"Die Feder in die Wunde legen"

Interview mit Marie-Monique Robin

Kaum ein Film hat in den vergangenen Jahren in der Gentechnik-Debatte einen vergleichbaren Einfluss gehabt, wie Marie-Monique Robins Dokumentation „Monsanto - Mit Gift und Genen”. In unzähligen öffentlichen und nicht öffentlichen Aufführungen ist er - obwohl nicht für das Kino produziert - weltweit gezeigt worden.

 


Marie-Monique Robin ist Journalistin. Sie schreibt Bücher und dreht Dokumentarfilme. Im Dezember 2009 wurde sie für ihren Film „Monsanto - Mit Gift und Genen” (Originaltitel: „Le Monde selon Monsanto. De la dioxine aux OGM, une multinationale qui vous veut du bien”) mit dem Umwelt-Medienpreis in der Kategorie Film der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet.



Ihr Film „Monsanto, mit Gift und Genen” ist vor zwei Jahren, am 10. März 2008, erstmalig ausgestrahlt worden. Es geht um Korruption und Einflussnahme, um Vergiftung von Menschen und Umwelt, die Manipulation von Wissenschaftlern und Daten. Man muss schon sagen, kein schönes Thema. Was ist Ihre positivste Erfahrung aus dieser Zeit mit Ihrem Film?


Erst einmal: Viele Leute leisten Widerstand, gegen Monsanto und seine Produkte. Das habe ich in Lateinamerika gesehen und in Indien. Eigentlich überall, wo ich hingekommen bin, haben die Menschen gegen Monsanto Widerstand geleistet. Der Film und das Buch haben schon Wirkung gezeigt. Der Film ist in Kanada zum Beispiel im Kongress gezeigt worden und hat auch in Brasilien und in Paraguay oder auch in Frankreich bei Politikern sehr viele Fragen aufgeworfen. So dass zum Beispiel hier in Frankreich ein paar Abgeordnete, die zu der rechten Partei von Sarkozy gehören, ihre Meinung über gentechnisch veränderte Organismen geändert haben. Oder auch in Luxemburg: Ich habe mich dort im Frühling mit zwei Ministern unterhalten und danach ist dort der MON810-Mais verboten worden. Es gab natürlich mehrere Faktoren, aber der Film hat eben auch dazu beigetragen.


Sie sind mit Ihrem Film auf der ganzen Welt unterwegs gewesen, es gab sehr viele öffentliche und nicht öffentliche Vorführungen. Hatten Sie im Vorfeld geplant, mit dem Film auf Tour zu gehen?


Solche Effekte kann man nicht voraussehen. Das Buch ist mittlerweile in 16 Sprachen übersetzt worden. Gestern habe ich die koreanische Version bekommen - es ist wirklich unglaublich. Es ist nur ein Essay über einen multinationalen Konzern. Nein, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Auch der Fernsehsender arte nicht, oder mein Verlag. Jetzt ist es für mich wirklich zu einem Problem geworden. Es ist zwei Jahre her und ich bekomme jeden Tag eine Einladung, heute gerade wieder aus Deutschland - aber ich arbeite schon an meinem nächsten Buch, ich drehe einen Film. Das ist wirklich sehr schwierig...

Aber andererseits kann ich mich natürlich nicht beklagen. Es ist so unglaublich, dass es mich natürlich auch sehr, sehr freut. Meine Arbeit ist zu einem Werkzeug geworden. Ich tue, was ich tun kann, um bei den Debatten dabei zu sein, aber ich kann leider nicht überall sein.


Lassen Sie uns über die Rolle von arte reden.


Man kann die Rolle von arte nicht hoch genug einschätzen, auch im Hinblick darauf, dass der Film so viel Erfolg hatte. Ich hatte mit arte einen Sender, der das ganze Projekt getragen und unterstützt hat. Ohne arte wäre das nicht möglich gewesen. Ich hatte natürlich ein sehr großes Budget. Wie in dem Film zu sehen ist, konnte ich an sehr vielen Orten auf der Welt drehen, ich habe viele Leute getroffen. Das ist schon ein Glück. Und wenn es möglich ist, eine so umfangreiche Untersuchung zu machen, dann kann auch etwas Gutes dabei herauskommen. Ich bin arte wirklich sehr dankbar - ohne arte hätte ich diese Untersuchung so nicht machen können. Das ist ganz klar für mich. Sie hätten auch Angst haben können. Alle anderen französischen Kanäle hätten gesagt: „Nein, nein, oh mein Gott, das machen wir nicht. Das gibt zu viele Probleme!”Aber jetzt muss man auch sagen, dass das nicht eingetroffen ist. Ich habe überhaupt keine Probleme gehabt. Weil ich die Mittel hatte, das wirklich sehr seriös und ernsthaft zu machen. Ich weiß zum Beispiel, dass Monsanto versucht hat, eine Stelle in dem Film zu finden, um mich anzuklagen. Aber sie haben nichts gefunden. Sie haben nichts machen können.


