Notstand der Demokratie – Auf dem Weg in einen autoritären Kapitalismus?
by
Frank Deppe/Horst Schmitthenner/Hans-Jürgen Urban(Hg.)
Editor:
Hans-Jürgen Urban
Publisher:
VSA-Verlag
Published 2008 in
Hamburg
ISBN-13:
978-3-89965-283-3
Price:
11,80
Eingeleitet wird der Band von Horst Schmitthenners Thesen zur Umwandlung des Rechtsstaats in den „autoritären Sicherheitsstaat“ und deren historische Traditionen: in der BRD erlangte der Verfassungspatriotismus nie die Hegemonie – es dominierte stets der Konservatismus auf Grundlage der Maxime des NS-Kronjuristen Carl Schmitt, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Das materialisierte sich u.a. in den Notstandsgesetzen bis hin zu
§ 129a Strafgesetzbuch mit dem Ergebnis des „präventiven und autoritären Sicherheitsstaats“.
Dieser wird im Einzelnen in H.-Eberhard Schultz Beitrag illustriert: Auf Basis einer schwammig definierten „Terrorismus“gefahr wird der Rechtsstaat zunehmend aufgeweicht (Telekommunikationsüberwachung, Veranstaltungs- und Auftrittsverbote, Ausweisungen und Abschiebungen, Überwachung von Personen und sozialen Protestformen...) juristisch flankiert von Schnellverfahren, Vorbeugehaft, Kronzeugenregelung, Kontaktsperre, Isolationshaft und praktisch durchgesetzt mit Raster- und Schleierfahndung, Auskunftspflicht von Banken etc. Rechtideologischer Wegbereiter solcher Verfahrensweisen ist die Lehre vom Feindstrafrecht, d. h. die außerhalb-des-Rechts-Stellung erklärter Feinde die u.a. zur Beseitigung der Unschuldsvermutung , der Aufhebung des Folterverbots u.s.w. und in der Konsequenz z.B. zur Verschleppung in rechtsfreie Räume(CIA-Gefängnisse) und letztlich gezielter Tötung führt. Die Verfahren auf Grundlage des erwähnten § 129a – u. a. in Folge der als Notstandsübung charakterisierten Staatsaktionen im Zusammenhang mit dem G 8–Gipfel in Heiligendamm – führen nach Schultz zu einer „politischen Sondergerichtsbarkeit“ und „dienen in erster Linie der Einschüchterung der Betroffenen und ihres sozialen Umfeldes sowie der umfassenden Ausforschung und Infiltration in eine bestimmte militante Szene.“(69) Zunehmende Video-Überwachung, biometrische Erfassung und die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten sind weitere Schritte zum „präventiven Sicherheitsstaat“.
Zutreffend konstatiert der Autor, dass die Betroffenen viele Formen der sozialen Kontrolle nicht nur akzeptieren sondern z.T. sogar einfordern; umso weniger nachvollziehbar ist seine Schlussfolgerung, dass es keinen Grund gibt, pessimistisch zu sein: die Proteste gegen G 8 und die Vorratsdatenspeicherung 2007 reichen als „ermutigendes Anzeichen“ für eine solche Einschätzung meiner Meinung nach nicht aus.
Schmitthenners Einleitungsthesen betonen die zunehmende Bedeutung übernationaler Institutionen ohne jedwede demokratische Legitimation und leiten daraus die Forderung nach sozialer Demokratie als notwendige Bedingung für den Erhalt (und ggf. Ausbau) der politischen Demokratie ab. Dafür, gegen den „autoritären Kapitalismus“ zu kämpfen und demokratische Rechte auszuweiten ruft Schmitthenner auf. Zum „wie“ dieses Kampfes wird lediglich ein breites Bündnis – anknüpfend an die Anti-Notstandsgesetze-Bewegung der 60er Jahre- gefordert.
