Montagsdemo

„Montagsdemo“ – dieser Topos der neueren deutschen Geschichte erfährt immer mal wieder einen Bedeutungszuwachs: Wurden ursprünglich nur die letztlich zum Sturz des SED-Regimes führenden Proteste der DDR-Bürger, vornehmlich in Leipzig, so bezeichnet, fanden sich im Sommer 2004 wieder montags empörte Menschen zusammen, um gegen die aus ihrer Sicht unsoziale Hartz-IV-Gesetzgebung zu demonstrieren. Diese Proteste halten an, werden aber seit ein paar Wochen überlagert von einer etwas anderen Kampagne, auch unter dem Label „Neue Montagsdemo“ oder „Friedensbewegung 2.0“ respektive „Neue Friedensbewegung“ bekannt. Und das sehr zum Leidwesen der gegen Hartz IV Protestierenden; jedenfalls grenzen sie sich massiv gegen ihre neuen „Mitstreiter“ ab – und das wohl zu recht! Denn wer bevölkert die Plätze zu diesen Versammlungen? Es sind neben gewöhnlichen Politikinteressierten Medien- und Systemkritiker, verschiedenste Verschwörungstheoretiker, Rechte, jedenfalls Populisten, die gegen das „Medienkartell“, gegen die Politik von Bundesregierung, EU, USA und Nato sowie gegen das Finanzkapital mobil machen. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die einschlägigen Webseiten besucht. Irgendwo im Netz fand ich auch „pseudolinke Tea Party“. Schon das Motto „Für Frieden in Europa, auf der Welt, für eine ehrliche Presse und gegen die Politik der FED“, unter dem ein gewisser Lars Mährholz Mitte März bei der Berliner Polizei diese Kundgebungen am Brandenburger Tor anmeldete, irritierte offenbar nicht Wenige, wie besagte Webeinträge zeigen. FED? Äh? Ich hätte eine Flasche besten Champagners darauf gewettet, dass nicht einmal zwanzig Prozent der Versammelten wussten, worum es sich dabei handelt. Ein anderer Protagonist, Ken Jebsen, argumentiert da schon volksnäher, wenn er behauptet, dass die Anschläge vom 11. September durch die US-Regierung selbst organisiert wurden. Mährholz erläutert auf seiner Webseite, die Krise in der Ukraine und die Berichterstattung in den Medien habe ihn zum Handeln veranlasst; aber auch das Zinssystem: Die FED sei „das Krebsgeschwür des Planeten“, sie sei verantwortlich für die Kriege der letzten 100 Jahre; der Zweite Weltkrieg wäre nach dieser Lesart nicht von Hitlerdeutschland, sondern von den USA ausgegangen. Er plädiert dann für das „Freigeld“ des Sozialdarwinisten Silvio Gesell – wohl auch etwas zu esoterisch für eine breitere Volksbewegung… Wie die oben erwähnten Hartz IV-Protestler meinen, „(ziehen) die Anmelder, Organisatoren und die Hauptredner der sog. Friedens-Mahnwachen keinen ernst gemeinten Trennungsstrich zu ultrarechten, faschistoiden und faschistischen Kräften und fungieren damit als Türöffner für diese“. Das ist nicht ganz falsch – zum Beispiel lädt Mährholz NPD-Leute zu den Kundgebungen ein, sie sollten zwar nicht als Mitglieder ihrer Partei, aber als Menschen (!) kommen und sich unter die Teilnehmer mischen. Auch der alte Neonazi- und Reichsbürger-Mythos wird bedient, wonach die Bundesrepublik gar kein Staat, sondern nur eine GmbH sei und das Deutsche Reich noch existiere; natürlich in den Grenzen von 1937, wenn nicht denen des Kaiserreiches! Den Zuhörern wird suggeriert, dunkle aus- und inländische Mächte und das Finanzkapital zögen im Hintergrund die Fäden. Es wird zwar nicht explizit gesagt, aber gemeint sind die Juden; fehlt nur noch der Hinweis auf „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital. Wenn auf den Versammlungen Kritiker die Medienberichterstattung – vielleicht in Teilen durchaus berechtigt – missbilligen, so führen diese Kritiker sich selbst nachträglich dadurch ad absurdum, dass sie die kritisierten Medien, wie heute offenbar üblich, mit einem shitstorm überschütten, mit wüsten Beschimpfungen und Hasstiraden belegen. Viele dieser „Kommentare“ haben auch noch einen identischen Wortlaut, wurden aber von unterschiedlichen Internetseiten gepostet – als ob jemand vorgefertigte Textbausteine ausgegeben hätte. Wenn „die Schaffung eigener, unabhängiger Medien im Internet“ – auch das eine Forderung der Protestler um Mährholz – diese Gestalt annimmt, dann kommen wir nicht nur vom Regen in die Traufe, sondern noch tiefer! Auf den Demonstrationen wird häufig die neu-rechte Postille „Compact“ verteilt – nach Selbstauskunft attackiert sie den „Totalitarismus der neuen Weltordnung“, ist gegen Schwulenrechte, Einwanderer und, aktuell, „Nato-Marionetten“. Ihr Chefredakteur Jürgen Elsässer ist ebenfalls ein Protagonist der „Neuen Friedensbewegung“; Originalton: „Die Monopolmedien sind im Krieg gegen die Friedensbewegung. Sie sind mit uns im Krieg der Worte und der Bilder, weil sie den Krieg der Bomben und Granaten vorbereiten sollen – gegen Russland. Dafür muss die Friedensbewegung zerschossen werden. Das beweist aber auch ihre Panik. Sie wissen, da wächst etwas, was ihren Weltkriegsplänen gefährlich werden kann“. Ich denke, bei aller möglichen Kritik sind die deutschen „Monopolmedien“ doch etwas überschätzt, wenn ihnen „Weltkriegspläne“ zugetraut werden.

PS: In den USA, in North Carolina, gibt es seit April 2013 einen „Moral Monday“. Auch diese Protestversammlungen sind als Reaktionen auf verschiedene antisoziale Gesetze der dortigen republikanischen Regierung eine Volksbewegung für soziale Gerechtigkeit. Offenbar übt der Montag eine spezifische Magie aus, Proteste zu äußern.