Ignorierte Opfer

Sinti und Roma kämpfen weiter um die Erinnerung an den NS-Völkermord

Hunderttausende - die genaue Zahl ist unbekannt - europäische Sinti und Roma fielen dem Porajmos ("Das Verschlingen" - Bezeichnung der Roma für den nationalsozialistischen Völkermord, Sinti sprechen von Baro Marepen, "Das große Sterben") zum Opfer. Der zugrundeliegende Antiziganismus war bereits vor der Nazizeit flächendeckend verbreitet, entsprechende Vorurteile leben bis heute in weiten Teilen der Bevölkerung fort. Das trägt dazu bei, dass das Gedenken an den Porajmos zwar notwendig ist, zugleich aber auf starke Widerstände stößt. Alexandra Senfft zeichnet nach, wie Sinti und Roma weiter um eine würdige Erinnerung an den Völkermord und gegen Antiziganismus kämpfen.

Dem Historiker Eberhard Jäckel wird nachgesagt, 1995 in Diskussionen über ein zu schaffendes Denkmal für Sinti und Roma gefrotzelt zu haben, dann könne man genauso gut ein Denkmal gegen das Morden von Walen fordern.1 Es war auch Jäckel, der noch 2005 insistierte, auf den Denkmalstafeln das "Z-Wort" zu benutzen: "In ihrer 500jährigen Geschichte und auch in der NS-Zeit, auf die es hier ankommt, wurden die Zigeuner niemals und von niemandem ›Sinti und Roma‹ genannt".2 Der Historiker wusste offensichtlich nicht, dass Sinti und Roma das Z-Wort untereinander nie benutzen, ja dass dieses Wort in ihrer Sprache, dem Romanes, überhaupt nicht existiert. Er ignorierte auch, dass die Selbstbezeichnung "Sinti und Roma" öffentlich längst etabliert war. Das Z-Wort war von jeher eine Fremdbezeichnung, die die Nazis für ihre Politik der Verfolgung und Vernichtung verwendeten - in Auschwitz tätowierten sie ihren Opfern das Z in die Haut. Bis heute ist es "ein Schimpf- und Schmähwort"3, das eine äußerst heterogene Minderheit krude auf einen Nenner reduziert und deren Mitglieder beleidigt und verletzt. Viele "Gadje" (Romanes für Menschen aus der Dominanzgesellschaft) halten rücksichtslos an der Z-Bezeichnung fest, nicht zuletzt, wenn es um ihr Schnitzel oder die ungarische Sauce geht.4

Opfer zweiter Klasse?

Berlins damaliger Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) schlug vor, das Denkmal im Osten der Hauptstadt, in Marzahn, zu errichten, wegen der "historischen Aspekte". 1936 hatten die Nazis in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele einen Großteil der Berliner Sinti im ersten Lager für Sinti und Roma in Marzahn festgesetzt und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Dort begannen die Pseudowissenschaftler:innen der im selben Jahr gegründeten "Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle" des Reichsgesundheitsamts unter der Leitung des Psychiaters und Rassentheoretikers Robert Ritter und seiner Assistentin Eva Justin ihre missbräuchlichen Studien an Kindern, Erwachsenen und alten Menschen. Sie maßen ihre Körper- und Kopfgröße, notierten ihre Haut-, Haar- und Augenfarbe, bestimmten ihre Blutgruppe, befragten sie hinsichtlich ihrer Genealogie, ihres sozialen Status, ihrer Einkommensverhältnisse usw. Bis zum Kriegsende hatte die Forschungsstelle 24.000 "rassekundliche Gutachten" fabriziert, die zur entscheidenden Grundlage für die Deportationen in Vernichtungslager, für Zwangssterilisierungen und Schwangerschaftsabbrüche wurden. Nur einer von zehn deutschen Sinti überlebte, europaweit gehen Schätzungen von 100-500.000 Sinti und Roma-Opfern aus.