Frank Deppe zeigt im zentralen Beitrag des Bandes an einigen Beispielen „die Rückkehr des Reaktionärs“ – die Abwicklung der „Kulturrevolution“ der 60er/70er Jahre und fasst die zahlreichen Schritte zum Ausbau des „präventiven Sicherheitsstaats“, die er international einordnet, dahingehend zusammen, dass sie „nicht dem Ziel einer kurzfristig geplanten Errichtung einer Diktatur und der Ausschaltung des Grundgesetzes (dienen, sondern) der Stärkung des Staates im Umgang mit den neuen 'Sicherheitsrisiken' und der Zunahme der Kriminalität als Folge des marktradikalen Umbaus von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.“(18) Nach einer Vielzahl z.T. breiter sozialer Bewegungen in den 60er/70er Jahren konstatiert der Autor eine zunehmende „Krise der politischen Partizipation“, die sich u.a. in Mitgliederverlusten politischer Organisationen und abnehmender Wahlbeteiligung zeigt, verstärkt durch Reduktion von Politik auf Öffentlichkeitsarbeit. „Im Parlament werden Entscheidungen per Mehrheit getroffen, die bei repräsentativen Meinungsumfragen auf eine breite Front der Ablehnung stoßen“(23), was zur Delegitimation des Systems der Demokratie beiträgt. Konservative „Sicherheits“ideologen nutzen die verbreiteten konstruierten bzw. imaginierten Ängste vor Terror, Kriminalität, „Hasspredigern“ aus der Bild-Zeitung etc., die sich mit realen Alltagsängsten vor sozialem Abstieg verbinden; wie sich an den Wahlkämpen Kochs in Hessen zeigt, können solche Strategien erfolgreich, aber auch begrenzt sein, wie das Landtagswahlergebnis vom Januar 2008 zeigt. Einen Erklärungsansatz für die Krise der Partizipation sieht Deppe im „disziplinierenden Neoliberalismus“: Nach klassischer Lehre war das Individuum Träger politischer Rechte, aber spätestens mit der Industrialisierung wurden tatsächlich Großorganisationen(Parteien, Verbände, Gewerkschaften...) politisch relevante Subjekte, während die neoliberale Ideologie wieder ausschließlich das Individuum anerkennt (Thatcher: „Ich kenne keine Gesellschaft. Ich kenne nur Individuen.“); anscheinend eine Wiederbelebung der klassischen Demokratietheorie. Jeder (und jedwede Organisation) hat sich demzufolge bei Strafe des Untergangs marktkonform – da gibt es keine Alternative – zu verhalten, diszipliniert sich somit selbst und bedarf daher nicht unbedingt permanenter Androhung von Zwang von Seiten des Staates mit der Folge möglicher „Entstaatlichung“ sozialstaatlicher Betätigungsfelder bei gleichzeitigem Ausbau von Überwachungs- und Kontrollfunktionen desselben. Wie die Mechanismen in diesem „disziplinierenden Neoliberalismus“ wirken, stellt der Autor detailliert für die Bereiche „Folgen der Massenarbeitslosigkeit“, „Sozialstaatsabbau" und „Strukturwandel der Öffentlichkeit" – die Entpolitisierung durch den Mediensektor, dar.
Ausgehend von der Marxschen Bonapartismusanalyse, „um den Aufstieg des Faschismus in einer Zeit des Kräftegleichgewichts der sozialen Klassen und der Unfähigkeit der Bourgeoisie zur Ausübung der politischen Macht zu begründen“(33) durch den kommunistischen Teil der Arbeiterbewegung in den 20er Jahren, verneint Deppe deren Erklärungswert für den autoritären Kapitalismus der Gegenwart da die Linke z.Zt. extrem geschwächt sei. Das Zusammenwirken der Disziplinierungsmechanismen in den genannten Sektoren(Massenarbeitslosigkeit, Sozialstaatsabbau und Medien) soll die Stabilität des neoliberalen Systems sichern; die Repressions- und Kontrollapparate seien lediglich präventiv „für jene Konfliktfälle...die aus der Freisetzung des Konkurrenzkampfes und der Beseitigung von kollektiven sozialen Schutzwällen entstehen könnten.“(39)
Zu optimistisch scheint mir Deppes Schlussfolgerung, dass „die Kämpfe der Gewerkschaften gegen die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Massenarbeitslosigkeit und die damit verbundenen Verelendungstendenzen sowie ... gegen den Sozialabbau einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie geleistet“(40f.) haben. Das gilt auch für die Bewertung der aktuellen Gegenbewegungen von Globalisierungskritikern bis zur Linkspartei so richtig seine Einschätzung bezüglich des politischen Streiks in der deutschen Geschichte und ihrer Aneignung für eine Bündnispolitik gegen den autoritären Kapitalismus sind.
