Wissenschaft und Gesellschaft müssen Verantwortung für die Gefahren übernehmen, die sich aus biosicherheitsrelevanten Forschungsprojekten ergeben. Dabei ist es mit technischen Lösungen nicht getan. GID-Redaktion
NEU ERSCHIENEN: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/225
Im September 2011 hat der niederländische Wissenschaftler Ron Fouchier auf einer Konferenz der Europäischen Wissenschaftlichen Influenza-Arbeitsgruppe in Malta einen Vortrag über die eigenen Forschungen mit dem Vogelgrippevirus H5N1 gehalten. H5N1 hatte Hunderttausende von gefiederten Zweibeinern getötet - insbesondere in Asien. Auf den Menschen wird das Virus nur selten übertragen. Findet die Infektion jedoch statt, dann verläuft sie in mehr als der Hälfte der Fälle tödlich. Menschen werden nicht von Menschen angesteckt, sondern von infizierten Vögeln.
Fouchiers Forschung zielte darauf herauszubekommen, was passieren müsste, damit das Virus auch von Mensch zu Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Zu diesem Zweck hat er in seinem Hochsicherheitslabor in Rotterdam - unter Verwendung verschiedener gentechnologischer und nicht gentechnologischer Methoden - Virenstämme hergestellt. Über diese schrieb das Magazin Scientific American nur wenige Tage nach der Konferenz in Malta, dass das tödliche H5N1-Virus zu einer leicht übertragbaren Grippe geworden sei.(1) Auf dem Internetportal des Fachmagazins Science schreibt Martin Enselink: „Das Virus ist ein H5N1-Stamm der Vogelgrippe (...), der nun leicht zwischen Frettchen [dem bevorzugten Versuchstier der Grippe-ForscherInnen] übertragen werden kann.“ Enselink zitiert Fouchier mit den Worten, seine Gruppe habe einen Virus hergestellt, der „wahrscheinlich zu den gefährlichsten Viren gehört, die hergestellt werden können“.(2) Parallel sorgte eine zweite Arbeitsgruppe mit relativ ähnlichen Forschungen für Aufsehen. Die Gruppe wurde von Yoshihiro Kawaoka geleitet.(3) Ein Beratungsgremium der US-Regierung, das National Science Advisory Board for Biosecurity, empfahl, bestimmte Details der beiden Untersuchungen nicht zu publizieren.(4)
In der Folge der Diskussionen und „angesichts der Komplexität der mit biosicherheitsrelevanter Forschung, ihrer Publikation und ihrer Förderung verbundenen rechtlichen, ethischen und wissenschaftpolitischen Fragen“ hat die Bundesregierung den Deutschen Ethikrat (DER) im Sommer 2012 beauftragt, eine Stellungnahme zum Thema „Biosicherheit und Forschungsfreiheit“ zu verfassen. In deren Fokus sollte die Frage stehen, ob „die in diesem Kontext geltenden rechtlichen Regelungen sowie die Verhaltenskodizes von Wissenschaft und Wirtschaft als normative Instrumente geeignet und ausreichend sind und ob sie eine hinreichende Grundlage für die Forschungsförderung darstellen“.(5) Inzwischen liegen fünf Empfehlungen des Ethikrates vor, die wir in Auszügen dokumentieren.
Im Interview mit dem GID veranschaulicht Silja Vöneky diese Empfehlungen des Ethikrates. Die Professorin für Völkerrecht und Rechtsethik an der Uni Freiburg im Breisgau leitete die für die Stellungnahme zuständige Arbeitsgruppe des Ethikrates. Vöneky betont, dass nicht-gesetzliche Regelungen allein nicht ausreichen: Ein Kodex für die Wissenschaft zum Beispiel sei „nur ein Regulierungselement“ und nicht ausreichend. Weitere - gesetzliche - Maßnahmen seien nötig: „Wegen der Bedeutung der Forschungsfreiheit“ könne „es nicht allein bei den Forschenden liegen,, die Grundsätze der Forschungsgrenzen zu formulieren“. dies müsse vielmehr „insbesondere durch das Parlament geschehen, damit die demokratische Legitimation dieser Regeln sichergestellt“ sei.
Petra Dickmann betrachtet die Thematik der Biosicherheit aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Eine besondere Herausforderung stellt nach Einschätzung von Dickmann der Wandel der Welt dar. Während man im Kalten Krieg relativ eindeutig Fronten der Auseinandersetzung habe zuordnen können und sich die Problematik der doppelten Verwendung - militärisch, wie zivil - (Dual Use) auf die Verwendung von Material beschränkt habe, sei dies aufgrund der Informationsbasis der Biomedizin gar nicht mehr möglich. Bedrohung entstehe in diesem Zusammenhang erst durch den Kontext und die Absicht, in dem beziehungsweise mit der dieses Wissen verwendet wird. Dickmann hat als Lösungsangebot Risikokommunikation im Gepäck, mit der ein langfristiger, verständnisbildender Diskurs innerhalb der Gesellschaft über die Möglichkeiten und Gefahren wissenschaftlichen Wissens geführt werden kann.
