Die Unternehmerinnen ihrer selbst
Die
politischen Programme auf nationaler, europäischer und globaler Agenda sind
voll mit Absichten, die die Gleichstellung der Geschlechter – ein genuines
Anliegen der westlichen feministischen Bewegungen spätestens seit den 1970er
Jahren – zu realisieren trachten. Manifestieren können wir dieses politische
Geschlechterbewusstsein in Form des Gender Mainstreamings auf der Ebene der Europäischen Union,
des Post-Beijing-Abkommens zur Gleichstellung der Geschlechter im Rahmen der
UNO, oder in Form der an allen öffentlichen Einrichtungen (wie Schulen,
Universitäten und Verwaltungsapparaten) implementierten
Gleichstellungsbeauftragen (und nicht mehr Frauenbeauftragten!). Sind mit
dieser staatlich verordneten Gleichstellungspolitik die ehemaligen Ziele der
feministischen Analyse und Forderungen erreicht? Oder stellen gerade diese
Veränderung die Analysen und v.a. Überlegungen feministischer agency aktuell
vor neue Herausforderungen?
Gender und Genderregime im Postfordismus
Der grundlegende
gesellschaftliche Wandel weg vom Modell des Fordismus und seinem Ideal des
männlichen Familienernährers hin zum „Postfordismus“ rüttelte auch an den
Anforderungen und Bildern normativer Geschlechterkonstruktionen. Der
neoliberale Kapitalismus fordert nun eine neue Form der Subjektivität ein, die
des „unternehmerischen Selbst“ (vgl. Bröckling 2000). Menschen sollen durch
geschicktes Selbstmanagement ihre eigene ‚employability’ sichern, sind damit
aber auch im Falle des Scheiterns an ihrem Unglück selber schuld. Ein zentrales
Funktionsprinzip des neuen, ‚postfordistischen’ Kapitalismus ist es, die
Verantwortung für gesellschaftliche Teilhabe den Individuen selbst zu
übertragen. In diesem Prozess, der alle gesellschaftlichen Bereiche
einschließlich des Verhältnisses zwischen Individuum und Staat der Marktlogik
unterwirft, wird gleichzeitig mit der Forderung nach Selbstvermarktung der
Einzelnen die kollektive, staatliche Verantwortung für individuelle und gesellschaftliche
Problemlagen und Risiken abgebaut. Wenn damit auch gender zum Ergebnis persönlicher Leistung
erklärt wird, sind dementsprechend auch Diskriminierungserfahrungen ein individuelles, selbst
verschuldetes Problem und Gleichstellung gerät damit zu einer Frage des persönlichen Vermögens
oder Unvermögens.
Die Frauenbewegung als subversive Gegenkraft ist im Zuge ihrer diskursiven und
politischen Vereinnahmung durch neoliberale Programme weitgehend depotenziert
worden: Frauenpolitische Forderungen sind zum Bestandteil neoliberaler
Herrschaftsstrukturen geworden (vgl. Gender Mainstreaming oder
Gleichstellungsbeauftragte). Und ein Verständnis von (Frauen-)Emanzipation als
individuelle Befreiung fügt sich reibungslos in die vorherrschende Marktlogik
ein.
Im Rahmen der neoliberalen Ideologie sei Geschlecht, so konstatiert Christa
Wichterich, einer der Standortfaktoren im globalen Wettbewerb. Das neoliberale
Regime definiere „Frauenförderung als Wettbewerbshindernis und nutzt
Geschlechterungleichheiten strukturell aus“ (Wichterich 2003: 80). Denn
Geschlechtergerechtigkeit wird lediglich in die neoliberale Ideologie
eingepasst z.B. in Form von Integration sog. „weiblicher“ Leistungsfähigkeit (soft skills).
Regiert werden
Am lateinamerikanischen
Paradebeispiel Chile hat Veronika Schild gezeigt, dass in der ersten Phase
neoliberaler Reformen die ökonomischen Spielregeln übergreifend implementiert wurden.
In der zweiten, subtileren Phase wurde „der Ethos des neoliberalen Marktes als
dominante politische Grammatik und Regierungsverständnis verankert“ (Schild
2002: 5). Die Konstitution von Subjektivitäten steht nun völlig in Einklang mit
den Leitlinien des neoliberalen Ethos. Mit Marianne Pieper und Encarnácion
Gutiérrez Rodríguez (2003) kann nun gefragt werden, ob im neoliberalen
Genderregime die Positionen von Herrschenden und Beherrschten zu verschmelzen
beginnen?
Mit dem Begriff der Gouvernementalität (Foucault 2000), der Regieren (gouverner) und Denkweise (mentalité) semantisch miteinander verbindet,
wird, die „Totalität des Regierens, das den Geist und die Seele der Subjekte
durchkreuzt und formt“ (Pieper/ Gutiérrez Rodríguez 2003: 11) erfasst. Regieren
ist eine ökonomische Form der Führung und bezeichnet eine Form der
Machtausübung, die dort wirksam wird, wo ein Möglichkeitsfeld verschiedener
Handlungsalternativen strukturiert wird.
