Von der Islam- zur Dekadenzkritik
„Politically Incorrect“ (PI) gilt als einer der bekanntesten Blogs, über die muslimfeindlichen und rassistischen Ressentiments eine Plattform geboten wird. Die Hetze ist dem PI-Gründer Stefan Herre jedoch ein Instrument für breitenwirksame Politik, tatsächlich geht es ihm um eine allgemeine Rechtsverschiebung der deutschen Politik.
Der Westen, erklärt Herre, hat viele Probleme. Eines davon sei der Islam; mit ihm befasse sich PI rund um die Uhr. Ein anderes sei die Demografie. In den letzten 40 Jahren, also in der Zeit, seit die Achtundsechziger der Republik ihren Linkstrend aufgezwungen hätten, sei „die Zahl der einheimischen Geburten gedrittelt“ worden. Wie soll der Westen auf diese Weise überleben? Herre hat gerade in Recklinghausen den neuen „Hiltrud Schröter-Gedächtnispreis“ für so genannte Islamkritik entgegengenommen, den die Bürgerbewegung Pax Europa (siehe S. 19) verleiht; er ergeht sich nun gedankenvoll in seiner Dankesrede, Tonfall: miese Sonntagspredigt. Im Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang, klagt Herre pastoral, müsse auch „der staatlich gewollte Bedeutungsverlust des Christentums in Deutschland und in Europa“ hinterfragt werden. Letztlich habe jedoch niemand anderes als „die linke Republik“ – Herre meint Deutschland – „den Männern und Frauen den Stolz auf ihre Familie, ihr Geschlecht und ihr Land genommen“. Wie soll man sich da wundern, dass es mit dem deutschen Nachwuchs nicht mehr klappt!
Stefan Herre aus dem unweit von Köln gelegenen Bergisch-Gladbach hat die Linke schon immer gehasst. „Das Interview“, schrieb er in einem Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger, als dieser im Juli 1992 ein Gespräch mit Jutta Ditfurth abgedruckt hatte, „hat meine zutiefst ablehnende Haltung gegenüber dieser Person auf ein neues bestärkt.“ „Anarchistische Tendenzen“ habe man bei Ditfurth erkennen können – welch ein Graus! „Armes NRW!“, stöhnte Herre im Januar 1998, in einem Leserbrief an die gleiche Zeitung über die rot-grüne Koalition auf Landesebene sinnierend. Leserbriefe waren das Medium, in dem der Mann sich gerne austobte, bevor er das Internet für sich entdeckte. Dabei wetterte er immer wieder gegen alles, was ihm „links“ vorkam, etwa gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die Wahlen 2002 mit seiner Verweigerung gegenüber dem Irak-Krieg gewann. Herre, voll Zorn darüber, lobte in Leserbriefen an Die Welt und bald auch die Junge Freiheit die US-Konservativen und ihren Kriegskurs und eröffnete am 11. November 2004 schließlich einen eigenen Blog mit dem erklärten Ziel, „dem plumpen Bush-Bashing hierzulande“ entgegenzuwirken. Der Bush-Fanblog namens Politically Incorrect (PI) erhielt im Herbst 2005 den entscheidenden Kick: Der damalige Streit um die Mohammed-Karikaturen polarisierte, erste Mit-Blogger stiegen ein, Herre konzentrierte sich vollends auf den Hauptfeind des von ihm hoch verehrten George W. Bush – auf den Islam. Als die Blaue Narzisse ihn im April 2007 fragte, warum PI denn „ausgerechnet über die Gefahren des Islams so ausführlich“ berichte, da antwortete er: „Weil es zur Zeit die größte Bedrohung unserer Freiheit ist.“
Freier Hass für freie Bürger
Buttons so genannter islamkritischer Websites bis hin zur obskuren Splitterpartei Christliche Mitte säumen die Randspalten bei PI; der Blog verlinkt offenbar alle, die in der Lage sind, den Islam mit ein paar hässlichen Worten zu beschimpfen. In der (vermeindlichen) Anonymität des Netzes appellieren dort eine Schar von Kommentatoren an die niederen Instinkte der PI-Leserschaft. Dabei geht das antiislamische Ressentiment fließend in ungehemmte rassistische Hetze über: Da ist schon mal von „Moslemratten“ oder „Drecksvolk“ die Rede. „Freier Hass für freie Bürger“ titelte angewidert im Oktober 2007 die FAZ. Doch auch im redaktionellen Teil sieht es übel aus. „Ein weiterer Fall von grausamer Migrantengewalt hat in Hamburg-Eppendorf zwei Frauen beinahe den Tod gebracht“, hieß es etwa Anfang September 2011: „Ein 29-jähriger Iraner stach kaltblütig seine Lebensgefährtin und deren Mutter nieder.“ Iraner? Man weiß ja, welche Religion so ein Iraner hat.
