Betreuungsgeld

Ein bildungs- und gleichstellungspolitischer Rückschritt

Es kommt nicht oft vor, dass ein bildungs-, gleichstellungs- und arbeitsmarktpolitisches Thema die politische Öffentlichkeit so anhaltend bewegt wie das Betreuungsgeld. Parteipolitiker und auch einzelne Parteipolitikerinnen der Koalition aus CDU, CSU, FDP haben immer neue Ideen präsentiert, um das Betreuungsgeld in der Koalition zustimmungsfähig zu machen: Im Koalitionsausschuss verständigte man sich schließlich am 4.11.2012 auf Zusatzprämien, wenn das Geld in die private Altersvorsorge oder zum Bildungssparen investiert wird. Der Bildungsgedanke, den die FDP vor sich her getragen hat, läuft also auf die Förderung der Versicherungsbranche hinaus. Die Folgen des Betreuungsgelds für die frühkindliche Bildung analysiert Frauke Gützkow.

Die frühkindliche Bildung und der Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige standen noch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition 2005, der ja auch von einem CSU-Chef unterschrieben wurde, im Vordergrund. Die schwarz-gelbe Koalition hat 2009 folgenden Satz in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen: "Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro, ggf. als Gutschein eingeführt werden."

Die "Geschichte" des Betreuungsgeldes begann aber schon 2008 mit dem Kinderförderungsgesetz. Während Ursula von der Leyen das Thema Betreuungsgeld anscheinend aussitzen wollte, hat Christina Schröder sich nach einem Koalitionsgipfel im November 2011 daran gemacht, den Koalitionsvertrag umzusetzen.

Das Betreuungsgeldgesetz

Der "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz)" der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 12. Juni 2012 (BT-Drucksache 17/9917) richtet sich an Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und erst mit drei Jahren in einer Kita anmelden, die also bis dahin keine durch öffentliche Sach- und Personalkostenzuschüsse geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Vom 13. bis zum 36. Lebensmonat des Kindes sollen sie monatlich zunächst 100 und ab dem Jahr 2014 dann 150 Euro erhalten, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Erwerbstätigkeit auf einen bestimmten Umfang begrenzt wird.

Das Betreuungsgeld wird bei Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Kinderzuschlag in vollem Umfang als Einkommen angerechnet, sie werden erneut von einer Sozialleistung abgekoppelt. Der DGB geht deshalb davon aus, dass sich Arbeitslosengeld II- Empfänger/innen im Vergleich zu anderen Gruppen bei der Durchsetzung des Rechtsanspruches auf einen Krippenplatz schwerer tun werden. Indem das Betreuungsgeld als reine Bundesleistung durch die Verrechnung die Leistungen der Kommune beim Arbeitslosengeld II reduziert entsteht ein ökonomischer Anreiz für die Kommunen, die Bezieher/innen des Arbeitslosengeldes II zur Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes zu drängen bzw. die Krippenplätze erst einmal anderweitig zu vergeben.1

Begründet wird die Einführung des Betreuungsgeldes mit dem staatlichen Auftrag zur Familienförderung, wozu auch die Förderung aller Formen der Kinderbetreuung und die Gewährleistung der Wahlfreiheit für Eltern bei der Kleinkindbetreuung gehöre.

Der Begriff der Wahlfreiheit wird in der konservativen Frauen- und Familienpolitik häufig bemüht und ist meist mit Rollenzuweisungen verbunden. Frauen sollen sich z.B. frei entscheiden können, ob sie beruflich aktiv sein oder sich vorrangig um ihre Familie kümmern wollen. Frauen stellt sich jedoch selten die Frage des entweder - oder. Die vorgebliche Wahlfreiheit ist nicht gegeben, da die Infrastruktur zur Kinderbetreuung und Versorgung Pflegebedürftiger unzureichend ist. Die Arbeitskultur diskriminiert Eltern, insbesondere Mütter. Zusätzlich lassen Grundelemente des Steuerrechts wie das Ehegattensplitting oder Arbeitsmarktmaßnahmen wie Minijobs wenig Wahlfreiheit und setzen Fehlanreize. Auch mit dem Betreuungsgeld wird der Ausschluss von Frauen aus dem Arbeitsmarkt befördert. Die Botschaft lautet, dass Kleinkinder am besten zur Mutter gehören. Das Betreuungsgeld soll den unzureichenden Ausbau der außerhäuslichen Kinderbetreuung insbesondere für unter Dreijährige kompensieren. Der DGB nennt es eine bildungspolitische Rolle rückwärts und verweist auf den großen Mangel an Erzieherinnen und Erziehern, der die Erfüllung des Rechtsanspruches gefährde.2

