Von Shalini Bhutani, Manju Menon und Kanchi Kohli. Übersetzung: Anne Bundschuh
Am 27. Februar 2014 veröffentlichte die indische Biotech-Lobbyorganisation Association of Biotechnology Led Enterprises-Agriculture Group (ABLE-AG) eine Pressemitteilung. Darin dankte sie dem damaligen Minister für Umwelt und Forsten, Veerappa Moily, für die Genehmigung von Freisetzungsversuchen mit mehr als 200 gentechnisch veränderten Reis-, Weizen-, Maiz-, Rizinus- und Baumwollsorten. Diese Pflanzen haben eine zentrale Bedeutung für die indische Nahrungsversorgung und als Exportgüter.
Mehr Infos: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/225
Die diesjährige Parlamentswahl brachte einen Politikwechsel in Indien. Das Schicksal der vorherigen UPA-Regierung (United Progressive Alliance) ist damit besiegelt. Für die Gemeinden, die bereits heute die ökologischen und sozialen Folgen der in der letzten Legislaturperiode getroffenen Umweltentscheidungen spüren, lohnt sich dennoch eine Diskussion darüber, was gute Entscheidungsfindung ausmacht. Die kompromittierende Art und Weise, in der Freisetzungsversuche für gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen genehmigt worden sind, eignet sich hierfür in besonderer Weise.
Im März 2013 hatte das Genetic Engineering Appraisal Committee (GEAC, siehe Kasten) empfohlen, Freisetzungsversuche von großen Biotechnologie-Firmen wie Bayer Bioscience, Mahyco und BASF India zu genehmigen. Dennoch weigerte sich die damalige Ministerin für Umwelt und Forsten, Jayanthi Natarajan, die Zulassung zu unterschreiben. Sie hielt daran fest, dass dies nicht im besten Interesse von Landwirten und Konsumenten sei. Denn erstens bestehe unter landwirtschaftlichen ExpertInnen kein Konsens hinsichtlich den Vorteilen von gv-Pflanzen. Zweitens verwies sie auf die laufenden Verhandlungen vor dem Obersten Gerichtshof, bei denen ein Moratorium auf die Freisetzung von GVO zur Debatte steht. Und drittens gebe es weniger riskante und besser untersuchte Mehoden, um die landwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen.(1) So einleuchtend diese Gründe klingen mögen - die ABLE-AG sah im Verhalten der Ministerin eine „Verzögerung“, eine „Belastung für unsere Nation“ sowie „eine zu negative Haltung“ gegenüber gv-Pflanzen. ABLE teilte dem Ministerium mit, dass die Industrie aufgrund der Angst vor gv-Pflanzen Verluste erlitten habe.(2)
Auseinandersetzungen um GVO
Der Oberste Gerichtshof verhandelt seit mittlerweile über zehn Jahren einen Fall, der auf großes öffentliches Interesse stößt. Darin stehen Aruna Rodrigues und andere der Regierung von Indien und anderen gegenüber. Die InitiatorInnen des Verfahrens fordern ein Moratorium auf die Freisetzung von jeglichen GVO in die Umwelt, bis eine Gentechnikgesetzgebung eingeführt ist, die eine umfassende und transparente Biosicherheitsprüfung für gv-Pflanzen vorschreibt, die von Experten in unabhängigen Institutionen durchgeführt und dessen Ergebnisse öffentlich zugänglich sind.(3)
Im Juli 2013 veröffentlichte das vom Obersten Gerichtshof ernannte Technical Expert Committee (TEC) seinen Schlussbericht in dieser Sache. Fünf von sechs Mitgliedern des Kommittees sprachen sich für ein Moratorium auf gv-Pflanzen für die Verwendung als Nahrungsmittel aus, bis ihre Sicherheit festgestellt ist. Dieser Bericht war es, der Jayanthi Natarajan dazu veranlasste, die Freisetzungsversuche „aufzuhalten“. In einem Brief an den Premierminister vom 9. Juli 2013 beantragte sie die Befugnis für ihr Ministerium, eine unabhängige Entscheidung in dieser Sache zu fällen.(4)
Zwischen Juli und November 2013 hatte die Regierung die Möglichkeit, dem Gericht in einer offiziellen Erklärung ihre Sichtweise der Dinge darzulegen. Hier wurden die großen Differenzen zwischen dem Umwelt- und dem Landwirtschaftsministerium offensichtlich. Der damalige Landwirtschaftsminister Sharad Pawar vertrat während seiner ganzen Amtszeit von 2009 bis 2014 eine gentechnikfreundliche Position. Sein Ministerium entwarf eine Erklärung, ergänzt mit den Kommentaren der Abteilung für Biotechnologie, und schickte sie an das Umweltministerium mit der Bitte um Kommentierung.