Ein immer wieder zu beobachtendes Argumentationsmuster ist die Verschiebung des eigenen Rassismus auf die Muslime: „Ich bin der festen Überzeugung, dass der eigentliche Rassismus heutzutage gerade von der ausländischen Bevölkerung ausgeht und hier regelrecht hoffähig geworden ist“, schreibt ein User in der PI-Serie „So erlebe ich die Kulturbereicherer“. Die Konsequenzen, die die LeserInnen aus den Bedrohungsszenarien ziehen sollen, werden über die Verlinkungen sichtbar. Dabei stößt man auch auf Webseiten wie „Wehr Dich – liberales-waffenrecht.de“.
Die Hetze gegen den Islam taugt nicht nur dazu, im Internet ein breites Publikum zu binden. Schon im Jahr 2009 war von 30.000 Leserinnen und Lesern täglich die Rede, inzwischen soll die Zahl auf 50.000 bis 60.000 gestiegen sein. Die anti-islamische Agitation erweist sich auch als geeignetes Mittel, um Organisationsstrukturen aufzubauen. Der harte Kern von PI besteht nach wie vor aus einer nur einstelligen Zahl von Personen um den ehemaligen Sportlehrer Stefan Herre, der zwar schon im Jahr 2007 formell die PI-Webpräsenz „an einen neuen Besitzer im Ausland“ abgegeben haben will, tatsächlich jedoch bis heute im Mittelpunkt des PI-Netzwerks steht. PI bündelt bundesweit über 50 „PI-Gruppen“. Dabei handelt es sich um lokale Zusammenschlüsse von Leserinnen und Lesern, die rechtlich selbständig, politisch aber dem Kern um Herre verbunden sind. Die einzelnen „PI-Gruppen“ sind unterschiedlich aktiv; die Mainzer Clique etwa organisierte am 11. September 2011 eine kleine Kundgebung, die Münchener Filiale zeigt sich häufiger auf der Straße. Zu den beliebteren Tätigkeiten gehört es, missliebige Diskussionsveranstaltungen mit penetranten Interventionen zu sprengen. Die PI-Organisationsstruktur ist sehr flexibel und auf Dauer vielleicht sogar tragfähiger als Parteiapparate, da sie nicht im politischen Tagesgeschäft aufgerieben wird.
