Zur Diskussion über den Regelsatz, Teil II
Radikale Kritik an herkömmlicher Bemessungslogik - Schritte zum Existenzgeld
Nach Ansicht von Matthias Frommann, Professor an der Fachhochschule Frankfurt a.M., wurden bei der Regelsatzfestlegung gesetzliche Vorgaben missachtet, so dass die Errechnung des Eckregelsatzes nicht den Anforderungen genügt, die nach der Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht an Realitätsbezogenheit, Transparenz und Nachprüfbarkeit der Regelsatzbemessung zu stellen sind. Er stellt u.a. fest, dass als Referenzgruppe aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe offenbar nicht die unteren 20 Prozent der Haushalte, sondern die unterste Gruppe mit Einkommen teilweise deutlich unter 900 Euro (darunter vor allem Rentner und erwerbstätige junge Erwachsene bis 25 Jahre) gewählt wurden. Würde man die erste Gruppe zugrunde legen und deren tatsächliche Ausgaben vollständig anerkennen - soweit sie sich nicht nachweislich auf nicht regelsatzrelevante Bedarfe beziehen -, ergäbe sich ein Betrag von 626,73 Euro.[1]
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfe-Initiativen (BAG-SHI) ermittelte die Höhe eines Existenzgeldes[2] durch die Erstellung eines Warenkorbes von unten: »Wir haben uns ganz pragmatisch darauf geeinigt, von der Praxis unserer Existenz als SozialhilfebezieherInnen und Erwerbslose auszugehen.«[3] Auf dieser Basis wurden Bedarfssäulen ermittelt (Ernährung und Dinge des täglichen Bedarfs, Energie, Gesundheit, Krankenversicherung, Soziales, Urlaub, Mobilität, Bekleidung und Instandhaltung).
Bezogen auf die Jahre 2007/2008 errechnete sich daraus ein Betrag von 800 Euro im Monat zuzüglich Krankenversicherung und Brutto-Warmmiete inklusive Nebenkosten.[4]
Das Existenzgeld soll nicht nur die nackte Existenz sichern, sondern auch die Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben gewährleisten.
Angesichts der Gefahr einer Spaltung der Sozialprotestbewegung in Gegner und Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens erklärte die BAG-SHI 2007, dass in einem ersten Schritt der Regelsatz auf 500 Euro erhöht werden solle und in einem zweiten Schritt ein Existenzgeld einzuführen sei. Weitere Forderungen waren u.a.:
- »ein eigenständiger Kinderregelsatz,
- kein verdeckter oder offener Zwang zur Arbeit (Anerkennung von Tätigkeiten),
- weg mit Bedarfsgemeinschaften und Zumutbarkeiten«.[5]
Außerdem erarbeitete die BAG-SHI ein Positionspapier zu den Kinderregelsätzen: Basierend auf den Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 über die Ausgaben von Familienhaushalten für Kinder und Jugendliche (diese Daten schließen Faktoren wie Wachstum, Schulbedarfe etc. ein; zudem sind die Ausgaben aller Einkommensgruppen berücksichtigt und nicht nur die der unteren 20 Prozent), stellt die BAG-SHI fest, dass eine Wiedereinführung von drei Altersklassen für Kinder und Jugendliche (unter 6, 6-12, 12-18 Jahren) zwingend notwendig sei, um altersspezifische Ausgaben zu berücksichtigen.
Aus der Analyse resultieren Kinderregelsätze (inklusive der Inflationsanpassung und der Wiedereinführung von notwendigen Mehrbedarfen) in folgender Höhe:
- 370 Euro für Kinder unter 6 Jahren
- 438 Euro für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren
- 486 Euro für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren.[6]
Mittlerweile hat sich auch noch ein Bündnis Kindergrundsicherung, bestehend u.a. aus dem Kinderschutzbund, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Arbeiterwohlfahrt, der pro familia, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter und verschiedenen Wissenschaftlern formiert.