Sowohl Vöneky als auch Dickmann thematisieren die Frage der Resilienz von Gesellschaften - wenngleich auf sehr unterschiedliche Art. Während Vöneky verdeutlicht, dass der Ethikrat die Widerstandsfähigkeit in seiner Stellungnahme nicht zum Thema macht - und demgegenüber „mit Blick auf die Verantwortung der Wissenschaftler und die Schutzpflichten des Staates“ das Vorsorgeprinzip stark machen wolle, formuliert Dickmann das Ziel der von ihr betonten Risikokommunikation: Gesellschaften stärker und widerstandsfähiger - kurz: resilienter - zu machen.
Kathryn Nixdorff, emeritierte Mikrobiologie-Professorin an der Universität in Darmstadt, gibt einen kurzen Einblick in die internationalen Bemühungen, verlässliche Regelungen zur Biosecurity zu entwickeln. Nixdorff, die sich selbst seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich Biosecurity engagiert, hebt hervor, dass sich gerade auch zivilgesellschaftliche Gruppen aktiv eingebracht haben, zum Beispiel bei der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien. Gleichzeitig berichtet sie vom Stillstand der Prozesse unter dem Dach der Biowaffen-Konvention.
Wenige Monate nachdem die Versuche von Fouchier bekannt geworden waren, hatte sich das Gen-ethische Netzwerk gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Testbiotech an die Bundesregierung gewandt, um deren Einschätzung der Situation zu erfahren, eigene Forderungen ins Spiel zu bringen und eine öffentliche Diskussion anzuregen. Insgesamt kommt GeN-Mitarbeiter Christof Potthof zu dem Schluss, dass die Empfehlungen des Ethikrates gar nicht so weit von den Forderungen der beiden Organisationen entfernt liegen.
Potthof gibt in einem weiteren Beitrag einen Einblick in aktuelle Aspekte der Diskussion über sogenannte Gain-of-Function-Experimente. Die Experimente von Fouchier und Kawaoka gehören in diese Kategorie. In den Versuchen werden Erreger im Labor absichtlich gefährlicher gemacht. Nicht zuletzt wegen der Debatte um die Forschungen von Fouchier und Kawaoka stehen Gain-of Function-Versuche derzeit im Zentrum der Biosecurity-Debatte. Hinzu kommt, dass in den letzten Monaten in mehreren US-amerikanischen Biosicherheitslabors zum Teil sehr bedenkliche Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind.(6) Potthof gibt einen Einblick in die wissenschaftsinterne Diskussion und zeigt auf, dass es hier auch um die Frage geht, wie weitgehend sich Wissenschaft als ein Teil der Gesellschaft versteht. „Die Antwort darauf könnte zur Folge haben, dass in zukünftigen Diskussionen eine größere Anzahl wie auch unterschiedlichere Stimmen zu Wort kommen - und auch gehört werden.“
Fußnoten:
(1) „H5N1 became as easily transmissible as the seasonal flu“, in: „What will the Next Influenza Pandemic Look Like?“ von Katherine Harmon. Im Netz unter: www.scientificamerican.com/article/next-influenza-pandemic, (19.09.11).
(2) „The virus is an H5N1 avian influenza strain that has been genetically altered and is now easily transmissible between ferrets“ beziehungsweise „his team created what he says is ‚probably one of the most dangerous viruses you can make‘“, in „Scientists Brace for a Media Storm Around Controversial Lu Studies“ von Martin Enselink. Im Netz unter http://news.sciencemag.org.
(3) Schlussendlich veröffentlicht als: Imai, M. et al. (2012): „Experimental adaption of an influenza H5 HA confers respiratory droplet transmission to a reassortant H5 HA/H1N1 virus in ferrets“. Nature Band 486, Seiten 420 - 428. Die Forschungsarbeit von Fouchiers Arbeitsgruppe ist im Juni 2012 im Fachblatt Science (Band 336, S. 1.534 - 1.541) erschienen. Herfst, S. et al.: „Airborne Transmission of Influenza A/H5N1 Virus Between Ferrets“.
(4) Für umfangreiche Dokumentationen siehe insbesodere auf den Internetseiten der Fachmagazine Science (www.sciencemag.org) und Nature (www.nature.com) und auf den Seiten des Gen-ethischen Netzwerkes unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/2235#news.
(5) Stellungnahme Deutscher Ethikrat „Biosicherheit - Freiheit und Verantwortung“, S. 11. Vorgestellt im Mai 2014. Im Netz kostenfrei zum Herunterladen unter www.ethikrat.org.
(6) Siehe „Laborrisiken in den USA” unter Kurz notiert auf S. 38 in GID225.