Diepgen ging es seinerzeit wohl weniger darum, Marzahn wegen dieser grausamen Geschichte als Gedenkort zu wählen. Vielmehr meinten manche seiner Parteikollegen respektlos, Berlins Stadtzentrum entwickele sich zur "Gedächtnismeile"5 und machten deshalb den Vorschlag, das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in die Peripherie zu verbannen. Dabei wurde deutlich, dass man dem Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma Europas keine besondere Bedeutung beimaß. Nach vielen, teils unschönen öffentlichen Diskussionen wurde 2005 schließlich Dani Karavan mit dem Entwurf des Denkmals im Berliner Tiergarten betraut. Jahrelang rang der israelische Umweltkünstler, Nachkomme jüdischer Holocaust-Opfer, mit deutschen Beamten, um seine künstlerischen Vorstellungen mit den von ihm gewünschten Materialien umzusetzen. Er sagte wiederholt, dass man mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas (eröffnet 2005) niemals so umgegangen wäre. Er gewann den Eindruck, dass Romanes-sprachige Menschen6 als Opfer zweiter Klasse betrachtet werden: "Als Jude kann ich das sagen. Man interessiert sich für die Sinti und Roma nicht".7

Am 24. Oktober 2012 war es endlich soweit - das Denkmal im Berliner Tiergarten wurde feierlich eröffnet: Ein Wasserbecken mit einem versenkbaren schwarzen Stein in Form eines Winkels, der an die Kleidung der als "asozial" markierten KZ-Häftlinge erinnert, darauf täglich eine frische Blume. Endlich hatten Europas Sinti und Roma ein symbolisches Grab für ihre ermordeten Angehörigen. Viele Überlebende konnten diesen Augenblick nicht mehr erleben, sie waren bereits gestorben. Auf dem von alten Bäumen umrahmten Gelände des Denkmals erklang "Mare Manuschenge" (Romanes für "Für unsere Menschen"), ein Geigenstück, das der Musiker und Bürgerrechtler Romeo Franz als dauerhafte Klanginstallation für das Denkmal komponierte. Er spielte es mit dem Geigenbogen seines in Auschwitz ermordeten Großonkels Paul Vinko Franz ein. "Ich war innerlich angekommen und konnte meine Energie nun endlich mehr auf die Zukunft richten", erinnert sich Franz, der die Grünen/Bündnis90 von 2018 bis 2024 als erster Sinto im Europaparlament vertrat. Er drückte damit eine Empfindung vieler Menschen seiner Minderheit aus.

Der holländische Überlebende Zoni Weisz bezeichnete das Denkmal in seiner Ansprache bei der Einweihung als "spürbare Anerkennung für das von unserem Volk durchlittene, unfassbare Leid. Ich hoffe, dass genau wie beim Denkmal für die von den Nazis ermordeten Juden, das nur einen Steinwurf von hier entfernt ist, die Welt erkennen wird, welche Schrecken unser Volk in der Nazi-Zeit durchmachen musste."8 Weisz, ein Florist, der für die niederländische Königsfamilie tätig und für das weltweit größte Blumenarrangement im Guinness Buch der Rekorde eingetragen war, verband mit der Enthüllung des Denkmals die Hoffnung, dass "der - wie ich ihn nenne - ›vergessene Holocaust‹ nicht länger vergessen sein wird und die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient."9

Doch bereits acht Jahre später erfuhr die Minderheit durch die Presse, dass die Deutsche Bahn eine S-Bahn-Trasse mit Untertunnelung des Denkmals plant - die S21 vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz. Ausgerechnet die Deutsche Bahn, Rechtsnachfolgerin jener Reichsbahn, mit der die Verfolgten in die KZs deportiert wurden! Das Denkmal sollte für den Bau der neuen S-Bahn-Linie sogar teilweise wieder abgebaut werden. Karavan drohte, es mit seinem eigenen Körper zu schützen, er war außer sich vor Ärger. Der 90-jährige international berühmte Künstler starb 2021 in Tel Aviv, enttäuscht über den deutschen Umgang mit der Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma.10

