Wie Kämpfe solidarisch und erfolgreich geführt werden können
Wer heute als Münster-Besucher:in den Weg vom Schlossplatz durch die Frauenstraße in Richtung Dom und Rathaus nimmt, wird den schönen Jugendstilbau mit der Hausnummer 24 bewundern. Es ist das einzige Haus, das in diesem Stadtviertel die Bombardements des Zweiten Weltkriegs überstanden hat. Dass es heute immer noch steht, ist einer studentischen Hausbesetzung zu verdanken, die sich im Oktober 2023 zum 50. Mal jährt, und einem über fast acht Jahre geführten zähen Kampf gegen Immobilienspekulanten und Stadtverwaltung bis 1981.
Das pünktlich zum Jubiläum erschienene Buch „Frauenstraße 24 – Geschichte einer erfolgreichen Besetzung“ schildert die unterschiedlichen Etappen dieses Kampfes und beleuchtet verschiedenste Aspekte vom Leben im Haus über die vielfältige Unterstützung für die Besetzenden bis hin zu Details der juristischen und politischen Auseinandersetzung. Es ist ein Buch für alle, auch für die, die damals dabei waren. Der Autor dieser Zeilen hat seinen kleinen Anteil zur Unterstützung eingebracht, kann sich an Bilder und Personen erinnern und sich mit den heutigen Bewohner:innen freuen, dass sich das Engagement gelohnt hat.
Das Buch zeigt auf, warum diese Hausbesetzung in Münster Erfolg haben konnte, im Gegensatz zu vielen anderen Hausbesetzungen. Damit vermittelt es auch für heutige politische Aktionen wertvolle Erfahrungen.
Die studentische Wohnungsnot in Münster war zu Beginn der 1970er Jahre groß. Ein Klassenkamerad von mir, der wie ich im Oktober 1972 sein Studium begann, fuhr im ersten Semester täglich mehr als 60 Kilometer nach Münster und anschließend dieselbe Strecke zurück, bevor er ein Zimmer gefunden hatte. Hausbesetzungen und studentische Demonstrationen zum Thema hatte es seit 1972 mehrfach gegeben. Das wird im Buch anhand einer Chronologie aufgezeigt.
Als am 4. Oktober 1973 der Immobilienspekulant Stürmer das Haus Frauenstraße 24 abreißen wollte, riefen der AStA der Uni und die ihn tragenden Gruppen, Jusos, MSB Spartakus und SHB nach gründlicher Vorbereitung zur Besetzung auf. Um 11.30 Uhr konnte ein TV-Team des WDR die Aktion filmen und einige Tage später, am 7.10., in der Regionalsendung „Hier und heute“ ausstrahlen. Zeitgleich wurden Infotische in den Fußgängerzonen der Stadt aufgebaut, um die Öffentlichkeit über die Gründe und die Perspektiven aufzuklären. Die Nachbarschaft wurde zur Besichtigung eingeladen, um zu zeigen, dass dort Studierende am Werk waren, die dort wohnen und auch das schöne Haus erhalten wollen. In den ersten kritischen Tagen hielten sich Dutzende Studierende Tag und Nacht in dem Haus auf, um es vor Abrissaktionen des Spekulanten zu schützen. Später wurden Kunstausstellungen und Konzerte organisiert und in Eigeninitiative die Fassade renoviert und neu gestrichen. Bergleute aus dem Ruhrgebiet spendeten Deputatkohle, damit die Hausbewohner:innen im Winter nicht frieren mussten. Aus der Nachbarschaft gab es Kuchen, Möbel, Hausrat und Bier.
Katholische Studierende besuchten ihren Bischof, um auch ihn für eine Unterstützung zu gewinnen. In einem Brief vom 17.10.1973 an Münsters OB Pierchalla und den Rektor der Uni bot Bischof Tenhumberg 100.000 DM für Renovierungsmaßnahmen an. In der katholisch-konservativ geprägten Provinzmetropole jener Jahre war das ein Politikum. Auch die Stadtratsfraktion der SPD solidarisierte sich. So gelang es, in der Bevölkerung Sympathien für die Hausbesetzung zu wecken, ein im Rückblick entscheidender Faktor für den Erfolg.
Es wechselten in den fast acht Jahren die Hausbewohner:innen. Die ersten machten ihre Examen und zogen fort, neue Studierende zogen ein und setzten den Kampf für ihre Wohnungen und den Erhalt des schönen Hauses fort. Auch die breite politische Koalition der Unterstützenden hielt. Sie bestand u.a. aus den linken Studierendenverbänden, der DKP, den Spontis, den katholischen und evangelischen Studierendengemeinden und ihren Pfarrer:innen im außerparlamentarischen Bereich und der Stadträte und Landtagsabgeordneten der SPD in den Parlamenten. In der Bürgerschaft wuchs über die Jahre das Verständnis für die Hausbesetzung und die Freude über den Erhalt des architektonischen Schmuckstücks, was allmählich auch Münsters CDU, die mit den Spekulanten verfilzt war, in die Bredouille brachte.
Dass sich der Kampf lange hinzog, bevor am 25.3.1981 die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft LEG den Ankauf des Hauses „Frauenstraße 24“ bekannt gab und das Haus unter Denkmalschutz gestellt wurde, hätte in den ersten Wochen nach der Besetzung wohl niemand vermutet. Auch nicht, dass es 1980 noch einmal richtig brenzlig wurde, als auch der mittlerweile dritte Spekulant als Eigentümer den Abriss durchsetzen wollte, den ihm der CDU-geführte Stadtrat und die Verwaltung immer wieder genehmigte.
Heute ist die „Frauenstraße“ (f24) ein Denkmal für die Stadtgeschichte Münsters, sowohl unter städtebaulichen und kunsthistorischen Aspekten, als auch dem des demokratischen Kampfes.
Das f24-Buch „ist nicht nur eine sorgfältige Chronik des Geschehens mit vielen eindrucksvollen Porträts und Erinnerungen der Hausbesetzer:innen und Unterstützer:innen. Es ist ein politisches Lehrbuch, wie schwierige und langwierige demokratische Kämpfe erfolgreich durch solidarisches Zusammenwirken unterschiedlicher Akteu-r:innen und eine Sympathien erweckende Einbeziehung der Bevölkerung erfolgreich zu führen sind.
Otmar Steinbicker
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de und Redakteur der Zeitschrift „Friedensforum“.
Rezension aus: Graswurzelrevolution Nr. 482 (Libertäre Buchseiten), Oktober 2023, www.graswurzel.net