euro.