Fortgesetzte Diskriminierung

Während die Überlebenden des NS-Völkermords durch das erfahrene Leid zu "Gefangenen ihrer Erinnerung" geworden waren, wie es der Sinto Reinhard Florian ausdrückte11, und diese Erinnerungslast an ihre Nachkommen transgenerationell weitergaben, hatten die Täter sich der Bürde ihrer Schuld rasch entledigt. Deren Ressentiments und Vorurteile gegen Sinti und Roma blieben durch die Institutionen und die Gesellschaft hindurch kontinuierlich bestehen. Bis in die 1960er-Jahre hielt sich das "nazistische Narrativ" (Gilad Margalit), Sinti und Roma seien im Rahmen der legitimen Verbrechensbekämpfung verfolgt und in die KZs deportiert worden.12 In der Rechtsprechung dominierte nach dem ersten bundesweit gültigen Entschädigungsgesetz von Oktober 1953 zudem die Auffassung, ihre Verfolgung habe erst nach Himmlers "Auschwitz-Erlass" vom 1. März 1943 begonnen - und nicht schon 1938 mit dem Runderlass zur "Bekämpfung der Zigeunerplage". Mit diesem Erlass wollte Himmler "die Reglung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus" behandelt wissen. Sein Ziel war die "endgültige Lösung der Zigeunerfrage".

1956 entschieden die Richter:innen des Bundesgerichtshofs (BGH) im Bundesentschädigungsgesetz, dass für die Zeit vor 1943 keine Entschädigungen zu leisten seien. In ihrer Begründung formulierten sie, Sinti und Roma widersetzten sich der "Seßhaftmachung", neigten zur Kriminalität und hätten keinerlei Achtung vor fremdem Eigentum, "weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist".13 Das Urteil wurde erst Ende 1963 revidiert - eine Entschuldigung für und Distanzierung von dem skandalösen, vollkommen rassistischen Urteilsspruch fand allerdings erst 2015 durch die BGH-Präsidentin Bettina Limperg gegenüber dem Zentralrat der Sinti und Roma statt.14

In den Entschädigungsprozessen waren oft dieselben Kriminalbeamten als Gutachter eingesetzt, die einst für Deportationen und Zwangssterilisierungen verantwortlich waren und nun über ihre einstigen Opfer urteilen durften, die sie weiter als "asozial" stigmatisierten. Nur wenige Sinti und Roma erhielten klägliche Entschädigungszahlungen, die meisten von ihnen waren schon gestorben oder ihre Ansprüche verjährt. Die Historikerin Heike Krokowski kam zu dem Schluss, dass "der Großteil der überlebenden Sinti die Entschädigungspraxis als erneute Verfolgung empfand".15 Ihr Kollege Wolfgang Wippermann hielt die Ungleichbehandlung der deutschen Sinti und Roma gegenüber anderen Staatsbürgern sogar für verfassungswidrig.16 Noch 2004 behauptete der Mediziner Hermann Arnold, der von der Politik bis in die 1970er-Jahre als "Z"-Experte gehandelt wurde (und ganz in der NS-Tradition des Rassentheoretikers Robert Ritter stand), in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sinti und Roma seien nie Opfer der NS-Verfolgung gewesen, die Nazis hätten lediglich ihre "vollständige, dauernde Deportation" beabsichtigt. Er unterstellte dem Zentralrat der Sinti und Roma, die "Gleichstellung der nationalsozialistischen Zigeunerverfolgung mit der Schoah erzwingen zu wollen, um globale Wiedergutmachungsleistungen zu erlangen".17 Damit bediente er abermals den Topos des angeblich verschlagenen, unehrlichen Charakters der Sinti und Roma und leugnete das Verbrechen an ihnen aufs Neue.

Die nahezu systematische Weigerung bundesdeutscher Behörden, Sinti und Roma für das erfahrene Leid zu entschädigen, ist ein Musterbeispiel für mangelnde Aufklärung, Empathielosigkeit und kontinuierlichen Antiziganismus. Ebenso skandalös war, dass Beamte mit NS-Vergangenheit noch jahrelang in den "Landfahrerzentralen" agierten, Sinti und Roma auf der Basis von NS-Akten weiter rassistisch erfassten und mit zahlreichen Auflagen drangsalierten. Diese "Sonderfassung" wurde erst Anfang der 1980er-Jahre auf Druck der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma allmählich eingestellt. In der restlichen Bevölkerung scherte man sich um diese Vorgänge in der Regel nicht, ganz im Gegenteil, die alten Vorurteile und Ressentiments blieben unhinterfragt bestehen. An Campingplätzen fanden sich noch lange Schilder mit Aufschriften wie "Für Zigeuner und Landfahrer verboten, Hunde dürfen an der Leine geführt werden". In deutschen Haushalten hieß es, "Die Z kommen, holt die Wäsche rein!" Mit der Wäsche wurden auch die Kinder reingeholt, weil sich das Vorurteil hielt, Sinti und Roma stählen Kinder. Wippermann beschreibt das als Projektion, die davon ablenken sollte, dass Behörden den Roma teils systematisch über mehrere Generationen hinweg die Kinder raubten und in Fürsorgeanstalten steckten.