Dieses Bündnis fordert eine Grundsicherung in Höhe von 500 Euro monatlich bis zum 27. Lebensjahr, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Grundsicherung tritt an die Stelle von Kindergeld, Sozialgeld, Kinderzuschlag und Bafög. Die Höhe berechnet sich aus 322 Euro, die das Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum für ein Kind festgelegt hat, und 180 Euro monatlichem Bedarf für Erziehung, Betreuung und Ausbildung. Das Geld soll besteuert werden, so dass Besserverdienende maximal in Höhe der Wirkung der bisherigen Freibeträge (bis zu 240 Euro) entlastet werden.[7]
Das »Netzwerk Grundeinkommen« bewertete in einer Erklärung die Forderung des Bündnisses positiv[8], während Rainer Roth[9] und Johannes Steffen[10] ablehnende Positionen einnahmen. Entscheidend bei dieser Forderung dürfte sein, dass am Ende wirklich jedem Kind 500 Euro im Monat zu kommt, dass keinerlei Anrechnungen von Einkommen erfolgen und dass schließlich auch weiterhin der Anteil der Wohnkosten des Kindes voll übernommen wird (z.B. von der jeweiligen Kommune).
Zusammenfassung:
Matthias Frommann ist vermutlich kein Vertreter einer Abschaffung von Bedürftigkeitsprüfungen und Sanktionsmechanismen im Sozialstaat, doch er hat erkannt, dass es dringend notwendig ist, das vorherrschende Bemessungssystem zur Bestimmung des Eckregelsatzes zu verändern. Er verdeutlicht den politischen Charakter des Regelsatzsystems und zeigt zumindest eine Alternative auf. Noch weiter geht die BAG-SHI, die eine eigene Untersuchung nach dem Warenkorbprinzip anstellt und im Zusammenhang mit ihrem Konzept Existenzgeld auch zu einem adäquateren Ergebnis kommt.
Ob im Rahmen der Auseinandersetzungen um einen neuen Regelsatz der Kindergrundsicherungsansatz eine Rolle spielen wird, ist noch nicht erkennbar. Noch überwiegt die Skepsis, ob am Ende 500 Euro wirklich bei den Betroffenen ankommen.
Unsere Forderungen und Kriterien?
Eigentlich scheint es ziemlich einfach zu bestimmen, was wir zum Leben brauchen: Wir benötigen soviel, dass wir damit ein gutes Leben führen können! Doch was ist ein gutes Leben? Man könnte sich dieser Frage nähern, indem wir zunächst das Minimum eines guten Lebens definieren. Dies sollte ein soziokulturelles Existenzminimum sein, das den Zugang zu den sozialstrukturellen und kulturellen Elementen der Gesellschaft gewährleistet. In einem zweiten Schritt könnte eine Armutsgrenze definiert werden. Auf EU-Ebene liegt diese dann vor, wenn 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens unterschritten werden - im Jahr 2003 waren dies 938 Euro.
Nun behauptet die Bundesregierung ebenfalls, mit Hartz IV wäre das soziokulturelle Existenzminimum gesichert.
Es scheint, als fehle ein überzeugender Ansatz, aus welchen Bedarfen und in welcher Höhe sich ein »gutes Leben« bestimmt, ohne selbst wieder willkürlich zu wirken.
Von den vorgestellten Alternativansätzen beschäftigen sich die meisten Organisationen und Einzelpersonen mit dem Nachweis, dass einzelne Komponenten des Regelsatzes nicht ausreichend sind und deshalb erhöht werden müssen. So rechnet der paritätische Wohlfahrtsverband für Mobilität, Gesundheitspflege etc. rund 75 Euro mehr ein, während zugleich eine grundsätzliche Kritik an den Ernährungsbestandteilen fehlt. Dies wiederum berücksichtigt Rainer Roth, der nochmals 65 Euro zum Regelsatz hinzu rechnet und so auf 500 Euro kommt. Doch war's das schon?
Der Regelsatzanteil für Strom liegt derzeit bei 22,11 Euro, inklusive der Abschläge für die Warmwasseraufbereitung (6,63 Euro laut Bundessozialgericht für einen Alleinstehenden). Insbesondere im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren gestiegenen Strompreisen (seit 2002 um rund 30 Prozent) zahlen die meisten LeistungsbezieherInnen einen höheren Anteil an den Stromkosten aus der eigenen Tasche. Insofern müsste es hier ebenfalls eine Anhebung des Regelsatzes geben. Ein weiteres Beispiel sind die Kosten für einen Arztbesuch (Quartalsgebühren, Arzneigebühren, Zuzahlungen unterschiedlicher Art oder Kosten für Vorsorgeuntersuchungen, die die GKV nicht mehr bezahlt). Auch hier müssten einige Euro mehr im Regelsatz ent-halten sein.