Natarajan machte folgende klare Aktennotiz:
„Ich widerspreche den Behauptungen, die im Entwurf des Landwirtschaftsministeriums gemacht werden. Das Umweltministerium ist ein regulatives Ministerium, und hier besteht ein klarer Interessenkonflikt. Zudem hat das Umweltministerium Strafprozesse gegen die wichtigsten Unternehmen eingeleitet, die Freisetzungsversuche durchführen. Aus diesem Grund können wir keine gemeinsame Erklärung mit dem Landwirtschaftsministerium abgeben.“(5)
Bereits zuvor hatte sie dem Premierminister ihren Standpunkt erläutert. Die Sache sollte im November und Dezember 2013 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden, und es war klar, dass das Umweltministerium für die verspätete Abgabe der Erklärung verantwortlich gemacht werden würde.
Bei einem Treffen der Staatssekretäre aller Ministerien im November 2013, das der Premierminister leitete, wurde die Entscheidung getroffen, dass die Regierung nicht mehrere, sondern nur eine gemeinsame Erklärung mit einer „harmonisierten Position“ herausgeben würde. Das Landwirtschaftsministerium bekam den Auftrag, die Erklärung umzuformulieren und die Kommentare des Umweltministeriums zu berücksichtigen. Ranjini Warrier, Direktorin im Umweltministerium, notierte am 22. November, dass der Bürodirektor des Premierministers sie nach dem Stand der Zustimmung zur Erklärung gefragt habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Premierminister die Angelegenheit in die Hand genommen.
Natarajans Aktennotiz vom 11. Dezember:
„Das Umweltministerium ist eine regulative Institution und sein Mandat verlangt Distanz und Unvoreingenommenheit in solchen Entscheidungen. Das Landwirtschaftsministerium hingegen hat die klare Aufgabe, produktive Landwirtschaft zu fördern.“
Natarajan weigerte sich, der Erklärung zuzustimmen. Innerhalb von zehn Tagen wurde sie von Veerappa Moily als Minister abgelöst.(6)
Nach seiner plötzlichen Ernennung kümmerte sich Moily um zwei schnelle GEAC-Treffen, um die Genehmigung mehrerer Freisetzungsversuche von gv-Pflanzen sowie um die Neubewertung von zwölf Anträgen, die das GEAC bereits abgeschlossen hatte. Insgesamt wurden 30 Freisetzungsversuche für Reis, Aubergine, Mais und sogar Baumwolle genehmigt. Diese Treffen fanden am 21. und 24. März 2014 statt, als das ganze Land vom Wahlkampffieber ergriffen war. Voraussetzung für die Entscheidungen, die auf diesen Treffen gefällt wurden, war die Auffassung des GEAC, dass der Oberste Gerichtshof noch kein Verbot oder Einschränkungen für Freisetzungsversuche erlassen hat. Das GEAC war sich zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass die nächste Anhörung des Obersten Gerichtshofs für den 14. April anberaumt war.
Im April veröffentlichte die Regierung ihre Erklärung zu dieser Angelegenheit mit einem Umfang von nahezu 300 Seiten.(7) Im Verlauf dieses sich über Jahre hinziehenden Prozesses war dies erst das zweite Mal, dass die Regierungserklärung vom Landwirtschaftsministerium veröffentlicht wurde. Bis dahin waren die Fragen des Gerichts alle vom Umweltministerium beantwortet worden. Die Erklärung plädierte nun dafür, Freisetzungsversuche zu erlauben. Sie legte dar, dass die Berichte des TEC die „Notwendigkeit von Freisetzungsversuchen akzeptiert“ hatten. Das ist jedoch nicht korrekt, denn eine Mehrheit der TEC-Mitglieder war der Ansicht, dass Feisetzungsversuche erst unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt werden dürften. Dazu gehörten unter anderem die Durchführung rechtlicher Veränderungen, das Beilegen von Interessenkonflikten sowie die Etablierung eines neuen Biosicherheits-Regimes.