Der Schriftsteller, Forscher und Menschenrechtsaktivist Reimar Gilsenbach, der sich in der DDR bemerkenswert früh des Schicksals der Sinti und Roma angenommen hatte, hielt 1988 fest: "Der soziale Abstand, den die Bevölkerung gegenüber den ›Zigeunern‹ empfand und der sie wohl auch wirklich voneinander trennte, war größer als der zu irgendeiner anderen Minderheit. Die Vorurteile saßen tiefer, die Abneigung war verhärtet. Das Feindbild ›Zigeuner‹ war altüberliefert, die Nazis brauchten es nicht zu entwerfen, es war in der Masse der Deutschen stärker verinnerlicht als das Feindbild ›Jude‹."19 Dieses Feindbild hält sich trotz aller Erfolge der Bürgerrechtsarbeit und der Einführung internationaler Gedenktage hartnäckig. Negative ebenso wie romantisierende Stereotype von Sinti und Roma - als kriminell/unehrlich dämonisiert oder musikalisch/freilebend idealisiert - sind, von Generation über Generation vermittelt, internalisiert und bleiben aus Unkenntnis oder bewusster Ignoranz unreflektiert. Antiziganismus ist eine menschenfeindliche Haltung, die gerade dort prävalent ist, wo es zu Sinti oder Roma keinen Kontakt gibt oder aus einer schlechten Erfahrung heraus auf die Mehrheit der Minderheit geschlossen wird. Immer noch verbergen Angehörige der Minderheit ihre Herkunft aus berechtigter Sorge vor Diskriminierung.

Mangelndes Geschichtsbewusstsein

Erinnern können nur jene, die die Vergangenheit kennen. Über die Geschichte der Sinti und Roma ist allgemein wenig bekannt, der Aufklärungsbedarf groß. Auch in der Politik ist man noch immer nicht ausreichend sensibilisiert. Im Dezember 2023 beschloss der Berliner Senat den Bau der S-Bahn-Trasse 21. Zuvor hatten Proteste dafür gesorgt, dass die Deutsche Bahn AG nach Alternativen für die ursprünglichen Pläne suchen musste. Sie legte daraufhin die Variante 12h als "beste" Option auf den Tisch, eine, die die Nutzung des Denkmals angeblich kaum beeinträchtigen und es maximal instand halten würde. Allerdings erscheint das wenig glaubwürdig, denn auf dem Gelände des Denkmals und drumherum müssten im Berliner Tiergarten zahlreiche uralte Bäume gefällt werden. Die Bäume, die das Wasserbecken des Denkmals optisch und akustisch einhegen, waren die explizit ersichtliche Voraussetzung dafür, dieses Denkmal so zu schaffen, wie es sich heute darstellt. Die Witwe Karavans sieht darin das Urheberpersönlichkeitsrecht ihres Mannes verletzt.

Neben diversen Sinti-und-Roma-Initiativen organisierte eine Aktionsgruppe mit der Tochter Karavans ein Protestschreiben, unterzeichnet von 250 weltbekannten Persönlichkeiten, darunter Daniel Barenboim und Wim Wenders.20 Unbeirrt leitete das Eisenbahn-Bundesamt das Planfeststellungsverfahren im Mai 2024 ein, die neue S-Bahn soll 2036 in Betrieb gehen. Man stelle sich vor, ähnliche Pläne würden das Denkmal für die ermordeten Juden Europas berühren, der Aufschrei wäre enorm, auch international.

