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Ungarn setzt seinen Rechtskurs fort

in (05.09.2011)


Extrem rechte Bürgerwehren terrorisieren Roma, die Regierung ruft zur „nationalen Zusammenarbeit“ auf und tilgt den Begriff „Republik“ aus dem Staatsnamen, die Behörden entfernen linke und liberale Kräfte aus den Kulturinstitutionen und der Wissenschaft: Ungarn transformiert sich offenbar unaufhaltsam in einen autoritären Staat – mit deutlichen Anklängen an den Horthy-Faschismus der 1930er und 1940er Jahre.

Der Appell traf ins Mark. „Berlusconi verfolgt uns, und seine Polizeikräfte zerstören unsere Barracken“, schrieb Juan de Dios Ramírez-Heredia, Präsident der spanischen Unión Romaní, im Mai. „Sarkozy deportiert uns und treibt uns aus dem Land“, fuhr der Roma-Aktivist fort. Und als wäre dies für das vermeintlich fortschrittliche Europa des 21. Jahrhunderts nicht schon schlimm genug, ließ Juan de Dios Ramírez-Heredia die Klage über den in der EU massiv eskalierenden Antiziganismus in der trockenen Feststellung kulminieren: „In Ungarn töten sie uns wie Ungeziefer.“


Bürgerwehren

Die Feststellung ist nicht übertrieben. „Das Land müsste von den Parasiten befreit werden“, äußerte Gábor Vona, Chef der extrem rechten Jobbik-Partei, im vergangenen Sommer über die Roma, kurz nachdem er öffentlich die Einrichtung geschlossener Roma-Ghettos verlangt hatte. Zur Erinnerung: Jobbik erhielt 2010 bei den Parlamentswahlen 16,7 Prozent. In den letzten Jahren sind sieben Roma in Ungarn ermordet worden, weitere wurden bei Anschlägen verletzt. Seit Jahren schon machen die Aufmärsche durch Roma-Siedlungen Schlagzeilen, mit denen die extreme Rechte die von ihnen als „Parasiten“ beschimpfte Minderheit in Angst und Schrecken versetzt. Erst war es die Ungarische Garde, die diese Märsche durchführte, dann benannte sie sich – sie war im Sommer 2009 verboten worden – in Ungarische Nationale Garde um. Im Frühjahr 2010 ist nun schließlich der Bürgerwehrverein für eine schönere Zukunft (Szebb Jövõért Polgárõr Egyesület) an ihre Stelle getreten. Tatsächlich handelt es sich bei dieser „Bürgerwehr“ um einen Verein, der von sich sagt, er wolle „in erster Linie die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit“ erreichen. Das aber gelinge nun mal am besten mit einem Vorgehen gegen angebliche „Zigeunerkriminalität“.

In diesem Frühjahr ist die Lage wieder einmal eskaliert – und dass es nicht erneut zu Todesopfern unter den Roma kam, ist fast ein Wunder. Zunächst führte der Bürgerwehrverein für eine schönere Zukunft in dem kleinen, knapp 2.500 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden nordungarischen Dorf Gyöngyöspata wochenlang Aufmärsche durch. Er versetzte die etwa 400 dort lebenden Roma in Angst und Schrecken. Roma-Kinder trauten sich nicht mehr in die Schule, die Polizei sah untätig zu. Die Lage eskalierte vollends im April, als die paramilitärische Organisation Véderõ ankündigte, über Ostern Schießübungen in Gyöngyöspata abhalten zu wollen – in Sichtweite des dortigen Roma-Viertels. Das Rote Kreuz evakuierte die dort lebenden Roma. Erst als das dann schlechte Presse im Ausland einbrachte, sah sich die Polizei genötigt, die Schießübungen zu untersagen. Bereits zuvor waren die Repressionskräfte in dem ebenfalls in Nordungarn gelegenen Dorf Hejõszalonta eingeschritten. Dort hatte Jobbik Anfang April einen Aufmarsch gegen „Zigeunerkriminalität“ durchgeführt. Die Polizei hatte aus diesem Anlass das Roma-Viertel des Ortes geräumt und die Bewohnerinnen und Bewohner an einer Sammelstelle hinter Absperrgitter gepfercht – natürlich nur, so hieß es, um sie zu schützen.


Ein neuer Gesellschaftsvertrag

Nicht weniger Beachtung als Jobbik, die Bürgerwehr für eine schönere Zukunft oder die offen paramilitärische Organisation Véderõ, die sich bei Nahkampftraining und Schießübungen sogar von Fernsehteams filmen lässt, verdient der Staat, der diesen Vereinigungen und ihren Umtrieben keinen Riegel vorschiebt. Viktor Orbán und seine Partei Fidesz regieren mit Zweidrittelmehrheit. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, eine „Politische Deklaration über die nationale Zusammenarbeit“ zu verkünden, die in sämtlichen Amtsstuben des Landes zu hängen hat. Nach dem Realsozialismus und 20 Jahren chaotischer Übergangszeit sei, heißt es darin, mit dem Fidesz-Wahlsieg 2010 „ein neuer Gesellschaftsvertrag zustandegekommen“: „Arbeit, Heim, Familie, Gesundheit und Ordnung werden die Tragsäulen unserer gemeinsamen Zukunft bilden.“ Am Ostermontag – kurz nachdem die Roma aus Gyöngyöspata evakuiert werden mussten – hat der Staatspräsident nun eine neue Verfassung unterzeichnet, in der das Wort Republik aus dem Staatsnamen getilgt worden ist. Dass das neue ungarische Mediengesetz auch in der auf Druck der EU überarbeiteten Fassung die Medienfreiheit faktisch außer Kraft setzt, ist dank der europaweiten Kampagne zu Jahresbeginn weithin bekannt. Die Reformen, die Orbán vornehmen will, sind mit alledem allerdings noch längst nicht zu Ende.