Unbegründeter Optimismus hinsichtlich der Tragfähigkeit eines anti-neoliberalen Gegendiskurses zur Erlangung von Deutungshoheit im politischen Feld zeichnet auch den Beitrag von Johanna Klages aus in dem die Veränderungen in diesem Bereich in der Geschichte der BRD kurz angerissen werden.
Franz Segbers interpretiert in seinem Artikel „Die Rückkehr des strafenden Staates“ den mit der Agenda 2010 eingeführten „aktivierenden Sozialstaat“ als Ausdruck einer „autoritären Sozialstaatskultur“ (was immer das mit Kultur zu tun haben mag?) und letztlich Bruch mit dem Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes wegen der Zwangausübung durch die sog. aktivierende Arbeitsmarktpolitik, Selektion durch Ausrichtung von Fördermaßnahmen am Kriterium der Nützlichkeit für die Produktivität und Strafmaßnahmen bei Ablehnung von Zwangsarbeit.
Die Beschneidung individueller (Prekarisierung) und kollektiver sozialer Rechte durch Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Verbreitung von Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs, Scheinselbstständigkeit und ungewollte Teilzeitarbeit, flankiert von einer Rechtsprechung, die von der Waffengleichheit von Kapital und Arbeit ausgeht (Paritätsideologie), ist Gegenstand des Beitrags von Axel Gerntke. Er weist zu Recht auf die Langfristigkeit neoliberaler Planung hin, indem er die Agenda 2010 als Umsetzung des Lambsdorff-Papiers von 1982(!) interpretiert. Wie bei allen Beiträgen geraten die handlungsorientierenden Schlussfolgerungen arg allgemein und wenig konkret: Wahrnehmung des politischen Mandats und breite Bündnispolitik.
Richard Detje und Horst Schmitthenner machen sich Gedanken zu Zukunftsperspektiven der Demokratie: sie sehen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung als zentrales Moment der Ersetzung staatlicher Legitimation durch Kontrolle anstelle von wohlstandsmehrender Intervention. Diesen Prozess, flankiert von „wiederholte(r) Hinwegsetzung der Exekutive über Verfassungsorgane und die Verfassung selbst“, (86) parallel zur Verlagerung von Entscheidungskompetenzen vom Parlament zur Exekutive und innerhalb derselben hin zu autoritären Staatsfunktionen –national wie im europäischen Rahmen –, bezeichnen sie als Übergang von der parlamentarischen zur „gouvernementalen Demokratie“. Kontrollverlust politischer Instanzen im „globalen Finanzmarktkapitalismus“ – im Vergleich zum „wohlfahrtsstaatlich zivilisierten Kapitalismus“– führt über verschiedene Vermittlungsschritte zu unterschiedlichen Formen der „Demokratieentleerung“, die im Einzelnen aufgeführt werden. Hier scheinen die Autoren zu übersehen, dass der Sozialstaat in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus die räumliche und zeitliche Ausnahmeerscheinung in der ansonsten mit „gouvernemental“ nur sehr zurückhaltend bezeichneten brutalen Form dieser Gesellschaftsordnung war. Auch finden Außenbedingungen wie die zeitweilige Existenz eines sozialistischen Lagers für die Sozialstaatsoption der herrschenden Klasse keine Berücksichtigung bei diesen Überlegungen.
