„Textilien werden nicht wertgeschätzt“

Zum Schutz des kollektiven Eigentums von Textilien und Kleidung der Maya

Interview mit Angelina Aspuac von Sandra Monterroso

Im Jahr 2014 präsentierte Angelina Aspuac zusammen mit einer Gruppe von Frauen aus Sacatepéquez, wo sie herkommt, im Kongress einen Gesetzentwurf zum Schutz guatemaltekischer Textilien, um klarzumachen, dass die Handwerkerinnen diejenigen sind, die am wenigsten an ihrer traditionsreichen Arbeit verdienen. Am 27. Mai 2019 erschienen mehr als 250 Frauen aus der Weberinnenbewegung bei der öffentlichen Anhörung im Gerichtsverfahren gegen das guatemaltekische Tourismusinstitut (INGUAT), wegen der Folklorisierung und Kommerzialisierung der Bilder von indigenen Frauen und ihres Lebens. Das von dieser Gruppe vorgelegte Kommuniqué wies darauf hin, dass Foklorisierung als Ausdruck von Rassismus eine Form der Gewalt gegen indigene Frauen ist.

S.M.: Wie können wir bei Produkten, die mit Maya-Textilien hergestellt wurden, ein Plagiat erkennen?

A.A.: Diejenigen von uns, die diese Plagiate aufspüren, sind die Frauen, die in den Dörfern leben, denn wir kennen als Weberinnen die Technik, wir haben die Textilien von Generation zu Generation in jeder Gemeinde hergestellt. Es gibt vor allem bei den Handstickereien der Huipiles [bestickte Oberteile, vor allem von Frauen getragen, Anm.d.Übers.] Plagiate, weil sie sich leicht auf maschinell bestickten Stoffen reproduzieren lassen. Wir haben Kopierversuche von Huipiles-Kreuzstichen in San Antonio Aguas Calientes, Tecpan, San Juan Comalapa u.a. entdeckt. Wir können jedoch den Unterschied zwischen einem Stoff, der mit der Hand bestickt wurde, und einem Stoff, der leicht mit der Maschine bestickt wurde, erkennen, man sieht es am Gewebe, es ist härter und hat auf der Rückseite einen Stoff, man sieht, wie die Maschine näht. Außerdem benutzen die Unternehmen den Abfall von originalen, gebrauchten und sogar antiken und zeremoniellen Textilien, um sie zu verschiedenen Gegenständen wie Gürteln, Taschen und Schuhen zusammenzustellen, die wir in Flughafenshops oder in Touristenläden sehen können.
Dies ist eines der großen Themen der Weberinnenbewegung, denn Textilien werden nicht wertgeschätzt: Es ist schwierig und dauert lange, einen Huipil herzustellen, wenn die Weberinnen zu den tatsächlichen Kosten des Produktionswertes verkaufen müssten, wäre es teuer, sehr teuer. Normalerweise sind es wir Maya-Frauen selbst, die diese Huipiles für den täglichen Gebrauch kaufen, aber es gibt viele Frauen, die aus der Not heraus gezwungen sind, ihre Huipiles, also ihr Erbe, sehr billig zu verkaufen.
Dann stellen die Firmen diese Produkte her und verkaufen sie sehr teuer, in Dollar, und das verursacht großen Schmerz. Sogar wir Maya-Frauen bezahlen die Weberinnen besser als ein Ausländer oder ein Geschäftsmann. Andererseits, wenn es sich um berühmte Firmen handelt, bestellen sie bestimmte Hupiles bei irgendeiner Weberin, aber sie zahlen trotzdem keinen fairen Preis. Ein fair bezahlter Huipil würde etwa 1.500 US-Dollar kosten.
Darüber hinaus gibt es noch Plagiate, die man „Sublimat“ nennt. Es ist ein Abdruck der Formen und Merkmale, die von einem Huipil kopiert und auf ein Tuch gedruckt wurden. Dann kaufen die Leute diese Stoffe und diese sehr billigen Huipiles und kaufen nicht mehr bei den Weberinnen. Es ist weder hilfreich noch fair gegenüber der Arbeit der Weberinnen. Es handelt sich um Unternehmen, die mit dem Plagiieren der Textilien Profit machen und die Weberinnen nicht um Erlaubnis bitten. Es gibt dort eine ethische Frage, die nicht gesehen wird, die Frage der Autorinnenschaft wird ignoriert.