Parallel dazu setzt Fidesz einen rabiaten Personalaustausch nicht nur in der Politik, sondern auch in den repräsentativen Bereichen von Kultur und Wissenschaft durch; Kritikerinnen und Kritiker sprechen immer häufiger von „Säuberungen“. Bereits wenige Monate nach ihrem Amtsantritt hatte die Regierung die gesamte Leitung der Ungarischen Staatsoper in Budapest aus dem Amt entfernt und sie durch linientreue Völkische ersetzt. Dasselbe ist nun auch für das Ungarische Nationaltheater vorgesehen, dessen Leiter Róbert Alföldi schon wegen seiner schwulen Orientierung nach Ansicht von Fidesz eine Fehlbesetzung ist. Ende 2010 wurden die ersten unliebsamen Philosophen aus der Ungarischen Akademie der Wissenschaften entfernt, so etwa der prominente Sozialist Gáspár Miklós Tamás. Dieses Jahr treffen die „Säuberungen“ bislang vor allem weitere Philosophinnen und Philosophen, darunter Ágnes Heller, die 1929 in Budapest als Tochter jüdischer Eltern geboren wurde und nur durch glückliche Umstände ihrer Deportation nach Auschwitz entkommen konnte. Heller, deren liberale Ausrichtung von ungarischen Antisemiten als „jüdisch“ und „zersetzend“ denunziert wird, soll mit dem Vorwurf aus der Ungarischen Akademie der Wissenschaften entfernt werden, sie habe-EU-Gelder zweckentfremdet – ein durchsichtiger Vorwurf.


Im Wald von Orgovány

Bereits seinen Posten verloren hat der bisherige Leiter des Budapester Holocaust-Zentrums, László Harsányi. Schon vor längerer Zeit hatte der Staatssekretär im Justizministerium András Levente Gál verkündet, in der Dauerausstellung im Holocaust-Zentrum gebe es gravierende „historische Fehlinterpretationen“. Insbe-sondere komme Miklós Horthy, sogenannter Reichsverweser und damit oberste Instanz im faschistischen Ungarn der 1920er bis 1940er Jahre, in der Dauerausstellung viel zu schlecht weg. So sei es, befand der Justizstaatssekretär, etwa völlig unangebracht, zwischen dem Einmarsch Ungarns in Rumänien im Jahr 1940 und der späteren Deportation von Jüdinnen und Juden aus den von Budapest okkupierten rumänischen Gebieten einen Zusammenhang herzustellen. Harsányi wiederum sah sich ehrlicherweise nicht in der Lage, die bekannte und offenkundige Beteiligung vieler ungarischer Antisemiten an den Deportationen in Abrede zu stellen. Mitte Mai musste er gehen.

Eine Neubewertung, ja eine Renaissance der Horthy-Zeit ist spätestens seit dem Amtsantritt der Orbán-Regierung überall in Ungarn zu beobachten. Im Sommer 2010 wurde neben dem Rathaus der zentralungarischen Stadt Kecskemét ein Denkmal eingeweiht, das eine Karte „Großungarns“ zeigt; zu dem Denkmal gehört eine auf Halbmast hängende Flagge, wie sie unter Horthy genutzt wurde, bis Budapest 1938 mit der Okkupation von Nachbarterritorien begann. Die Stadt Orosháza im Südosten Ungarns hat kürzlich Gyula Gömbös zu ihrem Ehrenbürger ernannt. Der Mann wirkte als Ministerpräsident unter Horthy und wurde damals in der Bevölkerung oft „Gömböllini“ genannt. Und wer nicht glauben will, dass dies alles durchaus ernst gemeint ist, kann einfach bei Zsolt Bayer nachfragen. Bayer, Fidesz-Mitgründer und einer der prominentesten Journalisten des Landes, ist im Januar mit einem renommierten Medienpreis ausgezeichnet worden. Kurz zuvor hat der Mann, der schon vor einem Jahr beklagt hatte, „die Juden“ würden „den Ungarn ins Becken rotzen“, seine historischen Bezungspunkte deutlich benannt. „Leider ist es nicht gelungen“, schrieb er, in Wut über ausländische Kritiker mit vermeintlich jüdischem Namen entbrannt, „einen jeden bis zum Hals im Wald von Orgovány zu verscharren“. Im Wald von Orgovány nahe Kecskemét ermordete ein Horthy-treues Freikorps im Jahr 1920 hunderte Anhängerinnen und Anhänger der ungarischen Räterepublik, darunter zahlreiche Jüdinnen und Juden.

 

Der Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 44/Sommer 2011 der antifaschistischen Zeitschrift Lotta.