Mit Broder telefoniert
Die Frontstellung gegen den Islam erlaubt es darüber hinaus, Bündnisstrukturen auch in etablierte Kreise hinein aufzubauen. Gleich mehrere Zeitungen des Kölner Verlegers Neven DuMont zitierten im September aus internen Mails von PI – und es stellte sich heraus, dass nicht nur der Stresemann-Club, ein nationalliberaler Zusammenschluss innerhalb der FDP, Kontakt zu Herre aufgenommen hatte, sondern etwa auch Dirk Hülsenbeck, Geschäftsführer der Senioren-Union. Er empfinde „Sympathie für Ihr Engagement“, schrieb Hülsenbeck dem führenden Kopf von PI; daher sei er durchaus bereit, gelegentlich „brauchbare Infos“ zu schicken. Es gebe „viele in der CDU, die die Union von innen erneuern möchten“, teilte er hoffnungsvoll mit. Im Mai 2010 antwortete sogar der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU, Bergisch Gladbach), auf Anfrage, er sei zu einem Interview „zum Thema Islam/Integration“ mit PI „gern bereit“. Dass das Interview schließlich doch nicht zustande kam, lag laut PI nur daran, dass Bosbach mit zwei von 17 Interviewfragen „nichts anfangen“ konnte. Zu dem bekannten Publizisten Henryk M. Broder hält PI laut den Presseberichten ebenfalls Kontakt. Zwar distanziert sich Broder offiziell von PI, tauscht sich jedoch mit Herre aus. „Mit Broder telefonier und email ich ab und zu“, schrieb Herre der Berliner Zeitung zufolge unlängst: „Dass er öffentlich was anderes über PI sagt, naja, damit muss ich leben.“
Abgesehen von Annäherungen an etablierte Organisationen und Personen zielt PI vor allem darauf ab, den Aufbau einer anti-islamischen Partei zu begleiten. Zunächst diente sich der Blog der pro-Clique an. Deren „Antiislamisierungs-Kongresse“ (AIK) 2008 und 2009 begleitete PI mit umfassender Berichterstattung und war sowohl beim AIK 2009 wie auch bei weiteren pro-Kundgebungen mit eigenen Transparenten vor Ort. 2010 folgte ein Schwenk: Als sich der zur Zeit wohl einflussreichste Guru des anti-islamischen Sumpfes, Geert Wilders, im Spätsommer 2010 auf die Seite der in Gründung befindlichen Partei Die Freiheit schlug, da folgten ihm seine Jünger bei PI sofort. Selbstverständlich bestehen Kontakte zur pro-Clique weiter, doch die Präferenzen des Blogs sind völlig klar. Am Tag nach dem Misserfolg von Freiheit und pro bei den Wahlen in Berlin veröffentlichte PI ein „Schlusswort zur PRO-Bewegung“; darin hieß es, Die Freiheit gehe „schwierigen, gleichwohl wegweisenden Zeiten entgegen“, während man pro nur noch sagen könne: „Tschüss.“ Autor der Zeilen war Freiheit-Mitglied Marco Pino („Frank Furter“). Mit Michael Stürzenberger („byzanz“) und Christian Jung („Nockerl“) gehören zum inneren Kern von PI gleich zwei weitere Führungsfiguren der Freiheit.
Die „klassische” extreme Rechte in Deutschland jedoch lehnt PI wegen dessen Haltung zu den USA und zu Israel ab. Zwar tritt PI genaugenommen nicht für die USA, sondern für eine Kooperation mit der US-amerikanischen Rechten ein: Herre hielt etwa im Frühjahr 2011 Kontakt zu dem US-Prediger Terry Jones, der mit seinen Plänen, öffentlich eine Koranverbrennung zu veranstalten, auf heftige Proteste gestoßen war, während US-Demokraten wie Barack Obama bei PI nicht gut ankommen. Dasselbe trifft auf das Verhältnis von PI zu Israel zu – auch hier geht es um Kontakte zur politischen Rechten. Für Neonazis aus NPD und „Freien Kameradschaften“ ist der vermeintliche „Philosemitismus” von PI dennoch nicht tragbar.
Greift zu den Waffen!
