Eine unfassbare Geschichte

Die antirassistische Ausstellung einer Roma-Aktivistin in Linz hat ungeahnte Konsequenzen – für die Aktivistin

Rassisten sind Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen? Diesen Eindruck kann man in der Tat gewinnen, wenn man auf die Ereignisse blickt, die sich Mitte April 2013 in der österreichischen Stadt Linz zugetragen haben. Dort hatte die antirassistische Ausstellung einer Roma-Aktivistin ungeahnte Konsequenzen – für die Aktivistin.

 

14. April 2013, 13:30 Uhr: An einem Baustellenzaun am Hofberg 10 in Linz sind 30 Plakate der Wiener Künstlerin, Filme­macherin und Roma-Aktivistin Marika Schmiedt zu sehen – verstörende Collagen über die aktuelle Diskriminierung der Roma in ganz Europa.

Auf einem Plakat krümmt sich ein Mensch über einem Hakenkreuz, eingerahmt von der Euro­paflagge.

Ein zweites Plakat zeigt eine Ikea-Fassade und das Verkehrsschild „No Gypsy“. Es bezieht sich auf einen Vorfall, der sich im Sommer 2012 vor einer englischen Ikea-Filiale ereignete, bei dem ein Besucher von einem Security-Mitarbeiter gefragt wurde, ob er Roma sei, und wenn ja, dann dürfe er hier mit seinem Wohnwagen nicht parken.

Auf einem weiteren Plakat kombiniert Schmiedt einen Aufruf zum „Schutz der Magyaren“ mit der berüchtigten Toraufschrift „Arbeit macht frei“ des KZ Sachsenhausen. Sie spielt damit auf die neofaschistische ungarische Partei Jobbik an, deren Hauptthema im aktuellen Wahlkampf neben der Bekämpfung der  so genannten „Zigeu­nerkriminalität“ auch der „Schutz der Magyaren“ (d.h. der Ungarn) ist. „Auch ‚Maßnahmen zur Geburtenkontrolle’ bei Romafrauen, um die ‚ausufernden demographischen Verschiebungen zum Nachteil des Magyarentums’ aufzuhalten, wurden bereits vorgeschlagen“, berichtet Marika Schmiedt hierzu in ihrem Blog.

Eine andere Collage zeigt den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban auf einer Salami mit der Aufschrift „Gypsy Cooked Salami“ und den In­haltsstoffen „Hungarian Ro­ma“ - offenbar ein besonderer Stein des Anstoßes.

Denn während die Künstlerin vor Ort noch die Anordnung der Plakate begutachtet, reißt plötzlich eine Stadtführerin der Austria Guides aufgebracht eines der Plakate herunter und beschuldigt Marika Schmiedt des Rassismus gegenüber Ungarn. Nur mit Mühe kann die Stadtführerin davon abgehalten werden, weitere Plakate zu zerstören. Als Schmiedt den Angriff per Handy dokumentieren will, schlägt ihr der erboste Begleiter der Stadtführerin sel­biges aus der Hand, und die Stadtführerin kündigt Schmiedt eine Anzeige wegen Volksver­hetzung bei der österreichi­schen Staatsanwaltschaft an.

Zwei Tage später sind alle Plakate verschwunden – entfernt von der Linzer Polizei. Auf telefonische Nachfrage erklärt ein Polizeibeamter zunächst, die Anzeige sei „vom Verfassungsschutz beurteilt worden, der entschieden hätte, es handle sich um rassistische Bilder, die entfernt werden müssten. Ein entsprechender Auftrag dazu sei ergangen, die Polizei sei deshalb aktiv geworden.“

 

Plakataktion als Programmteil des Altstadtfestes in Linz

Bei den politischen Fotocolla­gen am Bauzaun handelt es sich nicht um eine ungenehmigte Plakataktion. Marika Schmiedts Poster waren Teil einer Kunstveranstaltung  des Vereins „Altstadt Neu“, ihre Anbringung am Bauzaun von Bauherr und Baufirma genehmigt, die Ausstellung selbst wurde vom Lin­zer Kulturdirektor Dr. Stieber er­öffnet, in Anwesenheit des Lin­zer Bürgermeisters Dr. Dobusch und der Stadträtin Schobesber­ger.

Sie alle kennen und schätzen Marika Schmiedt als eine öster­reichische Romni, die sich seit fast 15 Jahren politisch und künstlerisch mit der Diskriminierung von Sinti und Roma in Europa auseinandersetzt. Mehrere Mitglieder ihrer Familie wa­ren im Dritten Reich in Konzen­trationslagern ermordet worden.

