Verbindliche Kriterien dafür, was eine Operettenarmee ausmacht, gibt es bekanntlich nicht. Aber früher ging es – vergröbert – in so Richtungen wie: acht Generäle, davon einer Kavallerie, fünf Soldaten, keine Pferde, dafür prachtvolle Uniformen mit viel Lametta.
Heute ist die Sache noch einfacher: Operettenarmee ist der Vorname der Bundeswehr. Die sei, so der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), „im Rahmen der kollektiven Verteidigung derzeit nicht einsetzbar“. Die Welt brachte es auf den Punkt, als sie den deutschen Streitkräften bescheinigte, „eine potemkinsche Armee“ zu sein, die über „ein paar hübsche, funktionierende Einheiten“ verfüge, als „Kulisse für eine Truppe mit marodem Kern“.
Wie marode, davon zeugt die 106 Seiten zählende Übersicht über die aktuelle Materiallage der Streitkräfte, die BMVg-Staatssekretär Markus Grübel Ende Februar dem Verteidigungsausschuss des Bundestages zugeleitet hat. Darin finden sich folgende Angaben zu Großwaffensystemen:
- Heer: Der Gesamtbestand Kampfpanzern Leopard 2 betrug 2017 244, wovon im Schnitt nur 176 zur Verfügung standen (der Rest: entweder zur Instandsetzung oder im Depot); tatsächlich einsatzbereit waren im Schnitt 105.
Ähnliche Quoten sind auch beim Schützenpanzer Marder (Gesamtbestand 382, verfügbar 319, einsatzbereit 212) und bei der Panzerhaubitze 2000 (Gesamtbestand 121, verfügbar 75, einsatzbereit 42) zu verzeichnen.
Noch drastischer ist das Desaster bei den Fliegerkräften des Heeres.
Der Bestand an Transporthubschraubern NH90 lag bei nur 58; verfügbar waren 2017 im Schnitt 37, einsatzbereit bloß 13. Vier davon – im Einsatz in Mali – sorgten zugleich dafür, dass es zu Hause eklatant an Personal für die Ausbildung mangelte.
Vom Kampfhubschrauber Tiger wird für 2017 ein Bestand von 50 Maschinen ausgewiesen; verfügbar waren im Schnitt 30, wirklich einsatzbereit nur 12. - Luftwaffe: The same procedure … Vor allem beim Pannenflieger Nummer eins, dem Transporter A400M von Airbus ist kein Ende der Probleme in Sicht. 15 Maschinen sind an die Bundeswehr ausgeliefert, 2017 waren im Schnitt ganze drei einsatzbereit. Aber auch nicht immer: Zeitweise hatten alle Maschinen ausschließlich Bodenkontakt. Der BMVg-Bericht hatte im Übrigen den Verteidigungsausschuss noch gar nicht erreicht, da gab es Mitte Februar bereits die nächste Tatarenmeldung: In den Flügeln des A400M sind außer Korrosion auch Risse aufgetreten, und wegen neuer Defekte an den Triebwerksaufhängungen musste Airbus eine Sicherheitswarnung an die Betreiber herausgeben.
Von den 128 Eurofighter- Kampfjets waren durchschnittlich nur 39 voll einsetzbar, von den 93 Flugmethusalems Tornado gar nur 26. Aber die kann die Bundeswehr einem vertraulichen Rüstungsbericht zufolge wohl sowieso nicht mehr in NATO-Einsätze schicken. Bisher habe kein Codiergerät zur geschützten Datenübertragung eingebaut werden können, heißt es in dem Bericht des BMVgs. Vertrauliche Informationen könnten bei Einsätzen so womöglich abgefangen werden.
Beim Transporthubschrauber CH-53 dieses Bild: 72 im Bestand, 40 verfügbar, 16 einsatzfähig. - Marine: Von 13 Fregatten waren im Schnitt fünf diensttauglich, von sechs U-Booten der Klasse 212A bloß eines, aber im zweiten Halbjahr 2017 konnte gar keins mehr abtauchen. Dazu die BMVg-Übersicht zur Materiallage: „Folgenschwere technische Defekte und Ausfälle, Nichtverfügbarkeit von Ersatzteilen, erhebliche Verlängerungen von Werftliegezeiten, mangelnde Werftkapazitäten und eine nautische Havarie sind die Ursachen der gegenwärtig nicht gegebenen Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft der U-Boote.“
Der Mangel an funktionierendem Gerät führt zu Patchwork der besonderen Art, da etwa die paar einsatzfähigen Systeme des Heeres über die gesamte Truppe verstreut sind. Folge: Die Panzerlehrbrigade 9 (Motto: Azubis an die Front?) als Bestandteil der schnellen Eingreiftruppe der NATO, die bekanntlich Russlands Präsidenten Putin davon abhalten soll, sich als nächstes das Baltikum einzuverleiben, benötigt 44 einsetzbare Leopard 2. Ende Januar hatte sie davon ganze neun. Der Rest muss aus anderen Verbänden ausgeborgt werden und fehlt dann dort für Ausbildung und Übungen. Damit wiederholt sich das Trauerspiel von 2015, als sich das Panzergrenadierbataillon 371 für seinen Part in der schnellen Eingreiftruppe rund 15.000 Ausrüstungsgegenstände aus 56 anderen Heeresverbänden besorgen musste, um halbwegs einsatzfähig zu sein. Gut in Erinnerung von damals ist noch eine Peinlichkeit, die seinerzeit durch die Medien ging und für Heiterkeit sorgte; Report Mainz berichtete: „Die Bundeswehr-Soldaten montierten kurzerhand Besenstiele auf ihre gepanzerten Fahrzeuge, weil Kanonenrohre fehlten.“
Im Übrigen fehlt es den Verbänden der Bundeswehr nicht nur an Großgerät, auch Kleinkram ist allenthalben Mangelware – ob es sich nun um Nachtsichtgeräte, Winterbekleidung oder Schutzwesten handelt.
Und um diesen Gesamtzustand auch ja dauerhaft sicherzustellen, werden weder Mühen, noch vor allem Kosten, respektive Steuergelder gescheut: Auf mehr als 34 Milliarden Euro belief sich der Verteidigungshaushalt im Jahre 2016; über 37 Milliarden waren es 2017 und demnächst soll die 42 Milliarden-Marke überschritten werden, wie die neuen (alten) Großkoalitionäre vereinbart haben. Die zuständige Ministerin, immerhin seit 2013 im Amt, verkündet derweil eine Trendwende nach der anderen – bisher mit dem Ergebnis: Es ändert sich alles, wie es ist.
Da sollte vielleicht eine Anregung des Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, die dieser im Februar formuliert hat, doch etwas gründlicher erwogen werden: „Die Kernfrage, die Politik parteiübergreifend beantworten muss, ist: Soll Deutschland wieder einsatzbereite Streitkräfte haben oder nicht? Wenn nein, schlage ich die Auflösung der Bundeswehr vor.“