Vom Patriarchat der Dinge

Nunmehr bereits in 4. Auflage beschreibt die Journalistin und Podcasterin Rebekka Endler Begebenheiten, die Frauen im Detail nur allzu gut kennen und doch in dieser Tragweite häufig nicht reflektieren. Es beginnt mit einer scheinbaren Banalität – der Nutzung eines Männerklos um der Schlange vor dem Damenklo zu entgehen … und führt zu einer Recherche von „patriarchalen Ideen, die unsere Gesellschaft prägen, […] über ihren Einfluss auf das ganz alltägliche Design in unserer Umwelt und unserem Leben“. Die Autorin stellt fest, dass diese Überlegungen sie genötigt haben, gleichzeitig über Kapitalismus und Diskriminierung zu schreiben, denn „ein erfolgreicher Feminismus darf nicht bloß zweckdienlich für mich, die weiße, privilegierte, heterosexuelle cis Frau, sein, sondern muss jede Ursache von Diskriminierung und Unterdrückung ansprechen und bekämpfen …“ (Hervorhebung im Original – SL).

Das erste Kapitel wendet sich der Sprachanalyse zu – denn, so sagte schon Sokrates, „wer in der Sprache nicht vorkomme, dies auch nicht im Bewusstsein tue“ und geht dann weiter zur Architektur unserer Städte. Hier thematisiert sie Wegenetze (für Autos, Fahrräder, Fußgänger) im Ganzen und im Detail – so unter anderem die Bordsteinkanten (für wen sind sie wohl ein Problem? – Rollstuhl-, RollatorenfahrerInnen, Personen mit Kinderwagen, gehbehinderte Menschen – insgesamt eine Gruppe, die selten zu den Entscheidungsträgern gehört). Nochmals taucht die Problematik der öffentlicher Toiletten auf: die Anzahl wurde schon thematisiert, hier geht sie auf das Design ein (hierzu gibt es zahlreiche Vorschläge von Frauen zur Veränderung, bisher jedoch kaum beziehungsweise nicht realisiert) sowie auf die Kosten: Die Benutzung von Pissoirs für Männer ist unentgeltlich, Damentoiletten sind kostenpflichtig – wen wunderts, denn: wer sind hier die Entscheidungsträger? Generell stellt sich die Frage, wem der öffentliche Raum gehört.

Ähnliche Feststellungen zur Dominanz männlicher Sichtweisen gibt es zum Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Technik – sowohl im Preis, als auch in der Bewertung von Fertigkeiten. „Welche Hausfrau würde sich schon aufgrund der routinemäßigen Bedienung von Bügeleisen, Mixer und Staubsauger als technikaffin bezeichnen?“ Auch hier nochmals der Hinweis auf die Sprache: männliche technische Geräte sind „powertools“, weibliche „Haushaltshilfen“.

Mit der Entwicklung von Haushaltsgeräten, die angeblich das Leben der Frauen erleichtern sollten, jedoch auch zu mehr und höheren Ansprüchen geführt haben (schließlich gibt es jetzt alle möglichen Gerätschaften um zum Beispiel eine mehrstöckige Biskuit-Torte mit Baiserhaube zu backen), einher geht die Entwicklung und Nutzung von Sedatives (Beruhigungsmitteln) für Frauen.

Dieser Trend zur Dominanz männlichen Denkens und Entscheidens zieht sich auch im Internet beziehungsweise bei der Entwicklung von Apps durch – so wurde von den Programmierern einer Gesundheitsapp (bewusst fehlt hier die weibliche Form) schlicht die Periode beim Sammeln von Gesundheitswerten vergessen.

Stichwort Kapitalismus: ein „gameboy“ verkauft sich schlicht besser als ein „gamegirl“; an die andere Anatomie angepasste Fußballschuhe für Frauen wurden jahrelang nicht entwickelt und angeboten, da sie sich „nicht rechneten“ – ebenso wenig wie Sport-BHs. Ähnliches gilt für Arbeitsschutzkleidung für Pflegekräfte – wir alle kennen die Bilder von Schwestern auf Coronastationen mit überlangen Kitteln. Es trifft jedoch nicht nur diese, sondern uns alle – bei der Einheitsmaske für Männer, Frauen und Kinder! Zum Thema Corona stellt die Autorin auch die ernüchternd fest, dass der wissenschaftliche Output von Frauen in dieser Zeit um 30 Prozent zurückgegangen ist, „während die Kollegen offenbar mehr Zeit und Konzentration fanden, um ihre Forschungen voranzutreiben und bis zu 50 Prozent mehr Artikel für Peer-Reviews einreichten“.

Zum Schluss des Buches blickt Rebekka Endler noch in Wikipedia, sie nennt sie „Enzyklopädie der Mächtigen“ – sowohl bei den Schreibern, als auch den Einträgen. Nicht nur dass es in den Artikeln über Frauen viel mehr Links zu Artikeln über Männer gibt als umgekehrt, vielfach wird Frau auch über ihre Beziehung zu Männern definiert.

Die Autorin eröffnet einen Blick auf die Welt, der teilweise bekannt ist, stückweise auch hinterfragt und verändert wird, in dieser Dimension jedoch deutlich zeigt, wo noch weiterer gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht.

Wir schaffen das!

Rebekka Endler: Das Patriachat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt, DuMont, Berlin 2021, 334 Seiten, 22,00 Euro.