Hannsheinz Bauers Erinnerungen und Mahnungen

in (11.08.2005)

Vor einigen Tagen ist Hannsheinz Bauer (Würzburg) gestorben - als letztes Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hat...

... Er war begeisterter Ossietzky-Leser und -Förderer, gelegentlich auch -Autor. Zuletzt schickte er einen langen, sehr langen Text, den er als sein "politisches Testament" bezeichnete: Erinnerungen an seine politischen Anfänge vor 1933 und nach 1945, Sorgen um die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie, bittere Enttäuschung über die SPD, der er gleichwohl bis zum Tode angehörte, und Erschrecken über eine politische Realverfassung, die er als "Diktat" der Wirtschaft bezeichnete. Die Umwandlung einer "sozialen" in eine "brutale" Wirtschaft sei größtenteils schon abgeschlossen. Am Ende stehe dann die Verschacherung öffentlicher Ämter. Die Günstlinge des "großen Geldes" hätten auch die "freien" (vom Kapital ausgehaltenen) Medien hinter sich. Ergebnis sei eine "freie" Gesellschaft mit einer dünnen Oberschicht, die sich tatsächlich alles leisten könne.

Optimismus für die Traditionspartei SPD sei "unangebracht", schrieb Bauer. Sie habe "ihre Tradition als sozialer Wegbereiter verlassen". Links-Tendenzen vermeide sie nicht nur, sondern hemme sie sogar. "Die Diskrepanz zwischen den Zielsetzungen im Sozialbereich und der Realität der Regierungspraxis" sei "so auffallend wie nie zuvor in ihrer Geschichte", und sie habe kaum Nachwuchs, "der mit Intelligenz, Geschick und Weitsicht die Visionen für eine glücklichere Zukunft des Gemeinwesens einleiten könnte". Solidarität werde auch unter den Mitgliedern "kaum mehr praktiziert". Die Aufsteiger und Karrieristen witterten in Begriffen wie Solidarität oder auch Gerechtigkeit "eine Behinderung im eingebürgerten Gebrauch der Ellenbogen im Konkurrenzkampf".

Bauer wies darauf hin, daß keine Partei in den vergangenen Jahren so viele Mitglieder verloren habe wie die SPD, darunter auch viele, die man gern als "Urgestein" bezeichne. Die Partei habe nicht nur das Ideal der klassenlosen Gesellschaft aufgegeben, sondern auch das Verstaatlichen als Instrument der Wirtschaftspolitik aus ihrem Programm gestrichen. Umgekehrt habe sich dann die freie Wirtschaft im Parteiwesen breitgemacht - auch in der SPD. "Spendensumpf" (wie in Köln) sah Bauer im selben Zusammenhang wie die "Großmannssucht" in der Machtausübung.

Als er das schrieb, war die "Linkspartei" noch nicht in Sicht. Doch er rechnete damit, "daß die PDS die Fünfprozenthürde bei der nächsten Bundestagswahl meistert". Ihre hohen Sympathiewerte im Osten seien nicht nur Resultat des Wirkens der Konzerne, die dort ins Geschäft eingestiegen seien, die Gewinne aber in ihre Zentralen im Westen umgeleitet hätten, sowie des herablassenden Umgangs mit den "Ossis" und der hohen Arbeitslosigkeit, sondern sie seien auch daraus zu erklären, daß dort "der überzeugte Kommunist (noch) nicht als Paria außerhalb der Gesellschaft eingestuft wird".

Hannsheinz Bauer, der viele Jahre dem Bundestag angehörte, war stark geprägt von seinen Erfahrungen als junger SPD-Wahlkämpfer Anfang der 1930er Jahre. Seine letzten damaligen Versammlungen in Rhön und Spessart hatte er unter dem Motto "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" abgehalten; einmal waren ihm am Ende Steine hinterhergeflogen. Als er, nachdem Hitler im Krieg besiegt war, zu Versammlungen nach Michelrieth (Spessart) zurückkehrte, gehörte der einzige Saal des Ortes dem Land- und Gastwirt Adam Mohr, dem ehemaligen NSDAP-Reichtagsabgeordneten, der im Bauernverband seinen hintergründigen Einfluß ausübte, aber auch öffentlich das Wort ergriff - gleich als erster Diskussionsredner. Diese ländlichen Gebiete Unterfrankens waren nach dem Verbot der NSDAP sofort in der Hand der CSU. Ein Ortsgeistlicher predigte: "Wer sozialdemokratisch wählt, kann beim Jüngsten Gericht gleich links raustreten."

Inzwischen, so stellte Bauer fest, fänden kaum noch Mitgliederzusammenkünfte der Parteien und auch vor Wahlen kaum noch Diskussionsveranstaltungen statt, Zusammenhänge würden nicht mehr hinreichend erklärt, Information und Meinungsbildung in Rede und Gegenrede entfielen, stattdessen präsentierten sich "Ehrgeiz-Besessene" mit primitivsten Parolen. Das alles, schloß er, führe zu der Frage, ob sich in dieser kapitalistischen Gesellschaft eine "hautnahe Demokratie" noch realisieren lasse.

in Ossietzky 16/05