Das Kinderförderungsgesetz

Die Abwertung der frühkindlichen Bildung durch das Betreuungsgeld ist ein zentraler Kritikpunkt. Unter diesem Gesichtspunkt ist es wichtig, sich das KiföG genauer anzusehen: Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr zum 1. August 2013 wurde mit dem "Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege" (Kinderförderungsgesetz - KiföG) vom 10. Dezember 2008 verankert. Mit dem Gesetz wird der quantitative Ausbau der Kindertagesbetreuung geregelt, die Verpflichtung, für Kinder im Alter von unter drei Jahren Plätze in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege einzurichten und stufenweise auszubauen. Zur Finanzierung des Ausbaus stellt der Bund Investitionsmittel zur Verfügung. Neben den Vorgaben zum Ausbau der Kinderbetreuung und den Finanzierungsmöglichkeiten enthält das Gesetz auch die Festlegung, dass Eltern, die keine öffentlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen, ab 2013 ein Betreuungsgeld enthalten sollen.

Mit dem KiföG verbindet sich nicht nur das Ziel, die Betreuungsmöglichkeiten für diese Kinder massiv auszubauen, sondern auch die Chance, früh in Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder zu investieren sowie die Möglichkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzubringen. Zu den Mängeln des KiföG gehört, dass der Rechtsanspruch sich nicht auf einen Ganztagsplatz bezieht. Die auf einen halben Tag beschränkte Betreuungsmöglichkeit in Kindertagesstätten erschwert es jedoch Eltern, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, eine berufliche Bildungsmaßnahme, eine Schulausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Mehr als eine stundenweise Beschäftigung am Vormittag für eines der beiden Elternteile ist somit nicht möglich. Das unzureichende Kita-Angebot ist nicht nur für ganztags-beschäftigte Eltern ein Problem, vor allem Alleinerziehenden und Erwerbslosen erschwert es den (Wieder)Einstieg in den Beruf.

Ganztagsplätze sind aber auch aus bildungspolitischer Sicht unverzichtbar - und zwar für alle Kinder, nicht nur für solche aus sogenannten bildungsfernen Familien oder solchen mit Migrationshintergrund. Wer Bildungsarmut bekämpfen will, muss soziale Barrieren im gesamten Bildungswesen abbauen. Das fängt im Kindesalter an. Der Rechtsanspruch muss daher uneingeschränkt auch für Kinder von arbeitslosen Eltern bestehen. Der Zugang zu frühkindlicher Bildung darf nicht vom sozialen Status der Eltern abhängen.

Als eigentümliche Kuriosität bezeichnete die GEW schon 2008 das Betreuungsgeld,3 als es mit dem KiföG.eingeführt wurde. Die Kuriosität liegt darin, dass Eltern finanziell entschädigt werden sollen, weil sie ihre Kinder nicht in eine Kindertagesstätte schicken. Diese Eltern sparen also nicht nur die Gebühren für den Kita-Platz, sondern sollen obendrein noch ein sogenanntes Betreuungsgeld bekommen. Damit wurde schon damals politisch dem Druck einiger weniger konservativer Politiker nachgegeben, die der Auffassung sind, dass der Staat mit Steuergeldern nicht nur institutionelle Erziehung und Bildung fördern solle. Auch Väter und Mütter sollen für ihre Erziehungsarbeit finanziell entlohnt werden. Die GEW warnte vor Nachahmereffekten in anderen Bereichen, etwa dem Schulwesen. Vom Betreuungsgeld zum "home-schooling" sei es argumentativ nur ein kurzer Weg. Die Erfahrungen mit dem Betreuungsgeld in Norwegen und in Thüringen zeigten deutlich, dass vor allem Eltern aus einkommensschwachen und sogenannten bildungsfernen Schichten ihre Kinder aus den Kitas nähmen.