Zutreffend stellen Detje/Schmitthenner fest, dass Globalisierung den Nationalstaat nicht ersetzt, aber Machtverschiebungen hin zum international operierenden Kapital stattgefunden haben, jedoch die daraus logisch zu folgernde Internationalisierung des Staates z.B. in Form der EU keine befriedigende Antwort im Hinblick auf mehr Demokratie ergeben hat, da auch diese vorwiegend „gouvernemental“ geprägt sei. (In dieser Einschätzung treffen sich erstaunlicherweise Hobsbawm und Dahrendorf!)
Aus der sich selbst mutmachenden Einschätzung, „dass Krisen auch Motor für gesellschaftliche Lernprozesse sein können“ folgern die Autoren aufgrund des Scheiterns des „neoliberalen Machtstaates“, dass die politische Demokratie der Fundierung durch die soziale Demokratie bedarf und insbesondere ein soziales Europa Grundlage eines politischen Europa werden muss; zu erreichen durch breite, nationale Beschränkung überwindende Bewegungen und Ausbau plebiszitärer Elemente. Da kann mensch nur zustimmen; wie diese Bewegungen zustande kommen sollen bleibt allerdings ausschließlich im Konjunktiv.
Hans-Jürgen Urban beschreibt abschließend detailliert aktuelle Momente der Aushöhlung von Bürgerrechten hin zu einem von ihm sogenannten „demokratischen Sicherheitsstaat“ (wobei zu fragen bleibt, was an ihm spezifisch demokratisch ist) und weist darauf hin, dass diese Tendenz „in der politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kein neues Phänomen“(97) ist. Ebenso wenig wie Warnungen vor diesen Entwicklungen vonseiten so unterschiedlicher Personen/Positionen wie Jaspers und Abendroth Mitte der 60er Jahre. Insbesondere Abendroth forderte einen beständigen Kampf um Verfassungspositionen und interpretierte das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes dahingehend, die formale politische Demokratie durch die inhaltliche soziale Demokratie zu ergänzen und damit zu sichern.
„Eine Mixtur aus Passivität der Bevölkerung, ausgeklügelten Manipulations- und Marketingstrategien der politischen Eliten und einer ausufernden Lobbymacht der transnational agierenden Unternehmen“(100), insbesondere in Zeiten der „neuen Sozialdemokratie“, führen zu einem Zustand der Postdemokratie mit maßgeblichem Einfluss privater Eliten; hierin eingebettet die Karriere der Arbeiterbewegung. Diese Postdemokratie sei gekennzeichnet durch „eine Konfiguration von wettbewerbsorientierten Institutionen und marktgetriebenen Regulierungen“(103); der damit verbundene Bedeutungszuwachs des Finanzkapitals löst den Sozial-Korporatismus der Vergangenheit ab und untergräbt „sukzessive die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht in der Betriebs- und Tarifpolitik“(105), die Urban im Einzelnen beschreibt. Postdemokratie ist auch gekennzeichnet durch Verlagerung politischer Kompetenzen vom Nationalstaat zur europäischen Ebene, ausgerichtet u. a. am Ziel der geopolitischen Schwächung der Position der USA.
Die Linke – und hier insbesondere die Gewerkschaften – müssen im Wege der demokratischen (Selbst-)Aktivierung bis hin zu politischen Demonstrationsstreiks die Grundrechte mit dem Ziel einer Demokratisierung des Parlamentarismus verteidigen und für ein europäisches Sozialmodell kämpfen. Dabei hat das Demokratieprinzip – nach Abendroth – „Maßstab für den gewerkschaftsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess“(115) zu sein.
