Ich war zu einer illusteren Runde geladen; bekannte Schriftsteller, Künstler waren dabei. Muntere Gespräche hin und her; manchmal über den small talk nicht hinauskommend. Mit einem Gast kam ich ins Gespräch. Wie ich einmal DDR-Bürger, Historiker – ein gebildeter und informierter Zeitgenosse. Da es die Zeit kurz vor der „Wiederholungswahl“ in Berlin war, drehte sich das Gespräch auch um diesen Urnengang. Mein Gesprächspartner war kein Freund der Grünen und hoffte auf deren Abwahl, zu der es ja auch kam. „Dann wird hoffentlich Schluss sein mit dieser desaströsen Verkehrspolitik, die mich als Autofahrer gängelt und versucht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden […] desgleichen verstehe ich nicht das beständige Insistieren auf Tempolimits; Autofahrer fahren doch der Verkehrslage angemessen“ – so seine Argumentation. Ich erwiderte, dass ich diese Politik der Grünen in Detail nicht verteidigen wolle, es jedoch hohe Zeit sei, gerade im Verkehrssektor als einem maßgeblichen Verursacher von Umweltschäden zu deutlichen Veränderungen, ja Einschnitten zugunsten von Mensch und ebendieser Umwelt zu kommen. Ich konnte nicht durchdringen gegen das Bild von den Grünen als den Eiferern, die bedrohen, was Deutschen heilig ist: Auto, Heim und Fernurlaub.
Abstrahiere ich vom konkret Gesagten, bleibt: Sind die Grünen aus dem politischen Geschäft, kann wieder „Normalität“ einkehren; Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen können zurückgenommen werden. Ähnlich argumentiert Andreas Rödder, vor Kurzem noch Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission: „ zumal gerade die kulturelle Hegemonie der Grünen zu Ende geht. Die Union muss […] über die Pannen der Ampel hinausgehen. Sie muss ein positives Selbstbild verkörpern und Vertrauen schaffen, dass sie Deutschland mit einer Politik, die Chancen eröffnet, Kräfte entfesselt und Wohlstand mehrt, in eine gute Zukunft führen kann. Sie muss auf die schöpferischen Kräfte von individueller Freiheit und Selbstvertrauen, Ordnungspolitik und Wettbewerb setzen statt auf Verzicht und allgegenwärtige staatliche Regulierung“.
Hintergrund der Rödderschen Äußerung ist die Ankündigung des CDU-Wahlgewinners in Hessen, Boris Rhein, eine Koalition mit der geschwächten SPD einzugehen, anstatt die bewährte Zusammenarbeit mit den Grünen fortzusetzen. Es sei das „eine Absage an Schwarz-Grün und an eine CDU, die sich selbst als die etwas softere Variante der Grünen versteht“. Sic!
Die Grünen seien also „kulturell“ out und „Wohlstand mehren, schöpferische Kräfte entfesseln, individuelle Freiheit und Selbstvertrauen, Ordnungspolitik und Wettbewerb“ wären all in. Diese Kalendersprüche einer kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft hätten in ihrer konservativ-biederen Art so schon zu Adenauers Zeiten verkündet werden können – weder Klima, Umwelt oder auch EU kommen vor. Rödder verkennt völlig, dass die heutige Welt, Europa und auch Deutschland von Verwerfungen, Krisen und Zumutungen in einer Art bedrängt werden, denen nicht mehr mit den Hausmittelchen von anno dazumal beizukommen ist.
Das Bundesverfassungsgericht gab vor vier Wochen einer Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion statt und verwarf die Änderung des Bundeshaushalts 2021 durch die neue Ampelregierung – die zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachten Mittel von 60 Milliarden Euro hätten nicht dem Klima- und Transformationsfonds zugeschlagen werden dürfen. Die Folge: Es klafft ein zweistelliges Milliarden-Euro-Loch im Bundeshaushalt. Woher soll nun das Geld für den Klimaschutz und für die Milliardensubventionen der Wirtschaft, die auch indirekt häufig den Klimaschutzzielen dienten, kommen? Diese Frage führt – wie laufende Debatten zeigen – zu enormen Konflikten zwischen den häufig zerstrittenen Koalitionspartnern und auch darüber hinaus. Klar ist bisher, dass der Bundestag für den Nachtragshaushalt 2023 eine „Notlage“ beschließen solle. Was den ordnungsgemäßen Haushalt 2024 angeht, hat sich die Ampel auf „die politische Einigung zum Bundeshaushalt 2024“ verständigt. Die Haushaltslücke sei jetzt geschlossen mit einem ganzen Bündel von Kürzungsmaßnahmen, die an der ein oder anderen Stelle durchaus weh tun werden. Näheres steht zum Redaktionsschluss noch aus. Der Zusammenhalt ist gelungen – Fortschritt und Zukunftsfähigkeit bleibt die Koalition dem Lande schuldig.