Ein weiterer bildungspolitischer Kritikpunkt am KiföG ist die Gleichstellung der Tagespflege mit Tageseinrichtungen für Kinder. In allen Bundesländern gibt es für Tageseinrichtungen für Kinder Bildungsprogramme und -pläne. Darin ist detailliert beschrieben, was Kindertagesstätten leisten sollen. Besonderes Gewicht wird auf die Förderung der Sprachentwicklung in der deutschen, aber auch der Muttersprache gelegt, die Bereiche Naturwissenschaft, Technik, Medien sind durchweg von hochrangiger Bedeutung, die gemeinsame Erziehung, Bildung und Betreuung von behinderten und nicht behinderten Kindern ist eine weitere Anforderung - all das stellt die Tagespflege vor unlösbare Aufgaben. Beobachtung und Dokumentation als wichtige Methoden der Bildungsprozessbegleitung setzen nicht nur hohe Sensibilität und wissenschaftliche Kenntnisse voraus, sondern vor allem auch Reflexionsvermögen im Team: Eine Person allein sei mit der Aufgabe der individuellen Förderung dann überfordert, wenn sie keine unterstützenden und beratenden Kolleginnen habe.

Die frühkindliche Bildung

In der öffentlichen Diskussion wird mehr über die Anzahl der Betreuungsplätze und die sogenannte Wahlfreiheit bezüglich der Art der Betreuung diskutiert als über das, was frühkindliche Bildung ausmacht. Gute frühkindliche Bildung ist einer der entscheidenden Faktoren für mehr Chancengleichheit. In den ersten Jahren werden die Grundlagen für die zukünftigen Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern gelegt. Bildung ist von Geburt an ein aktiver Prozess. Für ihr Forschen und Entdecken brauchen Kleinkinder Anregungen und Interessantes, um die Welt zu begreifen und die eigenen Fähigkeiten auszubilden. Sie nehmen vom ersten Tag an Sinneseindrücke und Informationen aus ihrer Umwelt auf und verdichten sie zu Erfahrungsmustern und Lernprozessen. Kleine Kinder lernen durch körperlich-sinnliche Erfahrungen und das selbstbestimmte Spiel. Bildungsprozesse können immer und überall stattfinden und bedürfen der Frei- und Experimentierräume sowohl in formellen wie informellen Lernorten und -arrangements. Bildung und Entwicklung sind ein sozialer Prozess, in dem Eltern eine prägende Rolle spielen. Aber auch die pädagogischen Fachkräfte sind wichtige Bezugs- und Betreuungspersonen der Kinder. Es geht also nicht nur um den Ausbau des vielfältigen Systems der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen oder bei Tagespflegepersonen sondern auch um die Qualifizierung und Professionalisierung des pädagogischen Fachpersonals in der Elementarbildung. Eine pädagogisch qualifizierte Betreuung kann die Bildungschancen von Kindern erheblich verbessern und entscheidet maßgeblich über Entwicklungs- und Teilhabechancen.

Pädagogik und Entwicklungspsychologie betonen seit langem die Bedeutung von Bildungsprozessen in den frühen Jahren der kindlichen Entwicklung. Sie setzen sich - gestützt auf internationale Forschungen und Erfahrungen - für eine Bildungsreform für Kinder im vorschulischen Alter und für eine Modernisierung und Neugewichtung der Bedeutung von Bildung ein. Im Mittelpunkt steht die frühe, individuelle Förderung des kindlichen Lernens und die Notwendigkeit, die Fähigkeit zu kontinuierlichem und selbst organisiertem Lernen früh zu wecken. Die Möglichkeiten der Kindertageseinrichtungen zur Unterstützung früher Bildungsprozesse sollen dafür besser genutzt werden.