Wie bei einem Sammelband vielleicht schwer zu vermeiden wiederholen sich bestimmte Argumentationsstränge ermüdend häufig; die Mehrzahl der Beiträge beschreibt weitgehend Bekanntes und regt leider nur gelegentlich zu neuen Interpretationen an; Übereinstimmung herrscht aber insoweit, dass das Fragezeichen im Titel getrost hätte weggelassen werden können. Wünschenswert wäre ein höheres Maß an begrifflicher Klarheit: es wimmelt nur so von unterschiedlich bezeichneten Kapitalismen, Staatsformen, Neoliberalismen und Demokratien. An analytischem Tiefgang ragt der Beitrag des Mitherausgebers Deppe heraus.
§ 129a Strafgesetzbuch mit dem Ergebnis des „präventiven und autoritären Sicherheitsstaats“.
Dieser wird im Einzelnen in H.-Eberhard Schultz Beitrag illustriert: Auf Basis einer schwammig definierten „Terrorismus“gefahr wird der Rechtsstaat zunehmend aufgeweicht (Telekommunikationsüberwachung, Veranstaltungs- und Auftrittsverbote, Ausweisungen und Abschiebungen, Überwachung von Personen und sozialen Protestformen...) juristisch flankiert von Schnellverfahren, Vorbeugehaft, Kronzeugenregelung, Kontaktsperre, Isolationshaft und praktisch durchgesetzt mit Raster- und Schleierfahndung, Auskunftspflicht von Banken etc. Rechtideologischer Wegbereiter solcher Verfahrensweisen ist die Lehre vom Feindstrafrecht, d. h. die außerhalb-des-Rechts-Stellung erklärter Feinde die u.a. zur Beseitigung der Unschuldsvermutung , der Aufhebung des Folterverbots u.s.w. und in der Konsequenz z.B. zur Verschleppung in rechtsfreie Räume(CIA-Gefängnisse) und letztlich gezielter Tötung führt. Die Verfahren auf Grundlage des erwähnten § 129a – u. a. in Folge der als Notstandsübung charakterisierten Staatsaktionen im Zusammenhang mit dem G 8–Gipfel in Heiligendamm – führen nach Schultz zu einer „politischen Sondergerichtsbarkeit“ und „dienen in erster Linie der Einschüchterung der Betroffenen und ihres sozialen Umfeldes sowie der umfassenden Ausforschung und Infiltration in eine bestimmte militante Szene.“(69) Zunehmende Video-Überwachung, biometrische Erfassung und die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten sind weitere Schritte zum „präventiven Sicherheitsstaat“.
Zutreffend konstatiert der Autor, dass die Betroffenen viele Formen der sozialen Kontrolle nicht nur akzeptieren sondern z.T. sogar einfordern; umso weniger nachvollziehbar ist seine Schlussfolgerung, dass es keinen Grund gibt, pessimistisch zu sein: die Proteste gegen G 8 und die Vorratsdatenspeicherung 2007 reichen als „ermutigendes Anzeichen“ für eine solche Einschätzung meiner Meinung nach nicht aus.
Schmitthenners Einleitungsthesen betonen die zunehmende Bedeutung übernationaler Institutionen ohne jedwede demokratische Legitimation und leiten daraus die Forderung nach sozialer Demokratie als notwendige Bedingung für den Erhalt (und ggf. Ausbau) der politischen Demokratie ab. Dafür, gegen den „autoritären Kapitalismus“ zu kämpfen und demokratische Rechte auszuweiten ruft Schmitthenner auf. Zum „wie“ dieses Kampfes wird lediglich ein breites Bündnis – anknüpfend an die Anti-Notstandsgesetze-Bewegung der 60er Jahre- gefordert.
