Ein schwarzer Tag

1.500 PolizistInnen setzten am 3. März einen Marsch von 311 Nazis gegen 7.000 AntifaschistInnen in Münster durch

Kommentar

Zuletzt 2006 hatten „autonome Nationalisten“ versucht, in Münster einen „reichsweiten“ Naziaufmarsch zu machen. Obwohl 3.000 AntifaschistInnen damals von der Polizei daran gehindert wurden, in das betroffene Hansaviertel zu kommen, gelang es rund 2.000 couragierten AnwohnerInnen, durch eine Blockade den Aufmarsch von 170 Neonazis nach wenigen Metern zu stoppen. Aus den Häusern flogen damals Tomaten und Eier auf die Faschisten und das betroffene Hansaviertel war mit antifaschistischen Transparenten geschmückt. Der erfolgreiche Protest sorgte dafür, dass Neonazis sechs Jahre lang einen großen Bogen um die Fahrradhauptstadt machten bzw. sich selten zu erkennen gaben.

Anfang 2012 verkündeten die „Nationalen Sozialisten Münster“ auf ihrer Homepage, dass sie „die vielleicht letzte rote Hochburg Westfalens stürmen“ wollen.

Dies ist den 311 Neonazis um Christian Worch am 3. März 2012 nicht gelungen. 7.000 Menschen beteiligten sich lautstark an den antifaschistischen Protestaktionen gegen die Nazis. Ein Bündnis von 140 Gruppen und Organisationen, darun­ter auch die Graswurzelrevolution, hatte zu den Protesten gegen den Naziaufmarsch aufgerufen (vgl. GWR 366). Viele Menschen im betroffenen Rumphorstviertel wurden durch die Ereignisse politisiert und schlossen sich couragiert und gemeinschaftlich im Protest gegen Nazis und Polizeigewalt zusammen.

Trotzdem feierten die Nazis sich und die von ihnen auf Twitter als „Kameraden von der Polizei“ gelobten 1.500 BeamtInnen. Letztere hatten mit Wasserwerfern, Pfefferspray, Hunden und berittenen Einheiten ein ganzes Stadtviertel gegen den Willen der Bevölkerung abgeriegelt und einen langen Nazimarsch ermöglicht. Während die Nazis ungehindert menschenverachtende Parolen wie z.B. „Linkes Gezeter, 9 Millimeter“, und „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ grölen und mehrere Kundgebungen machen konnten, ging die Polizei mit Gewalt gegen antifaschistische DemonstrantInnen und AnwohnerInnen des betroffenen Rumphorstviertels vor. Antifaschistische Blockaden wurden aufgelöst oder umgangen, während Nazis unter den Augen von PolizeibeamtInnen unbehelligt protestierende AnwohnerInnen anspucken konnten.

Ein 20jähriger Gegendemonstrant wurde von mehreren Beamten so brutal verprügelt, dass er danach tagelang in Lebensgefahr schwebte. Eine Frau, die die PolizistInnen aufgefordert hatte, mit dem Verprügeln des Jungen aufzuhören, wurde von einem Beamten bedroht: „Willst du die nächste sein?“ Am Abend empörte sie sich in der WDR Lokalzeit Münsterland.

Eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei musste sich auf der Wache ausziehen und einer demütigenden Prozedur unterziehen, weil sie die Polizei gebeten hatte, nicht weiter mit rücksichtsloser Gewalt gegen DemonstrantInnen vorzugehen.

Der grüne Polizeipräsident Hubert Wimber zeichnete unterdes­sen das Zerrbild von 300, dann 600 und zuletzt „bis zu 800 gewaltbereiten Antifaschisten“, die er ebenso wenig in Münster haben wolle wie die Nazis. Eine nicht nur angesichts der 182 von Nazis seit 1990 begangenen Morde unglaubliche Gleichsetzung, die leider auch weitgehend unreflektiert von den Medien übernommen wurde.

„Auch der gewalttätige Übergriff mehrerer Polizisten auf einen 20-jährigen Gegendemonstranten wurde von Wimber gerechtfertigt. Er argumentiert, wie er es bereits zuvor in der Presse getan hatte, damit, dass der Verletzte kurz zuvor eine Flasche geworfen habe. Mit diesem vermeintlichen Flaschenwurf, für den er bisher einen Beweis schuldig geblieben ist, rechtfertigte er die brutale Selbstjustiz der Polizisten. (…) Nur durch eine zufällig anwesende Notärztin konnte Schlimmeres verhindert werden. Wären die Täter keine Polizisten, sondern Jugendliche in einer S-Bahn, wäre die Tat sofort als ein versuchter Mord/Totschlag aufgenommen worden“, so das Bündnis Keinen Meter den Nazis.

Der 3. März war ein schwarzer Tag für Münster. Die „Nationalen Sozialisten Münster“ fühlen sich bestärkt und haben bereits angekündigt, dass sie 2013 einen weiteren Aufmarsch in der „Westfalenmetropole“ machen wollen.

In Dortmund wurden die Naziaufmärsche jahrelang von der Polizei gegen die AntifaschistInnen durchgesetzt. Die Folgen: Dortmund ist heute die Stadt mit der größten Naziszene in NRW. Auf deren Konto gehen u.a. der Mord an einem Dort­munder Punk, Anschläge auf linke Kneipen und rassistische Übergriffe gegen „ausländisch“ aussehende Menschen.

Ähnliche Zustände drohen überall da, wo Nazis von der Polizei hofiert und ihre Aufmärsche gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden.

Dagegen helfen eine verstärkte Aufklärungsarbeit und die massenhafte Blockade aller Naziaufmärsche.

Ich habe mich am 3. März so ohnmächtig gefühlt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dieses Gefühl möchte ich nicht noch einmal erleben. Faschismus ist eine menschenfeindliche Ideologie. Kein Fußbreit den Nazis!

 

Bernd Drücke

 

Weitere Infos:

www.keinenmeter.de.ms/

http://www.graswurzel.net/366/nazis-ms.shtml

www.freie-radios.net/47275

 

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 368. 41. Jahrgang, April 2012, www.graswurzel.net