Die Auseinandersetzung mit dieser Familiengeschichte, die sie unter anderem in dem 2001 entstandenen Dokumentarfilm „Eine lästige Gesellschaft“ thematisierte, ließ sie erkennen, wie eng scheinbar längst ver­gangene Nazi-Rhetorik und -Symbolik mit heutigen Diffamierungen gegenüber Sinti und Roma verwoben ist. „Für mich ist es schrecklich und unerträglich, diese Parallelen zur NS-Vergangenheit zu sehen“, erklärte Schmiedt 2012 in einem Interview.

Genau mit diesen Mustern sprachlicher und auch visueller Manipulation setzt sich Ma­rika Schmiedt in ihren künstlerischen Äußerungen auseinan­der. Konfrontativ. Mit starken Bildern, deren Botschaft man in wenigen Sekunden erfasst, ob es einem gefällt oder nicht. Die Ungarn-Kritik auf den Plakaten der aktuellen – zerstörten – Ausstellung steht ganz in dieser Tradition. Auf ihnen werden aber weder alle Ungarinnen und Ungarn kritisiert, noch beschränkt sich die Ausstellung ausschließlich auf die Verhältnisse in Ungarn.

Der Kulturdirektor der Landeshauptstadt Linz, Dr. Stieber, der ebenfalls dazu aufgefordert wurde, die Plakate entfernen zu lassen, positioniert sich daher auch eindeutig: „Bei dem von Ihnen angesprochenen Projekt von Marika Schmiedt handelt es sich um eine satirische Auseinandersetzung mit dem Thema der Ausgrenzung von Roma und Sinti, die in einem demokratischen Staat erlaubt sein muss (...) Ich sehe in der Aktion von Frau Marika Schmiedt außerdem keine Diffamierung des gesamten ungarischen Volkes, sondern nur eine legitime kritische, wenn auch subjektive Auseinandersetzung mit einer bestimmten Art von Politik.“

Auch die Austria Guides distanzierten sich umgehend und ausdrücklich von ihrer Frem­denführerin und berichteten, ebenfalls seit geraumer Zeit „die größten Schwierigkeiten“ mit besagter Person zu haben.

 

Confrontage als Kunstform

„ARTBRUT“ nennt Marika Schmiedt ihre Kunst -  frei übersetzt etwa „unverbildete, rohe Kunst“. Mit dem Begriff „art brut“ bezeichnete der französische Maler Jean Dubuffet 1945 eine Kunst, die „von Phantasie und Tollheit beseelt ist und sich nicht in den alten Gleisen der katalogisierten Kunst bewegt“. Zu ihren Gestaltern zählten nach Dubuffet Außenseiter wie z.B. psychisch Kranke und Strafgefangene.

Dass Marika Schmiedt diesen Begriff für ihre Kunst verwendet, kann als Provokation verstanden werden, ordnet jedoch gleichzeitig ihre Werke klar ein: Sie will mit ihrer skandalträch­tigen Symbolik konfrontieren, sie will, dass die Menschen spontan unangenehm berührt sind und sich so – im besten Fall – unmittelbar, weil emotional berührt, mit den Aussagen der Künstlerin auseinanderset­zen. „Confrontage“ nennt sie ihre Collagen, die „das Schweigen durchbrechen und den Rassismus enthüllen“ sollen.

Nun könnte man argumentieren, der zerstörerische Umgang mit Marika Schmiedts Ausstellung sei nur eine konsequente Fortsetzung ihrer Confrontage durch diejenigen, die sich konfrontiert sehen – und somit der möglicherweise aussagekräf­tigste Teil der ganzen Plakataktion.

Könnte man, wenn nicht genau dieser Teil der Ereignisse in den offiziellen österreichischen Me­dien bislang weitgehend ignoriert würde. Wenn Marika Schmiedt nicht – unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – in rechtspopulistischen Blogs im In- und Ausland persönlich angegriffen und als Rassistin diffamiert würde. Wenn nicht Polizei und Staatsanwaltschaft – trotz Aufforderung – bis zum Redaktionsschluss für diese GWR über eine juristische Begründung für ihr Vorgehen schwiegen. Wenn nicht mit derselben – unbekannten – Begründung auch die Auslieferung des zugehörigen Ausstel­lungskatalogs gestoppt worden wäre.

Als das Wiener Stadtmagazin „Falter“ Anfang Mai noch ein­mal bei der Linzer Polizei nachfragt, mit welcher rechtlichen Grundlage die Polizei die Plakate entfernt habe, rudert man dort offenbar zurück und gibt an, es werde nun untersucht, wie es zu der Entscheidung kam.

 

Rechtliche Grundlage für die Plakatentfernung bleibt ein Rätsel

Bekannt ist bislang nur, dass offenbar besagte Stadtführerin die Rechtsanwältin Dr. Eva Ma­ria Barki beauftragte, Anzeige gegen – ja, gegen wen eigentlich? – zu erstatten. Dass sie diesbezüglich aktiv wurde, hat Barki selbst bestätigt. Doch kann man ein Plakat wegen Volksverhetzung anzeigen?