Was denken Sie, wieso Monsanto von Anfang an abgelehnt hat, Ihnen ein Interview zu geben? Waren Sie dort bekannt?


Sie haben meine Anfrage sehr ernst genommen, das habe ich sofort gemerkt. Ich musste mein Dossier dort einreichen. Dann habe ich mit jemandem in Frankreich gesprochen. Aber ich wollte kein Interview mit jemandem aus der Presseabteilung, der irgendwelche ganz allgemeinen Sachen über die Gentechnik sagt. Ich wollte ganz bestimmte Interviews mit ganz speziellen Personen innerhalb des Konzerns haben. Dadurch war für Monsanto erkennbar, dass ich das Thema sehr gut kannte. Es hat dann drei Monate gedauert, bis ich einen Telefonanruf bekam, mit dem Ergebnis, dass sie abgelehnt haben. Für mich ist ganz klar, dass sie Angst vor meinen Fragen hatten. Dafür habe ich natürlich keinen Beweis. Bis heute gibt es keine Stellungnahme, keine Reaktion von der Firma, überhaupt nichts. Wenn sie irgendeine Stelle in dem Film oder in dem Buch gefunden hätten, hätten sie ein Gerichtsverfahren begonnen, nur um mir das Leben schwer zu machen. So machen sie es, egal, ob Sie gewinnen oder verlieren. Ich habe da sehr genau aufgepasst: Alles, was ich sage, ist mit Dokumenten oder Interviews belegt.


Eine Frage zum Dokumentarfilm ganz allgemein: Teilen Sie die Einschätzung, dass Dokumentarfilme in den letzten Jahren wieder wichtiger geworden sind - auch im Kino?


Ja, absolut. Das ist auch eine gute Nachricht. Ich mache jetzt einen weiteren Film und auch ein Buch über Pestizide und Chemikalien sowie den Zusammenhang mit Krebs, neurodegenerativen Krankheiten und Fortpflanzungsstörungen. Den werde ich auch mit arte machen, es wird sicher auch eine DVD geben, aber ebenso sicher ist, dass er auch für das Kino gemacht wird. Das ist wirklich bemerkenswert: Die Leute wollen Dokumentarfilme sehen. Die schlechte Nachricht ist, dass dies auch Ausdruck eines großen Misstrauens gegenüber der Presse ist. Sie loben meine Arbeit, sehen mich fast wie eine Göttin und das stört mich sogar. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer sagen: „Es gibt so wenige, die die Dinge so zeigen, wie Sie.” Das verdeutlicht eben auch, dass sie in die Presse generell kein Vertrauen haben. Die Presse wird als Alliierte von Firmen und Regierungen gesehen - und nicht als eine unabhängige Kraft.


Würden Sie sich als „Medienaktivistin” bezeichnen?


Nein, ich bin Journalistin. Für mich ist die Presse die vierte Kraft, die vierte Säule der Demokratie. In einer Demokratie brauchen wir eine Presse, die ihrer Rolle gerecht wird. Wie Albert Londres gesagt hat - ich habe vor 15 Jahren diesen Preis erhalten, den Albert-Londres-Preis, das ist ein bisschen wie der französische Pulitzer-Preis (1): „Wir müssen die Feder in die Wunde legen!” Er hatte damals nur eine Feder. Ich bin sicher, wenn er eine Kamera gehabt hätte, dann hätte er die Kamera in die Wunde gelegt. Das ist wirklich ein Glück für mich: Ich kann reisen, ich spreche verschiedene Spra­chen, ich kann viele Leute treffen und viele Dokumente lesen. Viele können das nicht. Und so ist es mein Job, eine Brücke zwischen der weiten Welt und den Leuten zu sein. Dabei versuche ich wirklich, die Feder in die Wunde zu legen, damit sich die Leute selber eine Mei­nung bilden können.


Frau Robin, wir danken für das Gespräch.


Das Interview führte Christof Potthof.



Fußnote:

(1) Der Albert-Londres-Preis (Prix Albert Londres) ist der renommierteste Medienpreis in Frankreich. Marie-Monique Robin hat ihn 1995 für ihren Film Voleurs d'yeux („Augendiebe“) zum Thema Raub menschlicher Organe verliehen bekommen, Kategorie audiovisuelle Medien.