Vor 30 Jahren wurde Oscar Romero während eines Gottesdienstes in San Salvador ermordet
Die Ermordung des salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero am 24. März 1980 war die Initialzündung für einen 12 Jahre dauernden Bürgerkrieg in dem mittelamerikanischen Land. Bis heute wird Romero von katholischen Gläubigen verehrt. Der Vatikan tut sich derweil schwer mit dem unbequemen Geistlichen – und verschleppt systematisch dessen Seligsprechungsprozess.
Die kleine Abzweigung von der
Calle Toluca führt unvermittelt in eine Sackgasse. Und mitten in die
Ruhe hinein. Der Abend neigt sich über San Salvador. Noch hat die
Hauptstadt El Salvadors, in deren Ballungsraum etwas über zwei
Millionen Menschen leben, ihren Motor nicht heruntergefahren. Noch
pulsiert sie. Blechkarawanen ziehen ihre Spuren über die Hauptrouten
der Kapitale. Mit dem Einbiegen in die Stichstraße, die in einem
Wendeplatz mit Autostellplätzen ausläuft, lässt man all das unversehens
hinter sich.
Das Gelände des Hospitals La Divina Providencia, eines
Krebskrankenhauses der Karmeliterinnen, ist ein stiller Ort. Das Areal
mit seinem Ensemble verschiedener, in ihrer Anlage überschaubarer
Gebäude bietet keinen Raum für einen mehr als dezenten Geräuschpegel.
Alles Laute wäre hier deplatziert. Selbst der Gesang, der in der
Kapelle des Hospitals anhebt, wo gerade ein Abendgottesdienst
stattfindet, klingt zurückhaltend aus dem freistehenden weißen Bau,
trotz geöffneter Haupttür.
So wie an diesem Abend mag es auch am 24. März 1980 gewesen sein. Einem
Tag, der den Ort bis heute prägt: Am Abend jenes Märztages vor 30
Jahren zerriss ein einzelner Schuss die Ruhe des Areals. Während in der
Kapelle Monseñor Oscar Arnulfo Romero, Erzbischof von San Salvador, die
Heilige Messe zelebrierte, hielt vor dem in seiner streng geometrischen
Form modern wirkenden Gebäude ein viertüriger Volkswagen. Unmittelbar
danach traf Romero, der in diesem Moment am Altar eine Hostie in die
Höhe hielt, eine von einem Scharfschützen abgefeuerte
Hochgeschwindigkeitskugel, Kaliber 22, ins Herz. Der Todesschütze und
sein Fahrer waren ebenso schnell wieder verschwunden, wie sie auf der
Bildfläche aufgetaucht waren.
Rechtsgerichtete Kreise in El Salvador gaben im März 1980 den Auftrag,
Oscar Romero aus dem Weg zu räumen. Teile der Oligarchie duldeten die
Tat. Ermordet wurde der Vorsitzende der salvadorianischen
Bischofskonferenz, weil er Rechtlosigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung
in seinen Predigten beim Namen nannte. Weil seine leidenschaftliche
Parteinahme für die Armen mehr und mehr zum Stachel im Fleisch der
Mächtigen El Salvadors wurde. Am Ende wollten sie ihn nicht mehr länger
hinnehmen, fassten den Plan zum Attentat, sandten den Mörder.
Noch am Abend vor seinem gewaltsamen Tod, der den Auslöser für einen
bis 1992 dauernden Bürgerkrieg mit 75.000 Toten in El Salvador bildete,
hatte Oscar Romero sich in einer Predigt direkt an die Soldaten des
Militärregimes gewandt. „Ihr tötet in den Campesinos eure eigenen
Brüder und Schwestern!“, hielt er ihnen Gräueltaten an Kleinbäuerinnen
und -bauern vor. Der Erzbischof appellierte an das Gewissen der
Soldaten: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der dem
göttlichen Gesetz widerspricht.“ Deutlicher konnte man den Charakter
der salvadorianischen Junta, die Massaker und
Menschenrechtsverletzungen des Regimes nicht brandmarken. Mit seinen
Worten hatte Romero klargestellt, dass die Legitimation des Militärs
und seiner Junta lediglich auf blanker Gewalt und auf Terror gründete.
Sein Hinweis an die Soldaten, dass niemand einer solchen Ordnung und
ihren Befehlen länger verpflichtet sei, bedeutete nichts weniger als
die vollständige Verwerfung des Regimes.
Als Romero 1977 sein Amt als Erzbischof San Salvadors antrat, war er
noch weit entfernt von einer solchen radikalen Position. Der
Kirchenmann galt sowohl in theologischer als auch in politischer
Hinsicht als konservativ. Er sympathisierte mit den Ideen des Opus Dei,
war für den Posten des Erzbischofs der Favorit von Rechten und
Oligarchen. Doch zunehmend schärfte sich sein Blick für die soziale
Ungerechtigkeit in El Salvador, für die Unterdrückung
gesellschaftlicher Reformen, für politisch motivierte Morde von Militär
und Todesschwadronen.
Ein Massaker an DemonstrantInnen in San Salvador sowie der Mord an
einem Freund, dem Jesuiten und Befreiungstheologen Rutilio Grande,
lösten 1977 schließlich eine persönliche Umkehr aus: Aus Romero wurde
ein Geistlicher, der sich ebenfalls durch die Befreiungstheologie
inspirieren ließ und der die Kirche an der Seite der Armen sah. Die
Kritik an Reichtum und sakrosankt gehaltenem Privateigentum als dem
„großen Übel“ El Salvadors hielt ebenso Einzug in seine Predigten wie
das Brandmarken von Folter, Verschwindenlassen, Mord und anderen
Menschenrechtsverletzungen. „Eine Kirche, die sich nicht die Sache der
Armen zu eigen macht, um von den Armen aus das Unrecht anzuklagen, das
man an ihnen begeht, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi“, spitzte
Romero in einer Predigt vom 17. Februar 1980 seine Position zu. Bei der
katholischen Kirchenbasis El Salvadors und anderer lateinamerikanischer
Länder brachte Romero dies Zuneigung und Verehrung ein, im katholischen
Klerus selbst allerdings ebenso Anfeindungen.