Ebenso bemerkenswert wie die Verteilungskämpfe innerhalb der Ampel waren allerdings die scharf an Schadenfreude grenzenden Reaktionen der Union, die sich in der Rolle der triumphierenden Klägerin etwas zu sehr gefällt: „Die Union lässt nach der Klatsche aus Karlsruhe für die Ampel nicht locker“ so das politische Feuilleton; „Fraktionschef Friedrich Merz und seine Leute wollen nicht zulassen, dass die Koalition so tut, als könne man business as usual machen“. Und Merz selbst frohlockte: „Diese Entscheidung entzieht der Bundesregierung die haushaltspolitische Grundlage. Das ist das Ende aller Schattenhaushalte“. Da hat er wohl die Rechnung ohne einige CDU-Ministerpräsidenten gemacht, die desgleichen derartige Haushalte in ihren Ländern verantworten.
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag, Helge Braun, CDU, erklärte in einem Gespräch auf Phoenix kurz nach dem Karlsruher Urteil allen Ernstes, dass der Wegfall von 60 Milliarden für den gegenwärtigen Klimaschutz völlig in Ordnung sei, weil die kommende Generation mehr Geld für die dann notwendigen Anpassung an die Klimakrise hätte: „Also ich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade momentan bei solchen geopolitischen Risiken und dem Klimawandel durchaus davon ausgehen müssen, dass auch die nächste Generation enorme Aufgaben haben wird. Wir mildern den Klimawandel ab, so gut wir können. Aber die Anpassung an den Klimawandel, da wird die nächste Generation finanziell enorm belastet sein. Und deshalb kann man doch nicht ernsthaft darüber reden, dass wir heute so viele Schulden machen“. Darauf muss man erst einmal kommen: Kommende Generationen hätten wenigstens – ob genug? – Geld, um die dann wesentlich größeren Probleme zu lösen, die dadurch entstehen, dass wir hier und jetzt kein Geld ausgeben wollen, um die jetzt noch geringeren Probleme zu lösen. Kommt einem das nicht bekannt vor? Die Schwarze Null läßt grüßen! Michael Kruse von der FDP, die sich ja gern und häufig als Opposition in der Ampelregierung geriert, schwärmte nach der Karlsruher Entscheidung von der „Stärkung der Schuldenbremse“. Zu deren Hochzeit wurde gespart, bis „es quietscht“; es quietschte laut, sehr laut und an den Folgen tragen wir bis heute: Über Jahre unterfinanzierte Infrastrukturen, fehlende Digitalisierung und und und … Die Reparatur der damaligen Unterlassungen kostet uns heute ein Mehrfaches des damals „Gesparten“.
Sich mehr über die Stärkung der Schwarzen Null zu freuen als über die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen wirke so, „als würde man einen Royal Flush auf der sinkenden Titanic für einen Erfolg halten“ – so in einer anderen Kolumne. Es wird immer offensichtlicher, dass an der Schuldenbremse etwas nicht stimmt – wenn die Regierung sich in düstersten Zeiten genötigt sieht, zu tricksen, um Geld zur Abwehr von Krisen zu mobilisieren, was anderenfalls für Staat und künftige Generationen sehr viel teurer würde. Es ist mehr als schwer zu verstehen, was mit der Verhinderung von Klimaschutzmaßnahmen zugunsten der Verteidigung dieser fiskalen Monstranz gewonnen sein sollte: „Derzeit ist die Schuldenbremse die wirklichkeitsfremdeste Trophäe eines Spiels, bei dem alle nur verlieren können“. Will namentlich die „geläuterte“ Union das Spiel noch einmal spielen? Die Frage ist: Wo werden wir spielen? Das Spielfeld ist bis dahin möglicherweise abgebrannt.
Robert Habecks Pläne des ökologischen Umbaus der Wirtschaft sind keine „grünen Sonderwünsche“. Scheiterten diese Pläne, läge die Klimapolitik der Ampelregierung in Trümmern und Deutschlands Wirtschaftsmodell wäre in Gefahr; andere Länder zögen vorbei. Wenn die Grünen darüber hinaus „kulturell“ strandeten, das heißt als politische Kraft ausfielen, so wie das Rödder diagnostiziert, wäre das ein Unheil: Die immense Herausforderung, unsere Ökonomie, bah unsere ganze Gesellschaft auf einen klimaneutralen Pfad weg von der „Karbonwirtschaft“ zu führen, bliebe bestehen, würde immer dringlicher; mit Grünen oder ohne sie. Und andere politische Kräfte stünden kaum zur Verfügung; leider. Dass grüne Politiker in Teilen – bisher – politisch unklug, ja dilettantisch vorgingen, stimmt auch, änderte aber nichts an diesem Zusammenhang.
Der Karlsruher Richterspruch mag „für das Verfassungsrecht ein guter Tag“ gewesen sein, so der Finanz- und Steuerrechtler Hanno Kube – für die Zukunft unseres Landes ist er wenigstens ein Pyrrhussieg. Wenn nicht mehr …