Wassilios Fthenakis entwickelt einen sozialkonstruktivistischen Bildungsansatz, der in Übereinstimmung mit internationalen Entwicklungen sowohl in den Grundlagendisziplinen (z.B. Entwicklungs- und Lernpsychologie) als auch in den Anwendungsdisziplinen (z.B. pädagogische Lernkonzepte, Instruktionspsychologie) entwickelt wurde. "Im Sozialkonstruktivismus wird das Kind als von Geburt an in soziale Beziehungen eingebettet betrachtet. Lernen und Wissenskonstruktion werden als interaktionaler und ko-konstruktiver Prozess aufgefasst."4 Die Interaktionsprozesse zwischen Kind und Erwachsenem stehen im Mittelpunkt dieses Bildungsansatzes. Entwicklungsprozesse können nicht von der sozialen Lebenswelt des Kindes getrennt werden. Auf den Kontext, auf entwicklungs- und kompetenzfördernde Interaktionen kommt es an für die Entwicklung des Kindes und das kindliche Lernen. Bildung ist ein sozialer Prozess, in dem sich Kinder zusammen mit anderen, Erwachsenen und Gleichaltrigen, Wissen erschließen, ihre Lernumwelt aktiv mitkonstruieren und der Welt Sinn verleihen. Die Rolle der Wissensvermittlung wird zugunsten des Erwerbs von Lernkompetenzen relativiert. Körpersprache, Emotionen u.ä. werden einbezogen, eine enge Verknüpfung zwischen Spiel und Lernen vorgenommen.

Mit den neuen Bildungsplänen der Bundesländer für Kitas wird zwar versucht, die wachsenden Erwartungen konstruktiv zu nutzen. Sie geben in einer großen Breite inhaltlicher und methodischer Elemente Empfehlungen für die Kita-Pädagogik, auch dafür, Entwicklung, Lernverhalten und Fortschritte der Kinder auf ihrem Bildungsweg zu beobachten und zu dokumentieren. Die GEW kritisiert jedoch, dass die Praxis mit der Umsetzung allein gelassen und die Rahmenbedingungen pädagogischer Arbeit nicht verbessert werden. Der Personalschlüssel wurde nicht verbessert und es fehlt nach wie vor Zeit für Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit.

Hier schließt sich der Kreis wieder: Während die Qualitätsanforderungen steigen, stagnieren die Ressourcen für eine gute pädagogische Arbeit. Durch das Betreuungsgeld werden der Frühpädagogik weitere Mittel entzogen. "Wir brauchen das Geld dringend für den Ausbau von Kita-Plätzen" lautete die Kernaussage eines Bündnisses aus Parteien, Sozial- und Familienverbänden zum Betreuungsgeld ("Ja zu echter Wahlfreiheit!" 05.06.2012). Um diese Aussagen drehten sich auch die Forderungen der parlamentarischen Opposition, mit der sie von der Bundesregierung den Verzicht auf das Betreuungsgeld und die Realisierung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz forderten, als im Juni der Entwurf des Betreuungsgeldgesetzes vorgelegt wurde.

Soziale Selektivität der Kinderbetreuung

Je nach vorhandener Betreuungsinfrastruktur, Einkommenssituation und Bildungsstand der Eltern wird eine weitere Facette sozialer Selektivität bei Bildungschancen sichtbar. Niedrige Bildungsabschlüsse von Müttern und armutsgefährdete Lebensverhältnisse stehen in einem engen Verhältnis zur Erwerbstätigkeit. Sie fördern eine Tendenz zur ausschließlich elterlichen Betreuung - europaweit. Diese Zusammenhänge werden in einer Studie von GESIS, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, anhand internationaler Vergleiche herausgearbeitet.5

Während das Betreuungsangebot für Kinder zwischen drei und sechs Jahren in den meisten europäischen Ländern zwischenzeitlich relativ gut ausgebaut ist, variiert das Angebot für die unter dreijährigen Kinder zwischen den Ländern erheblich. Die Inanspruchnahme von externer Unterstützung bei der Betreuung von Kindern steigt mit dem Bildungsniveau der Mütter. Mütter, die in armutsgefährdeten Verhältnissen leben, nehmen für die Betreuung ihrer jüngsten Kinder seltener externe Unterstützung in Anspruch. Betreuungsgeld bewirkt für einkommensschwache Familien eine ökonomische Entlastung. Am stärksten ist die soziale Selektivität im europäischen Vergleich in Ländern mit gut ausgebauter öffentlicher Kinderbetreuung.

