Die Debatte um social freezing folgt alten Mustern
Die Auseinandersetzung um social freezing hat wieder einmal alte Debatten der Frauenbewegung auf die Agenda gesetzt: Wie viel Autonomie birgt die Technisierung der Reproduktion?
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Von Ulrike Baureithel
Sein Geld auf die Bank zu tragen, ist heutzutage nicht mehr opportun, die Zinsen gehen bekanntlich gegen Null. Von größerem Nutzen scheint es zu sein, Teile seines Körpers auf einer Gewebebank zu deponieren. Nabelschnurblut etwa, um daraus im Bedarfsfall Stammzellen zu züchten. Oder Eizellen, um im gebärfähigen Alter möglichst viel Rendite für die teure Ausbildung abzuschöpfen, und dann, wenn frau in der Hightech-Welt zum Ausschuss gehört, noch schnell den reproduktiven Tribut an die Gesellschaft zu leisten.
Der bizarr anmutende Vorstoß der beiden IT-Unternehmen Apple und Facebook, die sich anbieten, die Kosten für die Entnahme und Lagerung von Eizellen für ihre Mitarbeiterinnen zu übernehmen, wenn diese ihren Kinderwunsch zeitlich aufschieben wollen, hat hierzulande eine heftige Diskussion ausgelöst. Was in den USA als Teil eines familienpolitischen Gesamtpakets für besonders privilegierte Angestellte betrachtet wird, zu dem die Babyprämie ebenso gehört wie der Zuschuss zu einer Geschlechtsumwandlung, sorgt für Irritation und Streit. Ist es wünschenswert, dass in der Arbeitswelt ohnehin benachteiligte Frauen diese technische Möglichkeit nutzen, um ihre Karriere unbehindert von Nachwuchs voranzutreiben? Oder birgt die reproduktive „Versicherungspolice“ für die Zukunft nicht die Gefahr, das „letzte Stück unverfügbarer Natur“ an den Machbarkeitswahn auszuliefern, ganz abgesehen von den Risiken, die diese Technologie für Frauen und Kinder birgt?(1)
Akzeptanz und Nachfrage
Stimmungsmäßig sind 63 Prozent Bevölkerung derzeit gegen das Einfrieren von Eizellen. Insbesondere junge Männer können sich allerdings durchaus vorstellen, ihre Partnerinnen auf diese Weise zum Aufschub der Familiengründung zu animieren.(2) Da das Einfrieren und die Lagerung von Eizellen in Deutschland mit 2 - 3.000 Euro deutlich günstiger ist als in den USA, wo dafür umgerechnet rund 8.000 Euro hingelegt werden müssen, ist die finanzielle Hemmschwelle niedriger; allerdings werden sich aus diesem Grund Unternehmen auch kaum zu dieser Art bevölkerungspolitischer Intervention herausgefordert sehen: „Die deutschen Arbeitgeber mischen sich nicht in die Familienplanung von Arbeitnehmern ein“, lässt etwa die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände wissen.(3)
Die Nachfrage nach social freezing jedenfalls wächst kontinuierlich. Offenbar birgt es ein Freiheitsversprechen, das besonders für gut ausgebildete, ökonomisch selbständige Frauen attraktiv ist. Und wieder einmal finden wir uns auf biopolitischem Feld in einen medialen Streit über Selbstbestimmung verwickelt: Beim egg freezing ginge es „um das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung“, das Angebot der amerikanischen Unternehmen sei „grundsätzlich ein Akt der Selbstbestimmung, den es zu begrüßen gilt“.(4) Wer möchte sich, zumal als Feministin, dem schon entgegenstemmen?
Statt Befreiung neue Abhängigkeiten
Viele der Debattenteilnehmerinnen vergleichen das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen mit der Anti-Baby-Pille, deren Erfindung Frauen ungeahnte Freiheit ermöglicht habe. Die Pille habe den Kinderwunsch erstmals zu einer plan- und aushandelbaren Angelegenheit gemacht, Frauen ihrem „biologischen Schicksal“ entrissen. Aber einmal davon abgesehen, dass die Anti-Baby-Pille enorme medizinische Risiken mit sich brachte und dazu geführt hat, dass Frauen für Männer verfügbarer wurden, ist das Schlucken eines Kontrazeptivums nicht vergleichbar mit dem Prozedere, das notwendig ist, um Eizellen einzufrieren und später den Kinderwunsch zu realisieren: wiederholte Hormonstimulation, eine unter Umständen mehrmalige, unter Narkose stattfindende Ei-Entnahme und, das ist der entscheidende Unterschied, eine durch künstliche Befruchtung - möglicherweise! - zu realisierende Schwangerschaft und Geburt.
Der Eingriff in den Körper ist ungleich rabiater, und vor allem setzt er Dritte voraus, die diesen Prozess steuern und begleiten. Es sind planerische Maßnahmen erforderlich, die in nichts vergleichbar sind mit dem Entschluss einer Frau oder eines Paares, jetzt eben schnell mal die Pille abzusetzen. Das Einfrieren von Eizellen beschleunigt die Technisierung von Schwangerschaft; die Hervorbringung „anderer Umstände“, die bis vor kurzem in den intimen Entscheidungsraum von Individuen gehörte, bleibt nun Spezialisten überlassen. Die Expertise darüber, wann wofür der richtige Zeitpunkt ist, welche medizinischen Vorkehrungen getroffen werden müssen, ob das „Material“ erfolgversprechend ist und was sich im Reagenzglas ausbildet, liegt außerhalb des verfügbaren Wissens der unmittelbar Betroffenen. Selbstbestimmung? Eine Chimäre.