Eva Barki kann es offenbar.

Jedenfalls haben weder die Ver­anstalterinnen der Ausstellung, die Stadtwerkstatt Linz und die Galerie Hofkabinett, noch Ma­rika Schmiedt bis heute eine An­zeige erhalten, obwohl dies doch eine logische Konsequenz hätte sein müssen. Die Plakate dagegen wurden umgehend in Verwahrung genommen.

Rechtsanwältin Barki, die sich selbst als „beherzte und konstruktive Kämpferin für die Wahrheit, die Menschenrechte und besonders für die Fairness gegenüber Ungarn“ bezeichnet, lässt ihre wahre Gesinnung in einem öffentlichen Vortrag, den sie am 13. April 2011 in Wien hielt, auf bemerkenswerte Weise erkennen:

In diesen Vortrag, der bei You­tube in voller Länge zu sehen ist, kritisiert sie die angeblich zu lasche Haltung der EU zur Meinungsfreiheit, die angeblich laute: „Beleidigen darf man, man darf nur nicht diskriminieren“.

Dann fährt sie fort: „Wer die Praxis kennt, der weiß, was das heißt! Im Klartext: Diskriminiert werden die Guten, beleidigen darf man die Bösen. Wer sind die Guten, die man nicht diskriminieren darf? Das sind die Is­lamisten, das sind die Roma ... wenn man dagegen etwas sagt, dann ist das eine Diskriminierung, und das ist verboten.“ Nicht verboten sei es dagegen, Ungarn zu verhöhnen. Denn – so Barkis krude Argumentation – die Ungarn seien nach EU-Verständnis „die Bösen“ und könnten somit per definition nicht diskriminiert werden, d.h., rassistische Äußerungen gegenüber Ungarn seien demnach nicht strafverfolgbar. Und dagegen wehre sie sich.

Starker Tobak – und sehr aufschlussreich, denn exakt in diesen antiromaistischen und nationalistisch-ungarischen Kontext muss man auch die Motivation der Rechtsanwältin einordnen, gegen die Baustellenzaun-Ausstellung vorzugehen. Auf welchem Wege sie die Entfernung der Plakate durchsetzen konnte, ist allerdings bis heute nicht geklärt.

Dass der österreichische Verfassungsschutz tatsächlich involviert war, kann angezweifelt werden. Die Linzer Polizei stellt es so dar, sie hat allerdings auch behauptet, die Entsorgung der Plakate sei mit Marika Schmiedt abgesprochen gewesen – was diese sichtlich empört bestreitet.

Die Stadtwerkstatt Linz als Ver­anstalterin der Ausstellung hat jetzt selbst Anzeige erstattet, weil ihr durch die – mit ihr nicht abgesprochene – Entfernung der Plakate und deren Vernichtung durch die Polizei ein finanzieller Schaden entstanden sei. Außerdem bittet sie um eine schriftliche Stellungnahme, mit welcher rechtlichen Grundlage die Collagen durch die Polizei entfernt wurden. Die zerstörte Plakatausstellung hatte übri­gens den Titel: „Die Gedanken sind frei“.

 

Nachtrag

Am 8. Mai berichteten die Oberösterreichischen Nachrichten, die Polizei bedauere mittlerweile ihr Vorgehen. Auf Anfrage der APA (Austria Presse Agentur) ließ das Landespolizeikomman­do Oberösterreich mitteilen, ein Linzer Journalist habe sich an den Journaldienst des Landesamtes für Verfassungsschutz gewandt und den Verdacht geäußert, Schmiedts Collagen seien rassistisch und verhetzend.

Daraufhin hätten sich Polizeibeamte zum Ort der Ausstellung begeben und mit PassantInnen gesprochen, die durch die Plakate „sehr verstört“ gewesen seien.

Somit habe für die Polizei Linz eine „Güterabwägung“ vorgelegen. Und die sah so aus, dass sie die Empörung Einzelner über Schmiedts Plakate höher bewerteten als die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit der Künstlerin.

Die Beamten entfernten die Plakate und nahmen sie „in Verwahrung“, wie es in der Stellungnahme heißt.

Es sieht also momentan so aus, als hätte die Linzer Polizei eigenmächtig gehandelt, jedoch zunächst versucht, es so darzustellen, als sei die Aufforderung durch den österrei­chischen Verfassungsschutz erfolgt. Dieser hat also mitnich­ten festgestellt, dass Schmiedts Collagen rassistisch sind. Vielmehr scheinen Beamte der Lin­zer Polizei dies quasi spontan am Bauzaun entschieden und dementsprechend gehandelt zu haben.

 

Ulrike Löw

 

Link

Marikas Blog:  http://marikaschmiedt.wordpress.com/

 

Artikel aus Graswurzelrevolution Nr. 380, Sommer 2013, www.graswurzel.net