Wirth und Lichtenberger kommen für Deutschland zu dem Schluss, dass der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Kombination mit der Einführung eines Betreuungsgeldes das Ausmaß der sozial selektiven Kinderbetreuung steigern wird. Bei ungünstigen Einkommensverhältnissen wären Betreuungsgebühren eine zusätzliche Belastung, während das Betreuungsgeld zu einer Entlastung des Familienbudgets führen würde.

Gleichstellungsgrundsatz und Gleichberechtigungsgebot

Neben der sozial- und bildungspolitischen Dimension geht es auch um die Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldes. Indem das Betreuungsgeld einen Anreiz schafft, Kinder nicht in eine öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu geben, würde der Staat - verfassungsrechtlich gesehen - lenkend in Angelegenheiten der Eltern eingreifen6. Auch der Allgemeine Gleichheitssatz würde nach Wieland verletzt, indem mit dem Betreuungsgeld solche Familien besser gestellt würden, die für ihre Kinder staatliche Angebote wie Kitas nicht in Anspruch nehmen.

Über die Auswirkung des Betreuungsgeldes auf die Geschlechterverhältnisse gibt es ebenfalls viel zu sagen. U.a. die Kritik an dem erzkonservativen Familienbild wurde auf den - durchaus diskriminierenden - Begriff der Herdprämie gebracht und es wurde darauf verwiesen, dass es als Abmelde-Bonus wie eine Prämie zur Entlastung des Arbeitsmarkts wirke.

Die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern aktiv zu fördern, ist Verfassungsgebot (Art.3 Abs.2GG). Nach Wieland, der von der SPD-Bundestagsfraktion mit einem Rechtsgutachten beauftragt wurde, ist das Betreuungsgeld auch unter diesen Gesichtspunkten verfassungswidrig. Das Gleichberechtigungsgebot erstrecke sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit - also auch auf gleiche Chancen, nicht nur auf gleiche Rechte. Die geschlechtsneutrale Formulierung des Gesetzes könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass es überwiegend Frauen betreffe, da im Allgemeinen immer noch Frauen die Kindererziehung übernähmen. Das Betreuungsgeld sei ein finanzieller Anreiz, vorübergehend aus dem Berufsleben auszuscheiden. Damit werde die überkommene Rollenverteilung verfestigt. Die Folge der Unterbrechung seien geringere Löhne und Gehälter sowie Aufstiegschancen.

Mit der Durchsetzung des Betreuungsgeldes werden gleichstellungspolitische sowie bildungspolitische Entwicklungen der vergangenen Jahre konterkariert. Der Ausbau der Kinderbetreuung hat unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf wie der Frage der frühkindlichen Bildung höchste Priorität. Plätze fehlen nicht nur für die ganz kleinen sondern auch für die etwas älteren Kinder und: der Mangel an Ganztagsplätzen zieht sich auch durch alle Schulformen. Die Forderung nach Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld bleibt auf der Tagesordnung.

Anmerkungen

1) Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Einführung eines Betreuungsgeldes - Wahlfreiheit für Familien vollenden - Betreuungsgeldgesetz, Bundestags-Drucksache 17/9917.

2) Ebenda.

3) GEW: Stellungnahme zum Referenten-Entwurf für ein Kinderförderungsgesetz (KiföG), Norbert Hocke, Bernhard Eibeck, Matthias Anbuhl, Frankfurt/Main, 2008.

4) Wassilios E. Fthenakis 2010: "Der Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen: ein umstrittenes Terrain?", in: www.familienhandluch.de.

5) Heike Wirth und Verena Lichtenberger, GESIS: Form der Kinderbetreuung stark sozial selektiv, Ein europäischer Vergleich der Betreuung von unter 3-jährigen Kindern, Informationsdienst Soziale Indikatoren Ausgabe 48, Juli 2012.

6) Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms 2010: "Verfassungsrechtlich prekär": Expertise zur Einführung eines Betreuungsgeldes, Bonn; Prof. Dr. Joachim Wieland 2012: Verfassungsfragen des Betreuungsgeldes, Rechtsgutachten für die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag, August 2012.

Frauke Gützkow, Politologin, Referentin für Frauenpolitik beim GEW-Hauptvorstand, Kontakt: frauke.guetzkow@gew.de