Wer 30 Jahre nach Romeros Ermordung durch El Salvador reist, dem
begegnet der berühmte Tote gleichsam auf Schritt und Tritt. Romero ist
überall präsent, auf Postern, T-Shirts, als Malerei auf Hauswänden.
Längst ist er für die Menschen in seinem Heimatland der „heilige
Romero“. Und über eine solche Ikonisierung hinaus selbst drei Dekaden
nach seinem Tod noch Inspiration für andere, nicht nur in El Salvador,
auch in Europa. „Märtyrer wie Oscar Romero rücken die Opfer der
herrschenden Gesellschaftsordnung in den Blick“, sagt Norbert Arntz.
Der 66-jährige katholische Priester im niederrheinischen Kleve begreift
Romero als persönliches Vorbild, hat in einer Gemeinde in Peru
gearbeitet. „Götzen wie der Markt, die Macht und das Kapital
rechtfertigen Menschenopfer und suchen sie unsichtbar zu machen. Die
Märtyrer dagegen decken durch ihr Leben und Sterben die
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Mechanismen auf,
die auch heute noch Menschenopfer verlangen oder rechtfertigen.“
Arntz weiß, dass seine eigene Kirche sich mit Romero zuweilen schwer
tut. Immer noch, immer wieder. Im Vatikan dümpelt seit Jahren der
Seligsprechungsprozess für den selbst im Tod noch unbequemen
Kirchenmann dahin. Immer wieder werden neue Untersuchungen anberaumt.
Sieben Jahre dauerte es, zu überprüfen, ob Romeros Predigten mit der
katholischen Glaubenslehre übereinstimmen. Das Resultat fiel für Romero
zwar positiv aus, ein wesentliches Kriterium für die Seligsprechung war
somit erfüllt. Doch dann ließ man die Texte daraufhin gegenlesen, ob
sie auch mit der kirchlichen Soziallehre konform gehen. Der Vatikan
verschleppt. „Man darf gespannt sein, welcher Romero schließlich
seliggesprochen wird“, kommentiert Norbert Arntz das Verfahren. „Man
hat ihn ja nicht umgebracht, weil er fromm gebetet, theologisch korrekt
gepredigt und sich den Armen fürsorglich zugewendet hat, sondern weil
er der Prophet einer realistischen Kirche war. Einer Kirche, die sich
nicht mehr als Machtinstrument missbrauchen lässt, nicht mehr als
Schachfigur im Spiel der Mächtigen fungiert, sondern Fleisch und Blut
annimmt im Interesse der Armen.“
In El Salvador, so scheint es, entwickeln sich derweil die Dinge
zumindest im juristischen Fall Romero, dem Caso 11.481,
hoffnungsvoller. „Nach dem Amtsantritt Mauricio Funes’ und seiner
FMLN-Regierung im Juni 2009 ist Bewegung in den Fall gekommen“,
erläutert Ulf Baumgärtner, Mitarbeiter der in San Salvador ansässigen
Nichtregierungsorganisation Pro Búsqueda. Tatsächlich hat sich die von
der ehemaligen linken Guerilla gestellte salvadorianische Regierung die
restlose Aufklärung der Mordsache Romero zur Aufgabe gemacht, nachdem
bisherige Anläufe gescheitert waren. Baumgärtner verweist auf im
September 2000 abschlägig beschiedene Verfassungsklagen gegen ein
Amnestiegesetz, welches seinerzeit dazu führte, dass der Fall Romero
abgeschlossen und zu den Akten gelegt wurde. „Die zuständige Kammer des
Obersten Gerichtshofes überließ es den Richtern, Einzelfälle weiter zu
verfolgen. Seit damals gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Die
Staatsanwaltschaft kann eine Untersuchung einleiten oder das Gericht
von damals den Fall wieder eröffnen.“
Eine nach dem Bürgerkrieg eingesetzte Wahrheitskommission für El
Salvador konnte nicht nur den 1992 verstorbenen Ex-Major Roberto
D’Aubuisson – Initiator von Todesschwadronen und Gründer der
rechtsextremen Arena-Partei – als Auftraggeber für den Romero-Mord
identifizieren, sondern ebenso namentlich weitere in Planung und
Durchführung der Tat Verstrickte. Als Todesschütze gilt ein in
D’Aubuissons Diensten stehender Killer namens Héctor Regelado. Viele in
El Salvador hoffen nun darauf, dass der neue politische Wind im Land
letztlich auch die Justiz in Bewegung setzen wird. Denn an dieser
haftet noch immer der Makel, bislang keinen der mutmaßlichen Täter zur
Rechenschaft gezogen zu haben.
Der Abendgottesdienst in der Kapelle des Hospitals La Divina
Providencia ist zu Ende. Die Gläubigen treten heraus in die milde
Abendluft, einzeln, in kleinen Gruppen. An der Tür passieren sie ein
Schwarzweißfoto Oscar Romeros, welches an der Außenseite der
Krankenhauskapelle hinter Glas angebracht ist. Der Heilige des Volkes
blickt ihnen hinterher. „Wenn sie mich töten, werde ich auferstehen im
Volk von El Salvador“, hat Romero, dem viele Male mit dem Tod gedroht
wurde, einst prophezeit. Er hat Recht behalten.
Text: André Hagel
Ausgabe: Nummer 431 - Mai 2010