S.M.: Sind die Unternehmen, die Sublimate herstellen, ausländisch oder einheimisch?

A.A.: Die Maschinen sind ausländisch, sie bringen sie in Einzelteilen und montieren sie in Guatemala. Hauptsächlich aus Asien. Diejenigen, die am meisten davon profitiert haben, sind diejenigen, die die Maschinen erfunden haben, diejenigen, die die Maschinen importieren, und guatemaltekische Unternehmer, Mestizen wie Mayas, die die Aufträge dafür geben, Archive von Symbolen zu besorgen, zu fotografieren, zu scannen, sie bereiten die Maschine vor und machen dann den Druck und dann ist es bereits auf dem Stoff sublimiert. Dies ist jedoch ein sehr ungerechter Wettbewerb, ein unlauterer Wettbewerb für die Weberinnen.

S.M.: Was wäre ein fairer Prozentsatz, der erhoben werden könnte, zum Beispiel im Falle von Designer*innen, die Textilien und einen Teil der Kleidung für ihre Produkte verwenden?

A.A.: Ein Gesetz kann keine Prozentsätze regeln. Die Prozentsätze werden von einer Gemeinschaft geregelt, auch wenn es sich nicht um eine monetäre Vergütung handelt, wenn eine Dienstleistung erbracht wird. Wenn sich ein Unternehmen oder ein/e Designer*in an eine Gemeinschaft wendet, muss der Respekt vor dem, was die Gemeinschaft denkt und will, im Vordergrund stehen.

S.M.: Wenn es einen ethischen Prozess gäbe, der von einem/ einer Designer*in, einer Person oder Firma, die die Textilien vermarkten will, oder einem/ einer Künstler*in, der mit den Textilien der Maya arbeiten will, angewandt werden könnte, der nicht zu dieser Gemeinschaft gehört, wie sähe der aus?

A.A.: Wenn es sich um jemanden aus Guatemala handelt, ginge es darum herauszufinden, aus welcher Gemeinde die Textilien oder Kleidungsstücke kommen. Es ginge darum, mit der Weberinnenbewegung in Kontakt zu treten, denn wir kennen und erkennen die Textilien, und wir können Empfehlungen aussprechen und die Kommunikation zwischen den Parteien, sei es die Gemeinde oder ein Unternehmen, herstellen. Man muss alle Aspekte dessen untersuchen, woher das Textil stammt, mit der Gemeinschaft sprechen und Vereinbarungen treffen, die zu respektieren sind. Die guatemaltekische Gesellschaft ist nicht gewohnt, Textilien als kollektives Eigentum zu betrachten; wir selber glauben deshalb auch nicht, dass es um Rechte geht. Selbst für uns Weberinnen erscheint es unhöflich, sie als unser eigenes Eigentum zu sehen, denn unser Wissen ist für die Welt, aber die Welt behandelt uns nicht auf die gleiche Weise: Sie hat nur Extraktivismus und Appropriation betrieben! Und da Textilien Wissen sind, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, glauben wir, dass es fair ist, einen Dialog zu führen. Bei der Ausarbeitung des Gesetzes zum Schutz von Kleidung geben wir dem Dialog den Vorrang, einem Dialog, bei dem das Unternehmen, wenn es beispielsweise an der Erzielung von Gewinnen aus einer Textilie interessiert ist, der Gemeinschaft mit Respekt begegnen, auf sie im Dialog zugehen und um Erlaubnis bitten muss.


Aus dem Spanischen übersetzt und gekürzt von Jens Kastner.

Die Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 55, Herbst 2020, „Modethema“.

Angelina Aspuac ist Maya Kaqchikel, Verteidigerin der Rechte der Maya-Frauen, Mitglied der Feministischen Assoziation für die Entwicklung von Sacatepéquez (AFEDES) und der Nationalen Bewegung der Maya-Weberinnen Guatemalas.

Sandra Monterroso ist bildende Künstlerin und Forscherin, sie lebt und arbeitet in Guatemala, www.sandramonterroso.com