Im CDU-regierten Verkehrssenat ist man überzeugt, Berlin brauche diese S-Bahn und zum Trassenverlauf unterhalb des Denkmals gebe es keine Alternative; es heißt, man verspreche, beim Bau mit größtmöglicher Sensibilität vorzugehen. Es wirkt jedoch eher so, als werde der Gedenkort wie eine beliebige städtische Fläche behandelt, als betreffe er nur die Minderheit und nicht vor allem die Nachkommen der Täter- und Mitläufer:innen, die Mehrheitsgesellschaft. Die Erinnerung an die Toten und die Verbrechen der Nationalsozialist:innen wird nicht gepflegt, sondern der Mobilität geopfert. Sicher ist, dass die Baumaßnahmen das Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma am Ort auf unbestimmte Zeit massiv einschränken würden, der alte Baumbestand niemals in derselben Weise wieder hergestellt werden könnte und Erschütterungen durch die künftige S-Bahn künftig spürbar wären. "Machen Sie sich eigentlich auch einmal Gedanken darüber, wie es für Nachkommen der Ermordeten sein muss, beim Gedenken an ihre Vorfahren Züge unter sich rollen zu hören und dabei unweigerlich an die Todeszüge von damals denken zu müssen?", protestierte das Präsidium der Lagergemeinschaft Dachau in einem Schreiben an das Eisenbahn-Bundesamt.21

In der Mehrheitsgesellschaft denken darüber nur wenige Menschen nach, von Empathie oder gar Interesse kann jedenfalls keine Rede sein. Unterdessen steigt mit dem wachsenden Rechtsextremismus und gruppenbezogener Unmenschlichkeit die Sorge unter Sinti und Roma. "Wir Nachkommen der NS-Verfolgten sind die Träger von Todesängsten", sagt der Sinto Daniel Strauß.22 Die Vergangenheit ist nicht vergangen und die Gegenwart zeigt, dass ihre Ängste immer wieder neue Nahrung bekommen. In 2024 gab es diverse Anschläge auf Gedenkorte der Sinti und Roma, in Trier wurde das Haus des Überlebenden Wilhelm Reinhardt mit Hakenkreuzen und antiziganistischen Beleidigungen beschmiert. Der 86-Jährige ist der Sohn einer Jüdin und eines Sinto.23 Viele Sinti und Roma sitzen in Gedanken bereits auf gepackten Koffern, noch bevor sich das Gedenken an den Völkermord in der deutschen Öffentlichkeit angemessen durchsetzen konnte.

Anmerkungen

1)  "Eins an jeder Ecke. Streit um Denkmäler für Nazi-Opfer in Berlin: Sollen nur die Juden eins bekommen - oder auch die Zigeuner und Homosexuellen?", in: Der Spiegel, 25. Juni 1995; https://www.spiegel.de/politik/eins-an-jeder-ecke-a-b2e4b62b-0002-0001-0000-000009199071 (abgerufen am 5.2.2025).

2)  "Jäckel für ›Zigeuner‹ - Inschrift auf Mahnmal", in: Berliner Zeitung, 8. Februar 2005, https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/jaekel-fuer-zigeuner-inschrift-auf-mahnmal (abgerufen am 6.2.2025).

3) Michael Krausnick und Daniel Strauß 2008: Von Antiziganismus bis Zigeunermärchen. Informationen zu Sinti und Roma in Deutschland, Mannheim: 120.

4) Dazu siehe: Romeo Franz / Alexandra Senfft 2024: Großonkel Pauls Geigenbogen. Die Familiengeschichte eines preußischen Sinto, München: 315 ff.

5) Holocaust-Mahnmal: Streit um Gedenkstätte für Sinti und Roma - CDU-Politiker gegen "Gedächtnismeile", in: Der Tagesspiegel, 25. Juli 2000; https://www.tagesspiegel.de/berlin/holocaust-mahnmal-streit-um-gedenkstatte-fur-sinti-und-roma-cdu-politiker-gegen-gedachtnismeile-grune-ragieren-emport-698293.html (abgerufen am 12.2.25).

6) Romanes ist eine indogermanische Sprache, die vermutlich im Norden Indiens (Provinz Sindh, heute Pakistan) entstand und mit dem Sanskrit verwandt ist. Die Sprache der Minderheit hat mindestens 200 Dialekte und verbindet Romanes-sprachige Menschen seit 2000 Jahren weltweit. Unter "Romanes-sprachige Menschen" (engl. Romani People) sind alle Gruppen zu verstehen, die sich selbst als "Sinti und Roma" bezeichnen, unabhängig von ihrer Nationalstaatlichkeit.