Bürgerliche Suche nach der weiblichen Natur
Die technologische Kanalisierung der Schwangerschaft rückt indessen wieder einmal auch das nature-nurture-Verhältnis in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Wie „natürlich“ ist die menschliche Reproduktion heutzutage überhaupt noch und wie viel technischen Eingriff verträgt sie, ohne die Frauen zum „renditeoptimierten Reproduktionsfaktor“ zu machen?(5) Oder ist das egg freezing nicht einfach eine von vielen „Vereinbarkeitsmaßnahmen“, die alle der „Logik der kapitalistischen Verwertung“ folgen, und ist die Kritik daran nicht eher der Angst vor zu viel weiblicher Unabhängigkeit geschuldet als dem Bedürfnis, Frauen zu schützen?(6)
In der Tat muten manche Argumente, die gegen das egg freezing vorgebracht werden, biologistisch an, sei es, wenn auf der einen Seite die „Natürlichkeit“ des Vorgangs der Verschmelzung gefeiert oder auf der anderen szientistisch über den „menschlich-evolutionären Vorteil“ von Großeltern schwadroniert wird.(7) Oder wenn Ausflüge ins Tierreich unternommen werden, um zu beweisen, dass es sich beim egg freezing um eine „großangelegte Verschwendung neurobiologischer Ressourcen“ handele und es dazu beitrage, „Müttern den vollen Nutzen der Elternschaft“ vorzuenthalten.(8) Es ist, als würden die alten Fraktionen der Frauenbewegung wiederauferstehen: Hie die möglichst (gebärmutter)freie und autonome Frau, dort das grüne Müttermanifest, oder, um noch einmal Sarah Diehl aufzurufen, „die Gebärfähigkeit der Frau als Refugium der Freiheit gegenüber der ‚Kultur’ der kapitalistischen Leistungsgesellschaft“.(9) Mädels, das hatten wir alles schon mal!
Aber wird die durch egg freezing angeblich „wachsende Autonomie“ von Frauen „abgewertet“ (Diehl), wenn man darauf hinweist, dass das Projekt nicht nur ganz gut in die Selbstoptimierungs-Gesellschaft passt, sondern auch den Geschäftemachern im florierenden Reproduktionsgewerbe zupass kommt? Viel wird nämlich darüber gesprochen, was die Prozedur kostet, aber wenig darüber, wer davon profitiert. Eine der wenigen ist die Politikwissenschaftlerin Kathrin Braun, die das Geschäft mit den Eizellen problematisiert und auf ein völlig unterbelichtetes Thema hinweist: Was eigentlich passiert mit den übriggebliebenen Eizellen? Werden sie dann meistbietend auf dem Repro-Markt verhökert?(10) Und, ganz nebenbei: Was geschieht, wenn sich herausstellt, dass zwar die Eizellen frisch, die mütterliche Umgebung aber schon etwas strapaziert ist, sodass sie sich nicht einnisten? Brauchen wir dann nicht doch Leihmütter, die die teuer konservierten Eizellen für die Karrierefrauen austragen?
Frauen zwischen 30 und 40 sollen ihre Lebenszeit für ihre Karriere einsetzen, heißt es, oder diese zehn Jahre einfach genießen, ohne Vereinbarkeitsproblem oder Suche nach dem wie auch immer richtigen Partner. Ich bin eine Frau zwischen 50 und 60, und ich erinnere mich - trotz Pillen-Zeitalter - nur zu gut an die mich jeden Monat überfallenden Ängste. In meiner Generation gab es nicht diese wie irre umgetriebenen Frauen, die Ausschau hielten nach einem verantwortungsbereiten „Befruchter“, denn am politischen Firmament standen andere Aufgaben als der „Kinderwunsch“. Wir hatten das Glück, in eine Zeit hineingeboren zu sein, die uns Raum ließ für politische Irrungen und Wirrungen, für berufliche und private Umwege. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die heute kinderlosen Frauen allesamt todunglücklich sind, wie uns eine wunschkindsüchtige und gleichzeitig kinderfeindliche Gesellschaft suggeriert.
Ulrike Baureithel arbeitet seit vielen Jahren zum Thema Reproduktionsmedizin und als freie Journalistin in Berlin.
Fußnoten:
(1) Zitiert ist hier Christian Schlüter: Eisige Planung, Berliner Zeitung, 19.10.14.
(2) Vgl. Emnid-Umfrage im Oktober 2014, in: Die Zeit 22.10.14.
(3) Vgl. Heide Oestreich: Völlig irre und abwegig, taz, 17.10.14.
(4) So Hannah Wilhelm: In den schwierigsten Jahren, SZ, 16.10.14 beziehungsweise Ines Pohl, Chefredakteurin der taz: Ein Akt der Selbstbestimmung, taz, 17.10.14.
(5) Siehe Fußnote 1.
(6) So Sarah Diehl in: Die Angst vor der kühlen Weiblichkeit, jungle world, 06.11.14.
(7) Vgl. Torsten Harmsen: Über das Verschwinden der Großeltern, Berliner Zeitung, 20.11.14.
(8) Martina Lenzen-Schulte: Der Fetisch mit den Frischzellen, FAZ, 7.11.14.
(9) Sarah Diehl: Natürliches Gebären ist auch nicht so toll, Berliner Zeitung, 26.10.14.
(10) Vgl. Kathrin Braun: Im Gefrierschrank, SZ, 28.10.14.