Der Oberste Gerichtshof will die Verhandlungen nach der Sommerpause im Juli 2014 fortsetzen.
Große Kluft in der Regulierung von Umweltfragen
Das Beispiel der GVO-Zulassungen zeigt anschaulich, dass die Regulierung von Umweltfragen ein Produkt der Spannungen zwischen verschiedenen Ministerien und dem Premierminister sowie zwischen Regierungsentscheidungen und öffentlicher Meinung ist. Das Umweltministerium war schon immer mit den Forderungen nach raschen Genehmigungsverfahren von seiten anderer Ministerien konfrontiert, deren einziger Fokus die Produktion ist - sei es Landwirtschaft, Energie oder Tourismus. Das Ministerium wurde der „Verschleppung“ beschuldigt, einfach weil es das einzige Ministerium ist, das einer qualitativen Entscheidungsfindung in komplexen Angelegenheiten verpflichtet ist, bei denen es darum geht, welche Auswirkungen geplante Projekte auf die Bevölkerung und die Umwelt heute und in der Zukunft haben (werden). Schnelle Entscheidungen sind ganz sicher nicht unbedingt gute Entscheidungen.
Das Umweltministerium ist zwar Teil der Regierung, aber mit all seinen politischen Zwängen bewegt es sich doch in einem viel größeren Rahmen. Es ist das einzige Ministerium, das direkt mit Umweltgruppen, MenschenrechtsaktivistInnen, Basisbewegungen und internationalen Umweltschutz-Konventionen zusammenarbeitet. Es ist für Millionen von Familien verantwortlich, die durch Großprojekte umgesiedelt wurden, und für diejenigen, die von der Umweltverschmutzung durch die Industrie betroffen sind. Den Dialog mit all diesen Gruppen zu halten, ist beileibe keine einfache Aufgabe. Wenn die Regierung - insbesondere der Premierminister - das Ministerium jedoch ermutigen würde, diese Aufgaben furchtlos und unparteiisch zu erledigen, könnten alle Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes Projekt gut und gerecht zustande kommen.
Übersetzung: Anne Bundschuh
Shalini Bhutani ist Rechtswissenschaftlerin und politische Analystin im Bereich der Landwirtschaft. Manju Menon und Kanchi Kohli sind unabhängige Forscherinnen, die zu Fragen der Umweltregulierung arbeiten.
Der Artikel ist eine Teil-Übersetzung eines Textes, der in der indischen Wochenzeitschrift Economic and Political Weekly vom 21. Juni 2014 erschienen ist. Wir bedanken uns bei den Autorinnen für die Genehmigung zur Übersetzung und zum Abdruck.
Fußnoten:
(1) vgl. Sethi, N. (2013): „Jayanthi Natarajan Opposes Pawar’s Views on GM Crops, Wants Field Trials Put on Hold”, The Hindu, 3. August.
(2) vgl. Biospectrum (2013): „ABLE-AG Welcomes GEAC’s Move to Allow Field Trials of GM Crops“, online abrufbar unter www.kurzlink.de/gid225_n.
(3) Zum Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof Indiens siehe auch das Interview mit Suman Sahai „Ewige Grüne Revolution?“ im GID 217 oder unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/2538.
(4) siehe Fußnote 1.
(5) Originaldatei abrufbar unter www.indiagminfo.org bzw. www.kurzlink.de/gid225_o.
(6) Moily war bereits Minister für Petroleum und Erdgas und übernahm das Umweltministerium als zusätzliche Aufgabe.
(7) Die Erklärung wurde im Namen von Smriti Sharan, Direktorin im Landwirtschaftsministerium, verfasst, und von ihr am 1. April 2014 unterschrieben.