In gewisse Schwierigkeiten gestürzt hat PI das Breivik-Attentat. Der furchtbare Anschlag lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit schnell auf die anti-islamische Szene in Europa, besonders auch auf anti-islamische Blogs. „Was er schreibt“, gab PI mit Blick auf Breiviks „Manifest“ völlig unumwunden zu, das seien „großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten“. Diese Einschätzung ist umso brisanter, als im direkten Umfeld von PI längst nicht mehr nur polemisiert wird. PI-Autor Karl-Michael Merkle („Michael Mannheimer“) hat im April 2011 angesichts des vermeintlichen Vordringens des Islams in Deutschland und Europa einen „Aufruf zum allgemeinen Widerstand des deutschen Volkes“ veröffentlicht und darin „die Inkraftsetzung und schonungslose Anwendung des Widerstandsrechts (und der Widerstandspflicht) aller Deutschen gemäß Artikel 20 Abs. 4 des GG“ ausgerufen. „Das Widerstandsrecht“, heißt es in dem Pamphlet, erlaube den Kampf „ausdrücklich mit allen Mitteln, auch bewaffnet und unter Bedingungen eines Bürgerkriegs, wenn sonstige Maßnahmen nicht gefruchtet haben“. „Bürger Deutschlands! Polizeien Deutschlands! Soldaten und Offiziere Deutschlands! Erhebt euch!“ heißt es weiter: „Geht auf die Straßen! Greift zu den Waffen, wenn es keine anderen Mittel gibt!“
Wie steht PI zu dem Gewaltaufruf seines Autors? „Mannheimer in Offensive“, lobte der Blog noch Anfang September 2011 und verlinkte auf „Mannheimer“-Merkles Website „Nürnberg 2.0“. Die Website beschreibt sich als „Erfassungsstelle zur Dokumentation der systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des Volkes“. Auf ihr finden sich Steckbriefe missliebiger Personen inklusive Fotos; ihnen wird vorgeworfen, die „Islamisierung Deutschlands“ zu begünstigen oder maßgeblich zu fördern. Laut „Mannheimer“-Merkle solle bald ein Gericht „nach dem Muster des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals von 1945“ gegen sie einschreiten.
Deutschlands Stärke
PI, dessen Beliebtheit im muslimfeindlichen Milieu all dies nicht zu schmälern scheint, macht unterdessen weiter wie gehabt. Gleichzeitig kommt auf dem Blog der Kampf für eine allgemeine Rechtsverschiebung keinesfalls zu kurz. Im Februar 2010 etwa berichtete PI: „Neue Initiative will Linkstrend der CDU stoppen“; Ziel sei „eine ‘geistige Wende’ und ein Stopp des Linkstrends der CDU“. „Lieber Stefan“, hieß es im März 2010 in einer Mail, „es wäre klasse, wenn du die Geschichte über Linkstrend stoppen auf PI News weiterdrehen könntest“. Absender war die Junge Freiheit. Man tut, was man kann: „Initiative ‘Linkstrend stoppen’ gibt nicht auf’“, vermeldete PI, wenn auch mit etwas Verzögerung.
„Sicher ist es inzwischen geradezu ein Markenbegriff, etwas oder jemand als islamkritisch zu bezeichnen“, sagte Stefan Herre im Mai 2011 in seiner Dankesrede für die Verleihung des „Hiltrud Schröter-Gedächtnispreises“. „Aber befinden sich Deutschland und Europa wirklich in einem so guten Zustand, dass man allein durch Islamkritik unseren Kontinent für die Zukunft beschützen könnte? Ich meine nicht. Bei Licht betrachtet arbeiten wir uns mit der Islamkritik lediglich an Symptomen eines gesellschaftlichen Verfalls ab, der mit der Achtundsechziger-Bewegung und der bürgerlichen Antwort, der Spaß- und Konsumgesellschaft, seinen Anfang genommen hat. Es wäre daher angebracht, den Begriff der Dekadenzkritik näher zu betrachten.“ Dem PI-Macher geht es eben immer noch um das, was ihn 2004 zur Verteidigung Bushs und bald darauf zur Hetze gegen den Islam getrieben hat: Um den Kampf gegen die Linke und gegen alles, was er für links hält – oder, wie er es in seiner Rede vor der Bürgerbewegung Pax Europa ausdrückte, um den Kampf für die rechten „Milieus und Strukturen, die Deutschlands Stärke und damit Wohlstand stets ausgemacht haben“.
Der Artikel erschien in Ausgabe #45 der LOTTA - antifaschistische Zeitung aus NRW, RLP und Hessen.