Es stellt sich also die Frage, warum der DPWV und Rainer Roth in ihrer Kritik am Regelsatz bei einer Summe stehen bleiben, die, wenn man die einzelnen Kategorien des Regelsatzes weiter durchforsten würde, um Einiges höher ausfallen müsste. Im ersten Fall gehe ich davon aus, dass dem Paritätischen Wohlfahrtsverband eine noch kurzfristige politische Durchsetzbarkeit so wichtig ist, dass der Regelsatz nur halbherzig in Frage gestellt wird. Rainer Roth hingegen kämpft m.E. mit dem Problem, dass der Regelsatz nicht am Ende fast genau so hoch liegt wie die Forderung nach einem Mindestlohn von zehn Euro. Roth zufolge muss es wohl so etwas wie ein Lohnabstandsgebot geben, da Lohnabhängige mehr verbrauchen würden als Erwerbslose.
Hinzu kommt: Wer sich auf das Niveau der herrschenden Regelsatzbestimmung begibt, akzeptiert auch das Bestrafungssystem von Hartz IV. Sanktionen, Einkommens- und Vermögensprüfung, Prüfung der Unterhaltspflicht, Eingliederungsvereinbarungen, Trainingsmaßnahmen usw. sollten eigentlich nicht Grundlage einer möglichen Regelsatzerhöhung sein (dies war auch der Grund, weshalb der Frankfurter Appell sich zwar für eine Regelsatzerhöhung auf 500 Euro aussprach, gleichzeitig jedoch Bedürftigkeitsprüfungen und Arbeitszwang ablehnte). In Bezug darauf, dass mit diesen Vorschlägen die bereits erfolgte gezielte Senkung der Regelsätze aufgezeigt werden kann und im Vergleich zur alten Sozialhilfe Kürzungen nachvollzogen werden können, ist dieser Ansatz sicherlich richtig. Und es mag auch richtig sein, unter Zuhilfenahme von Angaben über Kilokalorien Mangelernährung durch den Regelsatz aufzeigen zu können. Diese Ansätze verbleiben aber in einem immanenten Spannungsverhältnis zum herrschenden Interesse, mit Arbeitszwang und Bedürftigkeitsprüfung Arbeit um jeden Preis zu vermitteln, Erwerbslose auf eigenes »Vermögen« zu verweisen und so ihre Alterssicherung zu kappen.
Auch der Ansatz, einen einzelnen Aspekt des Regelsatzes - in diesem Fall den Kinderregelsatz - zum Ausgangspunkt für eine Forderung zu nehmen, überzeugt nur teilweise. Richtungsweisend ist er, weil er mit dem Repressionsinstrument des Sozialgesetzbuches bricht und bedingungslos gezahlt werden soll (bzw. bei höheren Einkommen bis zu einer bestimmten Summe verrechnet wird). Anerkannt wird damit immerhin das Vorhandensein von Kinderarmut. Dass Hartz IV jedoch prinzipiell Armut produziert, in Niedriglohn zwingt und Menschen drangsaliert, bleibt außen vor. Und schließlich müsste auch die Summe von 500 Euro in ihren einzelnen Bestandteilen und im Hinblick darauf, was an sonstigen Unterstützungen wegfällt, überprüft werden.
Um zu einer Bewertung dessen, was ein gutes Leben ist, zu kommen, helfen uns die vorliegenden Ansätze nicht viel weiter, denn einige Fragen bleiben dabei offen:
Muss es eine Orientierung an der herrschenden Bemessung des Regelsatzes geben? Warum wird nicht die Forderung aufgestellt, beim durchschnittlichen Monatsaufwand von Haushalten nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) eine andere Referenzgruppe, die der Alltagsrealität von Erwerbslosen näher kommt, zu wählen? Wie Matthias Frommann nachgewiesen hat, käme dann ein Eckregelsatz von 627 Euro zustande (für 2005); aber auch er spricht sich nicht gegen Bedürftigkeitsprüfungen und Arbeitszwang aus.