Frank Deppe zeigt im zentralen Beitrag des Bandes an einigen Beispielen „die Rückkehr des Reaktionärs“ – die Abwicklung der „Kulturrevolution“ der 60er/70er Jahre und fasst die zahlreichen Schritte zum Ausbau des „präventiven Sicherheitsstaats“, die er international einordnet, dahingehend zusammen, dass sie „nicht dem Ziel einer kurzfristig geplanten Errichtung einer Diktatur und der Ausschaltung des Grundgesetzes (dienen, sondern) der Stärkung des Staates im Umgang mit den neuen 'Sicherheitsrisiken' und der Zunahme der Kriminalität als Folge des marktradikalen Umbaus von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.“(18) Nach einer Vielzahl z.T. breiter sozialer Bewegungen in den 60er/70er Jahren konstatiert der Autor eine zunehmende „Krise der politischen Partizipation“, die sich u.a. in Mitgliederverlusten politischer Organisationen und abnehmender Wahlbeteiligung zeigt, verstärkt durch Reduktion von Politik auf Öffentlichkeitsarbeit. „Im Parlament werden Entscheidungen per Mehrheit getroffen, die bei repräsentativen Meinungsumfragen auf eine breite Front der Ablehnung stoßen“(23), was zur Delegitimation des Systems der Demokratie beiträgt. Konservative „Sicherheits“ideologen nutzen die verbreiteten konstruierten bzw. imaginierten Ängste vor Terror, Kriminalität, „Hasspredigern“ aus der Bild-Zeitung etc., die sich mit realen Alltagsängsten vor sozialem Abstieg verbinden; wie sich an den Wahlkämpen Kochs in Hessen zeigt, können solche Strategien erfolgreich, aber auch begrenzt sein, wie das Landtagswahlergebnis vom Januar 2008 zeigt. Einen Erklärungsansatz für die Krise der Partizipation sieht Deppe im „disziplinierenden Neoliberalismus“: Nach klassischer Lehre war das Individuum Träger politischer Rechte, aber spätestens mit der Industrialisierung wurden tatsächlich Großorganisationen(Parteien, Verbände, Gewerkschaften...) politisch relevante Subjekte, während die neoliberale Ideologie wieder ausschließlich das Individuum anerkennt (Thatcher: „Ich kenne keine Gesellschaft. Ich kenne nur Individuen.“); anscheinend eine Wiederbelebung der klassischen Demokratietheorie. Jeder (und jedwede Organisation) hat sich demzufolge bei Strafe des Untergangs marktkonform – da gibt es keine Alternative – zu verhalten, diszipliniert sich somit selbst und bedarf daher nicht unbedingt permanenter Androhung von Zwang von Seiten des Staates mit der Folge möglicher „Entstaatlichung“ sozialstaatlicher Betätigungsfelder bei gleichzeitigem Ausbau von Überwachungs- und Kontrollfunktionen desselben. Wie die Mechanismen in diesem „disziplinierenden Neoliberalismus“ wirken, stellt der Autor detailliert für die Bereiche „Folgen der Massenarbeitslosigkeit“, „Sozialstaatsabbau" und „Strukturwandel der Öffentlichkeit" – die Entpolitisierung durch den Mediensektor, dar.
Ausgehend von der Marxschen Bonapartismusanalyse, „um den Aufstieg des Faschismus in einer Zeit des Kräftegleichgewichts der sozialen Klassen und der Unfähigkeit der Bourgeoisie zur Ausübung der politischen Macht zu begründen“(33) durch den kommunistischen Teil der Arbeiterbewegung in den 20er Jahren, verneint Deppe deren Erklärungswert für den autoritären Kapitalismus der Gegenwart da die Linke z.Zt. extrem geschwächt sei. Das Zusammenwirken der Disziplinierungsmechanismen in den genannten Sektoren(Massenarbeitslosigkeit, Sozialstaatsabbau und Medien) soll die Stabilität des neoliberalen Systems sichern; die Repressions- und Kontrollapparate seien lediglich präventiv „für jene Konfliktfälle...die aus der Freisetzung des Konkurrenzkampfes und der Beseitigung von kollektiven sozialen Schutzwällen entstehen könnten.“(39)
Zu optimistisch scheint mir Deppes Schlussfolgerung, dass „die Kämpfe der Gewerkschaften gegen die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Massenarbeitslosigkeit und die damit verbundenen Verelendungstendenzen sowie ... gegen den Sozialabbau einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie geleistet“(40f.) haben. Das gilt auch für die Bewertung der aktuellen Gegenbewegungen von Globalisierungskritikern bis zur Linkspartei so richtig seine Einschätzung bezüglich des politischen Streiks in der deutschen Geschichte und ihrer Aneignung für eine Bündnispolitik gegen den autoritären Kapitalismus sind.