7) Dani Karavan: "I can say that because I am a Jew. They don’t care about the Sinti and Roma", in: Exberliner, 10. Januar 2013; http://www.exberliner.com/politics/just-gypsies-dani-karavan/?fbclid=IwAR3D_MzdeEpd9 A3dYSdC8gXKLX_MxeoTLzpFU5CrVJd SbQL15gUdIyMEdBQ, (abgerufen am 31.8.2023).

8) Zoni Weisz in seiner Rede zur Einweihung des Denkmals https://www.stiftung-denkmal.de/wp-content/uploads/Rede_Zoni_ Weisz.pdf (abgerufen am 12.2.2025).

9) Ebd.

10) Alexandra Senfft im Interview mit Dani Karavan, 31. Juli 2020. Siehe auch: Alexandra Senfft: "Das Verschweigen brechen", in: Der Freitag, 2. August 2020; http://www.freitag.de/autoren/alexandra-senfft/das-verschweigen-brechen (abgerufen am 1.2.25).

11) "Durch das Leid, das wir ertragen mussten, sind wir zu Gefangenen unserer Erinnerung geworden", Reinhard Florian, zitiert nach "Zentralrat trauert um Reinhard Florian"; Pressemitteilung, 18. März 2014; https://zentralrat.sintiundroma.de/zentralrat-deutscher-sinti-und-roma-trauert-um-reinhard-florian-2/ (abgerufen am 13.2.2025).

12) Dazu siehe Gilad Margalit 2001: Die Nachkriegsdeutschen und "ihre Zigeuner". Die Behandlung der Sinti und Roma im Schatten von Auschwitz, Berlin: 204.

13) Urteil des BGJ, IV ZR 211/55 vom 7. Januar 1956, Seite 8f., zitiert nach Gilad Margalit 2001 (s. Anm. 12): 164.

14) https://zentralrat.sintiundroma.de/wp-content/uploads/presse/345.pdf (abgerufen am 15.2.2025).

15) Heike Krokowski 2001: Die Last der Vergangenheit. Auswirkungen nationalsozialistischer Verfolgung auf deutsche Sinti, Frankfurt am Main: 149 f.

16) Wolfgang Wippermann 2015: Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils, Hamburg: 86.

17) Hermann Arnold 2004: "Falsche Gleichsetzung", in: FAZ, 28. Dezember 2004; https://fazarchiv.faz.net/faz-portal/document? uid=FAZ__FD12004122841857 (abgerufen am 14.2.2025).

18) Wolfgang Wippermann 2015 (s. Anm. 16): 39 ff. Siehe auch Michael Herzig 2023: Landstrassenkind. Die Geschichte von Christian und Mariella Mehr, Zürich.

19) Reimar Gilsenbach 1988: "Die Verfolgung der Sinti - ein Weg, der nach Auschwitz führte", in: Wolfgang Ayaß, Reimar Gilsenbach und Ursula Körber (Hg.): Feinderklärung und Prävention. Kriminalbiologie, Zigeunerforschung und Asozialenpolitik, Berlin: 11-42; hier: 38. Zit. nach: Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Wissenschaftliche Aufarbeitung und öffentliches Gedenken. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste 2009, WD 1 - 3000 -020/09: 4; http://www.bundestag.de/resource/blob/410880/917c 712d81cb4578775060ed6f592b2b/wd-1-020-09-pdf-data.pdf.

20) Rettet das Denkmal! https://save-sinti-roma-memorial.org (abgerufen am 11.2.2025).

21) Brief der Lagergemeinschaft Dachau, 15. Juli 2024.

22) Daniel Strauß ist der Vorsitzende des Verbands Deutscher Sinti & Roma Landesverband Baden-Württemberg.

23) Hakenkreuze am Haus: Trierer Sinti haben Angst vor Angriffen. SWR, 4. Juni 2024; https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/trierer-sinti-familie-in-angst-nach-hakenkreuz-schmierereien-100.html (abgerufen am 16.2.2025).

Alexandra Senfft ist Autorin und freie Publizistin. Zuletzt erschien von ihr mit Romeo Franz: Großonkel Pauls Geigenbogen. Die Familiengeschichte eines preußischen Sinto, München 2024. Siehe auch https://alexandra-senfft.de.