Oder was spräche dagegen, sich an der über die Einkommensungleichverteilung ermittelten Armutsgrenze (»relative Einkommensarmut«) des 2. Nationalen Armuts- und Reichtumsberichts zu orientieren? Auf der Datenbasis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berechnet, lag 2003 in Deutschland die Armutsgrenze bei 938 Euro (s.o.). Demnach hätte der damalige Eckregelsatz bei ca. 600 Euro liegen müssen. Auf das Jahr 2009 übertragen entspräche dies dem steuerlichen Grundfreibetrag von 667 Euro im Monat bzw. 8004 Euro im Jahr.
Einen anderen Ansatz und mir am sympathischsten verfolgte die »Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen«. Sie versuchte, anhand tatsächlicher Bedarfe eine Summe zum Leben zu bestimmen. »Wir haben uns ganz pragmatisch darauf geeinigt, von der Praxis unserer Existenz als SozialhilfebezieherInnen und Erwerbslose auszugehen. Der errechnete Bedarf bezieht sich auf die konkreten Preise der Lebenshaltungskosten und Bedürfnisse im Jahr 1999 (wurde 2002/2003 aktualisiert, Anm. H.R.), dies muss sowohl hinsichtlich des Betrages als auch inhaltlich stetig fortgeschrieben werden.«[11] So kam die BAG-SHI auf 800 Euro plus Krankenversicherung und Kosten der Unterkunft.
Die Fragen könnten also lauten: Wollen wir auch mit lohnunabhängigem Einkommen ein gutes Leben führen? Wie bemessen wir die Höhe, sind es 440 Euro, 500 Euro oder gar 800 Euro, mit oder ohne Arbeitszwang, mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung?
Richtig ist, dass es keine von uns selbst bestimmte und durchgeführte Untersuchung darüber gibt, was die Höhe eines Regelsatzes bestimmen soll. Diese Aufgabe steht noch aus. Aber von Anfang an auf einen niedrigen Betrag hinzuarbeiten, der dann angeblich gesellschaftlich akzeptabler ist, halte ich für falsch. In den Auseinandersetzungen über die »richtigen« Forderungen der Erwerbslosengruppen ist mir aufgefallen, dass ein Teil der Gruppen Forderungen danach beurteilt, ob sie »realistisch« bzw. »mehrheitsfähig« oder »utopisch« seien. Als »realistisch« gelten sie offenbar dann, wenn sie sich als Bezugsgröße an den herrschenden Vorgaben orientieren. Sie dokumentieren damit ihre eigene Kraftlosigkeit und fragen nicht danach, was notwendig wäre.
Ohne sich nun mit der Frage zu beschäftigen, wer in diesem Zusammenhang die Definitionsmacht zu besitzen glaubt, ergibt sich Folgendes: Ist es realistischer, weniger zu fordern als z.B. zehn Euro Mindestlohn, welche geschichtlichen Erfahrungen verbinden sich damit? Warum werden schon bei der Formulierung einer Forderung Abstriche gemacht, ohne dafür gekämpft zu haben? ›Mit Augenmaß politisch handeln‹, sagen besonders die Bewahrer des bestehenden sozialen Systems und meinen damit den Schutz ihrer eigenen Interessen.
Warum soll es realistischer sein, die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufzustellen als die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen? Beide sind in nächster Zukunft nicht zu verwirklichen und politisch zurzeit nicht mehrheitsfähig.
Wir sollten derartige Zuschreibungen hinter uns lassen. In Anlehnung an Johannes Agnoli ist die Realisierbarkeit eines Projektes von zwei Bedingungen bestimmt: ob dieses Projekt in sich schlüssig ist und inwieweit es den Bedürfnissen der Betroffenen tatsächlich entgegen kommt.
Aus diesen Überlegungen heraus halte ich auch den Vorschlag der alten BAG-SHI für den sympathischsten, in zwei Schritten über eine Erhöhung des Eckregelsatzes auf 500 Euro zum Existenzgeld für alle zu gelangen. Funktionieren wird dieser Spagat allerdings nur, wenn wir bei der 500-Euro-Forderung auch den Zusammenhang zur Bedürftigkeitsprüfung und zur Sanktionspraxis herstellen. Beide müssen weg!
Was braucht der Mensch zum Leben? Ein Vorschlag
Wir benötigen kein Mindesteinkommen, sondern ein Einkommen zum guten Leben!