Unbegründeter Optimismus hinsichtlich der Tragfähigkeit eines anti-neoliberalen Gegendiskurses zur Erlangung von Deutungshoheit im politischen Feld zeichnet auch den Beitrag von Johanna Klages aus in dem die Veränderungen in diesem Bereich in der Geschichte der BRD kurz angerissen werden.
Franz Segbers interpretiert in seinem Artikel „Die Rückkehr des strafenden Staates“ den mit der Agenda 2010 eingeführten „aktivierenden Sozialstaat“ als Ausdruck einer „autoritären Sozialstaatskultur“ (was immer das mit Kultur zu tun haben mag?) und letztlich Bruch mit dem Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes wegen der Zwangausübung durch die sog. aktivierende Arbeitsmarktpolitik, Selektion durch Ausrichtung von Fördermaßnahmen am Kriterium der Nützlichkeit für die Produktivität und Strafmaßnahmen bei Ablehnung von Zwangsarbeit.
Die Beschneidung individueller (Prekarisierung) und kollektiver sozialer Rechte durch Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Verbreitung von Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs, Scheinselbstständigkeit und ungewollte Teilzeitarbeit, flankiert von einer Rechtsprechung, die von der Waffengleichheit von Kapital und Arbeit ausgeht (Paritätsideologie), ist Gegenstand des Beitrags von Axel Gerntke. Er weist zu Recht auf die Langfristigkeit neoliberaler Planung hin, indem er die Agenda 2010 als Umsetzung des Lambsdorff-Papiers von 1982(!) interpretiert. Wie bei allen Beiträgen geraten die handlungsorientierenden Schlussfolgerungen arg allgemein und wenig konkret: Wahrnehmung des politischen Mandats und breite Bündnispolitik.
Richard Detje und Horst Schmitthenner machen sich Gedanken zu Zukunftsperspektiven der Demokratie: sie sehen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung als zentrales Moment der Ersetzung staatlicher Legitimation durch Kontrolle anstelle von wohlstandsmehrender Intervention. Diesen Prozess, flankiert von „wiederholte(r) Hinwegsetzung der Exekutive über Verfassungsorgane und die Verfassung selbst“, (86) parallel zur Verlagerung von Entscheidungskompetenzen vom Parlament zur Exekutive und innerhalb derselben hin zu autoritären Staatsfunktionen –national wie im europäischen Rahmen –, bezeichnen sie als Übergang von der parlamentarischen zur „gouvernementalen Demokratie“. Kontrollverlust politischer Instanzen im „globalen Finanzmarktkapitalismus“ – im Vergleich zum „wohlfahrtsstaatlich zivilisierten Kapitalismus“– führt über verschiedene Vermittlungsschritte zu unterschiedlichen Formen der „Demokratieentleerung“, die im Einzelnen aufgeführt werden. Hier scheinen die Autoren zu übersehen, dass der Sozialstaat in der bisherigen Geschichte des Kapitalismus die räumliche und zeitliche Ausnahmeerscheinung in der ansonsten mit „gouvernemental“ nur sehr zurückhaltend bezeichneten brutalen Form dieser Gesellschaftsordnung war. Auch finden Außenbedingungen wie die zeitweilige Existenz eines sozialistischen Lagers für die Sozialstaatsoption der herrschenden Klasse keine Berücksichtigung bei diesen Überlegungen.
Zutreffend stellen Detje/Schmitthenner fest, dass Globalisierung den Nationalstaat nicht ersetzt, aber Machtverschiebungen hin zum international operierenden Kapital stattgefunden haben, jedoch die daraus logisch zu folgernde Internationalisierung des Staates z.B. in Form der EU keine befriedigende Antwort im Hinblick auf mehr Demokratie ergeben hat, da auch diese vorwiegend „gouvernemental“ geprägt sei. (In dieser Einschätzung treffen sich erstaunlicherweise Hobsbawm und Dahrendorf!)