Die gegenwärtigen neoliberalen Veränderungen von Staatlichkeit tragen nun dazu
bei, die patriarchalen Genderregime wieder in den Alltag von Frauen einbrechen
zu lassen (vgl. Sauer 2005). Darüber hinaus verschiebt und veruneindeutigt sich
die Position der weiblichen Unterdrückung und Benachteiligung. Besonders
offensichtlich wird dies beispielsweise in der Koppellung von Emanzipation und
Care. Denn die Kosten von Individualisierung und Emanzipation (verbunden mit
einem deutlichen Vordringen auf dem europäischem und globalem Arbeitsmarkt) von
(west)deutschen Frauen werden auf dem Rücken der z.T. hochqualifizierten,
ethnisierten und oftmals illegalisierten Haushaltsarbeiterinnen ausgetragen. Frauen
sind auch als „Unternehmerinnen ihrer selbst“ einer mehrfachen Überbelastung
ausgesetzt sind. Nur wird nun die ehemals geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Frauen und
Männern in eine ethnische Arbeitsteilung zwischen deutschen und ethnisierten Frauen
transformiert. Erst mit der Konstruktion der ‚Dritten Welt-Frau‘ als Opfer
konstruiert sich im Umkehrschluss die weiße westliche bzw. deutsche Frau als
modern und emanzipiert.
Die multiplen Differenzlinien und die Vielfalt der Identifikationen, auf deren
Grundlage sich heute Widerstand formiert, fordern Feministinnen zu neuen
Bündnissen und Koalitionen heraus. Denn nur auf den ersten Blick sind in dem
Aufruf, „Frauen“ sollen autonome, selbstständige Individuen werden, auch alle
„Frauen“ gemeint. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass Differenzen entlang
der Klassen- und ethnischen Zugehörigkeit – erneut – von Bedeutung sind.
Die Fortführung einer internationalen Arbeitsteilung und ihr damit
korrelierendes Genderregime lassen neue Forderungen nach einem transnationalen
Feminismus samt einem Entwurf einer übergreifenden Allianzpolitik laut werden
(vgl. Castro Varela 2006). Aber: „In fact, there IS NO SUCH
THING as a feminism free of asymmetrical power relations. Rather,
transnational feminist practices, as we call them, involve forms of alliance,
subversion, and complexity within which asymmetries and inequalities can be
critiqued.” (Grewal/Kaplan
2005) Widerständige Repräsentationen, so Gayatri Spivak (2008), sind in die
hegemonialen Diskurse einer gewissen Zeit eingewoben, sie sind Produkt
herrschender gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Wobei der Raum der zu
Subalternen gemachten derjenige Ort ist, an dem sich die Umkehr vollziehen
kann.
Dieser Text erscheint in BILDPUNKT.
Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Frühling 2010 „Regimestörungen“.
Literatur:
Bröckling,
Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg., 2000): Gouvernementalität der
Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/Main.
Castro Varela, Maria do Mar (2006): Postkoloniale feministische Theorie und
soziale Gerechtigkeit. In: Degener, Ursula / Rosenzweig, Beate (Hg.): Die
Neuverhandlung sozialer Gerechtigkeit. Feministische Analysen und Perspektiven. Wiesbaden, S. 97-114.
Foucault, Michel (2000): „Die Gouvernementalität“. In: Bröckling,
Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der
Gegenwart. Studien
zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/Main, S.41-76.
Grewal,
Inderpal / Kaplan, Caren (2005): Postcolonial Studies and Transnational Feminist
Practices. URL: http://english.chass.ncsu.edu/jouvert/v5i1/grewal.htm (10.01.2010)
Pieper, Marianne/Gutiérrez Rodríguez, Encarnacion (Hg., 2003): Gouvernementalität.
Ein
sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Foucault. Frankfurt/Main.
Sauer, Birgit 2005: Gewaltige Reformen – Neoliberalismus und Gewalt gegen
Frauen. In: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und
Sozialwissenschaften,
Nr. 263, Berlin, 47. Jg., Heft 5/6 2005, S. 199-208.
Schild, Veronika (2002): Wie Frauen im Namen von Frauen regiert werden.
Chilenischer Feminismus in den 90er Jahren. In: Solidaridad, Nr. 220/221, Münster, S.4-19.
Spivak, Gayatri Chakravorty (2008): Can the Subaltern speak? Postkolonialität und subalterne
Praktiken. Wien.
Wichterich, Christa (2003): Femme global. Globalisierung ist nicht
geschlechtsneutral.
Attac Basis Texte 7, Hamburg.