In: express 4/2019
Geneigte Leserinnen und Leser,
es erfüllt uns mit mehr als nur klammheimlicher Freude, dass hierzulande angesichts der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wieder über Enteignung diskutiert wird. „Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun“, stellt etwa der bayrische Ministerpräsident Söder ganz richtig fest. Na ja, oder fast richtig: Denn solange die betroffenen Unternehmen entschädigt werden, ist ja irgendwie doch noch Privateigentum und Kapitalakkumulation im Spiel... Dennoch, da ist, wenn Ihr uns diese Phrase gestattet, Musik drin. Auch in einer anderen Metropole mit boomendem Immobilienmarkt beginnt die Kommunalpolitik danach zu tanzen: Die Frankfurter SPD-Fraktion stellte jüngst laut FR fest, dass „auch eine Enteignung kein Tabu sein dürfe, wenn man den ‚Mietenwahnsinn‘ stoppen wolle. Der freie Markt habe versagt. Kämen die großen Wohnungsbaugesellschaften nicht zur Vernunft (...), provozierten sie selbst die Debatte über eine Enteignung. Eine Vergesellschaftung (…) und die Überführung in kleinteilige regionale Genossenschaften könne ein Ausweg aus der Mietenkrise sein.“ Da findet auch die CDU zu alter Form zurück und schilt das Paper der SPD als „linksradikales Manifest“.
Die aktuellen Wohn- und Mietdebatten sind aber nur einer von vielen Gründen, die Sozialisierungsdebatte aus der Geschichte der Arbeiterbewegung wieder auszugraben. Einen Ansatzpunkt dafür liefert etwa das Buch Uwe Fuhrmanns zur amüsanten Entstehungsgeschichte der „sozialen Marktwirtschaft“, das unser Autor Rudolf Walther in der vorliegenden Ausgabe bespricht (S. 1), einen weiteren bietet Robert Schlosser in seinen Reflexionen zur Geschichte der GOG bei Opel Bochum, zum legendären Bochumer Opel-Streik von 2004 und dessen Darstellung im Film „Luft zum Atmen“ (S. 6).
Ihr wisst ja: Wir machen mehr als eine Zeitung, und so sind wir auch dabei, wenn die Enteignungsfrage mit diesem und anderen Filmen auf die Leinwand oder in anderen Veranstaltungen zur Sprache kommt. Wir beteiligen uns an der Reihe „Übernehmen wir?! Vom Ende der Fabriken und dem Beginn von etwas Neuem“ im Berliner Lichtblick-Kino. Genaueres dazu in unseren Veranstaltungshinweisen ab S. 14.
Aber vorher begehen wir noch den traditionellen Kampftag der Arbeiterklasse – dieser express erscheint pünktlich, um die neuesten Streiche aus dem Klassenzimmer auf den zahlreichen Demonstrationen am 1. Mai zu diskutieren, wenn die Darbietung der Schalmeienkapelle sich mal wieder etwas zieht. Gute Unterhaltung – und meldet Euch, wenn Ihr sie verbreiten und andere teilhaben lassen wollt!
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