Aus der sich selbst mutmachenden Einschätzung, „dass Krisen auch Motor für gesellschaftliche Lernprozesse sein können“ folgern die Autoren aufgrund des Scheiterns des „neoliberalen Machtstaates“, dass die politische Demokratie der Fundierung durch die soziale Demokratie bedarf und insbesondere ein soziales Europa Grundlage eines politischen Europa werden muss; zu erreichen durch breite, nationale Beschränkung überwindende Bewegungen und Ausbau plebiszitärer Elemente. Da kann mensch nur zustimmen; wie diese Bewegungen zustande kommen sollen bleibt allerdings ausschließlich im Konjunktiv.
Hans-Jürgen Urban beschreibt abschließend detailliert aktuelle Momente der Aushöhlung von Bürgerrechten hin zu einem von ihm sogenannten „demokratischen Sicherheitsstaat“ (wobei zu fragen bleibt, was an ihm spezifisch demokratisch ist) und weist darauf hin, dass diese Tendenz „in der politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kein neues Phänomen“(97) ist. Ebenso wenig wie Warnungen vor diesen Entwicklungen vonseiten so unterschiedlicher Personen/Positionen wie Jaspers und Abendroth Mitte der 60er Jahre. Insbesondere Abendroth forderte einen beständigen Kampf um Verfassungspositionen und interpretierte das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes dahingehend, die formale politische Demokratie durch die inhaltliche soziale Demokratie zu ergänzen und damit zu sichern.
„Eine Mixtur aus Passivität der Bevölkerung, ausgeklügelten Manipulations- und Marketingstrategien der politischen Eliten und einer ausufernden Lobbymacht der transnational agierenden Unternehmen“(100), insbesondere in Zeiten der „neuen Sozialdemokratie“, führen zu einem Zustand der Postdemokratie mit maßgeblichem Einfluss privater Eliten; hierin eingebettet die Karriere der Arbeiterbewegung. Diese Postdemokratie sei gekennzeichnet durch „eine Konfiguration von wettbewerbsorientierten Institutionen und marktgetriebenen Regulierungen“(103); der damit verbundene Bedeutungszuwachs des Finanzkapitals löst den Sozial-Korporatismus der Vergangenheit ab und untergräbt „sukzessive die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht in der Betriebs- und Tarifpolitik“(105), die Urban im Einzelnen beschreibt. Postdemokratie ist auch gekennzeichnet durch Verlagerung politischer Kompetenzen vom Nationalstaat zur europäischen Ebene, ausgerichtet u. a. am Ziel der geopolitischen Schwächung der Position der USA.
Die Linke – und hier insbesondere die Gewerkschaften – müssen im Wege der demokratischen (Selbst-)Aktivierung bis hin zu politischen Demonstrationsstreiks die Grundrechte mit dem Ziel einer Demokratisierung des Parlamentarismus verteidigen und für ein europäisches Sozialmodell kämpfen. Dabei hat das Demokratieprinzip – nach Abendroth – „Maßstab für den gewerkschaftsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess“(115) zu sein.
Wie bei einem Sammelband vielleicht schwer zu vermeiden wiederholen sich bestimmte Argumentationsstränge ermüdend häufig; die Mehrzahl der Beiträge beschreibt weitgehend Bekanntes und regt leider nur gelegentlich zu neuen Interpretationen an; Übereinstimmung herrscht aber insoweit, dass das Fragezeichen im Titel getrost hätte weggelassen werden können. Wünschenswert wäre ein höheres Maß an begrifflicher Klarheit: es wimmelt nur so von unterschiedlich bezeichneten Kapitalismen, Staatsformen, Neoliberalismen und Demokratien. An analytischem Tiefgang ragt der Beitrag des Mitherausgebers Deppe heraus.