Dafür reicht weder Hartz IV aus noch eine Erhöhung auf 440 oder 500 Euro (auch wenn wir eine mögliche Erhöhung nicht ablehnen würden).
Ich könnte mir eine Untersuchungsmethode vorstellen, die es so noch nie gegeben hat.
Wir rufen Frankfurt-, Hessen- oder bundesweit zu öffentlichen Treffen auf, in denen es um die Beantwortung der Frage geht: Was brauchen wir für ein gutes Leben? Ausgangspunkt könnte die gute Infrastruktur der Er-werbslosengruppen sein, die zusammen mit anderen sozialen Organisationen und sympathisierenden Insti-tutionen in einem öffentlichen Raum (Bürgerhaus etc.) zu einer Debatte über diese Frage aufgerufen werden. Wir hätten dann eine Befragungsaktion und könnten diese Treffen zugleich auch als politische Veranstaltungen sehen, in denen nicht nur deutlich wird, was ein gutes Leben sein kann und was es kostet, sondern auch, wie dieses durchsetzbar ist. Neben der Debatte über diese Fragen würde ein standardisierter Fragebogen verteilt, der die Grundlage einer wissenschaftlichen Bewertung des Ganzen sein könnte. Eingeladen werden sollten nicht nur Erwerbslose, sondern auch Niedriglöhner und Lohnabhängige mit durchschnittlichem Einkommen.
In der Vorbereitung dieser Aktion, die auch von großen Organisationen gesponsert und von örtlichen Medien unterstützt werden sollte, braucht es Zusammenkünfte von Aktiven, die dieses Vorhaben unterstützen. Als Ergebnis stelle ich mir eine Regelsatzbegründung vor, die möglicherweise gar kein Regelsatz mehr ist, sondern ein Recht auf ein Einkommen!
Durch eine derartige kollektive Aktion wäre realisierbar, was bislang noch aussteht: ein Austausch über Bedarf und Bedürfnisse zwischen Menschen, die es unmittelbar angeht. Nicht die Interessen von Parteien, Verbänden und deren Stellvertretern, sondern derjenigen, die unmittelbar Armut und Absenkung ihrer Lebensqualität tagtäglich erleben und in ihren Grundrechten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt werden, müssen zur Sprache kommen. Und vielleicht gelingt es dadurch auch, die - sicher vorhandenen - Mechanismen der Selbstbeschränkung zu erkennen und zu überwinden.
* Harald Rein arbeitet im Frankfurter Arbeitslosenzentrum FALZ.
erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/09
[1] Matthias Frommann: »Warum nicht 627 Euro?«, in: Nachrichtendienst Deutscher Verein, Juli 2004
[2] Existenzgeld ist der Begriff für ein bedingungsloses Grundeinkommen, der bereits Anfang der Achtziger Jahre von unabhängigen Erwerbslosen- und Sozialhilfegruppen entwickelt wurde, s. Hans-Peter Krebs/ Harald Rein, H. (Hg.): »Existenzgeld«, Münster 2000
[3] BAG-SHI (Hg.): »Existenzgeld für Alle«, Neu-Ulm 2000, S. 64, zur weiteren Diskussion siehe: BAG-SHI: »Existenzgeld Reloaded«, Neu-Ulm 2008
[4] »Existenzgeld Reloaded«, S. 33f.
[5] BAG-SHI: »Unsere Position zu Regelsatz und Existenzgeld«, Osnabrück 2007
[6] BAG-SHI: »Gegen Kinderarmut und Ausgrenzung - für einen eigenständigen, armutssicheren Kinderregelsatz!«, Bingen 2007
[7] Bündnis Kindergrundsicherung: »Kinder brauchen mehr!«, Berlin 2009
[8] »Auch wenn manche Detailfragen noch offen sind und einiges nachgebessert werden muss, wenn es zu einer Umsetzung kommt, wäre das ein Weg, die beschämende Tatsache der Kinderarmut in einem reichend Land zu beenden. Hier ist der Einstieg in eine Logik bedingungsloser Transferzahlungen zu erkennen.«
[9] Rainer Roth: »500 Euro Kindergrundsicherung für jedes Kind?«, www.kinderarmut-durch-hartz4.de, Mai 2009
[10] Johannes Steffen: »Kindergrundsicherung«, Arbeitnehmerkammer Bremen, 4/2009
[11] »Existenzgeld für Alle«, S. 64