Übrigens vertreiben wir uns zu Hause neuerdings beim Frühstück die Zeit mit dem Lösen eines Fragebogens, den hessische Ministerialbürokraten auf ihrer letzten Betriebsfeier entwickelt haben. ...
... Mit diesem einhundert schwarzrotgoldene Fragen umfassenden Katalog wollen die Hüter des deutschen Wesens zumindest auf ihrem bescheidenden Landesterritorium zweifelsfrei klären, wer es verdient, ein einbürgerungsurkundlich zertifizierter Deutscher zu werden. Da mein Familienrudel neben der Frau meines Lebens (alteingesessener lippischer Landwirtschaftsadel) und mir (urgermanischer Wortstamm im Nachnamen) noch aus drei äußerst intelligenten und weltgewandten Katzen (zwei eingebürgerten aus Birma, einer aus teutschen Gefilden) besteht, sind diese gemeinsamen Geistesunternehmungen immer mit einem Heidenspaß verbunden. Erfahren wir doch auf diese Weise, welche Vorstellungen im Land der Hessen - immerhin dem Geburtsland Goethes - von deutschem Wissen und deutschen Werten bestehen. "Welche Möglichkeiten haben Eltern, die Partnerwahl ihres Sohnes oder ihrer Tochter zu beeinflussen", will der Fragebogen der Deutschmacher etwa wissen. Zumindest in der westfälischen Landwirtschaft ist der gute Brauch bekannt, die Töchter nach dem Senioritätsprinzip wegzugeben, Motto: "Bei uns werden die Pfannekuchen von oben gegessen!" Es soll noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgekommen sein, daß Brautwerber, die eigentlich die Hofjüngste im Auge hatten, die älteste Tochter heiraten mußten, weil die wackeren Bauersleute in ihren Reihen keinen Wert auf Ladenhüter legten. Als Möglichkeit einer Negativbeeinflussung fielen uns spontan finsterste Intrige (siehe Schillers Kabale und Liebe), Rufmord oder aber zumindest Rausschmiß unbeliebter Bewerber ein. Soll man so etwas aber in einem behördlichen Fragebogen schreiben? Für Erheiterung aufgrund eigener staatsbürgerlicher Anschauung in der demokratisch-parlamentarischen Wildbahn sorgte Frage 58, in deren Einleitung festgestellt wird, daß für Parlamentsabgeordnete der Grundsatz des "freien Mandats" gelte. "In deutschen Fraktionen ist der Gruppenzwang größer als in muslimischen Familienverbänden!" gluckste die Frau meines Lebens zwischen Rührei und Kaffeenachschlag. Etwas ins Trudeln kamen wir bei der Frage nach dem Inhalt des Filmes Das Wunder von Bern, den wir zunächst mit Das Wunder von Lengede verwechselten. Daß deutsche Bergmänner aus Schweizer Stollen gerettet wurden, wollte uns allerdings nicht ganz einleuchten, und so erinnerten wir uns in aller sportautistischen Verlegenheit daran, daß wir Deutsche bekanntlich ein Volk von Balltretern sind und in ferner Vergangenheit sogar mal weltmeisterschaftstauglich waren. Mitunter ist der hessische Deutschtest auch extrem vertrackt. Die Frage zum Beispiel, wozu die Streitkräfte der Bundesrepublik gegründet wurden, konnten wir nicht beantworten. Denn dies fragen wir uns als friedliebende Menschen schon seit Jahren. Auf die Frage nach deutschen Komponisten will die Frau meines Lebens die Antwort "Mozart" nicht gelten lassen, weil er den Österreichern zugehörig sei. Der bekennende großdeutsche Austriake Mozart (Teutschland, mein geliebtes vatterland) gehört aber zu meinem größtdeutschen Geisterreich einfach dazu, ohne jegliche territoriale Anschlußgelüste. Wir haben die Sache vertagt und wollen den Schiedsspruch meinem angeheirateten Onkel überlassen. Der ist Österreicher, wenngleich als gebürtiger großdeutscher Staatsbürger Jahrgang 1944 vielleicht in dieser Sache nicht ganz unvoreingenommen.in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 2. Mai 2006, Heft 9
aus dem Inhalt:
Erhard Crome: In tempore belli (II); Max Hagebök: Unpolitiker Platzeck; Ove Lieh: Binnennachfrage; Heerke Hummel: Kurzsichtigkeit von vorgestern; Axel Fair-Schulz, Fort Erie/Kanada: Niedrige Löhne, niedriges Denken; André Hagel: Die Deutschmacher; Uwe Stelbrink: Warum? Für wen? Wohin?; Mario Keßler, New York: John H. Herz; Sarah Liebigt: Patriotin in der Ferne; Walter Thomas Heyn: Alles Mozart, oder Brecht, oder was?; Klaus Hammer: Im "Brücke"-Rausch; Frank Ufen: Zwitter, Zwerge und Zyklopen; Renate Hoffmann: Mon plaisir